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Full text of "Beiträge zur deutschen sprachkunde"

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^ÄftABi^^ 



BEITRÄGE 



« Z U H 



DEUTSCHEN SPRACHKÜNDß. 



vohgeLesen 



IN DER K^ONIGLICHEN AKADEMIE 



DER WISSENSCHAFTEN 



ZV BERLIN. 



ERSTE SAMMLUNG, 



BERLIN, 1794. 



IS KARL MATZDORE5 BUGRKANDLUirrT 



830 



\ 






VORBERICHT. * 



JL/iejenigen Mitglieder der königli- 
chen Akademie der Wissenschaf- 
ten, welche sicji vereinigt haben 
an der Verbesserung der Deutschen 
Sprache selbst zu arbeiten und auch 
andere Gelehrte dazu aufzumun- 
tern, erklären sich hierdurch für 
keine Gesetzgeber der Sprache, wie 
man aus dieser erstell Schrift se- 
hen wird. Sie haben sich darin so 
gar der Freyheit bedient in eini- 



gen Punkten von einander abzuge- 
hen, damit das Publicum selbst 
entscheide, welcher Meinung es 
beytreten will. 

Sie werden mit ihren Beyträgen 
fortfahren, so bald hinlänglicher 

« 

Vorrath gesammelt seyn wird, oh- 
ne sich dabey an eine bestimmte 
Zeit zu binden. 



» i 



> s 



Aus^ 



Auszug, aus der von dem Staats^ 
Minister Herrn Grafen von Herz-- 
berg, als Curator der Akademie 
der TVissenschaften zu Berlin, 
gehaltenen Vorlesung vom 26. 
Januar ij9^. 



I jie Deutschen Mitglieder unserer Aka- 
demie haben sich, nach meinem Rath, 
zur Ausfuhrung des grofsen Plans verbun* 
den, den der unsterbliche Leibnitz schon 
bey Errichtung unserer Akademie zu Anfange 
dieses Jahrhunderts bezweckte, nehmlich: 
auf die J^ervollkommnung der Deutschen 
Sprache hinzuarbeiten. Im sechsten Theil 
8^er Werke findet man seine Gedanken 
hierüber^ Sein Plan ist so weit umfassend, 
so einleuchtend und so philosophisch, dafs 
er ganz für unsere Zweiten gemacht zu seyn 
adieuit« Wir dürfen ihm nur pünktlich 

A 2 



folgen, und di^ letzte Hand daran legen, 
indem wir die Veränderungen hinzufügen, 
die durch die Fortschritte in den Wissen- 
Schäften und selbst in der Deutschen Spra- 
che während dieses langen Zeitraums von 
beinah einem Jahrhundert nothwendig ge- 
macht -worden. Aus diesem Grunde werde 
ich auch Leibnüzens Plan in Deutscher Spra- 
che, den heute gehaltenen Vorlesungen beidru- 
cken lassen, um ihn der Welt vor Augen 
zu legen. Zwey unserer Mitglieder werden 
in den Reden, die sie nach der mcÄnigen 
halten und worauf ich mich beziehe, unsre 
Absicht Weitläuftiger aus einander setzen. 

Wahr ist es, die deutsche Sprache hat 
seit Leibnüzens Zeiten grofse Fortschritte, ja 
selbst unter der Regierung unsers grofsen 
Königs Fri£drich$ des ^^whiten Rie- 
senschritte gemacht Da dieser . Monarch 
von den Franzosen erzogen worden war, 
während seines ganzen Lebens nur Franzö- 
sische Bücher gelesen und geschrieben^ ja 
selbst, ^ nach dem allgemeinen Ton seines 
Jahrhunderts, alle wichtigen auswärtigen Ge- 
schäfte in Französischer Sprache verhandelt 
hat, so gab er dieser Sprache einen ent- 
sphiednen Vorzug vor der Deutschen, die 



5 



4&r nur Wenig kannte, und als rauh und 
barbarisch nicht sonderlich schätzte. Doch 
leam er ypn diesem Vorurtheil in den letz* 
ten Jahren seines Lebens sehr zurück, wo- 
zu ich, wie ich glaube, glücklidaer Weise 
iDeizu tragen Gelegenheit hatte ^ wie man 
mit mehreren aus meiner Geschichte der 
Abhandlung des Königs : über die Deutsche 
Literatur ersehen kann, die sich unter der 
Sammlung meiner Disserta»tions academi* 
ques befindet, und woraus ich hier kürz» 
Hch das Merkwürdigste anfuhren will. 

Während unsers Winteraufentbalts zu 
Breslau im Jahre 1779, bey den Verhand- 
lungen des Teschenschen Friedens sprach 
der König einmahl nicht eben sehr vor* 
theilhaft von der Deutschen Sprach», und 
zog den alten Deutschen die Arsaziden 
und Parther bey weitem vor. Ich nahm 
mir die Freiheit, ihm in diesen beiden 
Punkten zu widersprechen, und bewies ihm, 
durch eine Übersetzung verschiedener schwie- 
rigen Stellen des Tacitus, dafs nian sie in' 
Deutscher Sprache weit gedrungener und 
kraftvoller geben könne, als in der Fran- 
zösischen , und dafs selbst Tacitus den Deut- 
schen ausdrücklich einen grofsen Vorzug 



6 

vor den Parthem, in dem yortreß liehen und 
merkwürdigen sieben tmd dreyfsigsten Kapi* 
tel de Germania, gegeben habe. 

Im Jahr 1780 wurde dieser Streit über 
den Vorzug der Sprachen in einigen fireund- 
schaftlichen Unterhaltungen fortgesetzt, die 
ich mit dem Könige in Sans«-Souci hatte, 
und worin er mir Recht gab, ja selbst 
meine Übersetzungen lobte. Diefs war die 
Veranlassung zu seiner berühmten Ahhand- 
lung über die Deutsche Literatur y die er 
nur selbst vorlas und drucken zu lassen be- 
fahl. Freilich hat er wohl in dieser Ab- 
handlung die Deutsche Sprache scharf kri- 
tisirt, doch gestehet er ihr die Vorzüge des 
Reichthums und der Kraft zu und giebt 
selbst gute Lehren zu, ihrer Verbesserung. 
Er rieth selbst Gelehrten, die ihm bekannt 
waren: z. B. Ganzen und Arletius, ja er 
befahl dem Minister, der die Aufsicht über 
die Schulen hatte, dafs man sich befleifsi- 
gen solle; die besten Griechischen und Rö- 
mischen Schriftsteller , vorzüglich den Quinc- 
tilian und Cicero zu übersetzen , und diesem 
Rath haben wir die schöne Garvensche Über- 
setzung der Werke Cicero's von den Pflich- 
ten zu verdanken. Auch die Kritik dieses 



7 
erhabenen Verfassers hat für diö Deutsche 
Sprache die gute Folge gehabt, daß nicht 
nur einige unserer besten Deutschen Schrift* 
steller, z. B. Jerusalem^ Moser, und andre 
in mehreren guten Schriften die Deutsche 
Sprache vertheidigt haben, sondern dafs 
auch selbst unter den Schriftstellern D/eutsch- 
lands ein rühmlicher Wetteifer entstanden 
ist, sich durch eine schöne Schreibart 
auszuzeichnen. 

Es ist nicht zu läugnen, dafs die Deut- 
sehe Sprache^ die im sechszehnten Jahr- 
hundert durch Luthers reinen und kraftvol- 
len Styl, vorzüglich durch seine Übersetzung 
der Bibel einige Fortschritte gemacht hatte, 
einestheils^ noch in selbigem und im folgen- 
den Jahrhundert durch die Italiänische und 
Spanische Sprache^ die am Wiener Hofe die 
herrschenden waren, anderntheils aber auch 
dadurch zurück gehalten wurde, dafs die 
meisten Gelehrten Lateinisch schrieben, und 
selbst Staatsschriften in dieser Sprache ver- 
tust wurden. Endlich gewann die Franzö-* 
sische Sprache, die in Ludwigs des vier- 
zehnten Jahrhundert so ^ehr vervollkomm- 
net wurde, dermafsen in ganz Europa und 
am meisten in Deutschland die Oberhand, 



dafsf sie, tiüd zwar vonüglich in unserm 
Jahrhundert, theils wegen der Zierlichkeit 
undides reizenden Vortrages Französischer 
Schriftsteller, nocH mehr aber des grolsen 
Einflusses wegen, den der Französische Hof 
auf ganz Europa hatte^ und durch die Herr- 
schaft der Mode, die sich die Französische , 
Nation zuzueignen wufste, die Hauptspra* 
che aller Höfe und aller Societäten, bey 
Negociationen , bey Staatsgesphäften und in 
Büchern wurde. Auch npch jetzt weifs sie 
sich in ihrem Besitze zu behaupten. Aus 
diesen und andern Gründen, die ich hier 
nicht weitläuftig auseinander setzen mag, 
sind die Memoires unserer Akademie yom 
Anfange dieses Jahrhunderts bis 1 7i4) Latei- 
nisch, von der Zeit der Wiederherstellung 
aber bis jetzt Französisch geschrieben worden. 
Nur die untern Bürgerklassen und eigene- 
liehe Gelehrte haben sich hauptsächlich der 
Deutschen Sprache bedient. Trotz diesem 
ungünstigen Schicksal der Deutschen Lite- 
ratur und Sprache, haben doch die Deut- 
sehen Gelehrten, durch ihre angestretigten 
Bemühungen, in allen Wissenschaften und 
zugleich in ihrer Sprache so glückliche Fort- 
schritte ^gemacht, dafs sie es jetzt mit allen 



Nationen Europens aufnehmen können. Ei- 
nen vorzüglichen Grad von Reinheit, Reich- 
thum und Kraft hat unsre Sprache haupt- 
sächlich durch die Werke unserer ersten 
Schriftsteller, eines fVolf^ Mosheim, Mas- 
koWj Geliert, Haller, PP^ieland, Lessing, 
Möserj Geßner, Ramler, Adelung, Engel 
und anderer erhalten, die ich hier nicht alle 
anführen kann. Eine grofse Menge unserer 
jungen mittelmäfsigen Schriftsteller , die 
durch ihren aifektirten und gesuchten .Ton 
die Sprache von neuem verunreinigen, dun- 
kel und unangenehm machen wollen, kön^ 
nen -wir nicht' unter diese Anzahl rechnen. 
Glücklicher Weise geht ihr Reich so ziemUch 
zu Ende, und die gesunde Vernunft besteigt 
ihren Thron wieder. Auch haben wir schon 
ein sehr gutes Deutsches Wörterbuch von 
dem gelehrteH Bibliothekar Adelungs und 
^ noch einige yon. Frisch , Schmialtn und 
Schwan. Diese Fortschritte, welche die 
Deutsche Nation in den Wissenschaften und 
in ihrer Sprache macht, hat schon bewirkt, 
dafs fast alle unsre Nachbaren, vorzüglich 
Engländer, Franzosen und Italianer unsere 
Bücher zu übersetzen und unsere Sprache 
zu lernen anfangen. Hierzu kömmt noch^ 



lO 



als ein Hauptgrund, der ^wididge Einflufs, 
den das ganze Deutsche Reich durch seine 
Lage, und fast alle einzelne Staaten dessel- 
ben, vorzüglich Freufsen, Östeireich und 
Sachsen, durch ihre Fortschritte in der 
Kriegskunst, in allen und den 'wichtigsten 
Angelegenheiten Europens, yomehmlich aber 
der Nachbaren Deutschlands, gewonnen Ha- 
ben, wodurch diese gleichsam gezwungen 
sind, unsre Sprache zu lernen; so wie wir 
vormahls genöthigt waren die Französische 
Sprache zu lernen. Die ansehnlichsten 
Höfe Deutschlands verfassen * auch schon 
ihre Deductionen und Staatsschriften in 
Deutscher Sprache, und unser Hof hat 
in dem Batierschen Erbfolgekriege vorzüg- 
liche Proben davon geliefert. 

Aller dieser Yortheile ungeachtet, läfst 
es sich doch nicht läugnen, dafs die Deut- 
sche Sprache noch manchen Schritt zu ma- 
chen hat, ehe sie den möglich höchsten 
Grad der Vollkommenheit erreicht. Haupt- 
sächlich mufs man sich bemühen^ sie von 
einer grofsen Menge fremder Wörter ' zu rei- 
nigen und zu säubern, deren sie sich, vor- 
züglich in Wissenshaften und Künsten, noch 
bedient, und sie mit guten, ursprünglich 



IX 



Deutschen, doch auch nicht zu gesuchten 
Ausdrücken zxl bereichem« Sie mufs ge- 
nauer^ feiner und durch Verbannung der 
grofsen Menge unnützer Synonimen ba* 
stimmter gemacht werden; ja vdr müssen 
dahin streben , dieser Sprache alle die Rein- 
heit, den Reichthum^ die Bestimmtheit, die 
Kraft, die Schönheit und alle andern Voll« 
kommenheiten zueignen, deren sie Tor 
allen andern' neuern Sprachen so sehr em- 
pfänglich ist« Und diefs können wir, wenn 
ynr sie mit einetii so philosophischen Geiste 
behandeln, als Z/^/^m^ze/zj schöner Plan erfor- 
dert imd uns vorzeichnet. Die Akademie zu 
Berlin, die nntet ihren Mitgliedern mehrere 
ansehnliche Deutsche Gelehrte zählt, glaubt 
sich zur Ausführung dieses grofsen Plans 
berufen, den der Herr Rath Zöllner nach 
mir' genauer bestimmen wird. In dieser 
Rücksicht wird eine Deputation nieder« 
gesetzt werden, wovon jedes Mitglied sich 
einer besondern Arbeit unterzieht. So wir(]l 
z. B. ein Mitglied alle wissentschaftlichen und 
Kunst - Ausdrücke aufsuchen, die uns noch 
fehlen, und die wir daher von fremden Spra* 
chen borgen müssen; ein anderes wird un- 
serer Sprache und vorzüglich den Synoni- 



12 



men die nöthige Bestimmtheit zu geben sich 
bemühen; ein anderes Mitglied wird eine 
gute Geschichte der Sprache zusammentra- 
gen; ein anderes aus den verschieduen Deut- 
schen Mundarten diejenigen veralteten und 
"wenig bekannten Wörter aufsuchen, die es 
iverth sind in die Hochdeutsche Mundart auf- 
genommen zu werden: denn diese wird ih- 
res Wohlklangs und ihrer Schönheit wegen 
stets, so wie jetzt, die herrschende Mundart 
Deutschlands bleiben. Diefsist eine sehr wich- 
tige Arbeit. Mehrere Jahre werden erfordert, 
lun die nöthigen Materialien herbeyzuschaf- 
£enj woraus man in der Folge eine gute 
und genaue Sprachlehre, ein yollständiges 
Wörterbuch und eine Geschichte ^er Deut- 
schen Sprache anfertigen kann. Dann wer- 
deijL wir uns rühmen können^ unsre Spra- 
che hoch über alle andern Europäischen 
Sprachen erhoben zu haben, so wie sie fetzt 
schon die einzige ursprüngliche unter den 
lebenden Sprachen ist, die Sklavonische aus- 
genommen. Alle andern Europäischen Spra- 
chen sind nur verschiedene Mundarten, die 
ihren leicht zu erkennenden Ursprung, theils 
aus der Deutschen, theils aus der Lateini- 
schen oder Sklavonischen Sprache genommen 



a3 

Iiabeii, und nur in Fohlen, Böhmen, Skla- 
Yonien, Bulgarien und Rufsland, in jedem 
Lande verschieden, modificiret worden sind. 
Die Ungarische , Türki$che und Griechische 
Spraclie rechne ich hieher nicht, da sie nur 
von -weit entlegenen und minder zahlreichen 
Nationen Europens gesprochen werden. 

Diese £lrrichtiing einer akademischen 
Deputation zur Vervollkommnung der Deut^ 
sehen Sprache wird indessen nichts weiter 
in dem jetzigen Zustande der Akademie ver- 
ändern. Noch immer wird diese ihre Memoi- 
res in Französischer Sprache herausgeben, 
welche der Yollkommenheiten zu viel hat, 
und uns ^u nützlich ist, als dafs wir sie auf- 
geben könnten und wollten. Die Deutsche 
und Französische Sprache sind so gute Ge- 
schwister, dafs sie sich gewifs aufs Beste in 
einem akademischen Körper vereinigen las-* 
sen. Indessen ist nunmehr die Einrich- 
tung gemacht, dafs die Französischen und 
Deutschen Schriften der Akademie in zwey 
Bänden, jede besonders, gedruckt werden. 



14 



Unvorgreif liehe Gedanken, betref- 
fend die Ausübung und Verbes- 
serung der Teutschen Sprache. 
Von Leibnitz. 



$. 1. xlis ist bekannt, dafs die Sprache ein 
Spiegel des Verstandes, und dafs die Völ- 
ker, wenn sie den Verstand hoch schwin- 
gen, auch zugleich die Sprache wohl aus- 
üben, welches der Griechen, Römer und 
Araber Beyspiele zeigen. 

2. Die Teutsche Nation hat unter aUen 
Ghrisdichen den Vorzug, wegen des Heili- 
gen Römischen Reichs, dessen Würde und 
Rechte sie auf sich und ihr Oberhaupt ge- 
bracht, welchem die Beschirmung des wah- 
ren Glaubens, die Vogtey der allgemeinen 
Kirche, und die Beförderung des Besten 
der ganzen Christenheit oblieget, daher ihm 
auch der Vorsitz über andere hohe Häupter 
unstreitig gebühret und gelassen worden. 

3. Deröwegen haben die Teutschen sich 
desto mehr anzugreifen, dafs sie sich dieser 
ihrer Würde würdig zeifi^, und e» andern 



i5 

nicht weniger a^ Verstand und Tapferkeit 
zuvor thiin mögen, als sie ihnen an Ehre 
und Hoheit ihres Oberhauptes vorgehen. 
Dergestalt können ^ie ihre Mifsgün^tigen 
beschämen, und ihnen, wider ihren Dank, 
eine innerliche Überzeuguhg , wo nicht 
äufserliche Bekenntnifs der Teutschen Vor- 

trefFlichkeit abdringen; 

« 

Uc ^1 confessos animo quoque tubjugat hostes. 

4. Nachdem die Wissenschaft zur $tärke 
kommen, und die Kriegeszucht in Teutsch- 
land aufgerichtet vrorden, hat sich die Teut* 
sehe Tapferkeit zu unsem Zeiten gegen Mor- 
gen - und Abendländische Feinde , . durch 
grofse von Gott verliehene Siege v^iederum 
merklich gezeiget; da auch meistentheils die 
gute Partey durch Teutsche gefochten. 
Nun ist zu vninschen, dafs auch der Teut« 
sehen Verstand nicht weniger obsiegen, und 
den Preis erhalten möge, welches ebenmä- 
fsig durch gute Anordnung und fleifsige 
Übung geschehen mufs. Man vnll von al- 
lem dem, so daran hanget, anitzo nicht 
handeln, sondern allein bemerken, dafs die 
rechte Verstandes - Übung sich finde, nicht 
nur zwischen Lehr- und Lernenden, son- 



dern auch yomehmlich im gemeinen Leben 
unter der grofsen Lehrmeisterin ;y nehmlich 
der Welt, oder Gesellschaft, vermittelst der 
Sprache, welche die menschlichen Gemü- 
ther zusammen fiiiget. 

5. Es ist aber bey dem Gebrauch der 
Sprache auch dieses sonderlich zu betrach^ 
ten, dafs die Worte nicht nur der Gedan- 
ken, sondern auch der Dinge, Zeichen seyn, 
und dafs wir. Zeichen nöthig haben, nicht 
nur unsere Meynung andern anzudeuten, 
sondern auch unsern Gedanken selbst zu 
helfen« Denn gleichwie man in grofseil 
Handelsstädten, auch ha Spiel und sonst, 
nicht allezeit Geld zahlet, sondern sich an 
dessen Statt der Zettel oder Marken bedie- 
net: also thut auch der Verstand mit den 
Bildnissen der Dinge, zumahl wenn er viel 
zu denken hat, dafs er nehmlich 2^ichen 
dafür brauchet, damit er nicht nöthig habe 
die Sache jedesmahl, so oft sie vorkommt, 
von neuem zu bedenken. Daher ^ 'wenn^ er 
sie einmahl wohl gefasset, begnügt er sich 
hernach oft, nicht nur in äuJ&erlichen Re- 
den, sondern auch in den Gedanken und 
dem innerlichen Selbstgespräch das Wort an' 
die Stelle der Sache zu setzen. 

6. U^d 



*7 

6. Und gleichwie ein Rechenmeister, der 
keine Zahl schreiben wollte, deren Halt er 
nicht zugleich bedächte, und gleichsam an 
den Fingern abzählte, wie man die Uhr zäh- 
let, nimmer mit der Rechnung fertig werden 
würde : also wenn man im Reden und auch 
selbst im Gödenken kein Wort sprechen 
wollte, ohne sich ein eigentliches Bildnifs 
Ton dessen Bedeutung ^ zu .machen, würde 
man überaus langsam sprechen, oder viel- 
mehr verstummen müssen, auch den Lauf 
der Gedanken nothwendig hemmen, und also 
im Reden und Denken nicht weit kommen. 

7. Daher braucht man oft dieWortCvalö 
ZifFern, oder als Rechenpfennige, anstatt der 
Bildnisse und Sachen , bis man Stufenweise 
zum Facit schreitet, und beim Vernunft- 
Schlüsse zur Sache selbst gelanget. Wor^^us 
erscheinet, wie ein Grpfses daran gelegen, 
dafs die Worte als Vorbilde und gleichsam 

. als Wechselzettel des Verstandes wohl gefas- 
set, wohl unterschieden, zulänglich, häufig, 
leichtfliefsend und angenehm seyn. 

8. Es haben die Wifskünstler (wie man 
die so mit der Mathemäthik beschäftiget, nach 
der Holländer Beispiel gar füglich nennen 
kann) einie Erfindung der Zeichenkunst, da- 

B 



x8 

von die sogenannte Algebra nur ein TheU ist. 
Damit findet man heute zu Tage Dinge aus, 
80 die Alteh nicht erreichen können, und 
dennoch bestehet die ganze Kunst in nichts, 
als im Gebrauch vrohl angebrachter Zeichen. 
Die Alten haben mit der Cabbala viel We- 
sens gemacht, und Geheimnisse in den Wor- 
ten gesuchet, und die würden sie in der 
That in einer wohlgefafsten Sprache finden: 
als welche dienet, nicht nur fiir die Wifs- 
kunst, sondern fiir stUe Wissenschaften, 
Künste und Geschäfte. Und hat man dem- 
nach die Cabbala oder Zeich enkunst nicht 
nur in den hebräischen Sprachgeheimnis- 
sen, sondern auch bei einer jeden Sprache, 
nicht ^war in gewissen buchstäblichen Deu- 
teleien, sondern im rechten Verstände und 
Gebrauche der Worte zn suchen. 

9. Ich finde, dafs die Deutschen ihre 
Sprache bereits hoch bracht, in allem dem, 
so mit den fiinf Sinnen zu begreifen, und 
auch dem gemeinen Manne vorkommt; ab- 
sonderlich in leiblichen Dingen, auch Kunst- 
und Handwerkssachen, weil nehmlichen die 
Gelehrten fast allein mit dem Latein be- 
schäftiget gewesen, und die Muttersprache 
dem gemeinen Laufe überlassen, w^elche 



'9 
nichts desto weniger auch yon den soge- 
nannten Ungelehrten nach Lehre der Natur 
gar wohl getrieben worden. Und halt ich 
dafür , dafs keine Sprache in der Welt sey, 
die (zum Exempel) von Erz und Bergwer- 
ken reicher und nachdrücklicher rede, als 
die Teutsche. Dergleichen kann man yon 
allen andern gemeinen Lebensturten und Pro- 
fessionen sagen, als von Jagd- und Waid- 
werk, ycn der SchüTahrt und dergleichen« 
Wie dann alle die Europäer, so auf dem 
grofsen Weltmeer fahren, die Nahmen der 
Winde und viel andere Seeworte von dea 
Teutschen, nehmlich von den Sachsen, Nor- 
mannen, Osterliugen und Niederländern 
endehnet. 

TO. Es ereignet sich aber einiger Abgang 
bei unserer Sprache in denen Dingen, so 
man weder sehen noch fühlen, sondern al- 
lein durch Betrachtung" erreichen kann; als 
bei Ausdrückung der Gemüthsbewegungen, 
auch der Tugenden* und Laster, und vieler 
Beschaffenheiten, so zur Sitterlehre und Re* 
gierungskunst gehören; dann ferner bei de- 
nen noch mehr abgezogenen und abgefeim- 
ten Erkenntnissen , so die Liebhaber der 
Weisheit in ihrer Denkkunst, imd in der 

B a . 



20 

allgemeinen Lehre von den Dingen unter 
dem Nahmen der Logik und Metaphysik 
auf die Bahne bringen; welches alles dem 
gemeinen Teutschen Manne etwas entlegen, 
und nicht so üblich, da hingegen der Ge- 
lehrte und Hofmami sich des Lateins oder 
anderer fremden Sprachen in dergleichen 
fast allein und in so weit zu viel beflissen; 
also dafs es denen Teutschen nicht am Ver- 
mögen, sondern am Willen gefehlet, ihre 
Sprache durchgehends zu erheben. Denn 
weil alles, was der gemeine Mann treibet, 
wohl in Teutsch gegeben, so ist kein Zwei- 
fel dafs dasjenige, so vornehmen und ge- 
lehrten Leuten mehr vorkommt, von diesen, 
wenn sie gewollt, auch sehr wohl, wo nicht 
besser, in reinem Teutsch gegeben werden 
können. 

n. Nun wäre zwar dieser Mangel bey 
denen logischen und metaphysischen Kunst- 
wörtern noch in etwas zu verschmerzen, ja 
ich habe es zu Zeiten unser ansehnlichen 
Hauptfprache zum Lobe angezogen, dafs 
sie nichts als rechtschaffene Dinge sage, und 
ungegründete Grillen nicht einmal nenne 
(ignorab inepta). Daher ich bey denen Ita- 
liänern und Franzosen zu rühmen gepfle- 



21 

get: Wir Tetitschen hätten einen sonderba-, 
ren Probierstein der Gedanken,, der andern 
unbekannt; und wann sie denn begierig ge- 
wesen, etwas davon zu wissen, so habe ich 
ihnen bedeutet, dafs es unsere Sprache selbst 
sey; denn was sich darin ohne entlehnte 
und ungebräuchliche Worte yemehmlieh sa- 
g^n lasse, das seye wrklich was Rechtschaf- 
fenes ; aber leere Worte , da nichts hinter, 
und gleichsam- nur ein leichter Schaum niüs- 
siger Gedanken , nehme die reine Teutsche 
Sprache nicht an. 

12. AUeine, es ist gleichwohl an, dem, 
dafs in der Denkkunst und in der Wesen- 
lehre auch nicht wenig Gutes enthalten, so 
sich durch alle andere Wissenschaften und 
Lehren ergiefset, als wenn man daselbst 
handelt von Begrenzung, Eintheilung, Schlufs- 
form, QrdnuQ'g, Grundregeln, imd ihnen 
entgegen gesetzten falschen Streichen; von 
der Dinge Gleichheit und Un^rscheid, Voll- 
kommenheit und Mangßl, Ur^ach und Wir- 
kung, Zeit, Ort^ und Umständen, und son- 
derlich von der grpfsen Miisterrolle aller 
Dinge unter gewissen Hauptstückeh, so man 
Prädicamenten nennet. Unter ^reichen al- 
len viel Gutes ist^ damit die l^eutsdie Spra 
che allmählig anziureichern* 



92 

i3. Sonderlich aber stecket die grofste 
natürliche Weisheit in der Erkenntnifs Got- 
tes , der Seelen , iind Geister aus dem licht 
der Natur; so nicht allein sich hernach in 
die ofFenbahrte Gottesgelebrtheit mit einrer* 
leibet, sondern auch einen unbeweglichen 
Grund leget, darauf die Rechtslehre sowohl 
vom Rechte der Natur als der Völker ins- 
gemein und insonderheit, auch die Regie- 
rungskunst samt den Gesetzen aller Lande 
zu bauen. Ich finde aber hierin die Teut- 
sche Sprache noch etwas mangelhaft, und 
zu yerbessern. 

i4* Zwar ist nicht wenig Gutes auch zu 
diesem Zweck in denen geistreichen Schrif- 
ten einiger tiefsinnigen Gottesgelehrten an- 
zutreffen; ja selbst diejenigen, die sich et 
was zu denen Träumen der Schwärmer ge- 
neiget, brauchen gewisse schöne Worte und 
Reden, die man als güldene Gefäfse der 
Egypter ihiien" abnehmen, von der Beschmiz- 
zung reinigen , und zu dem * rechten Ge- 
brauch widmen könnte, Weichergestalt wir 
den Griecheii und Lateinern hierin selbst 
würden Trotz bieten können. 

i5. Am allermeisten aber ist unser Man* 
gel, wie gedacht, bei denen Worten zu spü- 



a3 

ren, die sich auf das Sittenweseti , Leiden- 
schaften des Gemüths, gemeinlichen Wan- 
del, Regierungssachen, und allerband bür? 
gerliche Lebens - und Staatsgeschäfte zie- 
hen: Wie man wohl befindet, wenn man 
etwas aus andern Sprachen in die unsrige 
übersetzen will. Und weilen solche Worte 
und Reden am meisten vorfallen, und zum 
tä'gUchen Umgang wackerer Leute sowohl 
als zur Briefwechselung zvidschen denselben 
erfordert werden; so hätte man vornehm- 
lich auf deren Entsetzung, oder weil sie 
schon vorhanden, oder vergessen und un- 
bekannt, auf deren Wiederbringung zu ge- 
denken, und wo sich dergleichen nichts er- 
geben will, einigen guten Worten der Aus- 
länder das Bürgerrecht zu verstatten. 

16. Hat es demnach die Meinung nichts 
dafs man in der Sprache zum Puritaner 
werde , und mit einer abergläubischen Furcht 
ein fremdes, aber bequemes Wort, als eine 
Todtsünde vermeide, dadurch aber sich 
selbst entkräfte, und seiner Rede den Nach- 
druck nehme ; denn solche allzugrofse 
Scheinreinigkeit ist einer durchbrochenen 
Arbeit zu vergleichen, daran der Meister so 
lange feilet und bessert , bis er sie endlich 



24 

gar verschwächet, welches denen geschieht, 
die an der Perfectie-Krankheit , wie es die 
Holländer nennen, darnieder liegen. 

17. Ich erinnere mich, gehöret zu haben, 
dafs wie in Frankreich auch dergleichen 
Reindünkler aufkommen, welche in der 
That, wie Verständige anitzo erkennen, die 
Sprache nicht wenig ärmer gemacht, da sol- 
le die gelehrte Jungfrau von Jouniay, des 
berühmten Montagne Pflegetochter, gesaget 
haben: was diese Leute schrieben, wäre ei- 
ne Suppe von klarem Wasser, nehmÜch oh- 
ne Unreinigkeit und ohne Kraft. 

i8. So hat auch die ItaUänische Gesell 
Schaft der Gruska oder des Beuteltuchs, 
welche die bösen Worte von den guten, wie 
die Kleien vom feinen Mehl söheiden wol- 
len , durch allzu ekelhaftes* Verfahren ihres 
Zwecks' nicht wenig verfehlet, und sind da- 
her die itzigen Glieder gezwungen worden, 
bei der letzten Ausgebung ihres Wörter- 
buchs, viel Worte zur -Hinterthür einzulas- 
sen, die man vorhero ausgeschlossen; weil 

* die Gesellschaft anfangs ganz Italien an die 
Floren tinischen Gesetze bindeu, und den 
Gelehrten selbst allzu enge Schranken sez- 

^^en wollen. Und habe ich von einem vor- 



25 

nehmen Glied derselbigen, so selbst ein 
Florentiner, gehöret, dafs er in seiner Ju* 
gend auch mit solchem Toscanischen Aber-* 
glauben behaftöt gewesen, nunmehr aber 
sich dessen entschüttet nahe. 

19. Also ist auch gewifs, dafs einige der 
Herren fruchtbringenden, und Glieder der. 
andern Teutschen Gesellschaften hierin zu 
weit gangen, und dadutch andere gegen 
sich ohne Noth erreget, zumahlen sie den 
Stein auf einmahl heben wollen, und alles 
Krumme schlecht zu machen gemeihet, AVel- 
ches wie bei ausgewachsenen Gliedern (aduly 
tis a)itiis) unmöglich. 

220. Anit^o scheinet es , dafs bei uns übel 
ärger worden, und hat der Mischmasch ab- 
scheuUch überhand genommen , also dafs die 
Prediger auf der Ganzel, der Sachwalter auf 
der Canzlei, der Bürgersmann im Schrei* 
ben und Reden, mit erbärmlichen Franzö- 
sischen sein Teutsches verderbet; mithin es 
fast das Ansehen gewinnen will, wann man 
so fortfähret, und nichts dargegen thut, es 
yrerde Teutsch in Teutschland selbst nicht 
weniger verlohren gehen, als das: Angel*^ 
sächsische in Engelland. 

ai. Gleichwohl wäre es ewig Schade und 



Schande, wenn unsere Haupt- und Helden- 
aprache dergestalt durch unsere Fahrläfsig- 
keit zu Grunde gehen sollte, so fast nichts 
Gutes schwanen machen dörfte; weil die 
Annehmung einer fremden Sprache gemei- 
niglich den Verlust der Freyheit und ein 
fremdes Joch mit sich geführet 

22* Es würde auch die unyermeidUche 
VenTiming bei solchem Übergang zu einer 
Beuen Sprache hundert und mehr Jahr über 
dauren, bis alles aufgerührte sich wieder 
gesetzet, und wie ein Getränke, so gegoh- 
ren, endUch aufgekläret; da inzwischen 
von der Ungewifsheit im Reden und Schrei- 
sen nothwendig auch die Teutschen Gemü- 
ther nicht wenig Verdunkelung empfinden 
müssen, weUen die meisten doch die Kraft 
der fremden Worte eine lange Zeit über 
nicht recht fassen, also elend schreiben, 
und übel denken würden. Wie dann die 
Sprachen nicht anders als bei einer ein&l- 
lenden Barbarey oder Unordnung, oder frem- 
der Gewalt sich merklich verändern. 

23» Gleichwie nun gewissen gewaltsamen 
Wasserschüssen und Einbrüchen der Stroh- 
rue nicht sov^ohl durch einen steiffen Damm 
und Widerstand, als durch etwas, so An- 



27 

fangs nachgiebt, hernach aher allmählich 
sich setzet , und fest wird, zu steuren ; also 
wäre es auch hierin vorzunehmen gewesen. 
Man hat aber gleich auf einmahl den Lauf 
des Übels hemmen, und alle fremde, auch 
sogar eingebürgerte Worte ausbannen wol- 
len. Dawider sich die ganze Nation, Ge- 
lehrte und Ungelehrte gestreubetj^ und das 
sonsten zum Theil gute Vorhaben fast zu 
Spott gemacht, dafs also auch dasjenige 
nicht erhalten worden, so wohl zu erlan- 
gen gewesen , wann man etwas gelinde^ ver- 
fahren wäre. 

fzi. Wie es mit der Teutschen Sprach 
hergangen, kann man aus den Reichs -Ab- 
schieden und andern Teutschen Handlung 
gen sehen. Im Jahrhundert der Reforma- 
tion redete man ziemlich rein Teutsch ; aus- 
ser weniger Italiänischer zum TheU auch 
Spanischer Worte, so vermittelst des Kay- 
serlichen Hofes und einiger fremder Bedien* 
ten zuletzt >einges,chlichen, dergleichen auch 
die Franzosen bey sich Zeit der Gatharina 
vom Hause Medicis gespühret, und da- 
xnahls mit eignen Schriften geahndet, - wie 
denn etwas dagegen von Henrica Stepkano 
geschrieben worden. Solches aber , wann 



28. 

es mäfsiglich geschieht, ist weder zu än- 
dern, noch eben zu sehr zu tadehi, zu Zei- 
ten auch wohl zu loben, zumahl wenn neue 
und gute Sachen, zusamt ihren Nahmen 
aus der Fremde zu uns kommen. 

aö. Allein wie der dreifsig jährige Krieg 
eingerissen und überhand genommen, da 
ist Teutschland von fremden und einheimi- 
schen Völkern, wie mit einer Wasserfluth 
überschwemmet worden, und nicht weniger 
unsere Sprache als unser Gut in die Kap- 
puse gangen; und siehet man, wie die 
Reichs -Acta solcher Zeit mit Worten ange- 
füllet seyn , deren sich freilich unsere Vor- 
fahren geschämet haben würden. 

226. Bis dahin nun war Teutschland zwi- 
schen den Italiänern , so Kaiserl. und den 
Franzosen, als Schwedischer Parthei, gleich- 
sam in der Wage gestanden. Aber nach 
dem Münsters^hen und Pyrenäischen Frie^ 
den hat sowohl die Französische Macht als 
Sprache bey uns überhand genommen. Man 
hat Frankreich gleichsam zum Master aller 
Zierlichkeit aufgeworfen, und unsere junge 
Leute, auch wohl junge Herren selbst, fo 
ihre eigene Heimath iiicht gekennet, und 
deswegen alles bey den Franzosen bewun- 



29 

dert, haben ihr Vaterland nicht nur bey 
den Fremden in Verachtung gesetzet, son- 
dern auch selbst verachten helfen ;, und ei- 
nen Ekel der' Teutschen Sprache und Sit» 
ten aus Ohnerfahrenheit angenommen, der 
auch ^ ihnen bei zuwachsenden Jahren 
und Verstand behenken blieben. Und weü 
die meisten dieser jungen Leute hernach, 
wo nicht durch gute Gaben , so bey eini- 
gen nicht gefehlet, doch wegen ihrer Her« 
kunft und Reichthums, oder durch andere 
Gelegenheiten zu Ansehen und yornehmen 
Aemtem gelanget,, haben solche Franz- Ge« 
sinnete viele Jahre über Teutschland regle- 
ret, und solches fast, wo nicht der Fran- 
zösischen Herrschaft (daran es zwar auch 
nicht viel' gefehlet) doch der Französischen 
Mode und Sprache unterwürfig gemacht : 
ob sie gleich sonst .dem Staat nach gute Pa« 
trioten geblieben, und zuletzt Teutschland 
vom Französischen Joch, wiewohl kümmer- 
lich, annoch erretten helfen. 

27. Ich will doch gleichwohl gern jeder- 
mann recht thun, und also nicht in Abre^ 
de seyn , dafs mit diesen Franz - und Fremd- 
entzen auch viel Gutes bey uns eingefüh- 
ret worden ; man hc^t gleichwi# von den Ita« 



liänem die gute Vorsorge gegen anstecken- 
de Krankheiten, also von den Franzosen 
eine bessere Kriegsanstalt erlernet, darin 
ein freiherrschender grofser König andern 
am best<^n vorgehen können ; man hat mit 
einiger Munterkeit im Wesen die Teutsche 
Ernsthaftigkeit gemäfsiget, und sonderlich 
ein und anders in der Lebensart etwas bes- 
ser zur Zierde und Wohlstand, auch wohl 
zur Bequemlichkeit eingerichtet, und, so 
viel die Sprache selbst betrift, einige gute 
Redensarten als fremde Pflanzen in unsere 
Sprache selbst versetzet. 

28. Derowegen wann wir nun etwas 
mehr als bisher Teutsch gesinnet werden 
wollten, und den Ruhm unsrer Nation imd 
Sprache etwas m^r beherzigen möchten, 
als einige dreifsig Jahr her in diesem gleich- 
sam Französischen Z«itwechsel (periodo) 
geschehen; so könnten wir das Böse zum 
Guten kehren, und selbst aus unserm Un- 
glück 'Nutzen schaffen, und sowohl unsern 
innern Kern des alten ehrlichen Teutschen 
wieder herfiirsuchen, als solchen mit dem 
neuen äufserlichen, yon den Franzosen und 
andern gleichsam erbeuteten Schmuck aus- 
stafBren. 



Ol 

29. Es finden sich hin und meder bra- 
ve Leute, die sonderbare Lust und Liebe 
zeigen, zur Verbesserung luid Untersuchung 
des Teutschen. So sind auch deren nicht 
wenig, die sehr gut Teutsch schreiben, und 
sowohl rein als nachdrücklich zu geben wis- 
sen^ vras sonst schwer und in unserer Spra- 
che wenig getrieben. Neulich hat ein ge- 
lehrter wohlmeynender Mann ein Register 
Yon Büchern gemacht, darin allerhand Wis- 
senschaften gar wohl in Teutsch verhandelt 
worden; ich finde auch, dafs oft in Staats- 
schriften jetziger Teutschen zu Regenspurg 
und anderswo etwas befonders und nach- 
denkUches herfiir blicket, welches, da es 
vom überflüfsigen Fremden, als von ange- 
sprutzeten Flecken, nach Nothdurft und 
Thunlichkeit gesäubert würde, ünfer Spra- 
che einen herrlichen Glanz geben sollte. 

30. Weilen abär di0 Sach von einem 
grofsen Begriff, so scheinet selbige zu be- 
streiten etwas gröfsers als Privat -Anstalt 
nöthig, ^und würde demnach dem ganzen 
Werk nicht besser noch nacihtdrückllcher, 
als niittelst einer gewissen Versammlung 
oder Vereinigung aus Anregung eines hoch- 
erleuchteten vornehmen Haupts mit gemei- 



T, 



; 3a 



nem Ratfa, und gutem Verstandnifs zu hel- 
fen scyn« 

3l. Da8 Hauptabsehen wäre zwar der 
Flor des geliebten Vaterlandes Teutscber 
Nation, sein besonderer Zweck aber und 
das. Vornehmen (oder- Object) dieser An- 
stalt wäre auf die Teutsche Sprache zu rich- 
ten, wie nehmlichen solche zu yerbessern, 
auszuzieren und zu untersuchen. 

52. Der Grund und Boden einer Sprache, 
so zu reden, sind die Worte', darauf die 
Redensarten gleichsam als Früchte herfiir- 
wachsen. Woher dann folget, dafs eine 
der Hauptarbeiten, deren die Teutsche 
Hauptsprache bedarf, seyn. würde, eine Mu- 
sterung und Untersuchung aller Tfsutschen 
Worte, welche, dafe^n sie vollkommen, 
nicht nur auf diejenige gehen soll , so je- 
dermann brauchet, sondern auch auf die, 
so man Hochteutsch nennet, und die im 
Schreiben anjetzo allein herrschen, sondern 
auch auf Platteutsch, Märkisch, Obersäch- 
sisch, Fränkisch, Bayrisch, Oesterreichisch, 
Schwäbisch^ oder was sonst hin und wieder 
bey dem Landmanne mehr als in den Städ- 
ten bräuchlich. Auch nicht nur was in 
Teutschland in Übung, sondern auch was 

* von 



35 

von Tetitscher Herkunft im Holl-,und Eng. 
ländischen: worzu auch fürnehmlich die 
Worte der Nordteutschen , das ist, der Da* 
nen, Norwegen, Schweden und Isländer 
(bei welchen letztern sonderlich viel von un- 
ser uralten Sprach gehlieben,) zu ziehen:' 
und letzlichen nicht nur auf das, so noch 
in der Welt geredet wird, sondern auch was 
verlegen und abgangen, nehmlichen das Alt- 
Gothische, Alt - Sächsische und Alt -Frän- 
kische, wie sichs in uralten Schriften und 
Reimen findet, daran der trefüche Opitz 
selbst zu arbeiten gut gefunden. Denn an- 
ders zu den wahren Urfprüngen nicht zu ^ 
gelangen, welche oft die gemeinen Leute 
mit ihrer Aussprache zeiger?, und sagt man, 
es habe dem Kaiser Maximilian dem I. einst- 
mahls sonderlich wohl gefallen, als er aus 
der Aussprache der Schweitzer vernommen^ 
dafs Habsburg nichts anders als Habichts- 
hurg, sagen wolle, 

33. Nun wäre zwar freilich hieninter ein 
grofser Unterscheid zu machen, mithin was 
durchgehends in Schriften und JReden wak- 
lerer Leute üblich, von den Kunst- und 
Landworten, auch fremden und veralteten 
zu unterscheiden. Ander Manchfeltigkeiten 



^ 



34 

des gebräuchlichen selbst anjetzo zu gei 
schweigen, wären derowegen besondere 'We^ 
ke nöthig, nehmlich ein eigen Buch yof 
durchgehende Worte« ein anders vor Kunst* 
Worte, und letzlich eines vor alte und Land* 
Worte, und folche Dinge, so zu Untersa-j 
chung'des Ursprungs und Grundes dienen,! 
deren ersten maa Sprachbrauch^ oderLat^ 
' nisch Lexicon; das andere SprachschaU^\ 
oder cornu copiae; das dritte Glossarium, 
oder Sprachquell nennen möchte. 

34. Es ist zwar auch an dem, und yer*, 
stehet sich von Selbsten, dafs die wenig* 
sten derer, so an Verbesserung der Sprache 
arbeiten wollten, sich des Altfränkischen 
und des aufser Teutschland in Norden und 
Westen gleichsam walfahrenden Teutschen 
Sprachrestes, so wenig als der Waydsprüche 
der Künstler und Handwerker, und der 
Landworte des gemeinen Mannes, anzuneh- 
men haben würden. Weil solches yor eine 
gewisse Art der * Gelehrten und Liebhaber 
allein gehöret. 

35. Alleine es gehöret doch gleichwohl 
dieses alles zur vollkommenen Ausarbeitung 
der Sprache, und muTs man bekennen, dafs 
die Franzpsen hierin glücklich, indem sie 



35 

— I 

mit allen drei oberwehnten Werken^ so ziem- 
lich in ihrer Sprache nunmehr versehen, 
indem die sogenannte Französische Acäde- 
mie'nicht allein ihr lang versprochenes Haupt- 
buch der läufigen Worte herausgegeben, 
sondern auch was vor die Künste gehöret, 
von Furetihre angefangen, und von einem 
andern Glied der Academie fortgesetzet wor- 
den. Und ob schon darin aus dermafsen ' 
viel Fehler und Mängel, so ist doch auch 
sehr viel Gutes darunter enthalten. Diesem 
ist das herrliche Werk des hochgelehrten 
Menage y wie es nun vermehret, beyzufii* 
gen, welcher ^den Ursprung der Worte unter- 
sucht, und also auch das Veraltete, auch 
zu Zeiten das Bäurische, herbeigezogen. 

39. Es ist bekannt, dafs die Italiänische 
Sprachgesellschaft, die sich von der Cruf- 
ca genennet , bald Anfangs auf ein Wörter- 
buch bedacht gewesen. Und als der Gar- 
dinal Richelieu die Französische Academie 
aufgerichtet, hat er ihr auch sofort ein sol- 
ches zur Arbeit aufgegeben. Sie waren aber 
beyderseits nur auf läufige Worte bedacht, 
und vermeynten die Kunstwörter an die Sei- 
te zu setzen ; wie auch die Crusca wirklich 
gethan. Ich habe aber in Frankreich selbst 

Ca 



36 

etlichen vornehmen Gliedern meine trenige 
Meynung gesagt, dafs solches nicht wohl 
gethan, und zwar , den Italiänem als Vor- 
gängern zu gut zu halten, es werde aber 
von einer Yersammlung so vieler treflicher 
Leute in einem blühenden Königreiche un- 
ter einem so mächtigen König ein mehrers 
erwartet ; inmassen durch Erklärung der 
Kunstworte die Wissenschaften selbst erläu- 
tert und befördert würden , welches auch 
einige wohl begrüTiSn. 

37. Weilen sie aber inzwischen bev der 
angefangenen Arbeit geblieben, hat einer 
unter ihnen, Furetjere genannt,- sich aus 
eigener Lust über die Kunstworte zugleich 
mit gemachet, welches die Academie ;übel 
genommen, und sein Werk verhindert, nnd 
da es in Holland heraus kommen, einem 
andern aus ihrem Mittel dergleichen aufge- 
tragen; also dafs die Leidenschaften zuwege 
gebracht, was die Vernunft nicht erhalten 
mögen. 

38. Als mir nun auch vor einigen Jah- 
ren Nachricht geben worden, dafs die Eng- 
länder ebenmäfsig mit einem grofsen Werk 
umgiengen, so dem Französischen damahls 
noch nicht erschienenen Wörterbuch nichts 



37 

-weichen sollte , habe ich sofort /angeh^Itß.n^ 
claTs sie auch auf Kunstworte denken möch* 
ten. mit dem Bedeuten, was m^3sn ich 
I^achricht erhalten hätte, dafs die Franzo- 
sen sich auch in diesem Stück eines bes« 
Sern bedacht , yernehme auch nunmehr,. 
dafs die Engländer würklich mit dergleichen^ 
anjetzo begriffen. 

59. Ich/ hoffe audi , dafs die Welschen, 
um andern nicht nachzugeben, endlich nickt 
-weniger diesen ihren Abgang ersetzen dürf- 
ten; ztönahleii ich selbst bey guten Freun- 
den deswegen Anregung zu- thun, die Frey- 
heit.. genommen. . Und wenii man dergestalt 
die Technica oder Kunstworte vieler Nätio^ 
nen beysa^men hätte ist kein Zweifel^ dafs 
durch deren Gegeneinander-Haltpng deflt Kün- 
8tq^ selbst, ein grefe^s Jiicht angezündet^wer-* 
den dürfte , weiln in einem Land dielse , in, 
dem andegrn die andern Künste besser ge** 
trieben ^wjerden , und j^de Kunst an ihremi 
Ort und Sitz mehr mit besehdern Nahmen 
und Redensatten Versehen, 

40. Und weiln, wie oberwehnetj, die 
Teutschen sich, über alle . andere ^ Nationeil 
in den Würklichkeiten der Natur und Kunsit 
80 yortreflich erwiesen, $9 würde. eii^^iT^ut-^ 



y 



38 

sches Werk der Kunstworte einen rechten 
Schatz guter Nachrichtungen in sich begrei« 
fen, und sinnreichen Personen, denen e^ 
bisher an solcher Kunde gemangelt, oft Ge* 
legenheit zu schönen Gedanken und Erfin* 
düngen geben. Denn weil, wie ^berwehnet, 
die Worte den Sachen antworten , kann es i 
nicht fehlen, es mufs die Erläuterung unge- ' 
meiner Worte audi die Erkenntnifs unbe- 
kannter Sachen mit sich bringen« 

4i* Was. auch ein wohl ausgearbeitet 
tes Glossarium Etymologicum , oder Sprach- 
quell, Tor schöne Dinge in sich halten wür- 
de, wo nicht zum menschlichen Gebrauch, 
doch zur Zierde und Ruhm unserer Nation 
und Erklärung des Alterthums und der Hi- 
storien, ist nidit'zu sagen; Wenn nehmlich 
Leute, wie Schottel^ B rasch oder Mor- 
^ff l>ßi nns, oder wie Minage bey den 
Franzosen; und eben dieser mit dem Ferra- 
ri bey den Welschen, Speimann in Eng- 
land > TVorm oder Kerhel bfey den Nord- 
läidem sich darüber machten.' 

42» Es ist handgreiflich und gestanden, 
dafs die Franzosen, Welscheii und Spa:ni^r 
(der Engländer, so halb Teutsch, zu ge- 
ichweigen,) sehr viel Worte von den Teut- 



39 

8chen haben, und also den Ursprung ihrer 
Sprachen guten T%eils bey uims suchen müs- 
sen. Giebt also die Untersuchung der Teut- 
sehen Sprach nicht nur ein Licht vor uns, 
sondern auch vor ganz Europa, ' welches 
unserer Sprache zu nicht geringem Lob ge- 
reichet. . . ' 

43. Ja was :noch mehr, so findet es sich, 
dafs die alten Gallier, Zelten, uhd. i^uch 
Scythen, mit den Teutscheii eine gröfse Ge* 
meinfchäft gehabt, und weiln Welschland 
seine ältesten Einwohner nicht zur See, son- 
dern' zu Lande, tiehmlich Von den Teüt- 
fcheii und Gotischen Völkern über die Al- 
pen herbekommen, so folget, dafs die La- 
teinifche Sprache denen uralten Teutschen 
ein Grosses schuldig, wie sichs auch in der 
That befihdeL 

44, Und ob zwar die Lateiner -das Übri- 
ge von den Griechischen CJolonien bekom- 
men haben mögen, fo haben doch sehr ge- 
lehrte Leute auch aufser Teutfchland wohl 
erwogen, dafs es vorher mit Griechenland 
eben wie mit Italien zugangen; mithin die 
ersten Bewohner desselbigen von der Do- 
nau und angränzfenden Landen hergekom- 
men; mit denen sich hernach Colonien über 



/■ 



4o 

Meer aus Asien, Ägypten und Phönicien 
vermischet, und Mreil die Teutschen vor 
Alters unter dem Nahmen der Gothen, oder i 
auch nach etlicher Meynung der Geten/ 
und wenigstens der Bastarnen, gegen dem^ 
Ausflufs der Donau und ferner am sphwar- ' 
zen Meer gewohnet, und zi|l gewisser Zeit 
die jetzt genannte kleine Tartarey inngehabt^ 
und sich fast bis an die Wolga erstrecket, 
so ist ke^in Wunder, dafs Teutsche Worte 
nicht nur im Griechischen so häufig erfchei: 
n^n, spndern bis in die Fersianische Spra- 
che gedrungen, wie von yielßn Gelehrten 
bemerket wor4en« Wiewohl ich noch nicht 
finden kann, dafs sq viel Tei^tsches in Per- 
sien sey, als nach* Elichmanns Meynung 
vbrg^gebeii wi^d. 

40. Alles auch, was die Schweden, Nor- 
wegen und Isländer von ihren Gothen und 
Runen rüjimen, ist unser, uqd arbeiten sie 
mit aUer ihrer zwar löbUchen .Mühe vor 
uns; mafsen .sie ja vor. nichts anders, als 
Nord -Teutsche gehalten werden können, 
auch von dem wohlberichtet^n Tacito und 
allen alten und Mittel • Autoren unter die 
Teutsche gezehlet worden ; mit ihrer Sprach 
auch selbst nicht anders zu . Tage legen. 



4i 

siB mögen sich klammen und wenden wie 
sie Wollen. • Dafs auch die Dähnen zu Zei-< 
ten der • Römfer bei dem abnehmende 
Reich unter dem Nahmen der Sachsen be-, 
griffen ^ gewesen, kann ich aus vielen Um- 
ständen schliefsen. - ,: 

46. Stecket also im Teutschen Alterthum,., 
und sonderlich . in der Teutschen uralten 
Sprach^^ so über das Alter aller Griechi- . 
sehen unA I^iatöinlschen. Bücher hinauf stei-f 
get,: der.tft-sprüftg der Europäischen Völ- 
ker und Spräßhen auch zum.Theil des. ur--. 
alten Gotte$di@nst)äs ) der Sitten, Rechte und 
Adels , auch .oit der alten Nahmen der Sa- 
chen, Öiter und Leute > wie solches von- 
andern dargethan , und theils xxüt mehreriä 
auszufiihrei^wärev / : 

47« Welches uns io yiermehr erinnern 
müssei), . daipit desto deutlicher er^chednet 
wie ein gFöfses an einem Teutschen Glos-, 
sario Etymologico gele^em ;' immafsen mir' 
bewust ^ und aus Briefen : an niich seäbst. 
kund worden, dafs hochgelehrte Leute an-, 
derer Natipujen sehr darnach wühscheji, und 
wohl erkennen,' was ihnen selbst zu Er- 
leuchtung ihrer Alterthümer daran gelegen; 
und dafs nicht wobl^ a^dea:e als der ,Teut- 



4a 

sehen Sprach im Grund Erfahrne, also ^e- 
der Engländer noch Franzosen, wie gelehrt 
sie auch seyn, damit zurechte kommen 
mögen. 

46. Bei uns Teutschen aber sollte die 
Begierde darnach so viel gröfser seyn, weil 
uns nicht allein am meisten damit geholfen 
wird , sondern auch ein solches zu unserm 
Ruhm gereichet; je mehr daraus erschei- 
net, dafs der Ursprung und Brünnquell des 
Europäischen Wesens grofsen T%eils bey 
uns zu suchen. Es finden sich aber auch 
täglich bey uns selbst in der Sprache aller-* 
hand -Erläutärungs würdige Dinge und An- 
merkungen, so Gelegenheit ' zu sonderlichem 
Nachdenke'n geben/ . . ' 

49« Zum Exempely wenn 'man fraget, 
was Welt im Teutschen sagen wolle*, so 

mufs man betrachten, dafs die Vorfahren 

» 

gesaget JVerelt^ wie sichs noch in alten 
Büchern und* Ländern findet, daraus er- 
scheinet, dafs es nichts anders sey; als Um-» 
kreis der Erden ödferOrbis terrarutn. Denn 
TVirrerty JVerre , (PVirs bey den Englän- 
dern, Gyrüs bey den Griechen,) bedeutet 
was in die Runde herum sich ziehet. Und 
scheinet^ die Wiurzel stecke im Buchstaben 



45 

I 

W, der eine Bewegmg mit sich bringet, so 
ab- und zugehet, auch wohl umgehet, als 
bei wehen. Wind, Waage, Wogen, Wel- 
len, TVheely öder Rad. Daher audh nicht 
nur Wirbel, Gewerrel^ oder Querl^ • (fo 
im' alt Teutsch eine Mühle bedeutet, wie 
an Quemhdiheln* abzunehmen,) sondern auch 
belegen ^ winden^ wenden^ das Französi- 
sche mi (als Tis sans fin) auch JVelle^ 
fV^alze^ das Lateinische 'volvo imd verto, 
Vertex, Ja der Name der Waleu , Wallo- 
nen,.. oder Herumwallenden, (das ist. d^f 
Gallier oder Freöibden.) fP'ild (das ist 
frembd, davon wildfrenid, Wildfangs-Üefch- 
tes) von diefem aber Pf^ald und anderes 
mehr ent8tan<len. Doch will > man nicht mit 
dento streiten, die das Wort Wereid^ von 
währen fAoT dauren herfuhren, und dar- 
unter Seculum (vor' alters Ew) verstehen* 
^ Weil diese Dinge, ol^e gnügsanie Untersu- 
chung , sii keiner völligen 'Gewifsh^it siu 
bringen ,* und diie alten Teutschen JBüchex' 
den - Auissdhlag gebend müssen. 

5o. Dergleichen Exempel sind nicht we- 
nig Vorhanden) so nicht allein der Dinge 
Ursprung- entdecken , sotidern auch %u er^ 
kennen gebend dafs die Wort nicht eben so 



44 

"v^illkuhrlich oder yon ohngefähr lierfurkoni- 
men , als einige yermeynen^ wie dann nichts 
ohngefähr in der Welt ald nach ^unserer Un- 
wissenheit ., wenn uns die Ursachen yerbor- 
gen. Und weiln . die Teutsche Sprache vor 
vielen ^ndei^n dem Ursprung sich za nähern 
scheinet , so. sind auch idie Grund «- Wurzeln 
in derselben desto besser zu erkennen, da- 
von auch bereits der tief^nnlgß Cl^uber- 
0ius ^eine eigene Gedaqken gehabt, und ßa- 
von. etwas in eii^ew Jkl^inen, JßüchlQin -an- 

5i. Ich habe auch bereits, vor yielep Jah- 
ren einen sehr geirrten Marni' dahiäa 'Ver- 
mocht^ dafs er auf .die" Arbeit eine$,$ächsi- 
^cben Glossarii die Gedänk^a^^richtet, find 
etwa^ davon hinterlassen ^ . tind ^sind mir nocl^ 
einige .andere trefiiche. Leute bfd&annt^jL ^so 
mit d^rgleicheon umgeben,, theils. at^b.vQ]:^ 
mir dazu .briachl worden 9 al90!d£^is ^enn 
sie und aiidere dui'ch. kräftige Hülfe iund 
nahe !^usammenSbtzimg aufgebmnt^irt »wür- 
den, etwas schönes JhierfürkommeÄ .dürfte. 

52. So viel aber eiÄeifc-T^utsela^. Wör- 
ter-Schatz betreffen "mirde, gehärQt^n. Leti- 
te dazu , so in d^v , .Natur :der. £]!^n^ t. doxi-^ 
derlicl> der Kräuter ii^dr'Tfeieil^j: rF^uer- 



^ 45 V 

Kunst (oder Chymie) Wifs-Kunst oder Ma- 
thematik und daran bangenden Baukünsten 
und andern Kunstwerken , Weberey und so- 
genanilten Manufacturen, Handel^ Schif- 
fehrt , Berg - und Salzwerks - Sachen und 
was dergleichen mehr , erfahren. Welche 
Personen dann, weil einer allen nicht ge- 
wachsen, die deutliche ^Fachrichtungen durch ' 
gewisses Verständnifs unter einander zusam- 
men bringen könnten, und dazumahl in 
grofsen Städten die beste Gelegenheit dazu 
finden würden. So auch wohl vorsieh ge- 
hen dürfte, wenn einige Beförderung von 
hoher Hand nicht ermangeln sollte. ' 

53. Man hat bereits absonderliche Teut- 
sche Werke verschiedener Professionen, so 
hierin zu statten* kamen, imd zu ergänzen* 
wären, so würde auch was von den Fran- 
zosen und Engländern geschehen , einige 
Hülfe und* Anlafs zur Nachfrage geben; das 
meiste aber müsse von den Leuten jeder 
Profession selbst erfraget werden, wie mich 
dann erinnere, dafs zu Zeiten berühmte 
Prediger in die Kram -Winkel oder Läden 
und Werkstätte gangen, um die rechten 
Nahmen und Bedeutungen zu erfahren, und 
so wohl richtig als verständig von allen 
Dingen zu reden. 



46 

54* £s ist auch bekannt , dab viel Wor- 
te in gemeinen Gebrauch kommen seyn, 
die von den Künsten endehnet, oder doch 
eine gewisse Bedeutung von ihnen bekom- 
men, deren Ursach diejenigen nicht verste- 
hen ^ fo von solcher Kunst oder Profession 
nichts ^ssen, als zum Exempel: Man sagt 
On und Ende^ man sagt erörtern^ die 
Ursache wissen wenig, allein man verstehet 
es aus der Sprache der Bergleute, bey de- 
nen istOr^ so viel aus Ende ^ soweitnehiQ- 
lich der Stollen, der Schacht oder die Strek^ 
ke getrieben, man sagt zum Exempel: Die- 

• 

ser Bergmann arbeitet vor dem Ort^ das 
ist, wo es aufhöret, daher erörtein nichts 
anders ist, als endigen (definire.) 

55. Ich habe bey den • Franzosen etwas 
löbliches darin gefunden, dais auch vor- 
nehme Herren sich befleifsigen , von aller- 
hand Sachen mit den eigenen Kunstwörtern 
zu reden, um zu zeigen, dafs sie nicht gar 
der Sachen unwissend seyn; und hat man 
mir erzehlet, dafs das Exempel des vorigen 
Herzogs von Orleans, Ludwigs des XII L 
Bruders, so darin Beliebung gehabt, nicht 
wenig dazu geholfen. Ein gleichmälsiges, 
da dergleichen Arbeit in unserer Sprache 



47 
herfür kommen sollte, würde bei den TeuN 

sehen mehr denn bisher erfolgen , und zu 
einer allgemeinen Wissens-Lust (oder Curi- 
osität) und zu fernerer Oeffnung der Ge- 
müther in allen Dingen nicht wenig dienen. 
66. Allein ich komme nunmehrq zu dem, 
so bey der Sprache in dero durchgehenden 
Gebrauch erfordert wird, darauf die Her- 
ren Fruchtbringenden, die Crufca, und die 
Französische Apademie zuerst allein gese- 
hen, und auch anfangs am meisten zu se- 
hen ist, in. so weit keine Frage i$t von dem 
Ursprung und Alterthum, oder von verbor- 
genen Nachrichtungen, Künsten und Wis- 
senfchaften, sondern allein vom gemeinen 
Umgang und gewöhnlichen Schriften, all- 
wo der Teutschen Sprache Heichthum, Rei- 
nigkeit und Glanz sich zeigen soll , welche 
drey gute Beschaffenheiten bey einer Spra- 
che verlanget werden. 

67. *Reichthum ist das erste und nötliig- 
ste bey einer Sprache, imd bestehet darin, 
dafs kein Mangel < isondem vielmehr ein 
Überflufs erscheine an bequemen und nach* 
drücklichen Worten, so zu allen Vorfällig- 
keiten dienlich, damit man alles kräftig und 
eigentlich vorstellen und gleichsam ^t le- 
benden Farben abmahlen, könne« 



48 . . 

« 

58. Man sagt von den Sinesern, dafs sie 
reich im Schreiben, vermittelst ihrer vielfäl- 
tigen Zeichen, hingegen arm im Reden und 
an Worten, weiln (wie bekannt) die Schrift 
bey ihnen der Sprache nicht antwortet ; und 
$cheinet, dafs der Llberflufs der Zeichen, 
darauf sie sich geleget, verursachet, dafs 
die Sprache desto weniger angebauet wor- 
den, also dafs wegen geringer Anzahl und 
Zweydeutigkeit der Worte sie bisweilen, um 
sich zu erklären, und den Zweifel zu be- 
nehmen^ mitten im Reden gezwungen wer- 
den sollen, die Zeichen mit den Fingern in 
der Luft zu mahlen. 

5g. Es kann zwar endlich eine jede Spra- 
che, sie sey so arm als sie wolle, alles ge- 
ben ; ob man schoh saget , es wären" barba- 
rische Völker , denen man nicht* bedeuten 
kann , was Gott sagen wolle. Allein , ob 
schon alles endlich durch Umschweife und 
^ Beschreibung bedeutet werden kann, so ver-' 
lieret sich doch bey solcher Weitschweifig- 
keit alle Lust, aller Nachdruck, in dem 
der redet, und in dem der höret; dieweil 
das Gemüthe zu lange aufgehalten wird, 
und es heraus kommt^ als "wann man einen, 
der viel schöne Palläste besehen will, bey 

einem 



49 

einem jeden Zimmer lange aufhalten, und 
durch alle Zimmer herum schleppen wollte, 
wie die Völker, die (nach der Weigeliani- 
sehen Tetracty) nicht über drei zehlen könn- 
ten, und keine Wort oder Bezeichnung hät- 
ten , vor 4« 5. 6. 7. 8, 9. etc, wodurch die 
Rechnung sehr langsam und beschwerlich 
i^en müstCA; 

60. Der rechte Probierstein des Über-' 
fiusses oder t Mangels einer Sprache findet 
sich heym Übersetzen guter Bücher aus an- 
deren Sprachen« Dann da zeiget sich, was 
fehlet, oder was vorhanden, daher haben 
die Herren Fruchtbrmgenden und ihre 
Naöhfolgere .wohl gethan, dafs sie einige 
Übersetzungen vorgenommen y. wiewohl nicht 
allemahl das Beste ausgewehlet worden. 

61. Nun glaub ich ^zwar nicht, dals eine 
Sprache in der Welt sey, die ander Spra* 
chen Worte jedesmahl mit gleichem Nach- 
druck, und auch mit einem Worte geben 
könne. Cicero hat denen Griechen vorge- 
worfen, sie hatten kein Wort, das dem. La 
teinischen ineptus autworte: Er selbst aber 
bekennet zum öftern der Lateiner Armuth; 
Und ich habe den Franzosen zu Zeiten ge- 
zeiget, dafs wir auch keinen Mangel an sol- 

D 



N 



5o 

chen Worten haben, die ohhe Umschweif 
von ihnen nicht übersetzt werden können. 
Und können ^e nicht einmahl heut zu Tag 
mit einem Worte sagen, was wir Reiten^ 
oder die Lateiner Equitare nennen. Und 
fehlet es weit, dafs ihre Übersetzungen des 
Tacitus^ od«" anderer vortreflicher Latei* 
nischer Schriften, die bündige Kraft des 
Vorbildes erreichen sollten. *** 

62. Inzwischen ist gleichwohl diejenige 
Sprache die reichste und bequemste,, welche 
am besten mit wörtlicher Übersetzung zu- 
rechte kommen kann, tmd dem Original 
Fufs vbr Fufs zu folgen vermag, und^weiln, 
wie ob erwehnet^ bey der Teutscheh Spra- 
che kein geringer Abgang hierin zu spüren, 
zumahl in gewissen Materien, absonderlich 
da der Wille und willkühiiidies Thun der 
Menschen einläuft, so hätte man Fleils dar- 
an zu strecken, dafs man diesfalls andern 
zu weichen nicht mehr nöthig haben .möge. 

63. Solches könnte geschehen durch 
Aufsuchung guter Wörter, die schon yor- 
handen. aber itzo fast verlassen, mithin zu 
rechter Zeit nicht beyfallen , wie auch fer- 
ner durch Wiedferhringung alter verlegener 
Worte, so von besonderer Güte ; auch durch 



5i 

Einbürgerung (oder Naturalisirung) fremder 
Benennungen, vro sie solches sonderlich 
verdienen, und letztens (wo kein ander 
Mittel) durch wohlbedächtliche Erfindung 
oder Zusammensetzung neuer Worte, so 
vermittelst des Urtheils und Ansehens wak- • 
kerer Leute in Schwang gebracht werden 
müsten. 

64« Es sind nehmlicji viel gute Worte 
in den Teutschen Schriften, sowohl der 
Fruchtbringenden, als anderer, die mitNuz- 
zen zu gebrauchen , aber darauf man im 
Nothfall . sich nicht besinnet. Ich erinnere 
mich ehmahlen bey einigen gemerket zu 
haben , dafs sie das Französische TendrCy 
wann es vom Gemüth verstanden wird^ 
durch innig oder herzinnig bey gewissen 
Gelegenheiten nicht übel gegeben. Die al* 
ten Teutschen haben Innigkeit vor An» 
dacht gebrauchet. Nun will idi zwar nicht 
sagen, dafs dieses Teutsche Wort bey -allen 
Gelegenheiten für das Französische treten 
könne; nichts desto minder ist es doch 
werth, angemerkt zu werden, damit es sich 
bey guter Gelegenheit angäbe* 

6ä. Solches zu eireichen wäre gewissen 
gelehrten Leuten aufzutragen , 4^s äie eine 
• Da 



5a 

Besichtigung, Musterung und Ausschufs 
anstellen, und diefsfalls in guten Teutschen 
Schriften sich ersehen m^öchtcln, als son- 
derlich in des Opitzens Werken, -welche 
nicht nur in Versen herauskommen, son- 
dern auch in freyer Rede, dergleichen seine 
Hercynia^ seine Übersetzung der Argenis 
und Arcadia. Es wäre auch hauptsächlich 
zu gebrauchen, eines durchlauchtigsten Au- 
toren Aramena luid Octavia^ die Ueber- 
setzungen des Herrn von Stubenberg und 
mehr dergleidien , -wie dann auch Zesens 
Ibrahim Bassa^ Sophonisbe, und andere 
seine Schriften mit Nutzen dazu gezogen 
werben könnten^ obschon dieser sinnreiche 
Maxm etwas zu weit gangen. Man kann 
auch in weit schlechtem Büchern viel dien- 
liches finden; also zwar von den Besten an- 
£mgen, hernach aber auch andere von ge- 
ringem Schlag zu Hülfe nehmen k<)nnte. 

66. Ferner wäre auf die Wiederbringung 
yergefsner und. verlegener, aber an sich 
selbst guter Worte und Redensarten zu ge- 
denken, zu welchem Ende die Schriften des 
vorigen Seculi, die Werke JLutheri und an- 
derer Theologen, die alten Reichshandlun- 
gen, die Landesordnungen und W^illkühre 



53 

der Städte, die alt^i Notariat-Bücher, und 
allerhand geistliche und weltliche Schriften, 
sogar Reinecke T^ofs^ des FroschmäuseleYs^ 
des Teutschei^ Rabelais^ des übe:i:setzten 
Amadis^ des Östereichischen Theuerdancksy 
des Bayerschen Aventins, des Schweitzer!* 
sehen Stumpfs und Paracelsi^ des Nürn- 
bergischen Hans Sachsen und ander Lan- 
des -Leute nützlich zu gebrauchen« 

67. Und erinnere ich mich bey Gelegen- 
heit der Schweitzer, ehmals eine gute alte 
Teutsche Redensart dieses Volks bemerket 
zu haben, die unsern besten Sprach -Ver- 
besserern nicht leicht beifallen sollte. Ich 
frage zum Exempel, wie man Foedus de-' 
fensivunt et oJfensii)um kurz und gut in 
Teutsch geben solle, zweifle nicht, dafs un- 
sere heutige wackere' Verfasser guter Teut 
scher Werke keinen Mangel an richtiger 
und netter Übersetzung dieser zum Völker- 
recht gehörigen VVorte spühren lassen wür- 
den; ich zweifle aber, ob einige der neuen 
Übersetzungen angenehmer und nachdrück- 
licher fallen werde, als die Schweizerische 
Schutz - und Trotz - P^erbiindnifs,. 

'68. Was die Einbürgerung betrifft; i&% 
solche bei guter Gelegenheit nicht auszu- 



64 

schlagen 9 und den Spradien so nützlidi als 
den Völkern. Rom ist durch Au^ehmung 
der Fremden grofs und mächtig Mrorden, 
Holland ist durch Zulauf der Leute ^ lyie 
durch den Zuflufs seiner Ströhme aufge- 
schwollen; die Englische Sprache hat alles 
angenommen, und wann jedermann das Sei- 
nige absondern wollte, würde es den Eng- 
ländern gehen, wie der Esopischen Krähe, 
da andere Vögel ihre Federn wieder geho- 
let. Wir Teutschen haben es weniger von- 
nöthen, als andere , müssen uns aber dieses 
nützlichen Rechts nicht gänzlich begeben. 

6g. Es sind aber in der Einbürgerung 
gewisse StufFen zu beobachten, dann gleich- 
wie diejenigen Menschen leichter aufzuneh- 
men, deren Glauben und Sitten den unsern 
näher kommen, also hätte man ehe in Zu- 
lassung derjenigen fremden Worte zu gehe- 
len, so aus den Sprachen Teutschen Ur- 
sprungs, und sonderlich aus dem Hollän- 
dischen übernommen werden könnten, als 
deren so aus der Lateinischen Sprache und 
ihren Töchtern hergehohlet. 

70. Und oh zwar das Englische und 
Nordische etwas mehr von uns entfernet, 
als das Holländische, und mehr zur Unter- 



\ 

I 



55 

suchung des Ursprungs^ als zur Anreiche«> 
rung der Sprache dienen möchte, so wäre 
doch gleich\(^phl sich auch deren zu diesem 
Zwecls; in eiii und andern nützlich zu be- 
dienen, ohnverboten. 

71* Was aber das Holländische betrifft, 
würden unsere Teutschen ^ zumal guten Fug 
und Macht haben, durch gewisse Abgeord^ 
nete, das Recht der Mutterstadt von dieser 
Teutschen P£anze (oder Colonie) einzusamm- 
ien, und zu dem Ende durch kundige Leu- 
te die Holländische Sprache und Schriften 
untersuchen, . und gleichsam wardiren zu 
lassen, damit man sehe,- was davon zu fo- 
dern, und was bequem dem Hoch teutschen 
einverleibet zu werden. ^ Dergleichen auch 
von dem Plattteutschen und andern Mund- 
arten zu verstehen. Wie dann zum £xem. 
pel , der Plattteutsche Schlump ; da man 
sagt, es ist nur ein Schlump, oder was die 
Franzosen Hazard nennen, oft nicht übel 
anzubringen. 

72. £s ist sonst bekannt, dafs die Hol- 
länder ihre Sprache sehr ansgebutzet, däfs 
Opitz sich den Heinfs^ Catz und Groot^ 
und andere vortrefliche Holländer : wolil zu 
Nutz gemacht, dafs F^andel und andere es 



56 

noch höber gebracht , und dafs anjetzo viel 
unter ihnen mit grofser Sorgfalt sich der 
l^einigkeit befleifsen, und doch ihre Mey- 
nung ziemlich auszudrücken 'wissen, also 
uns mit ihren SchriA»n wohl an Hand ge- 
hen >verden. 

73. Die Lateinische, Französische, Ita- 
liänische und Spanische Worte belangend 
(dann vor den Griechischen haben wir uns 
nicht zu furchten) so gehöret die Frage, ob 
und wie weit deren Einbürgerung thunlich 
und radisam, zu dem Punct von Reinigkeit 
der Sprache, dann darin suchet man eben 
zum Theil die Reinigkeit des Teutschen, 
dafs es von dem überflüfsigen fremden 
Mischmasch gesäubert werde. 

74. Erdenkung neuer Worte oder eines 
neuen Gebrauchs alter Worte, wäre das 
letzte Mittel zu Bereidierung der Sprache. 
Es bestehen nun die heuen Worte gemei- 
niglich in einer Gleichheit mit den alten, 
welche man Analogie, das ist, Ebenmafs 
nennet, und sowohl in der Zusammensez- 
zung als Abführung (Compositione et Da- 
rivatione) in Obacht zu nehmen hat. 

75. Jemehr nun die Gleichheit beobach- 
tet wird, und jeweniger man sich von dem 



57 

SO b^eits in Übung, entfernet, jemehrauch 
der Wohlklang, und eine gewisse Leichtig« 
keit der Aussprache < dabey statt findet, 
jemehr ist das Schmieden neuer Wörter 
nicht nur zu entschuldigen, sondern auch 
zu loben. . 

76. Weil aber viel gute und wohlge- 
machte Worte auf die Erde fallen, und ver- 
loliren gehen, indem sie niemand bemerket 
oder beybehält, also dafs es bisher auf das 
blinde' Glück difsfalls ankommen, so würde 
man auch darin Nutzen^ schaffen ^ wenn 
durch grundgelehrter Kenner Unheil, Anse- 
hen und Beispiel dergleichen wohl erwo- 
gen, nach Gutbefinden erhalten, und in 
Übung bracht würde. 

yy. Ehe ich den Punct des Reichthums 
der Sprache beschUefse, so will erweluiei^, 
dafs die Worte oder die Benennung aller 
Dinge und Verrichtungen auf zweyerley 
Weise in ein Register zu bringen; nach 
dem Alphabet und nach der Natur. Die 
erste Weise ist der Lexicorum oder Deu- 
tungs- Bücher, und am meisten gebrauch* 
lieh. Die andere Weise ist der Nomenda- 
toren^ oder Nahm -Bücher, und geht nach 
den Classen, Sorten der Dinge. Ist von 



58 ,. 

Stephano Doleto, Hadrtano Junio, Kico- 
demo Frischlino , Johanne Jonstono , und 
andern nicht übel getrieben wprden. Und 
zeiget sonderlich der Sprache Reichthum 
und Armuth, oder die sogenannte Gopiam 
Verborum ; daher auch ein Italiäner (yflun- 
no) sein dergestalt eingerichtetes Buch , Ric- 
chezza della Lingua ^volgare benennet. 
Die Deutungs - Bücher dienen eigentlich, 
wenn man wissen will , was ein vorgebenes 
Wort bedeute; und die Nahm-Bücher , wie 
eine vorgegebene Sache zu nennen. Jene 
gehen von dem Worte zur Sache ^ diese 
von der Sache zum Wort. 

^8. Und soUte ich dafür halten, es wür- 
de zwar das Glossarium Etymologicum^ 
oder der Sprachquell nach den Buchstaben 
zu ordnen seyn, es könnte aber auch sol- 
ches auf zweyerley Weise geschehen , nach 
der jetzigen Aussprache, und nach dem 
Ursprung, wenn man nehmlich nach seinen 
Grund wurzeln gehen, und jeder Wurzel, 
oder jedem Stamm seine Sprossen anfügen 
wollte; welches auf gewisse röasse sehr 
dienlich, auch eine Ordnung mit der an- 
dern zu vereinigen nützlich wäre. Der 
Sprachschatz aber^ darin alle Kunstworte 



59 

begrüFen, wäre besser und nützlicher nach 
den Arten der Dinge, als nach den Buch« 
Stäben der Worte abzufassen, weilen allda 
die verwandten Dinge einander erklären 
helfen, obschon letztens ein Alphabetisches 
Register beyzufügen. Aber die Wort' und 
Keden des durchgehenden Gebrauchs könn- 
ten nützlich auf beyde Weise, vermittelst 
eines Deutungs- Buchs {Lexici) nach dem 
Alphabet, und vermittelst eines Nahm-Buchs 
nach den Sorten der Dinge dargestellet wer- 
den; beydes könnte den Nahmen eines Die- 
tionarii oder TVörterhuchs verdienen, und 
beydes würde seinen besondern , die letzte 
Art aber meines Erachtens, den grösten 
Nutzen haben. 

79. Es sind auch gewisse Neben-Dictio- 
naria so zu sagen, so die Lateiner und 
Griechen brauchen, und bey den Teutschen 
dermahleins nicht allerdings aufser Augen 
zu setzen, als Particularum , Epitlietorum^ 
Phrasiuin etc. der Prosodien und Reim-Re- 
gister zu geschweigen; welches alles aber, 
wann das Hauptwerk gehoben, sich mit 
der Zeit von Selbsten finden wird. Bis hie- 
her vom Reich thum der Sprache. 

80. Die Reinigkeit der Sprache, Rede 



6o 

und Schrift bestehet darin, dafs sowohl die 
Worte und Redarten gut Teutsch lauten, 
als dafs die Grammatic oder Sprachkunst 
gebührend beobachtet , mithin auch der 
Teutsche Priscianus verschonet werde. 

81. Was die Wort und Weisen zu re- 
den betrifft y so mufs man sich hüten , yor 
Unanständigen , Ohnvemehmlichen und 
Fremden oder Unteutschen. 

82. Unanständige Worte sind die nieder- 
trachtige, oft etwas Gröbliches andeutende 
Worte die der Pöbel braucht, plebeja et 
ru^tica lyerba^ wo sie nicht eine sonderli- 
che Artigkeit haben, und gar wohl zu pas- 
se kommen, od^ zum Scherz mit guter Ma- 
nier anbracht werden. Es giebt auch ge- 
wisse niedrige Worte, so man im Schrei- 
ben sowohl, als ernsthaften förmlichen Be« 
den gern vermeidet, dergleichen zu be- 
zeichnen wären, damit man defsfalls sich 
besser in acht nehmen könnte. Daher das 
Wort so aus dem Griechischen k^'c« kommt, 
billig ausgesetzet werden sollte. £s sind 
auch einige von unangenehmen Klange, 
oder lauten lächerlich, oder geben sonst ei- 
nen Übelstand und widrige Deutung, dafür 
man sich billig hütet. 



6i 
83. Es sind auch unvemehmliehe Wor- 
te, und unter andern die veraltet, "verba 
casca osca, obsoleta^ dergleichen zwar et- 
liche noch Lutherus in seiner Bibel behal- 
ten, so aber' nach ihm vollends verblichen, 
als Schacher y das 'ist Mörder^ Raunen so 
mit den Runen der Nordischen Völker ver- 
i¥ändt, KogeL das ist eine gewisse Bedek- 
kung des* Haupts. 

84. Dahin gehören die unzeitig ange* 
brachte Verba ProvindaKa,' öder Landwor- 
te gewisser Provinzen Teutschlandes, als 
das Schmecken an statt' Riechen y wie es 
bey einigen Teutscheri gebraucht wird, von 
denen man deswegen sagt, sie haben nur 
vier Sinne; item der Kretsckmar in Sohle« 
sien, der so viel als I^rug in ^iedersach- 
sen; von welcher Art auch die Meifsner 
selbst nicht wenig haben, und sich deren 
zumal im Schreiben enthahen müssen, als 
wann sie sagen , der Zeiger schlägt, oder 
wann sie den Rock einen Pelz nen- 
nen, welches ihm nicht zukommt, als 
wann er gefuttert, imd was dergleichen 
mehr. 

85. Was aber die fremde oder unten t- 
sche Worte anbetrifft > so entstehet darin 



6a 

■ 

der gröst Zweifel ^ ob nemlidieii und, in 
weit sie zu dulden i nachdem sie vielen an- 
noch unverständlich« ^ Nun will ich solches 
der künftigen Teutschgesinneten Verfassung 
zu entscheiden zwar überlassen 9 doch an- 
jetzo ein und anders ^ ob schon vorgängig, 
doch unvorgreiflich zu erwegen gebtoi. 

86. Und sollte ich demnach zuforderst 
dafür halten, dafs man des Frelnden ehe 
zu wenig als zu viel haben solle, es wäre 
dann, dafs man ;mit Fleifd etwas machen 
wollte auf den Schlag des Liedes ; . 

Da die Engel «logen novft Cantica, 
Und die Schelleq klingen in Be|(it Curia, 

88. Hernach yermeyne, dafs ein Unter- 
scheid zu machen unter den Arten der Zu- 
hörer oder Leser; dann was für männiglich 
geredet oder geschrieben wird, als zum 
Exempel, was man prediget, soll billig von 
jedermann verstanden werden, was aber 
fiir Gelehrte , für den Richter , für Staats- 
leute geschrieben, da kann man sich mehr 
Freyheit nehmen. . 

88« Es kann zwar auch zu Zeiten ein 
Liat&Lnisches oder aus dem Lateinischen 
gezogenes Wort, dabey ein sonderlicher 
Nachdruck, von einein Prediger g&- 



63 

brauchet werden: ein Lateinisches sage 
ich, dann das Französische schicket sich 
meines Ermessens gar nicht auf unsere Can- 
zel, es ist aber alsdann rathsam, dafs die 
Erklärung alsbald dabey sey, damit beyder 
Art Zuhörer ein Genügen geschehe. . ^ 

89. Sonst ist von alten Zeiten her 
bräuchlich gewesen, in Rechtshandlungen, 
libellen und Producten , Lateinische Wor* 
te zu brauchen, es thun^ es auch die Frem* 
den sowohl als die ' Teutscfaen, ob schon 
einige Gerichte^ Facultäten und Schoppen- 
Stühle, zumahl in Abfassung der UrtheUe 
und Sprüche von geraumer Zeit her , die 
nicht unlöbliche Gewohnheit angenommen, 
viel in Teutsch zu geben so anderswo 
nicht anders als Lateinisch genennet wor^ 
den; als Krieg rechtens befestigen, Litern 
contestari; Gerichtszwang ^ Instantia \ End** 
urtheil) Definitivum und dergleichen viel. 

In Staats-Schriften, so die Angelegenhei- 
ten und Rechte hoher Häupter und Potea«- 
zen betreffen, -ist es nun dahin gediehen, 
dafs man nicht nur des Lateinischen, son^ 
dern auch des Französischen und Welschen 
sich schwerUch aljlerdings entbrechen kann, 
dabey doch eine ungezwungene und unge- 



\« 



64 

zwungene und ungesuchte Mäisigung ^oU 
anständig seyn dürfte, wenigstens sollte man 
sich befleifsen , das Französische nicht an 
des Teutschen Stelle zu setzen, wann das 
Teutsche eben so gut, wo nicht besser, wel- 
ches ich gleichwohl gar oft bemerket habe. 
gi. So könnte man sich auch zum öf- 
^tern dieser Vermittelung mit Nutzen bedie- 
nen, dafs man das Teutsche Wort mit dem 
fremden versetzter und eines zu des andern 
Erklärung brauchte, da denn auch eines 
des andern Abgang sowohl an' Verständlig- 
keit, als an Nachdruck, ersetzen könnte. 

92. Und dieser Yortheil würde auch son- 
derUch dienen., gute und wohlgemachte, 
aber noch nicht so gar gemeine, noch 
durohgehends angenommene Teutsche Wor- 
te in Schwang zu bringen , wann sie An- 
fangs mit den fremden, oder mit Einhei- 
mischen zwar laehx gebräuchlichen , aber 
nicht zulänglichen zusaQimeni gefugt, oder 
auch, sonst mit einer, Erklärung begleitet 
würden, bis man derer) endlich mit der 
Zeit gewöhnet worden, da solche Vorsorge 
nicht weiter nöthig. 

^3. Über dergleichen gute Anstalten zu 
Bey behaltung der Teutschen Sprache Rei- 
nig- 






65 

nigkeit , so viel es immer thunlich , hätten 
die vametiÄieii Sciibenten durch ihr Exem* 
pel die Hand zu halten, und damit den 
eifibrechenderi' Sturm ' der fremden Worte 
sich nidit zwar gänzlich, so vergebens, doch 
gleichsam larh^nd zu widersetzen, ,bis sol- 
eher Sturm vorüber und überwundeh. 

94. $0 sollte ich auch dafür halten, dafs 
in gewissen Schriften, so nicht wegen Ge- 
tiehäfte und zur Nothdurft^ auch nicht zur 
Lehre der Küfnste und Wissenschafteil, son* 
dem' zur Zierde heraus kommen , ein meh* 
rer Ernst zu braucheil, und wenige fremde 
Worte ehiÄulassen' seyn. 

g5. Dann gleichwie in einem sonst schö- 
nen Teutschen Gedidite, ein Französisches 
Wort gemeiniglich ein Schandfleck seyn 
würde , also sollte ich gänzlich dafiir hal-^ 
ten, dafs in den Schreibarten, so der Poe- 
sie am nächsten, als Romanen, Lobschrif- 
tto und Öffentlichen Reden, auch gevvdsser 
Art Historien, und auch bcfy Übersetzun- 
gen aller solcher Werke aus fremden Spra- 
eben, und summa, wo man nicht weniger' 
auf Annehmlichkeit als Nothdurft und Nutz- 
bark^t siebet, man sich der ausländischen 
Worte, so viel immer möglich, enthalten solle. 

E 



66* 

^6. Damit aber solches besser zu. Werk 
zu ;richten, müste man g^yriss^ , noch .gleich- 
sam zwischen Teutach .and Fremd hiob und 
her fladdemde Worte' einmal vor allemal 
Teutsch erk^eui ui^d kiinftig nicht mehr 
zum Unterscheid mit andern Buchstaben^ 
sondern eben^'wie die Teutschen schreiben, 
^Iso damit den Gewissens-Scrupel der Vohl- 
gemeynten ehrlichen Teutschen und Eiferer 
vor das Vater^d, und noch überbliebenea 
Herren Fruchtbringenden ^ verhofFentlich mit 
ihrem guten WUlen, gänzlich aufheben* 

97 Es hat ja der trefliche Opitz ^ so bey 
uns 9 wie Virgilius bey den Römern, der 
erste und letzte seines Schrots und Korns 
gewesen, kein .Bedenken gehabt, derglei- 
chen zu thun, als zum Exempel^ Wann er 
zum Heinsio saget: 

Das deine Poesie der meinen Mutter sey^ 

■0 

Damit hat er , meines Erachtens^ difs Wort 
Poesie aus habender seiner Macht einmal 
Yor allemal vor Teutsch erkläret, so gut 
und unwiderruflich als ob ein Act of par- 
liament über eine Englische Naturallsirung 
ergangen. 

98. .Und sehe ich nicht, warum man 



67 
den auswärtigen Potenzen sowohl als Po- 
tentaten, der Galanterie sowohl als schön- 

« 

ster Gala, und hundert andern, nicht eben- 
mäfsig dergleichen Recht der Teutschen 
Bürgerschaft wiederfahren lassen könne, mit 
etwas bessierer Art, als ^etliche neuliche Ge- 
lehrte Souv^rainitäten .zum Lateinischen 
Wort machen wollen, um den Sxxprematum 
zu meiden, den ein ander gebrauchet. 

gg. Es haben unsere Vorfahren kein 
Bedenken gehabt, solch Bürgerrecht zu ge- 
ben. Wer siehet nicht , dafs Fenster vom 
Lateinischen Fenestra ? und wer Französisch 
verstehet, kann nicht zweifeln , dafs Eben-- 
ikeuerj so fcey uns schon sehr alt, Ton 
A7)anture herkomme, dergleichen Exem- 
pel sehr viel anzutreffen, so dieses Vorha- 
ben rechtfertigen können. ' 

loo. Was ich von Aufliebung des Un- 
terscheids des Schrift gedacht, dafs in 
Schreiben oder Drucken dergleichen Wort 
von den Teutschgebohrnen nicht mehr zu 
unterscheiden, dessen Beobachtung, ob sie 
schon gering scheinet, würde doch nicht 
ohne Nachdruck und Würkung seyn. Es 
haben auch sonsten viele dafür gehalten, 
man sollte zu einem guten Theil Teutscher 

£ a 



68 

Bücher beym Druck Iceine andere als 
nische Buchstaben brauchen, ynd den un- 
nöthigen Unterischeid .abschafFeif, gleich wie 
die f'ranzosen auch ihre alte Buchstabeai, so 
sie Lettres deßnance nennen, und die in 
gewissen Fällen noch gebräuchlich, im ge- 
meinen Gebrauch, und sonderlich im Druck 
fast nunmehr aufgehoben* 

101 • Ich will zwar solches an meinem 
Orte dahin gestellet seyn lassen, habe doch 
gleichwohl beiunden, dafs den HoU- und 
Niederländern die Hochteutsche Schrift bey 
xmsern Büchern beschwerlich' fürkommt, 
und. solche Bücher weniger l^sen macht, 
daher sie auch selbst guten theils das Hol- 
ländische mit Lateinischen Schriften dtuk- 
ken lassen, diese Behinderung zu verhüten. 
Und ermnere ich mich, dafs, als ich etwas 
vor Niederländer neinsmals Teutsch schrei- 
ben lassen soUen , man mich sonderlich ge- 
beten. Lateinische Buchstaben brauchen zu 
lassen. 

102. Das ander Theil der Sprach - Rei- 
nigkcit besteht in der Sprach - Richtigkeit 
nach den Reguln der Sprachkunst; Von 
welchem auch nur ein Weniges allhie ge- 
denken will; Denn ob wohl darin ziemli- 






69 

eher Mangel befunden vrird, so ist doch 
nicht ohnschwer solchen mit der 2jeit zu 
ersetzen, und sonderlich vermittelst gu- 
ter Überlegung zusammen gesetzter tüchti- 
ger Personen ein und andern Zwei£Pels-Kno- 
ten aufzulösen. 

io3. Es ist bekannt, dafs schon Kaiser 
Carl der Grofse an einer Teutschen Gram- 
matic arbeiten lassen, und nichts desto min- 
der haben wir vielleicht keine bis dato, die 
zulänglich; tmd ob zwar einige Franzosen 
sich darüber gemacht, weiln viele ihrer 
Nation sich von weniger Zeit her aufs Teut- 
sche zv^ legen begonnen, so kann man doch 
leicht erachten ; dafs diese Leute dem Werk 
nicht gewachsen gewesen. * 

io4- Man weifs, dafs in der Französi- 
schen Sprache selbst noch unlängst viele 
Zweifel vorgefallen, wie solches die Anmer- 
kungen des f^augelas ' und Menage^ auch 
die Zweifel des JBouhours zeigen^ anderer 
zu geschweigeri ; ohngeachtet die Französi- 
sche Sprache aus der Lateinischen entspros- 
sen , (welche bereits so' wohl mit Regeln ein- 
gefasset) und sonsten von mehrer Zeit her 
als die Unsere von gelehrten Leuten bear- 
beitet worden V auch nur einen Hof als den 



70 

Mittelpunct ha^, nach dem sich alles rich- 
tet i "welches uns mit Wien auch um des- 
willen noch, nicht wohl angehen wollen, 
weil Österreich am Ende Teutschlandes, 
und also die Wienerische Mundart nicht 
wohl ziun Grunde gesetzet werden kann, 
da sonst ^ wann ein Kayser initten im Rei- 
che seinen Sitz hatte , die Hegel der Spra- 
che hesser daher genommen werden könnte. 
io5* So geht audi den Italiänem noch 
his dato ein und anders annoch hierin ab; 
ohngeachtet alles Fleifses^ den die Cruscä 
angewendet, gegen welche der scharfsixmi- 
ge Tassoni und andere geschrieben^ und 
ihr Urtheil nicht allemahl ohne Schein in 
Zweifel gezogen» Und also obschon die 
Italiänische Sprache unter allen Europäi- 
schen j^ die erste gewesen, so zu dem Stau- 
st de kommen^ darin sie sich jetzo im Haupt- 
werk noch befindet, immafsen Petrarca 
und Dante noch jetzo gut seyn , welche? 
von keinem Teutschen, Frai^^ösischen^ Spa- 
nischen oder Englischen Buch selbiger Zeit 
gesaget werden kann; So sind doch annoch 
viele Grammatische Knoten und Scrupel 
auch bey ihr übrig blieben. 
io6. Ob nun schon wir Teutsche uns al- 



80 desto weniger zu verwiindem^ oder auch 
zu schämen haben ^ dafs unsere Granmiadc 
noch nicht in vollkommenem Stande , ' so 
dünket mich doch gleichwohl, sie sey noch 
allzuviel davon entfernet^ und habe daher 
einer grofsen Verbesserung nöthig^ sey also 
auch dermaleins von Teutschgesinneten Ge* 
lehrten soldie mit Nachdrudc vorzunehmen, 
«oy« Und z>tar nicht allein um uns selbst 
aus einigen Zweifeln zu helfen, weilen end- 
lich soldie nicht so gar wichtig seyn^ son* 
dem auch sowohl unsere Leute zu unter- 
richteni zumahl die kein Lateinisch studlret 
haben, welche gar oft schlecht Teutsch 
schreiben, als auch den f'remden die Teut- 
sehe Sprache leichter und begrelElieher zu 
machen ; welches zu ' imserm Ruhm gerei- 
chen, andern zu den Teutschen Büchern 
Lust bringen, und den von etfichen gefafs- 
ten Wahn benehmen würde ^ als ob unsere 
Sprache der Regeln unfähige imd aus dem 
Gebrauch fast allein erlernet werden müfste. 
io8. Sonst sind wohl einige Zweifel bey 
uns vorhanden, darüber ganze Länder von 
einandef* unterschieden und Ganzeleien selbst 
gegen Ganzeleien streiten, als ^zum £xem- 
pel, was für Geschlechts das Wort Urtheil 



7^ 

sey. Im Reiche beym Relchs-Hofirathj beym 
Reichs -Kammer* Gerichte und sonst ist Ur- 
theil weiblichen Geschlechts unü saget man 
die Urtheil; Hingegen in denen Obersächsi- 
sehen Gerichten spricht man, das Unheil. 

log. Die Urtheil hat nicht allein die 
höchsten Gerichte, sondern auch die gröfs- 
te Zahl vor sich. Das Urtheil aber beruft 
sich auf den ^ Sprach-Grond pder Analogie. 
Dann weil Theil nicht weiblichen Ge- 
s.chlechtes und ehe gesaget "^d das Theil 
als die Theil , (in singulari), so sollte mai^ 
tneynen, es müste auch ehe das Urtheil, 
als die UrtheiJ heifsen: Doch der Gebrauch 
ist der Meister. 

. Non nostrum interyo» t^ntu coi^ponero )it€t. 

Ich Überlasse ^s künftiiger Anstalt mit vie- 
len andern dergleichen Fragen , welche end-* 
lieh ohne Ge&hr etwas warten und auf die 
lange Bank geschoben werden können. 
I iio. Nun wäre noch übrig vom Glanz 
MXi^ Zißrde der Teuts.chen Sprache zu re- 
den.; will anich aber^ damit anjetzo nicht 
aufhalten, dann wann' es weder an beque* 
men Worten noch tüchtigen Redensarten 
fehlt, kommt es auf den Geist und Ver- 
stand . des Verfassers an , um die Worte 
wohl zu wählen und füglich zu setzen. 



73 
111. und weü dazu yiellielfen die Ekem- 
pel der^', so bereits • wohl angeschrieben 
und durch einen glücklichen Trieb der Na-» 
tur d^en andern das Eifs gebrochen , so wür- 
de nicht allein nöthig seyn ihre Schx'üt^i 
hervor zu ziehen, und zur Nachfolge vor- 
zustellen, sondern auch zu vermehren, die 
Bücher der alten und auch wohl einiger 
neuen Haupt -Autoren in. gutes Teutsch zut 
bringen, und allerhand schöne und nützli"> 
che Materien wdhl auszuarbeiten. 

112.' Bey welcher Gelegenheit ich erin- 
nern sollen , dafs einige sinn-reiche Teut«: 
sehe Scribenten^ und unter ihnen der sonst 
Lob-würdige Herr fVeise selbst,- gleichwohl 
diesen merklichen Fehler noch nicht abge- 
schaffet^ (den auch etliche Italiäner behal*^ 
ten,) dafs ^\b etwas /schmutzig zu reden kein 
Bedenken tragen,, in welchem Punct ich 
hingegen die Franzosen höchlich loben mufs, 
dafs sie in öfFentlichen Schriften nicht nur 
solche Wort und Hedeii, sondern auch sol«* 
chen Verstand vermeiden., und daher auch 
in den, Lust- und Possen - Spielen selbst 
nicht leidbit etwas zw^ydeutiges leiden , so 
man anders als sich gebühret, gemeynet zu 
seyn vermerken könne. Welchem löblichem 
Exempel bilUch mehr , als bisher geschehen. 



74 

zu folgen, und zumaU hefsliche Worte, 
^chne sonderbahre Nothdurft, nicht zu dul- 
den. Es ist fireylich in der Sittenlehre mit 
Sauberkeit der Worte nichts ausgerichtet, 
es ist doch aber auch solche kein geringes. 

11 3. Die Teutsche Poesie gehöret haupt« 
sächlich zum Glanz der Sprache; ich ^mll 
mich aber anjetzo damit nicht auflialten, 
sondern nur annoch erinnen^i 'was Gestalt 
meines Bedünkens einige vornehme Poeten 
zu Zeiten etwas hart schreiben, und von des 
Opitzens angenehmer Leichtflüssigkeit all- 
zuviel abweichen, dem auch vorzubauen 
vräre^ damit die Teutschen Verse nicht fal- 
len, sondern steigen mögen. 

11 4« Endlich die rechten Anstalten sind 
bilHg zu künftiger Zusammensetzung vor- 
treflicher Leute auszusetzen; doch helfet 
man, es werde diese kleine Vorstellung, so 
in der Eil binnen ein paar Tagen entwor- 
fen worden, nicht übel angenommen wer- 
den> welche als ein kleiner Schattenrüs die- 
nen kann, gelehrter und wohl Teutschge- 
sinneter Personen Bedenken einzuholen , und 
vermittelst einiger Hohen Anzeigung der- 
maleins dem Weik selbst näher zu kommen. 



■«■MiMi 



76 



Rede, x^elche der Ober • Consistorial-Rath 
und Probst Zöllner, über die Verbesse^ 
rung der Deutschen Sprache, in der öß- 
/entliehen J^ersammlung der Akademie 
der Wissenschaften zu Berlin den 26!. 
Jänner 1792 abgelesen hat. 



Ochon bei der Stiftung der Academie*) ward 
die Bildung der Deutschen Sprache und deren 
Beförderung ihr zu einem besonderen Geschäfte 
ajdgewiesen; und Leibnitz bezeichnete mit sei- 
nem bekannten Scharfsinn und seiner ausge- 
breiteten Gelehrsamiieit vortrefflich die Ge« 
sichtspunkte , \velche mau bei diesem weitum«» 
fassende!! Geschäfte vor Augen behalten mü^e.^ 
Ungeachtet er seinen Aufsatz, der unter 
der Aufschrift; Unvorgreißiche Gedanken, be^ 
treffend die Ausübung und f^erbesserung der 
Deutschen Sprache \ in der Saminlung seiner 
Werke **) abgedruckt ist, „in der Eile binnen 
ein paar Tagen/' entworfen hat : so enthält der- 



p^-^ 



*) S. Stifcungsbrief der Sopietäi der Wissensehafien vom 
Uten Jul; 1700, und die Statuten der Königlichen u^ca»^ 
demie vom 24. Jan.* 1744 i'^ ^^^ HUtoire de TAcad^- 
mie Roy. des sciences etc S. 184 und aaS. 

4^4) Gothoff. GuiL)il«eibnitii opera omnia» studio Ludovi« 
ä Dutens. GeaeT, 1768. Tom. VL P. II. p. 6. seqq. 



7« 

selbe doch das Wesentlichste eines Grundrisses, 
der in aNen seinen Theilen ausgeführt zu wer- 
den verdient. 

« 

Nachdem er gezeigt hat , wie sehr f eder Na- 
tion, und besonders der Deutschen, ihres man: 
nichfaltigen grofsen Nutzens und ihrer Ehre we- 
gen y an der Ausbildung ihrer Sprache gelegen 
seyn müsse , so entwickelt er die eigenthümli- 
chen Vorzüge der Deutschen Sprache, und ih- 
re damaligen Mängel, mit einer kurzen Dar- 
Stellung der wichtigsten Veränderungen, die sie 
seit der Reformation erlitten hat. Hierauf geht 
er zu demjenigen über, was er zur Ausbildung 
und Beförderung unserer Sprache nöthig hält. 
Alle Deutschen Wörter, sagt er , müssen ge- 
tkiustert werden; man mufs nicht nur diejeni- 
ge^ sammeln, die im allgemeinen Gebrauche sind, 
sondern auch die, welche veraltet, oder den 
Handwerken, den Künsten imd den verschie- 
denen Mundarten eigenthümlich sind. * Jene 
Sammlung nennt er den Sprachgebrauch^ (Lexi- 
con) diese den Spra^^hschatz (Cornu copiae.) 
Überdies dringt erlauf eiji Glossarium etymolo^ 
gicum , welches er sehr glücklieh durch Sprache 
quell übersetzt. ► Er erörtert zugleich, woher 
derselbe abgeleitet werden könnte, und wie 
nützlich /ein solches Werk Glicht nur für die 
Deutsche, sondern auch für die meisten Euro- 
päischen Völkerschaften seyri "würde: da der 



'7 

Ursprung * der meisten Sprachen • unsers Erd« 
tbeils zum Theil in der Deutschen «u suchen 
sei. Endlich thut er die ^YrepkmUsigsten, V oxvi 
schlage s wie diesi^ vorschi^denen . Weadne anzu«* 
ordnen wären ^. und • wie überdies, »für den* 
Reichthum, für die Belnheit und für den 
Glanz« (die Zierlichkeit,) ddr Deulschen Spnt* 
che gesorgt werden könnte; und< schliefst mit 
der Bemerkung^ dals diöse zusammengesetzten 

t 4 

und weitumfassenden Geschäfte unmögli<^ von 
einzelnen Gelehrten , spndern nur von 6iner^ 
hinlänglich unterstützten^ Gesellschaft ausge^ , 
führt werden können. ., « 

Seitdem der grofsc» Leilnui^ diesen Plan- ent< 
werfen hat , ist sehr Yiele$ von dem^ was er 
noch wünschte, und < womit er nicbt geringe^ 
Schwierigkeiten verbunden sah> wirkkch gelei-» 
stet worden. 

Einzelne Gelehrten und gan^. .Gesellschaft« 
ten haben die Geschichte der Deutschen Spra-^^ 
che , ihren Wörtersch a tz , ihre Abstammung ^ 
und Yerwandschaft, ihre Gruildsatze iind ihren' 
Geist sorgfältig untersucht; man hat mehrere ^ 
alte Wörter aus ihrer . . Vergessenheit wieder^ 
hervorgerufen , vielen Fremden .das Bürgerrecht 
gegeben, andere durch einheimische ersetzt und 
ganz ne^e geschaffen; wir besitzen nicht mir 
ein fFörterbuch der hochdeutschen »Mundari, 
welches unserer Niition Ehre macht, sondern 



7Ö 

auch bnmohbftra Sammlungen von Proyinzial- 
ausdrücken und Redensarten; selbst mit Latei- 
nischen Schriftzeichen zu 'drucken, wie Leib- 

» 

nitz es wünscht, ist nicht mehr etwas Unge- 
wöhnliches. 

Das Wichtigste aber ist, dafs seit der Zeit 
die Deutsche Sprache in der That auch ftir je- 
de Gattung der Schreibart bis zu einem hohen 
Grade der Vollkommenheit ist gebildet worden. 
Unsere besten' Schriftsteller haben alle Zweige 
der. höheren und scbönea Wissenschaften in der 
vaterländischen Sprache so bearbeitet , dafs wir 
bei einer Vergleichung mit' den übrigen gelehr- 
ten Völkern Eurdpens nicht leicht mehr verlie- 
ren möchten j als wir in anderer Rücksicht ge- 
winnen. Und wenn gleich nicht zu leugnen ist, 
dafs ^ir im Allgemeinen noch zu oft die Schön- 
heit der Einkleidung der Gründlichkeit des In- 
halts ohne Noth aufopfern: so dienen doch meh- 
rte Schriften ^ die auch von diesem Vorwurfe 
nicht getroffen werden, zu einem Beweise, dafs 
die Schuld nicht Sowohl an der minderen Bil- 
düng der Sprache- liege ^ als vielleicht an dem 
Mangel einer hinlänglichen Aufmunterung, nach 
dem Gepräge der- Vollkommenheit zu streben. 
Die Menge von Übersetzungen, die wir aus 

r 

den alten und neueren Sprachen besitzen , und 
die wir den besten Übersetzungen der Auslän* 
der^ wenigstens an die Seite setzen dürfen^ sind 



J 



79 
•ben &o viele Beweise^ dtds es unserer Sprache 
weder, aa Reiohthi^n, noch an Biegsamkeit feh- 
le^ um sich an jeden Gedanken und an jede 
Einkleidung- desselben Imzuschlieisen. 

Und die Liebe zum Lesen ^ die sich ^it ei- 
nem halben Jahrhundert in uijserm Vaterlande 

ff 1 j • 

verbreitet hat, muste unausbleiblich die Folge 

. ... I 

haben, dafs nebst den Kenntnissen auch eine 
bessere Art sich auszudrucken aus den Schrif- 
ten in die gebildeteren Volksklassen überging. 
Da in einer kurzen Reihe von Jahren, die 
Liebhaberei der lesenden Stände von einer >yis- 
senschaft auf die andere fiel,, so kameiJL die 
Kunstausdrücke derselben allmählig in einen 
gröfseren Umlauf, und das Bedürfqifs darüber 
auch im Umgange zu sprechen, lehrte sich mit 
Leichtigkeit auch über solche Gegenstände aus- 
drucken, . die sonst immer nur in einem feier- 
liehen Gewände aufgetreten waren. 

Die große neuere Um&cha£(iing dei; Erzie- 
hungskunst trug endlich auch das ihrige bei^ 
schon der Jugend die Kenntüi^ ihrer Mutter* 
Sprache wichtig zu naschen, und beförderte die- 
Vertraulichkeit mit derselben in den Schulen, 
aus denen sie sonst fast gänzlic^h verbannt war. 
Damit hing zugleich der Vortheil liusammen,. 
dafs wenigstens ein Anfang gemacht ward, mehr 
Richtigkeit, Reinheit und Leichtigkeit in die 



fipradi^ de» gemeineh Lebens eiozufiihrai , dit 
^ sonst am weiteste«' aüriick geblieben war. 

. Insbesondere ist eine/ der wichtigsten Män- 
gel unserer SpraoRe, über welchen Laibnitz sick 
init Recht beklagte, seit seiner Zeit verschwun- 
den. Wir sind jetzt durchaus nicht mehr» als 
irgend eine andere Nation^ in Verlegenheit, 
wenn wir iiber Gegenstände, die nicht in die 
Sinne fallen, über Vemunftlehre , Metaphysik, 
See)enl€(hre, Rechtswissenschaft, Sittenlehre und 
Gottesgelehrsamkeit in unserer Muttersprache 
reden oder schreiben sollen. 

Bald naph Leibnitz tr^t ein Mann auf, der 
sich das unsterbliche Verdienst erwarb , nicht 
nur die Entdeckungen jenes grofsen Mannes in 
ein LehrgeD'aude zu ordnen ^ sondern auch sei- 
ne Grundsätze der Weltwe.isheit ins Deutsche 
zu übertragen , und so der Sprache einen gleich 
grofsen Gewinn an Reichthum und an Bestimmt- 
heit zu verschaffen. Seit fVolfs Zeiten ist über 
alle * Theile der > abgezogenen Wissenschaften 
Deutsch geschrieben worden; und die scharfsin- 
nigstem Werke der Ausländier haben ruhrnwür^ 
dige Ueberseteer gefunden. - In der Gottesge- 
lebrsamkeit hat Baumganen und seine Schule 
einen lichtvolleren und genaueren Sprachge- 
brauch verbreitet, und musterhafte Kanzelred- 
ner haben in Predigten und Erbauungsbüchern 
Beweise , genug geliefert, dafs unsere Sprache 

zum 



äl 

zum Unteericht in den Religionawahrheiten und 
zur Erweckung jeder frommen Empfindung 'kei« 
neswegs unf^Lhig'sei. Die Seelen- und Sitten- 
lehre ist nicht nur in der Gestalt der Lehrge- 
bäude vielfach in unserer Muttersprache vorge- 
tragen worden; sondern die Gegenstande, womit 
sich beide beschäftigen, wurden auch von 
Schriftstellern bearbeitet, für die es eine uner- 
lafsliche Bedingung war, sich keiner fremden 
Ausdrücke zu bedienen. Wer kennt nicht die 
Meisterstücke unserer vaterländischen Dichter, 
in welchen die mannichfaltigsten Schattierun- 
gen der Gefühle dargestellt und die feinsten 
Grundsätze der Sittlichkeit entfaltet werden? 
Selbst der Ton des feinen Lebens, die Sprache 
der wärmsten Empfindung und die Schilderung 
der heftigsten Leidenschaften ist von mehreren 
Romanen- und Schauspieldichtern so gut ge- 
troffen worden, dafs sie sich unter der unab- 
sehbahren Schaar ihrer Genossen au& ehrenvoll- 
ste auszeichnen«^ 

Auch in der Rechtswissenschaft und^in allen 

• * 

Zweigen d^selben sind, seitdem Thomasius die 
Bahn brach , mehrere glückliche Versuche g^- 
macht worden, die Deutsche Sprache an die 
Stelle, sowohl des ächten als des barbarische^ 
Lateins zu setzen; und dos neue Preufsische 
Gesetzbuch hat auch von dieser Seite die un- 
sterbliche Verdienste um unsere Nation. End- 

F 



/. 



82 

lieh haben auch unsere Staatsschriften sich all- 
xnählig immer mehr von ihrer ehemaligen Steifv 
heit losgemacht, entbehrliche Fremdlinge aus 
'der Reihe ihrer Kunstwörter verabschiedet und 
Wendungen versucht, die dem Geiste unserer 
Sprache und dem Geschmacke unseres Jahrhun- 
derts angemessener sind, wovon Beispiele ge- 
nug sich zu sehr in der Nähe befinden, als 
dals ich daran erinnern dürfte« 

« 

Auf diese Art ist die wichtigste Forderung, 
die Leibnüz noch zu thun nöthig fand^ bereits 
grolsentheils erfüllt, und zwar die, mit welcher 
die meisten Schwierigkeiten verbunden^ waren. 
Djdnn alles übrige, was nach seinem Plane ge- 
leistet werden sollte^ konnte durch den blofsen 
FleÜs einzelner Männer oder irgend einer deut- 
schen Gesellschaft geschehen. Das vorhandene 
zu sammeln und zu ordnen, auf. die Quelle 
desselben zurück zu gehen, das Nützliche von 
dem Unbrauchbaren zu sichten ; dazu war blofs 
J^ufse , Nachforschung , anhaltender Fleils und 
Sorgsamkeit einiger wenigen Männer nöthig; 
aber um die Sprache selbst zu bilden, zu be- 
reichern, geschmeidiger, angenehmer und für 
jede '.Gattung der Schreibart biegsam zu ma- 
chen, dazu muste eine Menge von Kenntnis^ 
sen in viele Köpfe und ein verfeinerter Ge-' 
schmack in die besseren Klassen der ganzen 
Nation gebracht werden. Dafs aber die Bil- 



»3 

duDg'der Sprache so* gleichsam von selbst^ un- 
ter dem Fortschritte der Nation in der Aufklä- 
Tung, und im Geschmack, erfolgte, ist unstrei- 
tig ein gröfserer Gewinn , ab wenn sie durch 
irgend eine Art. von erkünstelter UmschafFung 
übereilt worden wäre. Wenn die im Treib- 
bause gepflegten Früchte gleich den Vorzug 
haben y dafs sie früher können genossen wer« 
den, so erreichen sie dafür auch nie den yölli- 
gen Wohlgeschmack und die Dauerhaftigkeit,^ 
die ihnen die Natur, sich selbst überlassen, 
würde gegeben haben. 

Jetzt scheint ii^dessen der Zeitpunkt gekom« 
man zu seyn, wo, durch Vereinigung mehrerer 
Kräfte, Leibnitzens st5höne Vorschläge völlig 
ausgeführt urerden könnten. Noch fehlt es 
uns . an einer vollständigen Geschichte unserer 
Sprache; welche um so wünschenswerther wäre, 
jemehr sie nicht nur zu einer fruchtbaren 
Kenntnifs des deutschen Nationalgeistes in al- 
len Perioden beitragen, und den Stoff zu einer 
Menge von philosophischen Bemerkungen lie- 
fern, sondern auch die Quellei^ entdecken wür« 
de, aus welchen die Hülfsmittel zu der weite- 
ren Beschäftigung mit der Sprache zu schöpfei;^ 
sind« 

So ist auch der ganze Deutsche Sprachschatz^ 
noch nicht vollständig gesammelt* Ungeachtet 
Adelung mit seinem Wörterbuche, zu welchem 

F 3 



84 

ßir die hochdeutsche Mundart bIo£s einzelne 
Nachträge nöthig seyn dürften, Weit mehr ge- 
leistet hat, als von einem einzehien Gelehrten 
erwartet werden konnte; so sind doch, für die 
übrigen deutschen Mund^en, die sogenannten 
Idiotica imd die einseinen zerstreuten Beiträge 
SU denselben noch bei weitem nicht hinreichend, 
um den ganzen Reichthum der Sprache daraus 
kennen su lernen» Und die eigenthümlichen 
Ausdrücke vieler Handwerke und Künste sind 
zum Theil bis jetzt so vemachlälsigt worden, 
dals sich der Schriftsteller, der dahin gehörige 
Gegenstände su entwickeln hat, in einer un- 
aufhörlichen Verlegenheit befindet. 

In Ansehung vieler Wörter ist der Sprach- 
gebrauch noch äuiserst schwankend und scheint 
nicht selten mit sich selbst im Widerspruch zu 
seyn. Für manche Begriffe haben wir noch in 
der Schriftstellersprache gar kein Wort, und 
es wäre nützlich, dieselben aufzuzählen^ und 
zu prüfen, wie diesem Mangel in jedem be- 
stimmten Falle am besteh könnte abgeholfen 
werden: ob durch Wiederherstellung eines al- 
ten ausgestorbenen Wortes, oder durch ein 
ausländisches, welches des Bürgerrechtes wür- 
dig und fähig wäre, oder durch Verpflanzung 
eines Provinzialausdrucks , oder durch ein neu- 
geschaffenes Wort, welches schon von einem 
Schriftsteller gebraucht worden, oder zum Ge- 



85 

uch zu epni^ehlexi wäre* . Auch die deut- 
schen Spricb\^örter, und sprichtwörtlichen Re- 
densarten verdienten eine weit^e Nachforschung 
ihres Ursprungs und. ihrer Bec^eutung. 

In der Alfleitung 4er. Deutschen yVörter von 
ihren nrsprüpgliphen Wurzehi sind; noch viele 
Entdeckungen zu maqhßfin die siel)! ^um Xheil 
?on seihst darbietm werden, ,v7enn . der ganze 
Reichthum der Sprache zusammen getragen und 
eine^ sorgfältige Vergleichung der verschiedenen 
Munckrten v^it eig^nder und mit den very^and- 
ten Sprachen angestellt wird. 

Je Wünschenswerther die Ausfüllung aller 
dieser Lücken bleibt^ desto erfreulicher ist es, 
dais die Aufmerksamkeit des Herrn Grafen von 
Hertzberg sich auf diese wichtigen Gegenstände 
gelenkt hat. Der deshalb von diesem eifrigen 
Freunde seines Vaterlandes Sr* Majestät dem 
Konige f vorgelegte Plan hat die Allerhöchste 
Genehmigung erhalten, und die Academie hat 
nun, unter dem Schutze eines Monarchen^ Des- 
sen Liebe für die vaterländische -Sprache schon 
von mannichfaltigem wohlthätigen Einflüsse ge- 
wesen ist, einigen ihrer Mitglieder aufgetragen, 
sich vorzüglich mit der Bearbeitung der Deut- 
schen Sprache zu beschäftigen. Es soU allmäh- 
lig alles gesammelt werden , was zu den erwähn* 
ton Zwecken nützlich erachtet wird ; die Aca- 
demie wird deshalb' mit auswärtigen Gelehrten 



d8 

neuesten Yorsucfie dieser Art ist die Verdeut- 
schung einer Anzahl fremder Wörter vom Hrn. 
Rath Campe in Braunschweig; je milslicher 
, aber ein solcher Versuch ist , und jemehr Be- 
hutsamkeit derselbe erfordert; um so mehr ver- 
dient er auch Aufmerksamkeit und Prüfung* 

In der englischen und fransösischen Sprache 
fügen sich die Wörter, welche aus dem Latei- 
nischen darin aufgenommen worden i durch ei- 
ne leichte Biegungssilbe, nach dem Genius und 
dem Laute, der in diesen Sprachen herr- 
schend ist. 

In der deutschen macht die Aufnahme eines 
lateinischen Worts in den meisten Fallen un- 
endliche Schwierigkeiten. Ich fähre nur das 
Wbrt Ferbum zum Beispiel an : deklinirt man 
es, und sagt: des Verbij der Verborum^ so 
spricht man offenbar zwei Sprachen; will man 
ihm eine deutsche Endigung geben, und sagt; 
des 'PlerbümSf so fühlt' man, dafs man der Spra- 
che Gewalt' anthut; sagt' man; das Ferb und 
die Ferben , so ist dieses eben&lls eine gezwun- 
gene Biegung. 

Wer wird sich hierbei nicht uiizähUger Bei- 
spiele von ähnlicher Art* erinnern ? Man siebet 
hieraus die Ungeschmeidigkeit und Unbiidsam- 
keit unsrer Sprache, sobald man sie zwingen 
will, das Fremde in sich aufzunehmen. Man 
scheint 'diefs auch selbst in deni Zeitpunkte 



89 

empfunden' zu liäbeaf, wb nocH die SuchY faettsck- 
te, .unsre Sprache i^it fremden Worten auszu* 
schmitcken;* man wagte- es* nicht/ die Endung 
Iren, <fie *den fremden infinitiv bezeiclmet, 
deutsch zu idirisibeit ; wodurch' denn die Schrift 
ein eben so seltsiuni^ bUnt^s Anziehen , wie:die 
Sprache erhielt. ' ' 



So unbildsam und unseschmeidl«^ aber unsre 
Sprache' gsg^n die ^'ufn^hme^ des Fremden ist, 
50 geschi^^i^ig^und^bilfl^aiB is,t ^ie in ^n4 durch 
sich selber , . weil sie^ ihre. Sjtj^moi r und Wurzel- 
Silben^ gleichsam wie. ein zw^te$ Alphabet^ auf 
unendlich mannichfaltife Weise wieder zusam- 
mensetzt^ l^nd da(|urcjh in^ mehr als in einer 
Wissenischaft Wörter gebildet, hat^ die ohnge- 
achtet ihrer Neuheit gleich anfänglich allge- 
mein verständlich waren ; ^ • wovon ich nur die 
VTolfis/chen Schriften zj^m Beweise anführe. 

Da nun aber zu 'der Birdüng einel* Sprache 
wegen der immer' zunehmenden Ideenmasse 
vorzüglich ihre Bereicherung gehört/ und die 
unsrige am 'wenigste^ erborgten. Reichfhum 3iil- 
det; so niufs sie' zu* sich selbei:'> zn ihren ver- 
alteten Ausdrucken, die oft schöner und kraft- 
voller, als die neuern sind'i und zu ihren Mund- 
arten, wöriii eiii Schatz voK bedeutenden und 
ausdracKvöirerr -Zeichen der' bedanken verbor- 
gen li^gV; ihre Zufllicht lielhmein: IKe& haben 



90 

rnisre r^nugUeliftea d^u^chen Spltrifbteller 
Mchon mit vidbm Glück gathaiL 

In .elftem der wichtigsten. Fächer, in dem 
Fache dar Suuusschriften , « hat der Herr Graf 

:Von Her^berg zu dieser Bildung uiisrer Sprache 

^rorzügliph die B^hn gifbrofheU) indem er alt- 
deutsche Wörter von achtem Gepräge .wieder 
anfgenommen, und sie zu ihrem künftigen Ge- 
brauche äufi neue gewürdiget hat« 

Ich fiihre zii dem 'En^e nur jenie die Baibr- 
sche £rl>folge belreEFende Staatsschrifit an, wel- 
che 'schein ihres Inhalts w^ged jedem Patrioten 

' wichtig seyxl muß. UnteV dän acht deutschen 
Ausdrücken/ welche di^r Schtlft zur Zierde 

' dienen y 'ist z.' ß« der Ausdruck: die Gerechfsa- 
me seines Hauses fvahren^ sehr glücJdich ge- 
wäidr, um die Be^iffiei d&r £rhaltUil^*> der Si- 
cherung.^ und der'Vdrtheidigung auf eihmal*zu 
bezeichnen y welcher allgemeine Begriff diesem 
Worte ge];a4e durq^l^rdi^ Wegl^ssmjg. /ler Vor- 

. Silbe ieierheiit ist;, die Gerechtsame seines Hau- 
s^s in acht; zu nehmen, 3wahrzuneh^eni o^der 
zu bewahren I würde 'das ^ur schwach oder halb 
ausdrücken, was durch die ächte ui^d aUdeut- 
sehe Redensartl .seinß Ger^d^fsf^mewahren^ nach- 
drücklich bezeichnet wird* 

In e^en dieser Schritt- sjgad die Ausdrücke 
übermachcig. und mindermücluigy wenn yon dem 
Uberge!Vficht des 'einen Sfaats übe^ d^iv^; andern 



9' 
di# Rede &t, * «uf eine bedeutende Weisö einor 
dek* entgegletig^etzü. - So sind ^die deutschen 
Ausdrücke Theihingen uad • Einungen , wenii 
▼on Staaten und Landern die Rede' ist, bey be- 
halten; und auch in den deutschen Wärtern 
Denhschfift ^ so vrte dem Worte Theidigung 
und Thaidigungsbrief y ist hier ein ehrenyoUer 
Platz vergönnt» * 

Die Wörter Auskunfcsmittely 'J4usgleichungS' 
antrüge y Rückgangsrecht ^ anstatt Regredienz^ 
recht y und ähnliche^ welche in dieser Staats- 
schrift aufgenommen sind^ dienen zum Beweise 
von der Bildsamkeit unsrer Sprache , durch die 
Zusammensetzungsfähigkeit , welche in ihren 
Stamm- und Wurzelsilben, liegt, und wodurch 
ein Begriff bis in seine kleinsten Bestandtheile 
auf das genaueste und bestimmteste bezeichnet 
worden kann« 

So sind auch in dieser SchriA; die Wörter 
Folge und Vorgang durch eine sehr gfückliche 
Wahl miteinander in Gegensatz gebracht; denn 
der Begriff von Folge in Rücksicht dessen was 
ein anderer gethan.hat, wird eben so nach* 
drücklich als ungezwungen bezeichnet, wenn 
ich sage, dafs etwas die natürliche Folge von 
jemandes Vorgängen sejr. 

Die deutschen Schriftsteller haben über- 
haupt # ein jeder in seinem Fache, gewetteifert^ 



uBtse Mttttanpnebe Ifioder in. ihr^J&edite «in- 
xiuetzea, lüid ihr .bei, allon Ständen den Zoll 
•TOB Ehrfuiüht wieder su verschaffen, worauf 
-sie mit se- vielem Reohte Anspruch machte Ihr 
'Wetteifer unti ihre vereinten Bemiihuiigen zur 
'Bädtmg tmserer Sprache werden gewifa niclit 
iruchtlos jeyn , . ao lange noch deutsche Vater- 
landsliebe uns belebt > und so fooge ein deut- 
scher König die deutschen Musen schützt! 



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93 



i)Beweifs^ da/s die deutsche f^ölkerschaft 
(Nation) eine einheimische und Ursprünge 
liehe (originale) ist , und nißmahls eine 
gänzliche Veränderung (RervöUuion) ar- 
litten, "von dem Staatsminister Gra^ 
fen 'von Herzberg. 



13 a unsere Aoademie sich vereiniget hat, die 
deutsche Sprache nach dem grofsen Entwurf 
des unsterblichen Leibnitz noch mehr tu bear- 
beiten^ und zu solchem Ende eine Antahl von 
Afihandlungen^ in gewissem Zeitraum, vonMona- 
then oder Jahrweise herauszugeben, so glaube 
ich, dafs es zweckdienlich seyn wird, wenn ich 
hier den Anfang mache , mit dem neuen Ab- 
druck der Vorlesung , welche ich in eben die- 
ser Versammlung den 3o. Jan. i783, gehalten, 
um zu beweisen: dafs die deutsche Nacixin und 
Grofs ' Deutschland {das Germania magna der 
Alten zwischen dem Rhein, der Donau und der 
Weichset) eine einheimische und ursprüngliche 
Völkerschaft sey , so wohl nach den un^ 
denklichen U eberlief erungen , als nach den alte» 
steil geschriebenen Nachrichten ,• und nie- 
mais eine gänzliche Veränderung, {Resolution), 
wie alle andere Rationen der vier bekannten 



94 

Weluheile erfahren. loh thue dieses siun 
Theil aus der Ursache, weil ich glaube, da/s ich 
den stärksten Beweifs hieven dadureh führen 
könne, wenn ich, theils durch die Geschichts- 
kunde beweise, dais Deutschland memahls von 
einer fremden, sich einer andern Sprache bedie- 
nenden Völkerschaft, überwunden und unter- 
jocht worden, theils auch, daft die älteste 
'Überbleibsel des Alterthums , die wir von 
Deutschland haben. Deutsch sind , und man de- 
ren Ursprung und Veränderung leicht erratfien 
kann, wenn sie schon in verschiedenen Gegen- 
den von Deutschland, einige aber nicht wesent- . 
liehe und unkenntliche Veränderungen erlitten. 
Ich halte dafür, dafs diese Abhandlung an die- 
sem Ort ihren schicklichsten Platz habe , weil 
sie ihren Ursprung und den Anfang der Deu^ 
sehen Sprache bezeichnet. Sie stehet schon in 
den Abhandlungen unser Academie im Jahr lySS 
unter dem Titel: Abhandlung über die graS' 
sen Veränderungen der Staaten , besonders von 
Deutschland f vorgelesen an deni Geburtsfeste 
des Königs j den So. Jenner 1783 in der öffent- 
lichen Versammlung der Berlinischen Akademie 
von dem, Königlichen Staats^ und Cabinetsmini^ 
ster^ Preyherm von Herzberg. 

Man hält gewöhnlich dafür, dafs alle Staaten 
und Länder -der Welt, seit ihrem ersten Ur- 
sprünge einige wesentliche mehr oder weniger 



d5 

■ 

grolse Veränderungen, die man gemeiniglich 
Revolutionen nennet, erlitten, d. i. dafs sie an- 

... r . 

dere Nationen zu Bewohnern, andei^e Herren, 
eine anderö Regierung, eine andere Sprache 
und Religion bekommen hätten, und dafs die 
ursprünglichen Bewohner dieser Länder sie nicht 
mehr itzt besäfsen, sondern durch die Ueber« 
winder gleichsam verschlungen und in der Mas- 
se derselben verlohren Wäi'en. Diese Meyaung 
wird allerdings durch die Geschichte der mei- 
sten bekannten Länder unterstützt. Frankreich 
wird nicht melir von den alten Gelten , Spanien 
nicht mehr von den Celtiberiem bewohnt. Je* 
nes wurde zuerst durch die Römer' und nach- 
her durch die verschiedenen deutschen Natio- 
nen, die Gothen, Burgunder, und Franken er- 
obert und bevölkert. Spanien und Portugal 
haben gleiches Schicksal von den Golonien und 
den WafFen der Phänicier, der Carthaginenser, 
der Römer, der Vandalen, der Westgothen und 
Saracenen erfahren. In der brittischen Insel 
mufsten die alten dritten den Angelsachsen und 
Noraiännern weichen. Italien hat von seinen 
alten Einwohnern, und selbst von den Römern, 
ehemals den Herrn der Welt, nur noch den 
Nahmen einiger Städte übrig behalten; es hat 
die häufigsten und allgemeinsten Revolutionen 
durch die auf einander folgende Eroberungen 
der nördlichen JN^ationen, der Ostgothen, der 



96 

Longobarden^ der Frankenj der Normanner und 
auch der Detitscheo erlitten. Die ganze bekann« 
te Küste des nördlichen Afi^ika von der Meer- 
enge von ^ Gibraltar an bis nach Egypten und 
der Mündung des .JNils; ^^'^ Griechealandi 
Thracien und Klein Asien; Armenien ^ Sjrrien^ 
ganz Persien und Indien; -^ alle diese weitläuf- 
tige Länder sind nicht mehr im Besitz ihrer 
ersten Bewohner und Beherrscher. Sie haben 
die, allgemeinste Revolution erlitten, da sie von 
den 3aracenen> den Turcomannen und Tarta- 
ren erobert worden ,. Y.on d^nen die ersten aus 
Arabien, die bejden andere aber, welche Ttej- 
nahe. dieselbe Nation ausmachen , nvs dem ehe- 
maligen grofsen Scythien, oder der heutigen 
Tartarey und von dem Berge Caucasus her- 
kommen. Das greise Sinesistche Reich hat viel 
leicht noch am meisten seine ursprüngCchen 
Bewohner erhalten, aber es ist doch zuletzt 
von den Mandsqhurischen Tataren erobert 
worden und wird noch it^t vop ihnen beherrscht. 
Über die Veränderungen, welche in dem alten 
Scythien oder der heutigen ) Tartarey vorgefal- 
len seyn mögen, ist es wegen der zu grofsen 
Entfernung .dieses Landes und weil es il^m ganz 
an Cultur upd Geschichtschreibern fehlte, nicht 
mpgUch , irgend etwas zu urtheileu, wenn man 
sich nicht der lebhaften und fruchtbaren Einbil- 
dungskraft dto Herrn Bailly und Court de Gi- 

belin 



S5 

belin überlassen will. Wenigstens findet man 
in der alten Geschichte von Aufsland (einem 
ehemaligen Theile von Grofs-Scytbien) und von 
Pohlen (dem Sarmatien oder Bastarnien der AI« 
ten). eine sehr umständliche Tradition, ron der 
Eroberung dieser Lande durch eine fremde Na- 
tion« Auch ist es ausgemacht und bekanüt, dals 
das Dacien, Slavonien und Illyrien der Alten von 
den Slaven und Hunnen Erobert und von neuem 
bevölkert worden , und dafs letztere dem grös- 
sern Theile dies^ LäpdQr den neuern Nahmen 
Hungarn gegeben haben. Selbst die neue Welt 
oder Amerika hat eben diese Abwechselungen 
erfahreq^ Pi^ drey. großeii Aeipha, Mexico, 
Peru und Brasilien sind von den Spaniern und 
Porti^iesen erobert und wieder bevölkert oder 
vielmehr;» um richtiger zu reden , entvölkert 
worden« ,Der itzt ontstehenda neue Staat des 
nördlichen Amerika hat ein gleiches S(xhicksal 
gehabt fast alle «eine ursprünglichen . Einwoh^ 
ner zu verlieren , deren Stelle aber Engländer^ 
Franzosen und Deutsche sehr gut ersetzt haben. 
Die herumirrenden, wilden. Nationen^ welche 
das innere und einige Küsten von Amerika und 
Afrika, so wie die wenig bekannten^ Inseln und 
Länder der Südsee^ des nordlichen und indischen 
Meers, b^wohnen^ haben vermuthlich auch' mehi^ 
oder Weniger grofse Revolutionen erlitten ^ aber 
sie können nicht mit zu denii Theile der bewohn- 

G 



9» 

ten Welt gei^echnet werden, in der itzt alle Na- 
tionen gleichsam in eine allgemeine Gesellschaft 
verbunden sind. Jene sind sHiweit davon {ent- 
fernt^ und haben zu wenig Eioflufs in dieselbe, 
als dad ich mich bejr ihnen auFhalten und sie 
mit in Rechnung bringen dürfte. Es scheint 
dafs Arabien al^ ein sehr entferntes Land be 
ständig seine eingebohrne Einwohner gehabt 
und von kc^iner fremden Nation unterjochet 
worden, sondern vielmehr selbst eitlen grofsen 
Theil von Asien und Afrika überfcfawemmt und 
noch jetzo beherrschet. 

Nachdem itzt alle- Theile und alle Nationen 
der bekannten Welt durchgangen und uYiter ei- 
aen Gesiohtspiinkt gestellt sind, und ich auf sie 
meinen Grundsatz oder , wann mau. lieber will, 
meine Hjrpothese angewandt habe; so'- bleibet 
nur noch allein unser Vat^land übrig, das Ger- 
manien^ der Römer , das heutige I)e^tschIand, 
(das mau aber richtiger Teutonien ^) neianen 



■^^ — '■* 



•) Die Gründe hievon «ind, weil dieser P^ajjme von dem 
Stifter der ganzen Nation, Tuiscon, herkömmt; weil 
«elbst eine besondere Nation in den ältesten Zeiten 7e«- 
€onenhieiB\ und wir auch selbst noch itzt un^er Land 
Teutschland und uns TeuUche pennen. Wir wissen 
aus dem aweyteq Capitel des Buchs de Germania des 
Tacitus , dafs nur die kleine Nation der Tungerer am 
Bhoia, sic^ .Gertnanier nannten, welchen Nahmen 
nachher die Römer der. ganzen Nation gegeben, haben, 
der y^rmuthUch ihr selbst lange Zeit unbekannt geblie- 
ben ist«: Die AllemannUr waren gleichfalls nur ein 



99 
sollte) ud4 das alte Scandinavien *) oder die 
heutigen Reiche von Dähnemark und Schweden« 
Dieses Teutonien und Scandinavien, diese teu» 
tooische Nation machen fafst die einzige Ausnafac» 
me gegen ineine aligemeine Regel. Unter alle« 
Nationen der Erde hat diese allein niemaU eine so 
gänzliche Revolution, wie alle andere, erfahren* 
Niemiils ist Deutschland in seinem ganzen Uuv 
&ng und auf lange Zeit von einer fremden Na«' 
tion erobert und unterjocht worden« Die Ror 
jner konnten ihr Reich. nie weiter als bis an die 
Donau und aen^Rhein ausdehnen, und über die* 
se Flüsse nur ' zuweilen vorübergehende Einfälle 
and Expeditionen vornehmen; allemal wurden 
sie von den Deutschen daliin zurückgetrieben^ 
An der nördlichen Gränze reichte die Herrschaft 
der Sclaven oder Wenden nnr bis an. die Elbe^ 
und diese Nation wurde nachher von desß, Deut» 



besonderes Volk in Teutonien« deren NAfamen von ei- 
nigen unwissebden Fremden der ganzen teutonischen 
Kation beygelegt ist. Es ist von andern selfr wftlir- 
scheiniich ewiesen« dafs die gegen Mittag wohnei^d^n Ein^ 
wohner von Teutschland solches mit einem weichen 

I 

71 die gegen Norden wohnende aber mit einem borten 
D0 ausdrücken oder aussprechen. > ' 

*) Piolomäns , Plinius Lib. IV. c. i3* Ceilarius^ Geogr. 
ant. Lib. II. c. 5. Aufser den Zeugniaseb der alten. 
Geschichtschreiber darf man nur Sprache , Sitten uud 
Charakter vergleichen, um sich völlig zu überzeugen, 
däfs die Dänen, Schweden und Normannen eine und 
dieselbe Nation mit der deutschen ftusmadinu 

G a 



aoo 

^chen wieder bezwungen und ganz unterwürfig 
gemacht. Man kann also mit strengster histo- 
rischer Wahrheit behaupten, dals das eigentliche 
Deutschland, oder das Germania magna der Rö- 
tner; nämlich die weite Strecke Landes zwischen 
dem Rhein, der Donau und der Elbe allemal Frey, 
von keiner fremden Nation unterjocht , und 
acht deutsch geblieben sey. Die Römer haben, 
yiie ich schon bemerkt , dieses Land nie be- 
zwungen. Die einzige Zeit, wo dieses und zwar 
in Absicht des ganzen UmFanges des Landes ge- 
schehen sejn kanni ist die, da Attila, König 
der Hunnen^ durch Deutschland nach Gallien 
gieng und daselbst bey Chalons geschlagen und 
asurückgetrieben wurde.. Aber seine Herrschaft 
hat vielleicht nicht ein Jahr gedauert^ Während 
dien Jahrhunderten vom Anfang unserer Zeit- 
rechnung an, bis zu der Stiftung der großen 
fränkischen Monarchie, ist Teutonien immer 
nur von den deutschen Nationen der Franken, 
der Allemannier, der Sachsen, Thüringer, 
Boyer oder Baiern bewohnt , und nur von Für- 
sten, die aus ihnen entsprungen waren, be- 
herrscht worden* Freylich war Deutschland im 
yten .und Sten Jahrhundert mit der Monarchie 
der Franken verbunden; ' und zwey hundert Jah- 
re hatte es entweder gemeinschaftliche Regenten 
mit Frankreich, odier seine besondere Beherr- 
scher stammten von dön Carolingischen Königen 



lOl 



der Franken ab. Allein es ist allgemein bekannt; 
dafs die franken ihrem Ursprung und ihreir 
Sprache nach, eine ganz deutsche Nation wa- 
ren. Die Könige ^. oder Kaiser Carl der Gros- 
se und Ludwig' der Fromme ^ welche Deutsch« 
land und Gallien vereinigt besafsen, sahen er- 
steres als ihr Hauptland an, und brachten einen 
groisen Theil ihrer Regierungszeit darinn zu, 
Von ihren Nachfolgern wurde nach dem Ver* 
trage von .Verdün im Jahr 843. eine besondere 
Linie gestiftet, die nur allein Deutschland be- 
herrschte , welches also bis zum Ausgang des 
Garolingischen Stammes im Jahr gii seine eige- 
ne teutonische Könige hatte. Jeder Kenner 
der deutschen Geschichte weifs , dafs von dieser 
Epoke und von der Wahl Conrad I, an bis auf 
unsere Zeit, Deutschland nie andere Regenten 
Könige oder Kaiser gehabt habe, als die aus sei- 
ner eignen Nation, nämlich die sächsischen, 
fränkischen , schwäbischen , luxenburgischen, 
bayerischen und österreichischen Kaiser. Unter 
denselben und während einer so langen Reihe 
von Jahrhunderten, hat die teutsche Nation ihre 
alten Besitzungen wieder erobert und ihre Grän- 
zen bis an die Alpen, bis über den Rhein, und 
die Elbe und bis in die Nähe der Weichsel aus- 
gedehnt. In allen diesen Gegenden hat unsere 
Nation ihre Sprache und Herrschaft wieder her^ 
gestellt , ubd ist mit letzterer sogar bis in Ita- 



lien fortgerückt. Sie hat die wichtigen Verbin- 
dung der vereinigten Staaten gestiftet , die man, 
itzt das deutsche Reich nennt, und hat ihre 
Spiache auch in den Ländern teutonischen Ur- 
sprungs erhalten 9 .welche sich in verschiedenen 
Revolutionen von dem deutschen Staatslcörper 
losgerissen haben, als Helvetien^ den vereinig- 
ten Niederlanden, Schlefswigi Preufsen, Cur- 
land und Liefland« 

Ein Land, das niemals von einer fremden 
und zahlreichern Nation erobert und unterjocht 
ist, mufs natürlich von seinem ersten Ursprün- 
ge an y immer von einer und derselben Nation 
bewohnt gewesen seyn. Ich glaube dieses von 
Deutschland durch die vorhergehende kurze 
Übersicht seiner Geschichte hinlänglich bewie- 
sen zu haben. Aber ich kann diesem Beweise 
noch einen andern sehr bündigen und überzeu- 
genden bey fügen, diesen nämlich, dafs die jetzi- 
ge deutsche Nation noch immer dieselbe Spra- 
che erhalten habe, deren sich ihre Vorfahren 
zu den Zeiten des Julius Cäsar, des Tacitus, des 
Plinius, des Ptolomäus und überhaupt in jener 
entfernten Epoke bedienten, da die griechischen 
und römischen Geschichtschreiber dieses Voliu 
zum erstenmale erwähnt haben. 

Es kann schwer scheinen, diese Behauptung 
zu beweisen, weil die alten Teutschen bey ihrem 
gänzlichen Mangel von Cultur, weder Schreib- 



. io3 

kunst noch Geschichtschreiber hatten, und wir 
vom Anfang unsrer Zeitrechnung an bis zum ach- 
ten Jahrhundert keine Geschichte und auch kein 
anderes Denkmahl besitzen , welche ganz in deut- 
scher Sprache geschrieben wären, ^ wenn man 
nicht die gothische Übersetzung der Eyangelien 
dafür nehmen will , die man dem Bischof. ULphi- 
las im vierten Jahrhundert zuschreibt und von 
der ich nachher noch etwas mehr sagen werde» 
Man findet aber in d^n griechischen und römi« 
sehen Geschichtschreibern und Geographen, be« 
sonders aber in den Schriften des Tacitus noch 
viele Spuren der alten teutonischen Sprache, ynd 
viele einzelne Worte, welche den heutigen ähn- 
lich sind , und daher gar keinen Zweif<ßl übrig las- 
sen, dals in Absicht des Wesentlichen und der 
Wurzeln, sie immer dieselbe Sprache geblieben 
ist . und dafs die Verschiedenheiten nur blos Fol- 
gen der Veränderungen sind , weif he alle leben« 
de Sprachen immer in einem langen Zeitraum er- 
fahren haben. Ich werde hievon nur einige Bey- 
spiele zur Probe anführen.) Der itzige Nähme der 
tentschen P^ation kömmt von ihrem erften Stifter 
Tuiston her, den sie für einen Gott und Sohn der 
£r^e hielt, welche gleichfalls unter dem Nah- 
men ^^er/A^y^ als eine Göttin verehrt, so wie der 
Sohn des Tuiston^ Mannus,*) für dön zwejrten 

*^i»— i— .—— ^— "^"^^i-^l^— — ^i^— ■■I M 11 III ■ 

*J S. Tacitus de Germ. c. a und 40 von denen ich jenes 
nachher gani hersetcen ^rerde. 



io4 

Stifter gehalten wurde. Mit dieser Bedeutung 
stimmen noch itzt überein die deutschen Wor« 
te: Mann und Erde. Das erste Wort findet sich 
noch in einer 'Menge teutonischer Nahmen, wie 
in Arminius oder Hermah , und in den Nahmen 
der berühmten Nationen der Allemannier {All- 
männer) und der Marcomannen (Markmänner 
oder Bewohner der Marke, welches ein^ Gränz- 
proyinz bedeutete.) Die Nahmen Laciburgium^ 
Asciburgium , Salms Teutoburgicus ^ welche be» 
kanntlich im Ptolomäus und Tacitus sich finden, 
beweisen gleichfals, dafs in den ältesten Jahr- 
hunderten, so wie itzt, Burg in der teutoni- 
schen Sprache ein Schlofs oder eine bevestigte 
Stsidt bedeutete. Auch 'findet man den Nah- 
men Teutonen noch bey der berühmten Nation, 
welche in Verbindung mit den Cimbern jenen be- 
kannten Einfall in Gallien und Italien that, sechs 
consularische Heere schlug, Rom mehr als ir- 
gend eine andere Nation zittetn machte, *) und 
endlich nur der überlegenen Kriegskunst des Ma- 
rins weichen mufste. Der Nähme ihres Königs 
Teutoboch , der den Triumph des Marius zierte, 

j 

und der selbst überwunden, durch seine colossa- 

*) S. Cic, de Off, L. I. c. la. Sallustius in Bello Ju- 
gurth. c. 114. Quinctilianus in Dedam. 3 c. 86. Euy 
tropius L. V. c. i. Tacitus Germ. c. 57. wie' auch 
meine Abhandlung von der Überlegenheit der Deutschen 
gegen die Römer. 



io5 

lische Figur noch die Einwohner Roms in 
Schrecken setzte y bestärkt gleichfals diese Idee. 
Die damals in Deutschland zurückgebliebenen 
Teutonen y finden sich in der Geographie des Pto« 
lomäus wieder neben den Sachsen , im Norden 
von Germanien , oder in Jütland. 

Noch einen andern Grund meiner Behauptung 
glaube ich auch daher leiten zu können , dafs die 
yomehmsten Flüsse in Deutschland^ nämlich der 
Rhein, die Donau ^ die Weser, die Elbe, die 
Ems, die Lippe, der Mayn, der Necker, die 
Saale, die Oder, die Weichsel, so wie die vor- 
nehmsten Nationen, die Schwaben (Suevi) die 
Baiem (Boji), die Frisen (Frisii), die AUeman- 
nier, die Angeln, die Franken, Longobarden,' 
Sachsen, Angrivarier, (Engern in Westphaleo) 
Burgunder (die Burguntas des Ptolomäus) die 
Rügier, die Sideni *) in Pommern, bis auf un- 
sere Zeiten dieselben Nahmen behalten haben. 



*) Ptolomäus in seiner Geogr. L. II. c. ti tagt: Post 
Saxones Sideni us^ue ad Viadrum fluvium* Die Ahn« 
lichkeit der Lage und des Nahmeni lassen nicht swei-> 
fein, dafs dieser berOhmte Geograph hier eben die Na- 
tion im Sinne hatte, welche in der Gegend des itzigen 
Stettin an der Oder, der Hauptstadt von Pommern 
wohnten, welche also unter allen Städten des grofsen 
Deutschlands fast allein ihren Nahmen von d^n Zeiten 
des Ptolomäus bis auf die unsrigen erhalten haben wür- 
de, indem Maynz, Colin und Augspurg (Augusta Vin- 
delicoruni) mehr römische als deutsche Städte waren* 



io6 

die man im Cäsar > Tacitus, Ptolomaus und 
Strabo findet ^ und die sie zu den Zeiten der 
Bömer hatten^ welche in einer so langen 
Reihe von Jahrhunderten nur in den Endungen 
einige Veränderungen erlitten haben. 

Wir kennen, die Geschichte und die grofsen 
Thaten aller dieser deutschen Nationen^ yom 
ersten bis zum siebenten Jahrhundert und wäh- 
rend der grolsen Wanderung in die Provinzen 
des römischen Reichsi nur aus den griechischen 
und römischen Gescbichtschreibern, von denen 
selbst die gebornen Deutschen^ in lateinischer 
Sprache geschrieben haben , wie JomandeSy der 
Geschichtschreiber der Gothen. und Paul fVar- 
nefried und 'Erchenpert , die Geschichtschreiber 
der Longobarden« Indefs bemerkt man doch 
sehr oft in den Nahmen der berühmten Man- 
ner^ deren Geschichte sie beschrieben , den 
deutschen Ursprung, wie bey dem grofsen Theu- 
derich ^ König der Ostgothen {Thierri oder Die" 
trich) Clotarefij Clodoväus (Ludwig) den Chilr 
prik {Hilfreich^) alles. Nahmen fränkischer Kö- 
nige, und eben so sind auch iblbst die Nah- 
men der. angeführten Geschichtschreiber , Jor- 
nandeSf Warnefried ^ Erchenpert germanisch. 

Die Gesetze der deutschen Nationen, näm- 
licTi der Franken, Salier, Ripuarier, Alleman« 
nier, Bayern, Friesen, Burgunder, Angeb; 
Sachsen , Yariner^ Longobarden und Gothen, 



107 

50 wie die Capitularien der fratikischen Könige 
sind sämmtlieh auch im Lateinischen geschrie- 
ben. Man findet abertloch auch in ihnen eina 
Menge teutonischer Worte, die nach ihren 
Wurzeln vollkommen mit unserer heutigen Spra« 
che übereinstimmen; i6 dafs einem Kenner je* 
ne unmöglich entgehen können. Ich will hier 
zur Probe nur einige dieser Worte hersetzen^ 
die man in den bekannten Sammlungen jener 
Gesetze und' Gapitularien häufig findet; 

Leudi {Leute j Vasalli.) 

Adelin gki (Edelleute.) 

Mallus {Mahl, Ort der öffentlichen Versamm- 

l^ng-) 
Weregildum (fVehrgeld^ Geldstrafe.) 

Mannire {Mahnen^ Vor Gericht fodern«) 

Murdrida {Mord.) 

Marah {Mähre^ Pferd, und daher Marschall.) 

Anwgriph {Angriß) 

Mundualdus (Vormund.) 

Herihartnus (^Heerbann.) 

Karra {Karre. Wagen, Currus.) 

Gasindus {JOiensthot^ daher Gesinde.) 

Rachimburgi (Bürgen.) 
Man würde leicht ein- weitlänftiges Lexicon sol- 
cher ursprünglich deutschen Worte machen 
können, die sich in den alten Gesetzen und .in 
den griechischen und römischen Geschichtschrei- 
bern finden. Aber der Beweis , den ich hier. 



io8 , 

■ 

führe, wird noch weit stärker, wenn man die 
Übersetzung der Evangelien liefst > die sich in 
dem berühmten Codex argenteäs befindet, den 
die Schweden im drey/sigjährigen Kriege in der 
Abtey Werden in Wes.tphalen, und nachher in 
Prag gefunden haben, von da er nach Upsala 
gebracht wurde, wo er noch itzt aufbehalten 
wird» £ey eininiger nähern Untersuchung be- 
merkt man bald» dafs «diese Übersetzung un- 
streitig in deutscher Sprache abgefafst ist. Man 
hält mit gröfsester Wahrscheinlichkeit den Ost- 
gothischen Bischoff Ulphilas ^ der um 35o, leb- 
te; für den Urheber derselben. Andere behaup* 
ten^ diese Übersetzung wäre in spätem Zeiten 
von einem Franken gemacht; auch in diesem 
Fall würde sie der deutschen Nation und also 
zu den Beweisen meiner Behauptung gehören. *) 
Nach dieser entweder gothischen oder deut- 
■sehen Übersetzung der Evangelien , ist - das er- 
ste Denkmahl der deutschen Sprache, das Bünd- 
nifs wider den Kaiser Lotharius, oder vielmehr 
der Eydy welchen die beyden Söhne Ludwigs 
des Frommen, Ludwig, König von Deutschland 
und Carl, König von Fra^nkreich , im Jahr 842 
nahe bey Strafsburg, an der Spitze ihrer Ar*- 



*) S. Ihre Scripta de TersionK Ulphilana, welcbe unser 
berühmte Hr. Büscking 1776» zu Berlin beraasgegfben 
bat. 



109 

meen gegen einander ablegten , uiid deren For- 
mulare uns ein gleichzeitiger Gescbichtschrei« 
her, Nühard,*) Aen einen in deutsclier; den 
andern in der damaligen verdorbenen lateini* 
scheii Sprache^ die man auch lingua Romana 
nennt 9 der man sich in Erankreich bediente> 
und woraus nachher die provinzialisch^ nnd 
französische Sprache^ entstanden ist, aufbehaL 
ten hat. JEiier sind diese Eidschwüre, die' Lud- 
wig , König von Deutschland, in Römischer, und 
der König von Frankreich in deutscher Sprache 
ablegten, und die bei 4en Armeen bekr^tiget 
wurden: . ;. 






Efd der^ Könige^ 

' V . , • 

Romisch oder Fränm Altdeutsch* Übersetzung 

kisch. * in fettiges Deutschä 

Pro Don amur et In godes ntinna « -Ich Schwöre, dafa 

pro Christian, poblo ind durch tes An- i«h aus Liebe ge- 

et nostro commun stianes folches ind ««?> ^<*" ^^^ ^** 

salvamentf dist di unser bedhero ' ge, s ■ . 

, , ./. ^ f >"»d »u unser bey« 

ena'vant, tn öuant hnltnijs ^ Jon thesc' ■ ■ 

der Besten von oie- 

Deus saifir et potir mo dage frammor' rp 

oem X ase an ^ ov 

me dunat, si saU des, sofram so mir ^j^j j^^^ j^^^j, q^^^ 

varai eo cest meon Got gewizei in di werde wissen und 

Fradra Karlo, et in mahd furgibit , so können, ich diesem 

adjudhd et in cad»^ hitld ich tes an mi* meinem Bruder bey 

huna cosa, si cum. nan broudher soso stehen will, wid 



'«■t< 



*} Man Bndei auch diese merk^irürdige Eydesformel mif 
einem Oomineiitar de« Freher in Böklers Script. Germ, 
p. 1 13. 



* .» 



hßtnme.perdrthsQn man. mit^nchiu aU man von Recbttwc- 
fradra talvar dUt, . n^n brouder icai, ^*^ •einem Bruder 

ino ^nid U imi aU inihinu thaz ermig '^"° *''"• "°^ ^^^' 

* * er mir wieder so 

tresi farety et ab *otoma dno, iadi thua, und icb will 

Luther nul plaid mit Ltäherem inno niie Luthem (uo- 

nunquam prindrai, theiani thing negg. «"«Bn-dw Lotbar) 

in kein Diog eingc- 

meon fradrt Karle Willon imo ce sead- Bruder Carl »uwi- 

in dampo sit, Aen wehren ^®' ^^^ *» Schi- 

den ffej. 

I 

' Mjrd der Armeen 

Hämisch oder Frän- ' AUdeatich, ' ' " Übersetzung 

*"^^' in Jetziges Deutsch. 

Si Lodwigs Sa* Oba Karl then Wir sobwörcD, 

crament, ^ue son ' eidy then er, ßne^ dafs wenn CJarl den 

fradre Karlo furat, mo broudher Lud- ^^^ • ^^^ «r seinem 

^nsernat, et Kar^ huwige gesuor, ge- ^'""^e*' Ludwig ge- 

löjurat. consermt, leistü, inife Ludhu^ »chworen, häJt. und 

-* JT -I o • » f Ludwig, mein Herr, 

^t Jiarius meo oen^ tv^s mm Merro then , „ 

ärade^uopaftnpn er imo gesuor, ßr. ,,b^,,„^ ^^^^^ 

äfs taniti si io re^ brichit, ^ob ih ina dergestalt, daft we- 

tumarnon liht pöis, nes artenden ne der icl^, noch sonst 

ne io, ne neuls cui mag, noh ih, no einer . von uns es 

eo retumar nit pois, thcro tkein hes irr- abwenden oder ver- 

iß nulla adjiihda wenden mag, imo hindern kann« so 

^ contra Lodhuwig ce follusti vädhar "^^1'®" ""'^^ '^™ ^'" 

f. . rr t -MWT* t> . dei> Carlen Leine 

nun li tuen ^^e ne JVirdluL „^., ,, . 

Hülfe leisten. 

Wenn man diese beyden deutschen Ejdes« 
jformuln mit eiiiiger 'Aufmei'ksamkeit durch- 
liafst, so findet man ohne Mühe in jedem Wof- 



111 

te die Wurzel und ^en Ursprung unsrer itzigön - 
deutschen 'Sprache. Aus der Periode , welche 
auf diese Verbindung folgt , findeit man in der 
Sammlung teütscher Alterthümer von Schilter, 
so wie in den etymologischen und historischen 
Werken des Eccard und anderer deutscher Alter- 
thumsforscher, eine groTse Menge meistens geist- 
licher Schriften, wie die der Mönche Jfiero und 
Notkerus BalbuluSy und die Evangelien des O^ 
fried von Weifsmburg aus dem neunten Jahr* 
hunderte y und nachher eine Menge Chronik^ 
ken und Urkunden , welche alle in dei^tscher 
Sprache geschrieben sind, und gar nicht mehr 
zweifeln lassen , dafs die deutsche Nation in die- 
ser langen Reihe' von Jahrhunderten immer eben 
dieselbe Sprache gehabt habe , die noch itzt die 
unsere , aber fi^jlich -durch die Verschieden* 
heit der Zeiten und Mundarten ' so verändert 

• 

ist^ dals sie itzt jedem anderui als Alter thu ms«' 
forschern und Kennern unverständlich werden 

müssen. . .. ■: 

Ich gladbe sowohl durclli |ede dieser Inductio« 
neu und Beweise einzeln genommen, als auch 
besonders du^ch deren Verbindung, in dör Kür- 
ze und ohne eine, weitläuftige Gelehrsamkeit; 
welche fnr eine > so erlauchte. und so wohl un- 
tenichtöte Versammlung, wie die gegenwärtig 
ge, unschicklich sejm würde , dargethan zn hd- 
oen, dals -die deutsche Kation niemals durch 



112 

eine fremde und ihr an 2^1 überlegene ganz un- 
.terjocht seyi dafs sie niemals . gezwungen wor- 
den ^ eine fremde Sprache anzunehmen, und 
dafs sie also noch immer eben dieselbe Nation 
sey, die sie zu den Zeiten des C0miilus, Ma- 
rias , Cäsar, Taci^uSy FliniuSy und Ptolomäus, 
vor und kurz nach dem Anfang unsrer itzigen 
Zeitrechnung y und also seit mehr .als :20oo Jah- 
ren gewesen ist. loh schmeichle mir hiedurchi 
genug für die deutsche Nation,- bewiesen zu ha- 
])en^ auch da|s J^eine andere auf der ganzen Er- 
de^ einen gleichen Ruhm wer40 darthun, noch 
einmal Anspruch darauf .machen, können. 

Bey dem gänzlichen Mangel von Denkmälern 
und Geschicl^tscbrpibern ist es nicht. möglich, 
denselben Beweis . noch höher* als .zwey Jahr- 
tausende, hinaufzuführen. Aber aus einer Stel- 
le, die. sich im zweyten Capitel des berühmten 
Quchs des Tacüus von Deutschland findet, schei- 
i^Qt zu erhellen , dafs die Getmanier sich da- 
mals und von allen Zeiten her^ nach einer un« 
denklichen Tradition für ursprünglich eingebor- 
ne (Abprigenes et indigei^a^. od^r iüx eine Na- 
tion, hielten, die nie ?eon aufsen hieher ge- 
kommen^ sondern im Schoofse ihres Vater- 
landes gleichsam geschaffen und geboren sey, 
und dais die Aömei^ selbst geneigt waren ^ die- 
ser Meynung beyzustimmen. Die Stelle ist zu 
schön und hat z» Txele^ Ausdruck, dafs ich 

mich 



i»5 

mich nicht enthalten kann, sie hier ganz, so« 
wohl in der Ursprache, ah in einer deutschen 
Übersetzung herzusetzea. Sie kann zugleich zu 
einem neuen Beweise in der bekannten Strei- 
tigkeit über die Frage dienen: welche von bey- 
den Sprachen am meisten ' Tähig sey, die erha* 
benen und tiefen Gedanken des Tacitus am be* 
sten auszudrücken, und mit gröfster Klarheit 
und Kurze zu übersetzen? so wie ich schon ei- 
nen der gleichen Versuch mit dem 37sten Capitel 
desselben Buchs, dessen Inhalt noch rühmlicher 
für die Deutschen ist^ in der Abhandlung ge- 
macht habe , die ich an eben diesem Orte am 
27sten Jan. 1780 vorgelesen habe. 



C //. Ipsos GemUtnos in» 
iigenaä crediderim, minime» 
«lue aliantm gentium, ädven* 
Ubus et hospiiiis fnixtos; 
^uia nee terra oUm, sed 
classibus (tdvehebantur ^ ffui 
miuare sedes quaerebant: et 
immensus ultra ^ ut^ue sie 
dixerim , adversus OceanuM 
rafis ab orbe nostro navibus 
aditur, Quis porro^ praeter 
periciilutn horridi et ignoti 
maris^ jisia, aut jifrica 
aut Italia relicta, Germa- 
niam peteret? informem ter» 
ris^ asperam coeio, tristem 
cultu adfpecttique, nin sipa» 



Cap. II. Ich halte die Ger- 
manen selber Pur Eingebobr* 
ne, unvermischt durch Wan- 
derungen und Besuche frem- 
der Nationen, da die' ih^e 
Sitse verändernden Völker 
f^mals nicht zu Lande; son- 
dern ^u Schiße reiseten, und 
der unermei'sliche, ja daft 
ich so sage, widerstrebende 
Ocean selten aus unserm 
Welttheile beschift yv^ird. 
Wer wird auch, die Gefahr 
eines schrecklichen und un* 
bekannten Meeres nicht ge- 
rechnet, Asien^ Afrika oder 
Italien verlassen, und das an 
Gegenden ungestalte, trauri- 
ge, ungeBaute und unter ei- 

H 



«4 



ifia Sit* CeUbrant carmini- 
bu9 antu/uii TuiicoDem De» 
um, terra editum et fiHum 
Mannum , originem gentis 
conditortsque. Manno tres 
ßlios adsignant, e quorum 
nominihus proximi Oceano 
iDgaevonet, medii Herminom 
ne4f ceteri Istaevonee voceru 
titr ^ — 



Cap. ly, Ipse eorum opi' 
nionibus accedo, ^ui Germa^ 
niae populoe nuUis aliis ali- 
arum nationum cannubiis in^ 
fectos, propriam et sinceram 
et tantum sui similem gen* 
tem exstitis^e arbitrantur. 
Unde habitus ^uoque corvo- 
rum, quanufuam in tanto 
hominum numero, idem 
Omnibus, tmces et cerulei 
ocuii, rutilae comae, magna 
Corpora, et tantum ^ad impe» 
tum validas laboris atque 
operum non eadem patien- 
tia: minimeifue sicim aejtum* 
que tolerarcj Jrigora atque. 
inediam coelo solove adsue» 
verunt. 



nein so rauhen Himmel lie- 
gende Germanien aufauchen, 
wenn es nicht sein Vater- 
land ist? In ihren Volkslie- 
dern besingen sie einen aus 
der Erde entsprossenen Gocc 
Thuiskop und seinen Sohn 
Mann, als den Ursprung 
und die Stifter der Nation. 
Dem Mann geben sie drey 
Söhne, voa deren Kamen 
die nächsten am Ocean Ing' 
fvonen, die mittlem Berrm- 
nonen und die übrigen /j/- 
fponen genannt werden — — 

Cap. IV. Denen pflichte 
ich selbst bey, welche Ger- 
maniens Völker für ein durch 
Heyrathen aus andern Natio- 
nen un vermischtes , eignei, 
reines, und blos sich ähnli- 
ches Geschlecht halten. Da- 
her auch, ohngeachtet der 
grofsen Volksmenge, die al- 
len gleiche Bildung des Kör* 
pers, wilde blaue Augen, 
goldgelbes Haar, groi'se bios 
jEum Angriff tüchtige Körper. 
£ey Arbeit und Mühe kön- 
nen sie nicht eben so aus- 
dauren, Hitae und Durst 
gar nicht ertragen, hergegen 
sind sie aur Kälte und Hun- 
ger durch Himmel und Erd- 
reich desto mehr gewphnt. *) 



♦) Diese Übersetzung ist von dem Herrn Anton, welcher bekanntlich die 
{snze Schrift des Taciius von Deuischlaud übenetzt hat ; ich habe nur 
einige kleine Veränderungen darinn gemacht* 



ii5 

Man darf diese vortreffliclie Stelle des Ta- 
citüs nur le^en , um sich tu ' überzeugen , dafs 
die alten Deutschen nach eider uraften Über- 
lieferung sich' für eine ursprünglich eingeborne 
Nation hielten. ' Dieser philosophische Ge- 
Schichtschreiber' tritt" 'derselben bey, und be- 
stärkt sie mit dem guten Grund /däfs alle ger- 
manische Nationen "in Absicht der Eigenschat 
ten ihres Corpers und Geistes so viele Ähn- 
lichkeit untereinarider hätten. Eine Untetsu- 
chung, in wie ferftf diese alte Meynung wirk- 

« 

lieh gegründet sey , oder der heiligen oder weit- 
liehen Geschichte widersprechen möchte , wür- 
de hier wider meinen Zweck seyn. Auch bin 
ich weit entfernt^ hier eine unnütze Gelehrsam- 
keit anzubrinjgen ^ um nach unsem * Geschieht- 
schr^bern und Alterthumsforschem der'beyden 
letztem Jahrhunderte , wie Laziüs ^ Prätorius, 
Rudbeck, Clih}er, Eccard und vielen andern^ zu 
untei^suchen /^ ob' unsere erste Vorfahren aus 
Scythien, Armenien odör Assyrien 'hergekom- 
men'^ und ob wir'Nachkömmeii TOm^iVba, /ä- 
phee , Ascenüs odtet*Thogarnüz seyn n^ögen? 
Ich glaube mein Versprechen erfüllt zu* haben, 
wenn der im Anfang dieser Abhandlung aufge- 
stellte Satz bewiesen ist> dafs nämlich die deut- 
sche Nation noch hnmer dieselbe sey , die sie 
zu allen durch tlie Oeschichte bekannten .^ei« 
ten v^ar; AxuEi si6 hie von emet fremden voUig 

Ha 



ii6 

unterjocht und verschlungen worden; da& sie 
immer ihre unsprüngliche ^praqhe und ihre ei* 
gene Bdherrscher erhalten hfibe , . und d^Is also 
aus allqn diesen .Gründen. Deutschland das ein- 
zige Land der bekannten^ Welt sey, welches 
keine totale Revolution eijitten hat. 

Wenn man inde/^ doch auch der deutschen 
Geschichte Revolutionen bejlegen will» so sind 
es nur besondere , innerliche u^id vorüberge- 
hende. Als. solche könniei^ angesehen werden 
die £inföll^* der Römer • der Hunnen . -der Sla- 
ven oder Wenden in^^ die Gränzprovinzen 
Deutschlands; der greise ]ßinbrucfa <)er deut- 
schen Völker in die Provinzen des römischen 
Reichs während des dritten« vierten und fünf- 
ten Jahrhundert^; . <^ie .Herrschaft der fr^nki- 
sehen Könige über De^tschla^id , .die Folge der 
verschiedenen deuts9hen EJamiliefi von Königen 
oder Kaisern, welqhe üb€ir Deutschland «ge- 
herrscht ' haben ; die . Kriege der drey ersten 
Kaisers^ämme in Italien^ ^uni ilure Rechte f^ber 
dieses^ Land iind die .Stadt Roni zu behaupten ; 
ihre Streitigkei^n mit, d^n Päpsten oder der 
berühmte 2}wist z/z/er Imperium et Sacer/dotiumi 
die KreuzBÜge cder die Unternehmungen im 
Orient; die ye];änd!^r^ng^mit den alten grofsen 
Ilorjzpgthümern; und. ajidern Lehnen; die Ein- 
führung d^r erblichen Naohfqlge in den Reichv 
lehnen; .der Übergang. von der Erbfolge,, der 



117 

V 

Kaiser zu der Wähl derselben ; der Ursprung 
der Chur^sten; das berührte Interregnum; 
die Abwechselung bey der Kaiserwahl) die Wie- 
derherstellung einer in facto erblichen Nachfol- 
ge bey dem Hause Oesterreich; die Abschaf- 
fung des alten Faustrechis^ oder der innerli- 
chen Kriege unter den Privatpersonen; die Er- 
richtung des Landfriedens , der Greyse und des 
Reichs Kammergeriehts vom Kaiser Maiimilian 
L ; die Einführung der Kaiserlichen Wahlcapitu- 
lationen unter K. Carl V. ; Luthers Reforma- 
tion , die Religionstrennung, die daher ent- 
stand , nebst dem schmalkaldischen und drey- * 
sigjährigen Kriege^ der Religionsfriede von i555, 
und der berühmte ''Westphälische Friede von 
1648, der dem deutschen Reiche seine Gonsi- 
stenz und heutige Form gegeben hat; der spa- 
nische Successiöttslirrieg nebst dem Utrechter , 
und Rastädter Friedett t endlich der österriehi- 
sche Successionskrieg tfnd der sieben/ährige 
nebst den Aachner, Hubertsburger und Tesch- 
ner Friedensschlüssen, die darauf gefolgt sind. 
Dies sind nach meiner Meynung, die wichtig-^ 
sten Revolutionen von Deutschland , welche zu 
einer interessanten 'Geschichte dieses grofsen 
Reichs den Stoff enthalten, nichts wie sie in 
trockenen Annalen der meisten unsrer • altem 
Schriftsteller vorgetragen ist, sondern wie sie 
unter gro&en politischen Gesichtspunkten dar- 



ii8 

gestellt, für den Bürger i deq Philosophen und 
den Staatsmann nützlich werden* könnte , in 
dem grofsen Geschmack der Gemähide eines- 
jRoberiscn, eines Hume, und anderer berühm- 
ten Gelehrten, die uns die Geschichte der Re- 
Toiutionefi von Deutschland , England, Italien, 
Griechenland und andek'en^ Ländern geliefert I 
haben. Aber allemal wird es sehr schwer seya 
ein ganz vollendetes Gemälde der Revolutionen 
von Deutschland zu entwerfen, sowohl weil uns 
von manchen Theilen gute Materialien und 
Nachrichten abgehen , als auch wegen der un- 
ermefsliphen Mannigfaltigkeit der Gegenstände 
imd der grofseu Zahl der Staaten, welche jetzt 
das Deutsche Reich ausmachen und de^en eini- 
ge Königreichen gleich sind^ manche derselben 
sie sogar übertreffen« iL. 

Es könnte jemand di^ Frtlge aufwerfen, war- 
um dann Deutschland geivade: ukiter allen Län- 
dern der Erde das einzige ^ey^ :.das keine tota* 
le Revolutionen erfahren, seine Einwohner und 
Sprache nie veräpdert habet, von einer fremden 
Kation nie erobert worden? Man könnte mit 
den Gründen , die "Tacitus in der vorangef ülir- 
ten Stelle bemerkt, antworten: weil Deutsch« 
land von den südlichen Nationen zu weit ent- 
fernt, zu unzugänglich sowohl von der Land- 
seite als vom Meere her gewesen > und beson- 
ders weil es ein zu rauhes Glitoa nnd einen za 



"9 

harten Boden gehabt habe^ als dafs irgend je- 
mand, der nicht in diesem Lande gebohren, 
darinne hätte wohnen wollen* Diese Gründe 
sind nicht sehr schmeichelhaft für einen deut« 
sehen Patrioten; aber sie werden auch durch 
Thatsachen widerlegt , besonders durch .die von 
den Römern während vieler Jahrhunderte vßr* 
geblich , obgleich mit grofser Anstrengung , an« 
gewandten Bemühungen^ um Deutschland zu 
erobern. Diese Gründe passen auch nicht auf 
die nördliche Völker^ welche Deutschlands Er- 
oberung vergeblich versucht haben, und noch 
weniger auf die neuern Zeiten, da Deutschland 
sich bis zu einem Grade von Cultur erhoben 
hat, dafs es den meisten der südlichen Staaten 
nichts nachgiebt , wenn es einige nicht über» 
trifft. * 

Eine gerechte Vaterlandsliebe leitet mich zu 
weit angenehmem Ursachen dieses Vorzuges 
unsrer Nation. Sie hat zu allen Zeiten zu viel 
Tapferkeit und zu viel Kraft gehabt, als dafs 
sie sich hätte von andern Nationen überwinden 
oder unterjochen lassen sollen; sie ist immer 
mehr durch den Einflufs des Clima, durch die 
physische Constitution der Körper, und durch 
die sittliche und politische Einrichtung der Ge* 
Seilschaft, und der Staaten tapfer und kriege- 
risch gewesen« Diefe Eigenschaften , diese Ur- 
sachen, und die Vorsehung, welche sie hervor« 



» I 



lao 

gebracht j machten die deutsche Nation fähig, 
Bevolutionen sn bewirken und nicht zu leiden; 
den grolsen Colofs des Römischen Reichs um* 
sustürzen ; die neuem Staaten von Frankreich, 
England I Spanien , Portugal und Italien *) zu 
erobern und zu stiften; und in ihrem eigenea 
Vaterlande eine grolse Monarchie zu errichten, 
welche dem ersten Blick nach unregeimäfsig 
und widernatürlich gebildet i also auch öftern 
Revolutionen unterworfen six seyn scheint, wel- 
che aber , menschlichem Ansehen nach , sich so 
lange erhalten mufs , als der Charakter und der 
Patriotismus der Nation und ihrer Regenten, 
so wie eine vernünftige Politik der benachbar- 
ten Staaten dauern werden. Dieses grolse po- 
litische System muis durch seine Läge , clurch 
die Natur seiner Constitution, durch das Gleich- 
gewicht und die Gegenwirkung seiner verschie- 
denen Kräfte und der Staaten, aus denen es 
zusammengesetzt ist, bestehen bleiben. Die Er* 
haltung desselben ist für das übrige Europa 
nicht nur wichtig , sondern wesentlich nothwen- 
dig. So wie das deutsche Reich gerade in dem 
Mittelpunkt dieses Welttheils liegt, und so wie 
es itzt zusammengesetzt und beherrscht ist, 
scheint e3 von der Natur dazu bestimmt zu 



*) Ich habe dkeseB itt meiner akiidemischen Abbandluog, 
yon der Überlegenheit der Deutschen etc, bewiesen« die 
ich in der Versammlttog vom 27. Jennier 1780 abgelesen. 



121 

seyn, das Gleichgewicht in demselben zu erhal- 
ten, jede Störung desselben unter den ver- 
schiedenen Mächten, und jede zu grofse und 
fiir die allgemeine Sicherheit und Freyheit zu 
gefahrliche Veränderuug zu verhindern* Wäre 
dagegen Deutschlaiid von einem ^ einzigen ehr- 
geitzigen und unumschränkten Souverain be- 
herrscht; so dürfte es diesem nicht unmöglich 
seyn, an der Spitze einer so kriegerischen und 
der zahlreichsten Nation von Europa, seine' 
Macht nach verschiedenen Seiten au^udehnen^ 
eine Menge scheinbarer Anspräche geltend zu 
machen , auf diese Art das Gleichgewicht der 
Staaten zu unterbrechen und die gröisten Re- 
volutionen zu bewirken. Man darf für das 
Wohl der Menschheit hoffen ; . dafs dieser Fall 
nie mehr eintreten , und man weder im deut- 
sehen Reiche noch im übrigen Europa zu ge* 
fahrliche Revolutionen ferner werde zu besorgen 
haben 9*) da die Verfassung des deutschen Reichs 
durch unsere innere Grundgesetze, durch Ver- 
träge mit Auswärtigen durch die Guarantie der^ 
selben, und vielleicht noch mehr durch die 
glückliche und verhältnifsmäfsige Vertheilung 
der Gewalt und der Kräfte der verschiedenen 
Glieder desselben , so vortreAich befestiget ist, 

■ 

^ Wie ich dieses schon umständlicher in meiner akadt* 
mischen Voirlesung vom vorigen Jahre bemerkt habe. 



122 

und besonders seitdem fast alle europäische 
Mächte nach dem Beyspiel unsers grofsen Kö- 
nigs, wohl uhierbaitene und dlscipiinirte ste* 
hende Armeen errichtet haben, deren Unter* 
halt freylich den Unterthanen viel kostet, aber 
sie auch vor dem unendlich gröfsern Übel der 
Kriege sichert, die ehemals die schönsten Län- 
der verwüsteten. Grofse Revolutionen sind da- 
her nur noph für die von Europa entfernten, 
oder diejenigen Staaten zu besorgen, die sich 
weder zu regieren noch zu vertheidigen wissen. 
Die Geschichte der Zukunft wird ferner nicht 
mehr durch das glänzende , aber für die Mensch- 
heit traurige und drückende Gemähide von 
gtofsen Staatsveränderungen, von Schlachten 
und von allen dem, interessant seyn, was man 
so sehr mit Unrecht grofse Begebenheiten nennt; 
Die Regenten werden künftig ihre Nahmen und 
ihre. Regierungen nur dadurch unsterblich ma- 
chen können, dafs sie die Rechtspflege, den 
Ackerbau, den Handel, und den ganzen innern 
Wol^lstand ihrer Staaten erhöhen und verbes« 
Sern; aber sie werden hierdurch eine weit fe- 
stere, bleibendere und ruhmvollere Vergröise- 
rung erreichen; als irgend eine auswärtige Er- 
oberung ihnen verschaffen könnte. 



12C» 



2) Einige allgemeine Betrachtungen über 
Sprachverbesserungen Don C. Garve. 



X^as Vorhaben der Akademie, an der Verbes- 
serung der deutschen Sprache zu arbeiten, ist 
gewils eines der nützlrcbsten » welches eine ge- 
lehrte Gesellschaft für die Sache der Wissen« 
Schäften und der yaterläadischen Litteratur un- 
ternehmen kann« Insofern diese Verbesse- 
rung nach durchdachten Gründsätzen und ver*^ 
möge richtigerer Einsichten in die Natur der 
Sprache, oder der auszudrückenden Sachen ge- 
schieht, läfst sie sich von den vereinigten Be- 
mühnngen vieler Gelehrten am ersten erwarten. 
Und insofern dabey auch willkülirliche Bestim- 
mungen eintreten müssen, weil Vernuaftgrün- 
de nicht alles in den Sprachen entscheiden, ist 
auch das Ansehn einer solchen Gesellschaft nütz- 
lieh, um die Einstimmung der Nation z^ die- 
sen Bestimmungen zu erhalten. 

Wie es aber, bey jeder Reform ößentlicher 
Einrichtungen, höchst wichtig ist, den Grad 
von Vollkommenheit, welchen man durch die 
bisherigen schon erreicht hat, und den, wel- 
cher überhaupt zu erreichen möglich ist^ zuvor 
zu untersuchen, damit man nicht entweder das 
erlangte Gute durch nnnöthige Abänderungen 



124. 

stöhre, oder in Absicht des Guten, welches 
man verspricht, übertriebne Erwartungen erre- 
ge! so ist es besonders bey den Bemühungen; 
eine Sprache, das Eigenthum einer ganzen Na- 
tion, zu verbessern, unentbehrlich, die Fort- 
achritte nicht zu übersehn , welche die Nation 
schon in Absicht der AusbUdung ihrer Sprache 
gethan hat, und noch mehr, zu bestimmen wie 
viel eigentlich Sprachforscher und Philosophen 
zu dieser Ausbildung im Allgemeinen beytragen 
können. 

Aber auch über diese Gegenstände habe ich 
der Akademie nur wenige Fragmente unvoll- 
kommner Ideen vorzulegen, deren Mittheilung 
mehr meinen Antheil an dem gemeinnützigen 
Unternehmen der Akademie zu bezeugen^ als 
einen wirklichen Bey trag zu dessen Ausführung 
zu liefern bestimmt ist. 

• 

Ich gestehe es , dafs ich , schon jetzt , unsre. 
Sprache für weit vollkommner. halte, als sie 
von den meisten derjenigen angesehen wird, 
welche so sehr nach einer Ausbildung dersel- 
ben verlangen. Ich «gestehe es, dais ich von 
der wissenschaftlichen Behandlung der Sprache, 
als eines Gegenstandes der Erkenntnifs^ zur Aus- 
bildung der Sprache als eines allgemeinen 
Werkzeugs der Ideen Mit^heüung, nicht so viel 
Nutzen erwarte, als man, nach dem gemeinhin 



125 

angenommenen Zusammenhange beyder End- 
zwecke , d^v.on zu erwarten geneigt ist. 

Ich kann mich irren, aber mich dünkt, 
dafs es nur die Nation selbst ist, die, durch 
die allmahligen Fortschritte in dem Umfange 
und der Riphtigkeit ihrer Erkenntnisse , die 
Sprache au&bildet; dafs, wenn die Bemühungen 
einzelner Personen dazu beytragen, diefs nur 
die grofsen Schriftsteller Sßyn können^ die mit 
ihren Ideen zugleich ihre Ausdrücke der Nation 
beliebt machen odei^ durch aufgestellte Muster 
einer zweqkm^Ikig gebrauchte^ Sprache , die 
Aufmerksamkeit der Nation auf die Beziehung 
ihrer Ideen erwecken; und dafs Grammi^tikeii 
und Wörterbücher, nebst allen den, Arbeiten, 
welche dißse beyde|i Hauptwerke def Sprach- 
kunde vorbereiten, oder ergänzen, nur den bi$ 
Jetzt erreichten Grad der Ausbildung ^der Spra- 
che , .a:(ig6bei^ , , allgemeiner ^bekannt machen, 
upd m methodisch geordneten Erklärungen un^ 
Regeln d%fs teilen, raber nur wf^l^ig thun kön- 
nen, diesen Grad zu erhöhen. 

Betrachte ich die deutsche Spraphe insbe- 
sondre, 40 wie sie sich, durch die Einwirkung 
aller angezeigten Ursachen , bis auf, den jetzi- 
gen Zeitpunkt wirklich ausgebildet hat: so 
scheint sie mir iin der That zu derjenigen Rei- 
fe gelangt zusejqi, bey welcher, an jedem Pro- 
dukte der Natur und der Kunst, die grofseu 



126 

Veränderungen aufhören, und nur der Genufs 
und Gebrauch noch einer erhöhten Vbllkom- 
menheic ßihig ist. Es scheint mir, dals ^ wenn 
die Werke unsrer Litteratur noch nicht in dem- 
Jenigen Glänze vor den Augen der übrigen Na- 
tionen erscheinen, mit welchem die alten, — 
oder die Englischen und Französischen Schrift- 
steller sie auf sich gezogen haben, diefs nicht 
Schuld der Sprache^ sondern der Schriftsteller 
und der Nation selbst sey; — - ilicht Unfähigkeit 
der erstem alle Yerschiedehheiteh des Schönen 
iind des Erhabnen auszudrücken , ' sondern die 
Gewohnheit der '^letztem , mit einer unvoll- 
Icbminnen Bezeichfiung eigner und fremder Ge- 
danken zufrieden zu seyn. Was der Sprache 
selbst in dieser Absicht mangelt^ ist entweder 
die mit einer eigenthümlichen Form noth.^en- 
dig verbundene Einschränkung jeder Sachet ^— 
ein Mangel, der deswegen allen' Sprachen ge- 
mein ist^ und keine gehindert hat^ sich in 
klassischen DfcHter- und Redner - Werken zu 
verherrlichen; oder es ist den angebomen Feh- 
lem unserer physischen Natur ^ähnlich , die 
durch keine Kunst weggeschafft, aber durch ei- 
ne kluge Behandlung jedes besondern Falles er- 
ti'äglich gemacht^ oder versteckt werden können. 
Die Erfordernisse einer voUkoihmhen Spra- 
che sind^ so viel ich sie einsehe, folgende dreyi 
erstlich , -daf$ sie , für alle wichtigen ' BegrifiFe, 



127 

die Wörter und Ausdrücke , versehen mit allen 
den Schattirungen, enthalte, deren die verschie 
denen Gemüthsstimmungen des Redenden^ oder 
die verschiednen Absichten der menschlichen 
Rede bedürf(dn können; zweitens, da/s diese 
"Wörter igenau bestimmte Bedeutungen haben, 
oder mit Begriffen verbunden sind, die, gleich* 
förmig und entschieden, in den Gemüthem al>- 
1er > welche die Sprache verstehn, durch sie er* 
weckt werden; drittens, dafs die Sprachey zur 
Verbindung dieser Wörter , hinlänglich zahlrei* 
che, dem Zusammenhange der Ideen' angemes* 
sene und dem Geschmacke gefällige Formen 
darblethe. Man könnte die beyden eisten Stük* 
ke die lexiographischey das dritte die gramma'^ 
tische Vollkommenheit einer Spracht nennen: 
weil Anzahl und Bedeutung der Wörter durph 
Wörterbücher, die 'Regeln ihrer Zusämmensez- 
zung durch Sprachlehren aufbehalten werden. 
Reichthum , Bestimmtheit und Gewandtheit der 
Sprache, sind drey andre, auch äur unvoUkomm» 
ne, aber doch auf die Sache hinweisende Aus* 
drücke jener Vollkommenheiten. . 

Was. den Reichthum der deutschen Spra- 
che betrifft: so scheineii mir ihre Schätze eben 
so grols, als die voii irgend einer Sprache, aber 
noch lange nicht allgemein bekannt genug zu 
seyn. Sie enthält für alle wichtigen Gegenstän* 
de des Denkens, 'und für alle Arten der Be« 



aa8 , 

handluQg dieser Gegenstände verständliche und 
geschmackvolle Ausdrücke. Aber da die An- 
zahl der Menschen, welche sich in Deutschland 
beelferni ihre Sprache gut zu reden und zu 
schreiben j bisher 'geringer, als.bej den zuvor 
genannten Nationen, gewesen ist: so sind auch 
jene Ausdrücke und Wörter noch nicht bey 
uns .in so allgemeinem Umlaufe , als die ähnli- 
che bey diesen; ;ie sind von den unschicklichen, 
zweydeutigen, oder geschmacklosen, im Sprach- 
gebrauche der gesitteten Stände, nicht so rein 
abgesondert; sie können von Schriftstellern und 
Rednern, welche nach der Vollkommenheit der 
Schreibart streben, für jetzt noch nicht anders, 
als durch eine Arbeit gefunden werden, welche 
die meisten scheuen, und zu der auch nur We- 
nige die nöthigen Talente mitbringen. 

Über, keinen Gegenstand iirt sich das 
menschliche Urtheil mehr, wenn es das Mögli" 
che nach dem Vorhandenen abmilst, als über 
die Sprache. S|chon oft hat man eine Sprache 
für unfähig zu gewissen Gattungen des poeti- 
schen oder rednerischen Stils gehalten, bis in 
der Nation, welche diese Sprache redete, der 
Mann erschien, der das Genie jener Gattungen 
besafs« Sobald die/s geschah » fand sich, dals 
die Farbe und das Eigenthümliche des Aus- 
drucks in kleinen Scbattirungen liege,- die. in 
einzelnen Wörtern njlcht b^merkbai* sii|d„ und 

nur 



129 

ni^ durch die Auswahl und Züsamiti^n&tellung 
vieler ähnlichen eihea auffallenden Eindruck 
machen ; es fand sich , dafs eben, dasjenige Ta^ 
lent| welches die Ideen einer gewissen beson-^ 
deren Gattung^ es mögen komische^ odererhabe« 
ne seyn, hervorbringt > zugleich das Talent sey^ 
die Worter und Wendungen iri der- Sprache 
aufzufinden^ M'elche der Natur dieser Ideen ent« 
sprechen» Als.Lessings eigner philosophischer 
Witt 9 sein schiieidender Scharfsinn^ und seine 
Gedankenfülle sich unter uns zeigten^ \Var al«* 
len Besonderheiten seines Genies. unsre Sprat^h^ 
so angemessen I und sie nahm die sehsamsteii 
Formen seiner Ideeh mit solcher Gesöhmeidig« 
keit.au) . ddfs es schien > als wenn nur er ein 
recht originell * deutscher Schriftsteller wäre^ • 
Und doch both zu eben dieser Zeit eben diese 
Sprache dem ruhigen Denker , MosA Mendels^ 
sohn^ der die gröf&te Deutlichkeit mit einem- 
sanften Flösse der Rede suchte > alle Worten, 
und Redensarten eines rein philosophischen^. 
Stils an» Mit Gothe wurde unsre Sprache > auf 
eine vprlier noch nioht gesehene Wdiae> launi^^ 
erhaben und rülirend> ohne doch weniger, echt 
deutsch au bleiben. Bey Wieland erstfaeint «sie . 
mit allen Faijben dea Ausdruöks ^ die eine üp* . 
pige Einbildungskraft » ' und mitteilen Feinhei»* 
ten verseheil > die der ekle Geschn^ack eiiieir 
Weltmanns verlangti Sie rersagtä Eng^elh nich€> 

1 



i3o 

die Fülle einer blühenden Beredsamkeit, Jed#r 
neue grolke Kopf hat immer seine eigenthümli- 
i^e Geistesgestalt in ihr sichtbar machen kön* 
nen. Und wenn die Folgeeeit noch Talente 
unter uns erwecken wird^ wovon wir bisher noch 
kein Beyspiel gesehen haben, so wird unsre 
Sprache der Ausübung derselben gewils kein 
Hindernifs in den Weg legen. 

Es giebt eine Erscheinung, welche die Mei- 
nung, da(s unsre Sprache arm sey, hat veran- 
lassen können. Das ist die , dafs wir so viele 
ausländische Wörter in unsern wissenschaftli- 
dien Vortrag, und selbst in die Reden des ge- 
selligen Umgangs mischen. Es ist daher mit 
unter die Arbeiten , welche die Akademie über- 
nimm.t und leitet, gesetzt worden, dafs in die Stel- 
le der unter uns üblichen französischen und la- 
teinischen Wörter und Redensarten, ursprüng- 
liche deutsche aufgesuchet werden sollen. Die 

' Absicht ist löblich: und wenn sie gelingt, -— 
das heifst, wenn die von einem Gelehrten ver- 
suchten Übersetzungen jener Wörter wirklich, 
ich will nicht sagen, von der je^anzen Naäon, 
sondern nur von dem gjsöfsten Theiled^ guten 
Akrifisieller angenommen werden:— »so ist der 

. Erfolg nützlich. Aber an sieb scheint mir das 
Übel, welchem man dadurch abzuhelfen ^ucht, 
nicht sehr grols zu seyn^ und die Wirksamkeit 
des, Hülfsmittels ist zweifelhaft. 



i3i 

Es ist freylich ein Übelstand und eine Un- 
bequemlichkeit, dafs wir ausländische Wörter 
in unsre Sprache* misdien, weil wir glauben 
die damit verknüpften Ideen durch keine deut- 
schen ausdrücken, und doch ihrer nicht entbeh* 
ren zu können. Indefs haben wir diesen Übel- 
stand und diese Unbequemlichkeit, mit den mei« 
sten Sprachen und Nationen der Welt gemein; 
und bey kedner bat er den höchsten JFlor der 
Beredsamkeit, und die vollkommenste Kultur 
der Sprache verhindert» Die lateinische Spra* 
che . hat. jgriechifche Wörter in großer Menge 
aufgenommen , und nie mehr , als da sie selbst 
am meisten ausgebildet war« Die Franzosen ha« 
ben auf gleiche Weise* von d«n Lateinern und 
Italiänern, die Engländer von den Franzosen, 
Wörter sowohl, ab* Redensarten entlehnt, und 
thun es noch täglich. £s ist auch beinahe 
unvermeidlich, dafs eine' Nation, die von einer 
anderen lernte und' aus deren Schriften ihren 
Ideenfonds bereichert, auch aus der Sprache 
derselben Wörter cur Beziehung der neuen 
Ideen aufnehme. 

Nur ein einziger Umstand hat diese allge«», 
meine Gewohnheit der Völker, Wörter von 
früher aufgeklärten Ausländem zu borgen, für 
uns Deutsche unbequemer gemacht, als sie füV 
unsre südlichen und westlichen Nachbarn ge* 
worden ist* . Die Sprachen dieser sind aus dem 

I a 



Lateinischen entstanden^ ffi^^ c^us der Spra- 
che derjenigen Nition, von welcher sie zuerst 
Wissenschaften und Kultur empfangen hatten. 
Die Römer waren, in Absicht der Griechen^ 
in dem nahmlichen Verhältnisse. Dieser Um- 
stand macht, dafs die Franzosen und Englander 
die wissenschaftlichen Wörter der Lateiner, die- 
se die Kunstwörter der Griechen» und jede 
dieser Nationen, die ihr gefallenden Idiomen 
der andern' leicht in ihre Sprache haben über- 
tragen, und durch kleine Yeränderungen , den 
Analogien derselben yöllig anpassen können« In 
der deutschen Sprache, eis ein^n ursprüngli- 
chen, ist diefs unmöglich .gewesep. Und in der 
That , so. grofs a^uch, in andrer Absicht , der 
Vorzug der Originalität aejn mag: -so erhalten 
doch die aus dem Lateinischen abgeleiteten 
Sprachen dadurch einen überwiegenden Vor* 
theil, dafs sie die dem Vortrage gelehrter 
Kenntnisse 'vorlängst gewidmeten Ausdrücke, 
aus der Sprache , die lange Zeit die einzige 
Auibewahrerinn solcher Kenntnisse war, auf- 
nehmen und sich eigen machen können, ohne 
durch das 'ausländische Ansehn derselben ent- 
stellt ^VL werxlen. 

Qoch haben wir uns in dieser Absicht auf 
mannichfaltige Weise zu - helfen gewnfst: undda, 
um' ein Wort als einheimisch bistrachten zn 
können, alles darauf ankömltit, daft es dem 



i33 

Höreäden yerständlioh ^ und dem Redeoden ge- 
läufig sey: so dürfen wir wohl gewisse bey uns 
eingeführte französische Wörter, als Interesse f 
NaiVf Genie, wirklich für aufgenommene deut- 
sche gelten lassen. Sie sind den Deutschen, 
welche die französische Sprache verstehen, (und 
diese machen einen- grofsen Theil der gesitte- 
ten Stände aus,) nach Aussprache und Bedeu** 
tung so durchaus bekannt, und kommen de- 
nen, welche jene Sprache nicht verstehen, doch, 
in Reden und Schriften so oft vor: daß fast 
keinem deutschen Ohre diese Töne mehr fremd 
sind, und den Sprachwerkzeugen Weniger ihre 
Aussprache Mühe macht. Solche ausländische 
Wörter mit einheimischen zu vertauschen, wür- 
de, zwar an sich die Reinigkeit unsrer Sprache 
erhöhen : aber es würde nicht ohne Aufopfe- 
rung in der Deutlichkeit solcher Ideen gesche- 
hen könnön, welche uns, durch den langen 
Gebrauch, unentbehrlich geworden sind , und 
es witrde doch der empfundenen Annehmlichkeit 
der Rede, worauf am Ende alles ankömmt^ nur 
wenig zusetzen« 

Es ist sicher , dafs alle selbstdenkende Men* 
sehen oft in einen Ide^ngang gerathen, zu des- 
sen deutlicher Darstellung ihnen Wörter mit be- 
sondern Bestimmungen nöthig wären , derglei- 
chen die Sprache nicht darbiethet* Es ist si- 
cher^ dais Personen, die mit fremden Spra« 



i34 

chen, oder mit besonderea Dialekten ihrer ei 



genen frühzeitig bekannt geworden sind, oft zu ih- 
ren Gedanken keinen so angemessenen Ausdruck, 
ab in den Wörtern jener Sprachen und Dia« 
lekte finden. Der Wunsch, der daraus bey die* 
sen Personen entsteht, dais die vaterländische 
Büchersprache alle diese mannichfaltigen Scbat- 
tirungen der BegrifTe, die sie in verschiedenen 
Sprachen und Dialekten zerstreut gefunden ha« 
ben, vereinigt enthalten möchte, ist natürlich. 
Aber die Klage über Armuth der Sprache, weil 
ihr solche Schattirungen mangeln , ist unge- 
recht; und der Versuch, dieselben durch Ein- 
verleibung der fremden , der veralteten, oder 
der ProvinciaU Wörter zu geben, ist von zwei- 
felhaften) Erfolge. 

Es ist allerdings eine zur gelehrten Kennt- 
nifs der Sprache sehr nützliche Arbeit, die Ab. 
weichungen der Dialekte von der Bücherspra- 
che, und die Abwechselungen der Sprachfor- 
roen in verschiednen Zeitaltern zu erforschen 
und aufzuzeichnen: aber aus diesw verborgnen 
Sprachschätzen, die einzelnen Provinzen eigen 
sind, oder den vergessenen, welche unsern Vor- 
fahren zugehört haben ^ den Fonds der jetzigen 
Nationalsprache zn bereichern , diels kann nie 
die unmittelbare Folge einer solchen Arbeit 
werden. Die Aufnahme neuer Wörter in die 
gangbare Sprache geschieht, so ausdrückend 



i35 

\ 
t 

Sie sejn mögen , nicht durch Wörterbücher, 
welche solche sammeln und empfehlen, sondern 
durch vortrefliche , Schriften, in welchen sie 
glücklich angebracht worden sind. 

Zuerst» was allgemein gebraucht werden 
sqII^ mufs allgemein bekannt seyn: und wie 
kann ein neuer Ausdruck zur Kenntnifs der 
Nation gelangen^ als wenn er in Schriften vor- 
kömmt, welche die ganze Nation lieset. — - 
Zweytens^ jedes fremde Wort hat im Anfange 
die öffentliche Meinung wider sieh. £s ist un- 
verständlich^ und macht durch seine Auslegung 
Mühe; — es i^t fremd, und stört deshalb die . 
Aufmerksamkeit. Diese Hindernisse seiner Auf- 
nahme kann nur der grofse Schriftsteller bey 
dem wirklichen Gebrauche überwinden , indem 
er, an dem Orte, wo er es hinstellt, durch die 
Helligkeit der ganzen Idee Licht über diesen 
unbekannten Theil zu verbreiten, und fiir die 
unterbrochne Aufmerksamkeit durch die Stär> 
ke des letzten Eindrucks za entschädigen weifs. 
Auf diese Weise geht, von Zeit zu Zeit, ein 
oder das andre veralterte oder Provinziaiwort in 
die allgemeine Sprache über , wenn durch den 
Ruhm des Schriftstellers, der es zuerst ge- 
braucht hat, oder durch die einnehmende 
Schönheit der Stelle seines Werks, in welcher 
es zuerst vorkam, das Andenken dieser Neue- 
rung hef der Nation erhalten ^ und die .Nach- 



i36 

ahmung derselben Tertnlasset vdrd. Aber nie 
wird es möglich sejm, eine ganze Sammlung 
solcher Wörter , mit so vieler fansichc auch 
die Sammlung gemacht^ und durch so gute 
Gründe die Wörter darin empfohlen seyn mö» 
geni SU einem Mittel einer wirklichen Sprach- 
beieicheruug im Reden und Schreiben zu er- 
heben« 

Nach einem hinlänglichen Vorrath von 
Wörtern y ist eine genaue Bestimmung ihrer 
Bedeutung, das gröfste £rrorderniis einer ge- 
reiften und vollkommenen Sprache, Nicht nur 
ist es, ohne eine solche Bestipimung dem He- 
denden unmöglich vollkommen deutlich zu 
seyn, -r-r das heifst genau gleichförmige Ideen 
mit denen ^ welche er selb&t hat, in den Gemü- 
tbern seiner Zuhörer zu erwecken; sondern es 
wird ihm auch schwer beredt ^u seyn^ indem 
das vornehm3te Hülfsmittel der Beredsamkeit, 
die Auswahl solcher Wörter, deren feinere Ne- 
benbegriffe den Eindruck der Hauptbedeutuug 
unterstützen, In einer Sprache wegfallt, in wel- 
cher diese Nebenbegriffe noch nicht hinlänglich 
unterschieden sind« 

Die Schönheit des Stils hängt fiberhaupt 
weit mehr , als man glaubt , von der Richtig- 
keit der Gedanken ab, r-^ aber vom einer Rich- 
tigkeit, welche, bis auf Kleinigkeiten , genau 
4$t j und 3ugleich 4w^h die Qezeichiiung >der Spra- 



ehe, \He der Gliederbau ^ines schönen Kör- 
pers, durch -ein passendes GeWand durchschini* 
mert. Die Beziehungen der Ideten nähmljcfa 
müssen so genau ^ als es möglich ist,, durch 
die Beziehungen der Wörter dargestellt werden. 
Aber um »diese Beadehungen der Wörter auf 
einander mit hinlänglicher Xlarheit zu empfin- 
den, ist es nothwendig , dafs ihre Bedeutungen 
eine gewisse Präcision haben. 

Doch auch bey diesem ^Punkt6 findet sich, 
dafs die VoUkomxnenheit, die man sucht, in 
dem Geiste der Nation liegt, und der Sprache 
nur dann erst mitgetheilt werden kann, aber 
auch dann von selbst ihr eigen wird^ wenn die- 
ser zuvor bis dahin gelangt ist. 

Über welchen T|ieil der Gegenstände die 
Erkenntnisse einer Nation noch im Dunkeln 
sind, über eben diese werden ihre Ausdrücke 
noch zweydeutig und schwankend seyn« So wie 
sie die Eigenschaften der Dinge mit mehr Ge- 
wiTsheit kennen lernt ; so ergeben sich auch die 
Merkmahle bestimmter, nach' welchen deti DiuT 
gen ihre Nahmen in der Sprache ausgetheilt 
wordien sind. Sa wie sie den Ursprung und die 
Zusammensetzung der selbst gebildeten ' Ideen 
genauer erforscht, so lassen sich die Wörter, 
welche solche Ideen bezeichnen, schärfer defi« 
niren. Eine unmittelbare Bearbeitung der Spr««^ 
choi als Spraobe» kann hier wenig ausrichten« 



i38 

Die Bearbeitung der Wisse uchaften miifs vor« 
hergehen. Sind diese bis auf den Gradjrön Voll« 
kommeDheit gestiegen j wo sich in den Begrif- 
fen des Menschen Licht und Finsternis von 
einander scheidet y *— wo der Mensch das Be- 
wustseyn erhält von dem was er weiis, und 
was er nicht weifi: so verlieren sich aus der 
Sprache» in welcher diese Wissenschaften re- 
den , immer mehr die Wörter , welche von ei- 
ner unerklärlichen Bedeutung sind, weil sich 
die Begriffe selbst verlieren, welche keinen re- 
ellen Gegenstand haben. 

Derjenige Theil einer Sprache, welcher am 
frühesten zu einer genauen Bestimmiing der 
Bedeutungen kömmt , ist der , welcher körper- 
liche und sichtbare Gegenstände bezeichnet. 
Dieser kann sogar in keiner Periode der Kul- 
tur ganz unbestimmt seyn» weil Menschen mit 
gesunden Augen Farben und Gestalten iiAiner 
gleich gut untersöheiden. Ja., in einer frühero 
Periode, wenn die Gegenstände der Sinne die 
Aufmerksamkeit des Menschen au^schliefsend 
beschäftigen, und seine Sinne selbst noch schär- 
fer sind, — * werden manche Beschaffenheiten 
und Veränderungen der Körper, welche in der 
Beobachtungssphäre der Nation vorkommen, ge- 
nauer bezeichnet , und haben in der Sprache 
eine gröfsere Anzahl sie abschildernder Nahmen I 
und Ausdrücke , als in den folgenden Perioden I 
höherer Geistesbildung. 



) 

Der wahre Unterschied zwischen einer kul- 
tivirten und einer rohen Sprache liegt in dem- 
jenigen Theile derselben^ welcher unsichtbai*e 
Gegenstände , geistige Eigenschaften , abstracto 
Begriffe^ logische^ moralische und politische Ver- 
hältnisse ausdrückt. 

So lange bey einer Nation das Gharakteris* 
tische der verschiedenen Fähigkeiten und Ope- 
rationen des Geistes noch nicht bemerkt wor- 
den ist, und Neigungen und Leidenschaften^ 
Tugenden und Laster noch nicht so weit un-* 
tersucht worden sind , um classificirt werden za 
können; so lange, wird es, in ihrer Sprache, 
nicht nur an Wörtern für diese Gegenstände 
fehlen; spndern die vorhandnen Wörter werden 
auch keine bestimmten Arten derselben ange- 
ben, sondern nur die höchsten Gattungen, mit 
einigen ' Neben begriffen verbunden , bezeich- 
nen. Man wird aus ihrer Rede nur so viel 
verstehen^ dafs die Menschen dieser Zeit anfin- 
gen in ihrem Geiste gewisse leidende und thä- 
tige Veränderungen wahrzunehmen: aber man 
wird darin keinen so bestimmten Sinn finden^ 
um ihre Beobachtungen und Gefühle mit den 
in unsem Sprachen ausgedrückten zu verglei- 
chen. In der That finden wir in der Sprache 
der ältesten biblischen Bücher, für moralisclia 
Gegenstände mehrere Wörter, welche wir genau 
^u übersetzen nicht im Stande sind^ und wel- 



. 
che, nach allem, was uns die Ausleger darüber 

sagen, dunkel bleiben, eben weil sie etwas un* 

bestimmtes und eu viel umfassendes bedeuten. 

Von dieser^ Art ist beym Homer das lobende 

Wort, ufiflfitt^i itnfcin$if und dß,s tadelnde ^r»«^^^' 

Aus eben dem Grunde aber, aus welcbem 
die Bedeutungen der Wörter einer * Sprache 
nicht bestimmt seyn können, wenn die, welche 
sie reden, über die Sache nicht bestimmte Be< 
griffe haben, mufs folgen, dafs, so lange in ei- 
ner Nation, die Begriffe Hiber intellectuelle und 
moralische Gegenstände nicht einstimmig, die 
Meinungen getheilt, die Kenntnisse nicht allge- 
mein ausgebreitet sind , auch die Bestimmupg 

* 

der Wörter nicht allgemein, dieselbe seyn kann. 
Je mehr oder weniger bey einer Nation die 
Nachfoi^schungen der Philosophie in allgemeine 
Aufklärung übergegangen sind; d^sto mehr 
oder weniger wird auch in ihrem gemeinen 
Sprachgeliftrauche Bestimmtheit herrschen. Ist 
bey ihr nur eine einzige Philosophie herrschend, 
so, werden die BeM:immungen gleichförmig seyn. 
Da, wo mehrere Systeme mit einander streiten, 
dergestalt, dafs auch das Publicum an diesem 
Streite Theil nimmt, und sich in seiner Den- 
kungsart oder in seinen Meinungen auf eine 
ähnliche Art theilt; da wird auch der Sprach- 
gebrauch schwankend seyn, t-i ausgenommen in 



i4i 

Bezeichnung derjenigen Begriffe/ über welche 
sich alle Parteien vereinigen. .Der grofsQ Hau-'^ 
fe aber/ bis zu weichem die Fortschritte der 
wissenscfaaf clicheu. Ericenntnila in Absonderung 
und Verknüpföng äbstracter Begriffe nicht* 
durchgedrungen sind, wird in seinem Sprach- 
gebrauche immer etwas von dem willkührli« 
chen , ungewissen ' und schwankenden älterer 
Zeiten behalten. Ja, da dieser grofse Haufe 
durch sein bestäitdiges Verkehr mit detn besser 
unterrichteten Theilejder Menschen ^ auch auf 
diesen und dessen Sprache zurückwirkt: so Wer*- 
den im Gebrauche deB gemeinen Umgangs vie» 
le Ausdräcke noch so lanrge unbestimtut blei* 
ben> bis eine gleichförmigere Aufklärung alle 
Stände erleu^hteu wivd« . • ! » . i < : . 

Eine neue Folge der ^ obigen Grund^tzo 
ist: dafs mit jedem Fortschritte der philosophi«'» 
sdhen Wissenscbaiften , mttj'eder neueii Wen« 
düng der pfailosophisühen Denkungsart', wenn- 
beyde :Sich in der'J^tation ausbreiten, auch sich 
die Bedeutung der Wörter ändert, und dafs*e^^ 
also nicht möglieh ist, sie, durch die vereinige 
te Arbeit der gröf&ten Sprachkilnstler , zu ir» 
gend einer Zeit , auf eine uuwiderruiliche Wei- 
se zu fixiren. *) 

■ « — , ' ■ : '■ " — f ^" I 

*) Die. welche unler utos der Kantiachen Philosophie 
Beyfall geben, hat>ea «wischea den Wörtern Verstand 
und Vernunft, Idee und Betriff, Begriff nnA VonteU 



i4a 



gutes Wörterbuch kann sehr viel thun: 
es ist unter allen Hülfsmittelii ,- welche die 
SpracbeoiLunde den Dichtern und Prosaisten der 
Nation darbietbet^ das grölste. £s kann zuerst 
die Begriffe angeben, welche die einsieht^» voll- 
sten und vom Gegenstände am besten unter- 
richteten Personen der Nation mit den Wör- 
tern verbinden 9 und der entstandnen Einstim- 
migkeit gleichsam das Siegel aufdrücken. Es 
kann , zweyteos , die Verschiedenheiten aufsah- 
^en, die in. den Bedeutungen derselben Wörter 
nach Mafsgabe dar über die Sachen bey der 
Nation noch fortdauernden Mifshelligkeiten , in 
der Sprache statt haben , lund durqh erleichter* 
te Vergleichuog i»ntweder die Freyheit der 
Wahl aufrecht erhalten, oder auch den Weg zu 
einm: Vereinigung > bahnen. Es kann endlich, 
indem '4^ Verfiisser. seine eigne Meinung er- 
klärt^ «ine bedeutende . Stimme aur Bey- 
legung der Müshelligkeiten geben; •*«* eine 
Stimme^ die um' desto mehr.beym Publicum 
gflt^n wird, je mehr bey der Abfassung eines 
Wörterbuchs dessen Verfasser Gelegenheit hat, 
sßine eigne, richtige Art zu denken, oder seine 



*■■■• ■< 



lung, Unterschiede eingeführt, die unsre Sprache cuvor 
Bichc anerkannte« und die doch, wenn jene Philoso- 
phie aDgemela bcrrtchend wird, dife gemeine Bedeutung 
dieter Wörter beatimmen werd^n^ 



s. 



143 

Bekanntschaft mit. dem gegenwärtigen Zustande 
der Philosophie seines Volks zu erproben. 

Wir haben schon, ' ron der Hand eines ein- 
zelnen Mannes , ein Deutsches Wörterbuch er» 
halten, das, in Betrachtung der Schwierigkeit, 
welche eine solche Arbek für den ersten Un- 
ternehmer hat> durch seine VöUkominenheit in 
Erstaunen setzt. ' Dieses liob gebührt Adbrn^ 
gen wirklich: und die Akademie wird gewi/s 
bereit seyn, es ihm zu ertheilen. Aber ^ie wird 
sich noch immer >ein grölses Verdienst erwer- 
ben können, dasjenige auszufeilen, zu berichti- 
gen, oder zur Gewifsheit zu bringen, .was bey 
Adlungen Mangelhaft, unrichtig, oder wenig- 
stens noch nicht durch allgemein» Etnstimmnng 
bestätiget ist, ' , \. :, 

Indefir auch dieses neue Wörterbuch^, und 
selbst das ydJtkotnAienste, welches sich, denken 
läfst, wird diejeni'ge^ Unbestimmthdit der Wör-. 
ter nicht aufheben, die entweder 'daraus e»t«* 
steht, weil gewisse Begriffe wirklich nochnieht 
aufs klare gebracht worden sind , öder daraus, . 
weil die von Philosophen geläuterten Begriffe 
noch nicht -dem gi^öfsern Theile der Nation be^* 
kannt, und- von ihm genehmiget worden sind»'* 
Das Wörterbuch kann ■ nichts- beytragen , die ; 
Sprache , im «eigentlichen Verstände, zu fixiven, • 
oder die Entstehung neue» Wörter , ' und neuer ^ 
Bedeutungen der Wörter, «nd das .¥efdten 



v._ 



i44 

bisher iibliclier BU*v6thind«rti, wenn neue Ent« 
deckuDgea^ neue Speoulationen -«^ und selbst, 
wenn allgemein blendende Irrtliümer die Na- 
tion von der bi&berigen Bahn ihrer Ideen auf 
eine neue führen. Ja . es würde sogar ein Un. 
glük für eine Nation Bcyn, wenn das Werkzeug 
ihres Denkens f durch* irgend eine Ursuche.^ so 
hart und steif würde ^ daCi es sich yon nun an* 
nicht mehr in die Wendungen und Abwechse- 
lungen fugen wollte f. welche , nach dem Laufe 
der Natur» i unvermeidlich von »Zeit zu Zeit in 
den Ideen und Überseugungen d<^r Nation, 
vorgehen. .1 • - r • 

Wenn irgend ein Tb^ili der menschlichen 
Angelegenheiten unter etinet demokratischen Ver* 
waltung steht, so ist es die Sprache* In an*' 
^m Sachen kann sich das Volk den Aussprü«- 
dien einiger Weisen unterwerfen; über die 
Sprache m^uls es selbst gdbie^en, wenn diese 
ihm verständlich und'brauchbfir seyn soll. We* 
nigstens müssen die Aathschläge. der Gelehrten 
erst die Sanktion der Vplkstimme erhalten, ehe 
sie zu wirkliche^ Sprachgeseteen werden. D^t, 
welcher für das grofse Publicum schreibt, wird 
üich immer hüten Wörter in atodern Bedeutun-^ 
gen tvL brauchen , als in- welphen sie von dem 
gröftern Theile verstanden werden«* er wird so^ 
gar, in kleinem Sachen ^ dem> was er selbst 
billigt^ entgegen handeln 1 um nur in den wich* 

tigern 



.145 

tigern den 2^weck seiner Red^ nicht zu yer- 
fehlen. . . ..• . ; ,, 

Wenn (Jemnflch/ durch ille die Ursachen, 
welche auf den Gesteines Vjolks mrken, seine 
Meinungen T|nd Begriffe« von -dem -Standpunkte 
sich entfernen, öuf welchem sie die Veifasiser 
des Wörterbuqhs. fanden; «o wird: der sich 
darauf .bezieteqde .Theil desselben ^ - mit der 
Sprache zugleich^ deren Ausleger e.r. i^t, ver- 
idten. -*- Diesen Satz^ hat die Erfahrung bey 
allen vor uns kultivirten und ihre,, Spijache kul- 
tivirenden Natipnen bestätiget. Sq: sehr auch 
die Franzosen das Dictionär ihrer^ Akademie 
vom Anfange her schätzten, einer Akademie, die 
ausdrücklich zur Vervollkommnung 4er Sprache 
errichtet worden war: .^o hat döofc- alles An- 
sehn dieses Buchs die Veränderungen. der Spra- 
che und die Neologien nicht verhüten können, 
wovon s^it- dieser Zeit, freylich viele nur als 
Meteore erschienen, um ^u blenden, und bald 
wieder vergessen zu werden ,r einige aber als 
wirkliche Bestandtheile sich der. allgemeinen 
Sprache einverleibt haben* 

Das dritte ErjEordernifs einer yollkommnen 
Sprache ist die^.Mannichfaltigkeit und Schick« 
lichkeit der Formen , welche sie zur. Yerkaüp* 
fiing der Ideen darbiethet. . / ^ . 

Diese Formen sind, so Wie ioh die Sache 
einsehe^ von x^ejetlej Art. , I^id. emen . würde 

K 



i46 

ich die grammatikalischen , die andern die phra- 
aeologiachen nennen; beyde sind mehr oder 
weniger in jeder Sprache bestimmt. 

I 

Zuerst hat jede Sprache gewisse Regeln, 
theils für Abänderungen in den Endungen und 
in der Gestalt der^ einzelnen Wörter, ^eib für 
deren Stellung, theils für den Gebrauch gewis« 
ser Verbindungswörter, die sämmtlich darauf 
abzielen^ die einzelnen Wörter zu einem Satze^ 
und mehrere Sätze zu einer vollständigen Rede 
zu vereinigen. Diese Regeln sammt und son- 
ders enthält die Grammatik; ja die Sammlung 
derselben macht die Grammatik aus. Alles; 
was unter dem Nahmen der Declinationen und 
Conjngatioöen bekannt ist, besteht in nichts 
anderm, als in solchen kleinen Umwandlungen 
der, die Kenn- undZeitwOTter der Sprache com- 
ponirenden Laute, wodurch gewisse Beziehungen 
ihrer Begriffe, zum -Behufe der künftigen Ver« 
fcnüpfung derselben mit andern Begriffen, der 
Natur des menschlichen Denkens gemäfs, zun! 
voraus und im Allgemeinen angedeutet werden. 
Der zweyte Theil der Grammatik ist der Syn- 
tax, der von den Regeln, wi^ die Verbindung 
der Ideen, durch die Stellung der Worte, durch 
die Auswahl der Declinations - und Conjuga- 
tionsformen, und durch eigne Verbindungspar- 
tikeln auszudrücken sey, den Nahmen hat, so 
wie sie dessen Inhalt ausmachen. Was Gram- 



t47 

matik sonst noch in sich begreift^ ist allgemei- 
oe Theorie der Sprache überhaupt^ angewandt 
auf die Besonderheiten der einzelnen Sprache^ 
deren Elemente sie lehrt. 

In diesen grammatikalischen Formen, — 
sowohl denen, welche durch die Flexionen def 
Wörter die Ideenverbindung gleichsam vorbe- 
reiteü, als denen, welche durch die Anordnung 
derselben die Ideenverbindung vollenden, < ~ 
kann eine Sprache vor der andern unstreitig 
grofse Vorzüge haben, nachdem sie eine grdfsre 
Anzahl von Ideenverkniipfungen , nachdem aie 
sie deutlicher und mit minderer Zwejdeutigkeit, 
und nachdem siOiSie endlich mit mehr Anmüth 
und Wohlklang anszudrücken weifs. Aber diefs 
ist grade der Punkt, über welchen Wissenschaft 
und Arbeit des Sprachkünstlers am wenigsten 
vermag, wenn es darauf ankömmt das Feh [er* 
hafte zu verbessern, oder das Mangelhafte zu 
argänzen. Je einfacher und scheinbar gering« 
fügiger diese Elemente der grammatikalischen 
Vollkommenheit sind> desto tiefer sind sie, mit 
dem ersten Erlernen der Sprache in der Kind- 
heit, d^ni menschlichen Gemüth eingedrückt; 
und eine Nation wird eher hundert neue Wör- 
ter und unbekannte Redensarten aufnehmen, 
ehe sie sich in den Deelinationen, Conjugatio- 
nen, und in dem Syntax ihrer Sprache das 
mindeste ändern liefse. Hier also kann der 

K a 



U8 

Gcammatiker nichts tbuo, ab das was yorhan- 
den und durch den Sprachgebrauch festgesetzt 
ist, auf die lichtvollste Weise und in der bes- 
ten Ordnung vortragen; er kann die Freyheit 
zeigen y die, bey allen Fesseln, welche die 
Grammatik auflegt, dem Redenden noch übrig 
gelassen ist, das Bessere vor dem Schlechteren 
zu wählen. ikUe wirklichen Verbesserungen 
der Sprache aber, s.o fem dieselbe noch mög- 
lieh sind, muis er denen überlassen^ welch« 
die Sprache wirklich zur Darstellung ihrer Ge- 
danken gebrauchen, -— womnter ohne Zweifel 
die greisen Schriftsteller, wegen ihres Einflusses 
auf die ganze Nation, den ersten Rang einneh- 
men. Diese können vielleicht, durch eine öfte- 
re glückliche Wahl unter mehreren, gramma- 
tikalisch gleich richtigen, aber logisch oder 
ästhetisch ungleichen Formen der Ideenverknü- 
pfung, naph und nach ^die Nation zu dem best- 
möglichen Gebrauche ihrer Sprache gewöh- 
nen. — Deutlichkeit und Anmuth des Aus 
drucks ist immer anfangs nur das Werk de;S 
Fleifses und der zweckmäfsigen Bemühung eini- 
ger wenigen. Es kann aber, wenn deren Schrif 
. ten aligemein gelefen und nachgeahmt werden, 
zu einer Gewobnheitssache aller gesitteten ^tän 
de, der Nation werden; in welchem Fall es eio 
Eigenthum der Sprache zu seyn scheint, ,ob es 
gleich immer mehr eine Fertigkeit der Men- 
schen bleibt^ welche die Sprache reden* 



^ »49 

Eine zwejte Gattung der Formen zur V^r-- 
bindung der Ideen liegt in der Phraseologie* 
So wie die Grammatik die Natur der verschie- 
denen Beziehungen in abstracto^ und derejd Be- 
zeichnung in der Sprache bestimmte^, so be- 
stimmt die Phraseologie die Fundamentalverbin- 
dungen zwischen den Ideen in^^ncreco^ inso-* 
fem dabey schon ihre Gegenstände in 'Betrach- 
tung kommen. 

Aber kann diese Phraseologie als ein Theil 
der Sprache angesehen werden^ oder ist sie 
blofs die Sache der Beredsamkeit? Eine kurze. 
Auseinandersetzung dessen, Was Phraseologie 
heifst f wird vielleicht zur Beantwortung dieser 
Frage führen. 

Phrases oder Redensarten sind nichts an- 
ders als Fragmente von Gedanken >'—* das au^ 
einigen verbundenen Ideen Zusammengesetzte,.. 
das zwar noch keinen vollständigen Sinn giebt» • 
aber als Bestandtheil.in vielen Sätzen vorkQmn).t|^ 
und das,— wenn die Wörter »das rohe Mate- 
rial der manschlichen Rede vorstellens, r— ails . 
die erste Vorarbeit des Fleißes zur HervorbriH- 
gung dieses Kunstwerke anzusehen ist^ 

Die Zusammensetzung einiger von -solchen 
Phrasen ist 'durch die Natur der verbundenen 
Begriffe durchaus Jbestimmt ; bej disr Zusam-* 
mensetzung anderer herrscht ip^hr Freyheit der 
Wahl und daher ^rölsce . Yerscbiedenheiti«. Es 



iäo 

giebt unentbehrliche Phrasen, welche allen 
Sprachen gemein sind; es giebt in jeder Spra- 
che gewisse Grundphrasen ^ die jedem , welcher 
die Spraclie versteht, bekannt seyn müssen, und 
die keiner, welcher sie spricht oder schreibt, 
williiührlich umändern darf. Aber es giebf 
noch' mehr Piirasen, die erst mit jeder neuen 
G^laakenreihe enCstehn. ^-* Im Ganzen haben 
unstreitig Dichter und Redner über diese Zu- 
sammensetzungen weit mehr Gewalt, als über 
die- ein2elnen Wötter. Durch wohlgewählte Ae- 
densarten können sie*, nach meinem Urtheile, 
über die Verbesserung und Ausbildung der Spra-* 
chen einen reellien Einflufs erhalten. 

Wer nähmlich Ideen hat, welche bis auf 
ihre Elemente neu sind, der mufs auch diese 
einfachsten Composita, — 'diese Bruchstücke 
de^ Rede, -^ die wir Phrasen nennen , neu 
schaffen. Sind nun die darin verknüpften Ideen 
TOtt einleuchtendem Zusammenhange ; sind die 
gewählten Worte zu^ den Ideen passend , und 
unter sich' schiöklich verbunden : ' so wird ein 
solcher Ausdruck eines Schriftstellers von vie- 
len bey ähnlichen Gelegenheiten' wiederholt; 
und verwandelt sich nach und nach in eine wirk- 
liche /^Äraji^, in einen Bestand theil der Spra- 
che. Auf' diese Weise sind viele der jetzt üb- 
lichen Redi^nsarten in allen Sprachen entstan- 
den. Manehen derselben sieht man es an, dafs 



' . 



i5i 

sie vpn dem witzigen Einfalle einer einzelnen 
Person herkpoiineni der« weil er gefiel, von so 
Tielen i^achge^propjtien wurdeftdais.man endlich 
seinon Ursprung ¥6rgaf$, und« ikn als eine ei- 
gentliüffldiche Bezeichnung d^c • Idee brauchte, 
von derber %^erst nur ein « kühnes. Bild gewesen 
lyar. *) * ' • '. • 

Je mehr gute S^hriftstelldr in einer Nation 
aufstehn; je * allgemeiner .sie gelesen werden: 
desto mehr gut geformte Btuchstii^lie der *Rede 
werden in d^n üblichen Redensarten der Spra- 
che gleichsam, niedergelegt se^n; desto mehr 
Yflrd.die Richtigkeit und 4&rv Geschmack, mit 
welchen die vorzüglichsten Köpfe. der Nation 
^hre Gedanken ^^sigedrüokt habeo; den allge- 
meinen Sprachgebrauch reguliren. r^ - Ist die/s 



Od. 



*) Di« Redentart, atfs dem Stegreife etwas tk'iin^ wird 
.▼on tebr vielen ^l^ramqbt,, welche nicht daran denken, 
da/s sie da« Bild einet Menschen darsteüu der schon 
'SU Pferde siuendi.nnd zum Streit oder.tor Reife gerü- 
stet, roch SU einer sndem.Verricihtiiog . unerwartet auf- 
l^fordert wird, »die er, «also aupb. unjwxbereitet thun 
mufs. Sehr vielem lUdensarten aller Sprachen sind ähn- 
liche Metaphern! l^einer aber sind mehr Spuren einge- 
drückt» wie viel EinfäkU, bey der Nation* iwelche sie 
redet, vermögen k aU der Französisch efa. .•*— »Ist es 
nicht unbegreiflich» » hörte ich einmahl >einen Italiäni- 
Sehen Geleimten von vieler Einsicht sagen y «dafs eine 
so kultivirte Sprache« als die Franzuaische, kein ei- 
genthümlicbea Woct. und kein Adjectivutn für einen so 
unentbeMichen und so häufig vorkommenden Begriff, 



i5a 

nicht vielleicht die Ursache y warum in der 
Französischen ^Sprache auch mUteimafstge Schrift- 
steller beFadr-seheineni daia der unsrigen nur 
'die Denker *^te Stilisten' ){lad?^ Dort hat 
sich mit derLänge der Zeit, während welcher 
ihre LitteTatay blüht» und durch die größere 
Anzahl allgemein gelesener Schriftsteller, eine 
geschuiackvoi4e Phraseologfe gesammelt , aus 
welcher, da ' sie alian -Menschen f dn einiger Er- 
ziehung- belkAunt ist, -viele, deren Ideen im 
Ganzen' sich . weder* durch Richtigiceit doch 
Schönheit auszeichnen, ^döch eihe schickliche 
und anipiithige Einkleidung der Theile entbeh- 
ren können* -/ " . . ' .». 

Ich will^ um meine Ideen über das, was 
ich Vollkemmenheit der Phraseologie nenne, 
klärer zu machen^ einige Bey&piele aus den Auf- 



I ■ p t^l^f^mmrmmm^'m''^ ■ ■ i ■ i ■ > a^— »— ^^^»^i 



ah der Begriff f^iele ist, b«iitstT:l9t et mcfat noeb un- 
bcgreifUclier, 'dafs sie ein' sblbHet Wort dafür gehabt 
hat, •.— das aus dem Lateinhcljen' abstammeftde fnouli^ 
welches tfich* noch in d^ti S^rfften des Montaigne fin* 
det; — <lafs dieses vertdtet^^tind'dait wenige Z^it darnach 
an dessen Stelle eine den Beg^^f? s^ vtenig ausdrficken* 
de AdTerbial Redensart tritt,' als das iean*coup de ist ? 
Wahrscheinlich hatt« «inrnkthl'^ili Witziger Kopf^ oder ein 
Mensch .dessen Beyspiei Viel' galt; iik eiber '^passenden 
Verbindiiilg .das Bild eines' gntek* Fanges 'i * d'un . beau 
ooup gebraucht , um ehie groiscf Anzahl ausaudrücken. 
Der gute Mang für 'viel^' wup^ie- schon befunden, auerst 
von -des Erfindei% Bekannten nachgesagt, dann von sei* 
ner Stadt »> und endlicli voA'gaoa Frankreieh^ 



^ i53 

Sätzen selbst dYffiihreh^ durch welche die Akade- 
mie ihre 'künftigen Arbeiten ' zur Kultur der 
Deutschen - Sprache ^ angekündi^gt hat. Dia' 
Schrift L^bnitziens > welche von diesen Aufsäz« 
zen den gVö/st^eh 'Theil ausmacht^ beweiset^ so 
vortreffliche SabReh *sie enthält, doch durch ih- ^ 

reA Stil, vtlä sehr uhsre Sprache, in dem Punk- 

» 

te; wovon hier die -Rede ist,, ^eit Leibnitzens 
Zc^it gewonnen habi^. ^ Gleich in^ der ersten Pe- 
riode kommen' die ^beyden Phrases vor: »den 
Verstand hoch schwingen , und die Sprache wohl 
'Äjytf^e«f,*bfeyde'sindtYehlerhaft; Zuerst ist schon 
die Züsa^nmen^etzuiigy —AdcÄ' schwingen nicht 
gabz richtig Weil* hoch einen Zi/i^a/i^, nicht 
eirle Bewegung änsdrückt^ dahe^^wir bessisr sa- , 
gen, \bmp6Y" schwingen^ f)der'itt die Höhe 
schwingen. - Ferneiä zeigt ""dfts Wort schwingen 
eine plötzliche und. schnelle Bewegung in die 
Hfehe An: daher es Wchtig' geraucht Jwird, wo 
von einer ' etomahligen 'und vorjüb'etgehendeii 
Erhöhung der Seöletikräfte die Kede ist.- - Wir 
reden« nli« ßecht von defm' Schwünge der Ein^^ 
biiduti'gskreft eifdes 'Dichtefs, ''Es ist richtig von 
einem 'Andachtigen' zu sa^en, fdofsl sich sein 
Oeist tu.OöW-empotschwinge. ^ 'Aber hier, wo 
von einem stttfenweisen Fortg^ttge« des mensch- 
liehen Geis*tes> voh der zunehmenden Kultur 
des Verstandes 'die* Redö isty 'macht das Wort, 
schwirifi^en- ein unschicktich^S'* Bild. — Ebeq 



iö4 

so unrichtig ist die Zusami|iQiis6[t9ung der Phn- 
sis: die Sprache ausübet^. Uebeß J^^na man dit 
Sprache nur, indem man sie ileifsig r^det oder 
schreibet. Die Jlegeln der - Sprache . können 
ausgeübt iiverden^ . aj^qr' T09 der Sprache selbst 
ist eine Ausiärnng nicht denkber«. 

£s soy mir erlaubt 1 um meine Gedanken 
auch durph Bespiele aus unsrer heutlgea.Spra 
che zu erläutern.! aus dem im übrigen gewi£» 
gut geschriebnen, Aufsatze des -Herrn« C« A. 
Zöllners -einigaN Phrasen, vdie mir nicht völlig 
richtig dünken y anzuführen. In der ersten Pe« 
ripde köifimt der Ausdruck Yor^^iiie Beföade- 
Tung der Spräof^Cf^ Aber ei|ie Spraehe befördern ^ 
ist nicht xiclitig. zusammengesetzt. Man beßr- 
,dert die ]jK.uttur^ iü^ Ausbildung ei^r . Spraq^e: 
die Sprache ^b^i kann man* nicht befördefn; 
weilr ^e^ö/*</eri» .heilst; einer -Aotion zu ihrer 
.slihleunigern und glücklichem Vollziehung b^- 
hül/ltch sieyp,.. .Das^ was gefördert. Yreräen soll, 
jnufs ein|3 Sache im, Fongfitig^^ . in der Bewe- 
gung , . — nicht eiüefür siph bestefaenyle , uo/- 
dendf^te seyn.. — -S. 1.0. Z. .6. v,. U*. scheint ijiir 
^die Hedensatt : . nach dem Gepräge , ^er Voll- 
^kommenheit streben y gleichfalls ni^hl: ganz riph- 
tfg' zu seyby jiyeil sie zwey unvereinbare Me- 
taphern zusammenstellt. Man strebt n^th T^olU 
kommen heit ; > man drückt einer Sacke das Ge* 
präge der P^Qllkommmheit auf; oder die Sache 



I 

trügt das Geptäge. ' Dicfs sind die bfsh^r übli- 
chen Redensarten. * Sollen neue gemacht wer 
den^ so müssen sie mit diesen Bnalogisch seya. 
Ich habei bey dem etsteh Nachdenken 
über diesen Gegenstand geglaubt, difs es viel- 
leicht möglich wäre, eine unmittelbare Arbeit 
auf denselben zu verwenden, -und durch Auf- 
suchung und Beurtheiluifg der üblichen Phra- 
sen, oder durcHr Versuche neue zusammenzu- 
setzen, diesen Theil der Sprache absichtlieh au 
verbessern ; idh stimme aber jetzt vollkommen 
mit den Gedanken meihe» Freundes Engeln '-^-* di^ 
ei* in eriner zu de^m* ersteh- Entwürfe dielst 
Aufsatzes geiäachtten Anm-rkung ^mir • mit^ 
g^theilt hat, -^ dahin üfrese^n.* ''dafs>zuT^ Ver- 
bessei*ung" der alten Phrflseri ,' öder zur '&- 
findung neuer, der Sprachforscher nichts thun 
kann, als die Bedeutung der einzelnen Wörter 
genau zu bestimmen, -so «^ weit . der '^Sprachge- 
brauch und der'Zustand'der WiflsenschafteB die 
Idee selbst bestimmt haben; dafs aber die Wahl 
dieser Wärter bey^ Zusamijaensetzungen ledig- 
lich der Beurtheilungskrlaft und dem Geschmack 
des Schriftsteller in'iedenibesohdern Falle uber- 
lassen werden mü^en« ^) . Nur bin ich no<:h 



■■■toi 



*) Hier «nid die eignen Wovte lueiaeiL Freundes^. ; desstjn 
Urtfaeile die üt^rigen AkademilLer beygesummc haben. 
«Ich sehe nicht,' was in^ Ansehung ganxer Redensarten 
»geschehen könne, dts ntcht ftchon-in dieo)eili^en Ar> 



jetzt deir Meinung/ welcher «uch der Herr P. 
&igel beypflichtet^ daü um diese fieurtheilung 
und diesen Gesckmack zu . büdeii , eine Kritik 
der .in ufiserpi gewöhnlichen Umgänge^ oder 
in «uosern beliebtesten Schriftstellern vorkom- 
menden Redensarten ein- nützliches HülFsmittel 
wäre. Die Grundsätze dieser Kritik habe ich 
zum TheU schon durqh die wepigen Bayspiele 
derselben .angegeben« Wahrheit ist auch hier der 
Grund der Schönheit^ - Die« meisten der eigent- 
•liehen Phrasen sind ursprünglich Metaphern» 
Wenn das Bild richtig ist , yvjßfnti zu Bezeich- 

9 » 

Aung. des^lhen* die. eigenthümlichen Wörter ge- 
wählt sind 9 so. ist die Phra^is vollkommen. . 

Aus den bisherigeia'Betraohtungea scheinen 
sich .mir .aU9 fojgwd^ Resultate., zu ergeben. 

ssbeiten der Spracbeelehrteo, ^reiche die ^inxelnen Wör* 
•ter beüeilen , enthalten Vare. Eine Phraseologie wird 

*"»«o 'wenig wirken, a1ft"ein W6rterbuHf. ' Dagegen bat 

, > »eiii Wörterbuch .xnflf IV WiNTtb. Deoa^ W^ftfr, insofern 

.«sie nicht Zusj^mjTiensetyungeji von andern «chota be- 

»kannten sind, müssen gegeben ^eyn« und man mufs 

»genau-lihre B^eutung lennen« Redensarten' setst man 

'. 1« selbst ^usanmeii; nni dasu bediJrf man weiter nichts, 
•als Ketintnifs der Regeln einer guten Scbreibart, und 
«einen geläuterten Geschmack, Diese Kenntniis und 
»dieser Geschrtiacfk dürfen bejr dlsn "Scbrifätellern der 
»Natioxr nur~befördert Trerden« und- -deiiu tst eine Kri- 
•üko wie sie Heir Gar«e über -einige R«ddB#arten macht, 
»und wie aie cinma/hl Johnson über." mehrere der besten 
' »Englischen Schriftsteller machte, ohne 'Zweifel ein 

• »lehr Wirksames MittcL« 



i"57 
Die Arbeiten, welche sich mit der Sprache be- 
schäftigea, können einen doppelten* Endzweck 
haben: entweder die Sprache^ als eitfen Geg^n» 
stand des Wissens zu erforschen , oder tici aU 
ein Werkzeug des Verstandes zu vervoUkomnw 
nen. Der Erfolg jener Arbeiten ist in der er* 
sten Absicht unbegränzt^^ in Absicht der zwey«* 
ten hat er seine bestimmten Schranken« 

Alles was uns die alten Formen un'srer 
Sprache, alles was uns die verschiedenen Modi- 
ficationen derselben ^-^ und selbst ihre 'Ausar- 
tungen in den Dialekten kennen lehrt^ liefert 
einen Beytrag, entweder zur Kenntniis der yer« 
schiednen Zeiten tind Öxter^ oder zur, Ge- 
sehich te unsrer Sprache y\ oder zur Einsicht in 
die Mannicbfaltigkeit und Abwediselung der 
menschlichen Begriffe überhaupt. Auch köänen 
solche Sammlungen' als Vbrraths^kammem ange* 
sehen . werden , aus welchen, von Zeit zu 2^it, 
die Idee zu einer glücklichen Neuerung- her- 
gehöhlt wird. 

la Absicht des, wirklichen Gebrauchs zum 
Behufe der Rede, -^ um ^ie Arbeiten des Ge*- 
nies zu unterstützen, und^ die letzte Vol'len- 
düng der Werke der Dichtkunst und der Be- 
redsamkeit zu erleichtern y *-^ scheint mi'ralles^ 
was zu wünschen und zu thun ist, in ein '«gutes 
Wörterbuch und in eine brauchbare Gramma^ 
tik eingeschlossen. •- . 



i58 

Deo: Nutzen beyder kann nicht seyn , eltit 
wirkliche Bereicherung durch neue Worte^ eine 
unveränderliche Beltinimung des. Willkührli- 
cfaen in der Sprache ^ oder eine wahre Yerbes«* 
serung des&en , was durch Gewohnheit einmahl 
in ihr . festgesetat i4t. . Aber Wörterbuch und 
jQr^mmatik können dem . Schriftsteller noch 

s 

sehr zu Hiilfe koinpien: 

i) indem sie ^dieqen, die zweifelhaften Fälle 
au entscheiden/, und cfadurch Gleichförmigkeit 
und Gewifsheit liervorbringen , wo ■ Mifshellig- 
keit unter den Schriftstellern einen Übelstand 
für die gapze Litteratur hervorbringt, und Zwei- 
fel jeden Schriftsteller für .sich in Verlegenheit 
setzen* Um aber diese Einstimmung nnd diese 
Sicherheit zu bewirken , ist nicht blofs die in- 
oere Güte» sondern auch die Autorität der Ent- 
acheidungen nöthigi w.elche das Wörterbuch 
oder die Grammatik giebt: 

2) indem beyde , durch Aufzahlung der in 
der Sprache vorhandenen Verschiedenheiten, in 
Wärtern sowohl als grammatikalischen Formen^ 
die Auswahl des Schicklichsten für jeden ein- 
zelnen Fall erleichtert) 

3) indem das Wörterbuch insbesondre über 
diejenigen Theile der Sprache, welche nicht die 
allgemeinen Gegenstände des menschlichen 
Denkens, sondern die besondere gewisser Kün« 
ste betreffen, diejenigen Belehrungen ertheilt^ 



(reiche, jeder Schriftsteller ron Zeit zu Zeit dö- 
thig haben mag* 

Je voUkommner diese beyden Arten von 
Hiilfsbüchern sind, Je voUkommner >vird auch 
der erste jugendliche Unterricht in der Deut- 
schen Sprache werdeli. Und 'auf solchem be- 
ruht greisen ,Thetls bej federn Menschen^ — . 
zwar nicht die Fähigkeit seine Sprache vortreC- 
lich zu sprechen und zu schreiben , die immer 
ein Werk des Genies, und eine Folge eigner 
Meditation ist, — aber doch die Achtsamkeit 
auf seinen Ausdruck , und die Vermeidung der 
aus blofser Nachlälsigkeit entstehenden Fehler 
desselben,. 

Wenn sich zu diesen Werken über die Spra* 
che, noch Muster izu einer guten Kritik über 
die Schriftsteller, in Absicht des Geb^raujchs der 
Sprache, gesellten; -** wenn nach solchen Mo* 
Stern es gewohnlich würde, den Zöglingen der 
Wissenschaften Vorlesungen über einige unsrer 
besten Schriftsteller in der Absicht zu halten, 
um die Schönheiten oder Mängel ihres Stils 
aufzusuchen, und selbst in die Ursachen davon, 
die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Gedan- 
ken und ihrer Bezeichnung einzudringen: so 
wäre, nach meinem Urtheüe, alles geschehen, was 
zur Kultur unsrer Sprache, und zur Vorübung 
auf die Arbeiten des Genies nöthig wäre, von wet 
chta der Glanz unsrer Litteratur 2u erwarten steht 



6o 

KI. - ... 
Von der Bildung der Deutsciven B^^ 



xvorter. 



\jie Deutsche Sprache bilder mit den acht 
Endsylben ig, isch, en, icht, lieh, sam, 
bar, haft eine Menge Bey Wörter , ala: gnädig, 
neidisch, golden, kupferichc^'^biiiderlich, auf- 
merksam, wunderbar, tugendhaft. Wir wollen 
untersuchen, was von denißejwörtern, die da- 
durch gebildet werden , zu" bemerken ist. 



I 



/. Von den Beywönern mit der Endsylhe i.g. 

Die Endsylbe ig hat^ die Kraft des Wor 
tes eigen 9 und giebt folglich den Wörtern^ 
welchen si6 angehängt wird , die Bedeutung voa 
haben, besitzen. Auch heifst haben im 
Gothischen aigan, im Angelsächsischen agan, 
im Fränkischen eigan^ im Idändischen eiga, 
im Schwedischen äga, im Griechischen i^^n, 

' Daf» diese Bedeutung unsrer Endsylbe ig 
eigenthümlich ist, sieht man aus sehr vielen 
Beyspielen. Zornig, feurig, gnädig, giftig, un- 
schuldig, rachgierig heifst etwas, das Zorn, 
.Feuer, Gnade, Gift, Unschuld, Rachgier hat 
. oder« besitzet; aussätzig , wurmstichig , spitzig : 
was den Aussatz, was einen Wurmstich, was ei- 
ne. SpitzQ hat; zweyschneidig, dreypfündig, 

hun- 



i6i 

hundertäugig:' was zwey Schneiden , drey Pfund, 
hundert Augen hat« Wegen dieser Bedeutung 
des Besitzes , des Eigenthums sind dergleichen 
Beywörter ursprünglich aus Nennwörtern ge- 
macht worden; und weil die Fürwörter (pro* 
noinina) ich, du, er, n^ein, dein, sein, u. s. 
w. die Stelle der Nennwörter vertreten, so hat 
man auch einigen Fürwörtern die Sylbe ig an* 
gehängt, als: meinig, seinig . eurig, unserig; 
was mein, sein, euer, unser eigen ist. Doch 
sind diese Wörter in ihrer adjektivischen Form 
gar nicht gebräuchlich, sondern werden durch 
Vorset2;ung des Artikels zu Substantiven ge- 
macht: die Meinigen, die Deinigen, die Unsri- 
gen, die Ihrigen, u. a. w. Eben so ward aus 
dem alten Fürworte icht, etwas, und der Ver* 
neinungspartikel ni das Wort nichtig ge- 
macht. 

Einige Beywörter wurden auch aus dem In« 
finitiv der Zeitwörter gebildet, welcher sehr oft 
die Stelle eines Substantivs vertritt. Der Iq£-» 
nitiv mu£s alsdann sein« Endsylbe en vorher 
abwerfen, ehe er die adjektivische annehmen 
kann. Auf diese Art bildete man aus den 
Zeitwörtern' naschen, stofsen, beifsen diei 
Beywörter näschig, stöfsig beifsig: wem 
das Naschen, Stofsen, Beifsen eigen ist. Eben 
so scheint das Wort ranzig von dem Ranzen 
der Thiere , wobey sie feineu widerwärtigen Ga- 

L 



ruch von sich geben, hergeleitet zu seyn. Auch 
das Bejrwort widrig scheint nicht von wider 
herzukommen: weil wider die einzige Präpo- 
sition wäre» welche die Endsylbe ig erhalten 
hätte; sondern von dem Zeitworte widern^ 
einen Widerwillen empfinden, einem Worte, 
welches Luther (Hiob, VL 7.} gehraucht: Was 
meiner Seele widerte. Beym Otfried und Kero 
heilst dieses Zeitwort widaroi^ 

Aber nicht allein an die Substantive und 
an die substantivisch gebrauchten Infinitive hat 
man in der Folge die Endsylbe ig gehängt, 
sondern . auch an solche Beywörter, die eine 
Zeit bedeuten. Nach der Analogie der Wörter 
seitig, zukünftig, jährig, welche ganz re- 
gelmälsig von den Nennwörtern Zeit, Zu- 
kunft, Jahr gebildet worden, wagte man es, 
einigen andern, die zwar auch eine Zeit bedeu- 
ten , aber keine Substantive sind , diese Sylbe 
ig anzuhängen« Man sagt also: heutig, ges- 
trig, vorig, ehemablig, jetzig; imglei- 
chen^ fernig und heurig: zwey alte Wörter, 
die das, was heuer ist, das dieisjährige , und 
das was fern ^ entfernter ist, oder das vorjäh- 
rige anzeigen. Auch sagtr man im Kanzelley- 
styl sonstig, das ist: was sonst gewöhnlich, 
was der vorigen Zeit eigen war; imgleichen 
einstweilig, was eine gewisse Weile oder 
Zeit in sich begreift: der einstweilige Aufent- 



i6S 

halt^ Auch das Wort etwanig gehört hier- 
her. Etwan ist ursprünglich eia Neben wort 
der Zeit. Luther , in der Übersetzung der »Bi- 
bel, sagti' Die Wächter in Israel hielten sich 
etwan an meinen Gott, aber nun sind sie 
Propheten. Imgleichen: Das ist der Mann*;^ 
welchen wir etwan für einen Spott hielten t 
wie ist er nun gezählet unter die Kinder 
Gottes ? 

Endlich hat man auch an einige Neben- 
Wörter des Ortes diese Sylbe gehängt. Man 
sagt im gemeinen Leben dasig und dortig: 
was dem und jenem Orte eigen ist; /a sogar 
im Oberdeutschen daselbstig und hierselb- 
stig. Doch vermehren gute Schriftsteller die 
Anzahl dieser letztern Wörter nicht gern, und 
enthalten sich derselben in der höhern Schreib« 
art gänzlich. Von eben der Art ist auch das 
zusammengesetzte Wort allen falsig. Allen- 
falsige Beweise^ allenfalsige Mifsbräuche: sagt 
Wieland in der Übersetzung des Lucian; wo er 
aber den * Ton der Gerichtsstuben mit Fleifs 
nachzuahmen scheint. 

Von den Nennwörtern, woraus die Bey- 
Wörter in ig ursprünglich gebildet wurden^ sind 
einige ziemlich veraltet, einige auch velrloren 
gegangen, und iiur noch in den verwandten 
Sprachen anzutreffen. Zum Exempel: unbil- 
lig kö^nmt von dem im Hochdeutschen veral« 

La 



i64 

» 

teten Substantiv Unbill her^ wovon da$ Stamm- 
wort Bill noch im Englisbhen übrig ist. Zim- 
mermann im Nationalstolz sagt noch: Von 
46m Yaterlaiide beleidigt, vergafsen sie den 
schmerzenden Unbill. Beliebig kann man 
entweder von Belieb^ welches Logau ge- 
braucht: Die Bibel, Gottes Wort, ist mein Be- 
lieb im Leben; oder von dem substantivisch 
gebrauchten Infinitiv das Belieben herleiten. 
Wichtig, gewichtig kömmt von Gewicht 
her; welches im Englischen weight geschrie- 
ben wird; tüchtig, Englisch doughty, von 
dem Niedersächsischen Ducht, (Holländisch 
Peugd, Isländisch Dygd) wovon der Gegen- 
satz Unducht in einigen Provinzen noch im 
Gebrauch ist. 

Man sehe hier mehrere Exempel, die 
. zum Theil unsre Aechtschreibung berichtigen 
k.önnen. Ausbündig kömmt nicht unmittel- 
bar von ausbinden her, sondern von Aus- 
bund; so wie brüchig nicht von brechen 
sondern von B r u ch herkömmt. Spitz fündig 
kömmt her von Fund: ein spitzer oder schlau- 
\er Fund oder GrifF; denn spitz heilst schlau: 
daher Spitzbube, Spitzkopf. Rüstig, 
wehrhaft, gerüstet, von dem Nennworte Äüst, 
daher .die Rüstkammer kömmt. S tat ig, von 
ßtäte: was auf Eiijei; State bleibt. Fähig, von 
Fähe, captus' Die Fähe der Verstandes, sagt 



i65 

einer unsrer Alten. Irrig, richtig, von den 
Nennwörtern die Irre, die Richte. Eilig, 
langweilig, yon Eile und Langweile. 
Frejrgebig, von dem alten Geh, wovon der 
Gastgeb^ der'Rathg^b iii unsern Alten vor- 
kommen. Abtrünnig, nicht von abtren- 
nen, sondern von dem alten Nennworte Ab- 
trun , truncus. 'Ein alter Schriftsteller sagt:' 
Wir werden das A b t r u n der Leute. G e - 
schmeidig, von Geschmeid, das ist, von 
dem Gestein, das viele Erztheile hat, und also^ 
schmiedebar ist. Einhällig, von Einhall^ 
unisonus; mifshMHig, von Mifshall. Hall 
aber hat seinen Ursprung von dem alten Zeit- 
worte hellen, und dieses von hell, welches 
eben so wohl von dem Schalle als von dem 
Liebte gilt. Selig, was Sei, Seide hat: /or^ 
tunam koham-, trübselig, drangselig, was 
Trübsal, Drangsal hat: fortunam malam. Up-_ 
pig, was Uppe besitzt, ein Wort welches va- 
nitas bedeutet: Tenchende in Uppe, meditaiv 
tes inania, heifst es in Notkers zweytem Psal- 
me Davids. Ledig, was Lede hat. Lede 
gebrauchte man von einem wüsteh Acker ; wenn 
der Acker gebauet ward, so hi-efs es: er ist 
aus der Lede gerissen. Inwendig, auswen- 
dig, abwendig kommen von wendig her. 
In Notkers Psalter Davids (XLI. 5.) heifst es:- 
Min^Sela ist wendig> Gott ist unwendig; 



i66 

und dieses wendig kommt von dem Substan« 
tiv Wende her: Suefse Wende miner Schmers 
zen. S. Sammlung von Minesingern, i. Tb. 
Pag. 19g. Daher haben wir noch die Sonnen* 
wende. Ewig heifst, was £we hat, was eine 
lange Zelt, aevum hat. In Aiwa heifst in des 
Ulphilas Gothischer Übersetzung des Matthä- 
us in Ewigkeit; und Eeuw heilst noch jetzt 
im Holländischen ein Jahrhundert , und Aef* 
we im Schwedischen die Lebenszeit, Fertig, 
Plattdeutsch fahrdigj scheint ursprünglich von 
Fahrt herzukommen, welches sein h verloren 
und den Vokal a nicht in den Zwiscbenvokal 
ä, sondern in e verwandelt hat; Fahrt aber 
kömmt von fahren her, welches ursprünglich 
so viel heifst, als: eine schnelle Bewegung ma* 
eben. Eine fertige Zunge heifst eine Zunge, 
die Fahrt, das ist, Schnelligkeit hat; ein fer* 
tiger Reiiner, der Fahrt oder Schnelligkeit 
im Reimen hat. Dieser Begriff der Schnellig- 
keit i^t noch nicht veraltet: im Niedersachsi- 
schen bedeutet ein leichtfertiger Gang ei« 
nen hurtigen Gang. Er fuhr leichtfertig 
dahin, wie Wasser, scheint Luther in eben die- 
ser Bedeutung gebraucht zu haben. 

Da/s die Beywörter in ig die Bedeutung 
des Besitzens haben, sieht man am deutlich- 
sten ^ wenn man sie mit ähnlichen Wörtern 
vergleicht, die eine andre Endsylbe annehmen« 



167 

Geistig heifst , was Geist hat , als t 'geistiger 
"Wein, oder in einem andern Verstände ^ was 
unkörperlich ist, blofs Geist besitzt: ein' gei- 
stiges Wesen; geistlich hingegen bedeutet, 
mras dem Geiste gleicht, als: ein geistliches 
Liied y zum Gegensatze eines weltlichen, was 
der so genannten Welt gleicht, zur Welt, zu 
den Weltmenschen gehört; imgleichen die geist- 
liche Wohlfahrt, zum Gegensatze der leiblichen. 
Zeitig heifst, was seine Zeit schon hat, als: ei- 
ne zeitige Traube; zeitlich hingegen, was 
zur Zeit gehört oder ihr gleicht, als: zeitliche 
Güter. Ein thätiger^ ein wunderthätiger 
Mann heifst ein solcher, der Wirksamkeit hat, 
der die Gabe hat Wunder zu thun; eine thät- 
liehe Beleidigung aber heifst eine solche, die 
zur wirklichen That gehört. Eben dieser Un- 
terschied ist unter leidig, was Leid bey sich 
hat, Leid besitzt, und unter leidlich, was zu 
leiden ist, sich leicht leiden läfst; unter gläu- 
big, was Glaiiben besitzt, und glaublich, 
was zu glauben ist; unter sichtig, was ein 
Gesicht hat, als kurzsichtig, scharfsich- 
tig, und unter sichtlich, was gesehen wer-, 
den kann; unter jährig, was ein ganzes^^hr 
hat, als: ein jähriges Kalb, und unter J4i^~ 
lieh, was alle Jahre geschieht, zu den Jahren 
gehört, als: ein jährliches Fest; unter tägig, 
dreytägig, viertägig, was eine Zeit von 



i68 

drey, ron Tier Tagen hat oder einnimmt , als: 
ein dreytägiges, ein viertägiges Fieber, und un- 
ter täglich y was alle Tage geschieht , als: eine 
tägliche Arbeit, Eben so auch unter stünd- 
lichy was alle Stunde geschieht , und unter 
.stündig, als: zweystündig, dreystündig, 
was zwey, drey Stunden einnimmt, eine zwey- 
stündige Vorlesung , ein dreystündiger Besuch. 

Eine Menge neuer poetischer Beywörter 
läfst sich vermittelst dieser Endsylbe machen: 
welches ein beneidenswürdiger Vorzug unsrer 
Sprache ist Wollen wir sagen: der Mond mit 
seiner vollen Wange , so sagen wir mit unserm 
Wieland: der voUwangige Mond, nach der 
Analogie des Wortes rothbäckig, ungeachtet 
wir weder das Adjectiv wangig, noch bäckig 
in die Sprache aufgenommen haben. Nach der 
Analogie der Wörter eigensinnig, wider- 
sinnig, sagt einer unserer Schriftsteller gerad- 
sinnig. Die Poeten sagen hochschenklige 
Kamehle, langhälsi^e Thiere, und wir ver- 
stehen es sogleich, ohne das Wort schenklig 

* und hals ig gehört zu haben. Wir sagen: der 
süfszüngige Schmeichler , das siebenpfortige 
Tm>en, der hunderthändige Gyas, der schnell- 
fili Ige Achilles, der hochwipßigo Parnafs, die 
sieoensaitige Leyer, ^der marmorherzige Ty- 
rann , obgleich die Stammwörter hiervon gar 

>^icht im Gebrauche sind. 



169 

Einige haben zwar das Wort herzig ein- 
zuführen versucht: allein es würde eben jso 
zweydeutig * seyn , als sein Stammwort Herz. 
Zu einer gütigen Person sagt man, eben so, wie 
zu einer tapfern: Ich lobe dein Herz. Wollte 
man sagen: das herzige Mädchen, so wüfste 
man nicht, ob sie gutherzig, treuherzig, weich- 
herzig, oder ob sie ^rofsherzig, heldenherzig 
wäre. 

Aus manchen Beywörtern und Nebenwör« 
tern in ig haben wir Zeitwörter gemacht;. Aus 
dem alten ängstig mächte man ängstigen, aus 
bändig bändigen , aus billig billigen , aus 
heilig, heiligen, aus nöthig nöthigen, aus 
witzig witzigen. Die meisten von diesen Zeit- 
wörtern erhielten aber erst eine Vorsylbe. Der- 
gleichen sind: beschuldigen von schuldig, 
beschleunigen von schleunig; imgleichen: be« 

t 

mächtigen, belästigen, bekräftigen, berichtigen, 
begünstigen, beseligen,, verewigen, vereinigen, 
vernachläfsigen , vervielfältigen, erübrigen, er* 
niedrigen, einwilligen, abmüfsigen« 

Man machte dergleichen Zeitwörter aber 
auch auf eine andre Weise. Anstatt erübrigen 
von übrig, erniedrigen von niedrig, verkün- 
digen von kündig zu bilden, sagte man erü- 
bern, erniedern, verkünden, von den Neben- 
Wörtern über, nieder, kund. Andre mach- 
te man unmittelbar von Substantiven. Von 



170 

Angst bildete man ängstea^ yon Ende enden, 
Tön Verein vereinen, yon Last belasten, von 
Gunst begünsten^ von Kost bekösten, yon 
Fleifs beflelfsen, yon Kunde sich erkunden, 
yon Feste befesten , welches Tscherning ge- 
braucht. Sogar aus Sünde ward sünden ge- 
macht, daher noch der Sünder kömmt. £r 
sündeiy swer des niht gcloubeti sagt unter den 
Minnesingern der Kaiser Heinrich. — Einice 
yo&-diesen Zeitwörtern sind veraltet, andre noch 
bey den Poeten im Gebrauch. 

Dafs sich aus den Beywörtern in ig sehr 
leicht Komparative und Superlative,' imgleichen 
Nennwörter bilden lassen , die einen abgezoge- 
nen Begriff ausdrücken, ist bekannt. Unsre Al- 
ten bildeten die letztern blofs durch den Buch- 
staben i oder e. Unter den Minnesingern ge- 
braucht die Winsbekinn Selikeit, und Gün^ 
ther von dem Vorste: Selikeit und Werde- 
keit, anstatt Seligkeit und Würdigkeit. 

IL Von den Beyvfortern'mit der Endsylbe isch. 

Die uralte Endsylbe i seh hiefs ehemahls 
isc: so heifst sie auch beym Ulphilas. Ja, wir 
finden schon Spuren davon im Tacitus , der zu 
diesen Wörtern in isc blofs die Lateinische 
Endsylbe us hinzuthut: daher Teutiscus, Na- 
rifcus, und atidelre. 



I 

Diese Endsylbe isch wird allen Bejrwortern 
gegeben, welche 

1. Örter anzeigen^ es mögen Länder oder 
Städte seyn, als Prenfsisch, Schwedisch,. Spa- 
nisch, Berlinisch, Meifsnisch , Römisch, Korin- 
thisch, was zu Preufsen, Schweden, u. s. w. ge- 
hört. Die Berge gehören gleichfalls hierher, 
als: Vesuvisch, Helikonisch, Pyrenäisch. u. a. 
m. Auch von den Ortern Himmel und Hölle 
ist himmlisch und höllisch gemacht worden. 

2. Wird diese Sylbe allen Beywörtern gega» 
ben, welche von Personen gemacht werden, 
als: jüdisch, heidnisch, mahomedanisch:, was 
zu den Juden, Heiden , Mahomedanern gehörtj^ 
und ehemahls auch christisch, was zu den Chris- 
ten gehört. Eben so auch Lutherisch , Kalvi- 
nisch. Wolfisch, Linneisch, Homerisch, Hora- 
zisch, u. a. m* wozu noch dichterisch, von der 
Person des Dichters , und mahlerisch , von der 
Person des Mahlers, gerechnet werden können. 
Nach der Analogie dieser beiden letzten Wör- 
ter hat man schon mehrere zu bilden versucht. 

3. Giebt man diese Endsylbe i seh allen aus 
fremden Sprachen entlehnten Wörtern , «eis: 
musikalisch, biblisch, klassisch, balsamisch, cho« 
lerisch, sanguinisch, und unzähligen andern, 
wozu auch englisch und teufelisch von den Wör- 
tern angelus und diabolus gerechnet werden. 




172 

welche man auch eben so gut zu der zw^ 
Klasse rechnen könnte* 

Zu dieser Bildung in isch bequemte 
die Lateinische Endsylbe icus sehr leicht^ web 
che erstlich in isc, nachmahls inisoh überging. 
Aus theologicuSf evangelicus ward erst theolo« 
gisc^ evangelisc^ und nachmahls theologiscbi 
evangelisch gebildet. Eben diefs gilt von meh«| 
rern neu gemachten Lateinischen Wörtern. 

4. Aufser diesem dreyfachen ältesten Ge- 
brauche 9 ist es sonderbar, da/s die Endsylbe 
isch'bey solchen Beywörtern, die in sittlichem 
Verstände gebraucht werden, etwas fehlerhaftes 
anzuzeigen scheint. Viehisch, hündisch, mür- 
risch, neidilsch, zänkisch, ti^ckisch, höhnisch, 
läppisch, diebisch, närrisch, argwöhnisch, sau- 
ertöpfisch , wetterläunisch sind lauter Wörter, 
die etwas hassenswürdiges andeuten. Man wird 
sagen,' in diesen und vielen andern Beyspielen 
käme der üble Begriff vonr Stammworte her; 
allein es giebt auch Fälle, wo er von der End- 
sylbe allein herzukommen scheint. Weibische 
und weibliche Sitten, das kindische und das 
kindliche Bezeigen , die höfischen und die höf- 
liehen Reden , die altvaterische und die altvä- 
terliche Wohnung, sind Wörter von sehr ver- 
schiedenen Begriffen. Herrschend , gebietend 
ist untadelhaft; herrisch, gebieterisch zeigt Här- 
te und Stolz bey dem Herrn und Gebieter an. 



ßin schmeichelhaftes Lob kann wahr und gut 
gemeinet seyn; ' ein schmeichlerisches Lob Ter- 
räth Falschheit. »Leget diese schmeichlerische 
Salbe nicht auf Eurp' Seele.» TVieland ii% Sha^ 
kespears Ilamlet. «Stets eilte mir in schmei- 
chelhaften Träumen ihr Schatten nach. » Lyn 
Bluhmenlese y :VIIL a3. Jene Salbe betrog, in- 
dem sie schmeichelte; diese Träume stellten 
die Wahrheit vor. Richterlich ist eine noth* 
wendige Eigenschaft des Richters : »die richter- 
lichen Handlungen Gottes.» Sucro, in Fosters 
übersetzten Reden. Richterisch ist ein Fehler 
an dem Richter , zeigt allzu grofse Strenge an. 
Wenn Lessing einen Poeten verspotten will, der 
seine Lieder von Wein und Liebe neun Jahre 
lang ausfeilt, sagt er: 

Mit richt'risch scharfem Kiel durchackert seine Lieder Gargil. 

Aus eben diesem Grunde wagt Wieland das 
Wort schwärmerlich; 

Gewifs ! nicht ich , rief Idris tchwärmerlich : 

das heilst, gleich einem lieb tos würdigen Schwär- 
mer. Schwärme i seh, wäre hier zu verächtlich 
gewesen. Eben daher vermeiden wir bey sol- 
chen Wörtern, die niemahls etwas tadelhaftes 
bedeuten, sehr sorgfältig die Endsylbe isch. 
Wir sagen in gutem Verstände allemahl gläu^, 
big, und niemahls gläu bisch; aber in übelm 
Verstände abergläubisch. In gutem Ver- 



174 

Staude sagen wir jetzt allemabl christlich, 
bösem antichristisch; in gutem geistlich 
in gegenseitigem freyge istisch; in gute 
göttlich, in gegenseitigem abgöttisch; in 
gutem meisterhaft oder meisterlicfi, in 
tadelhafcem schulmeisterisch; in gutem ver- 
traulichy in tadelhaftem roifstrauisch. Ein 
Knecht 9 ein Sklave, ein Bauer sind nothwendi- 
ge und an sich selbst keine tadehiswerthen Per- 
sonen; aber knechtisch, sklavisch, bau* 
ri seh /Zeigt immer etwas tadehiswerthes an. 

Neue Wörter lassen sich vermittelst dieser 
Endsylbe gleichfalls bilden. Nach der Analo- 
gie des Wortes schelmisch gebraucht Lessing 
in der Minna von Barnhelnl das Wort schür- 
kisch^, Von* dem Nennworte Tollhäusler 
macht Wieland tolihäuslerisch. Von dem 
Worte Selbstherrscher machf der Überset- 
zer des Apulejus se^bstherrscheriscbe Ty- 
rannen* Anstatt geziert, welches einen dop- 
pelten Verstand haben könnte, hat man das 
Wort ziere risch erfunden, welches niemahb 
in gutem Versrande gebraucht werden kann. 
Eben so gebraucht Hagedorn, der in Einfüh- 
rung neuer Wörterr sehr behutsam ist, anstatt 
schreibselig, welches schon im Gebrauch war, 
das Wqrt schreiberisch: 

f^on schreiberischer Eitelkeit. 
Einer *unsrer bebten Autoren hat das Wort 



175 

■ 

selbstisch nach dem Englischen selfish ver» 
suchte statt dessen macL^nst egoistisch ein- 
geführt rhatte. Es steht dahin ^ ob der Selbsti- 
sche den Egoisten, der schon naturalisirt war^ 
verdrängen wird , zumahl da sich dieses fremde 
Wort.vnsrer Sprache^ so gut ansöhmiegt, da/s 
wir«,, davon y wie von einem ursprünglich Deut- 
scfaea^p a^i^re Worter bilden können. Wir 
sagen: «Bgöist; egoistisch^ Egoisterey^ 
und, wena wir, wollen , auch egoistisixen: 
Ableitungen, welche bey s e 1 b s t i seh nicht Statt 
finden. Auch wird uns dieses Wort desto ent- 
behrlicKer , da wir schon die einheimischen ver» 
ständlichen Wörter Selbstsucht, selbst- 
süchtig, ein Selbstsüchtiger in der Spra- 
che besitzen« Weil selbst überdem nicht zu 
den Substantiven gerechnet werden kann, de* 
neUf nach der Regel, nur allein die Endsylbe 
isch zuköinmt, so scheint selbstisch wider die 
Analogie gebildet. zu seyn: man müfste denn sa- 
gen , selbst wäre hier zum Substantiv erho- 
ben worden, wie in der Redensart, die unser 
Weifse gebraucht: Leute, welche nur ihr pichti» 
würdiges Selbst lieben. 

Die Bey Wörter in isch,* die von den eige- 
nen Nahmen der Orter und der Personen her- 
genommen sind, leiden keine Yergröfserung. Ei-* 
nem Dinge, das wirklich aus Rom, wirklich 
vom Horaz herkömmt^ kann man eigentlich 




176 

« nichts entgegensetzen^ was in noch grölsenii^ 
oder im gröfsesten Grade aus Rom oder ycol 
Horaz herkommen sollte. Indessen hat mai^ 
doch| wenn diese Wörter eine sittliche EigenH 
Schaft bezeichnen sollen, aus Liebe zur KürzCi 
wenigstens den wohlklingenden Komparativ ge- 
wagt: £s< ist weit Römischer, weit Horazischen 
das heifst, den Sitten Roms, der Weise des Ho- 
raz weit gemäfser. Alle übrigen Wörter in isch 
nehmen den Komparativ an, aber picht gern 
den Superlativ. Balsamischer, bäurischer sagea 
wir wohl, aber wir sagen nicht gern am balsa- 
mischsten , am bäurischsten. Die Ursache ist 
allein der Wohllaut. Setzen wir ein e dazwi- 
schen, und sagen: am bäurischesten, so haben 
wir drey kurze Sylben hinter einander, wel* 
ches der Deutschen Prosodie zuwider ist: weil 
sich drey kurze Sylben in einer Sprache, die 
mit Konsonanten beschweret ist, nicht leicht 
und deutlich genug aussprechen lassen. Die 
Härte zu mildern, werfen Einige von der cha« 
rakteristischen Endsylbe des Superlativs, .dem 
ste, das s weg, und schreiben und sprechen: 
der bäurischte, am hämisch^en, welches aber 
immer noch hart genug klingt. Besser ists, den 
Begriff auf eine andre Art auszudrücken. Am 
meisten hämisch ist eben so kurz, als am hä- 
mischesten. . 

Von allen diesen; Beywönern in isch haben 

wir 



»77 

^ir noch kein Nennwort in heit twlei* keit ge- 
bildet , einen abgezogenen Begriff ausEudrücken; 
wir sagen nicht: die Römischheit oder die Ka- 
tonischkeit. Will man diese Begriffe ausdrük* 
ken, so muXs man es durch eine Umschreibung 
thun» 

///• Fbn den JBeywSnem.mie der End^lhe en. 

Die Endsylbe en (bey einigen Wörtern auch 
das blofse n, bey andern die Sylbe ern) zeigt 
die Materie an , Woraus ein Ding besteht als : 
leinen, papieren > metallen, golden, aäsuren, sil- 
bern, marmorn, purpurn, bleyem, hökerii, 
wächsern, elfenbeinern. Die Endsylbe ern 
ward yon unsern Alten seltener gebraucht; sie 
sagten . Heber : holzen , wachsen , elfenbeinen ; 
weichet wohlklingender und analogischer war> 
als unsre Neuerung. Auch hiefs dieses en ehe- 
mahls in: güldin, silberin, seidin, gläsin,^ gleich- 
sam in Gold, in Silber, in Seide, in Glas. 

Wenn wir noch kein Beywort in der Spra- 
che haben, ein Ding zu bezeichnen, das gans 
aus einer gewissen Materie gemacht ist , so be- 
helfen wir uns mit zwey Wörtern , und setzen 
das Vorwörtlein von vor das Nennwort, als: 
eine Puppe von Teig, ein Schale von Steinsalz; 
oder wir setzen zwey Nennwörter zusammen: 
eine Zuckerpuppe, ein Schneemann) wodurch 
das Wort an Kürze gewinnt Aus dmet Ursa- 

m' 



178 

che haben wir nicht nothig neue Wörter mit 
dieser Endsylbe zu bilden. Die Oberdeutschen 
Wörter fleisch ene Speisen y oder fleischer- 
ne Speisen sind weder so kurz^ wie Fleisch- 
speisen > noch wohlklingender^ als ^Speisen von 
Fleisch. Doch wird das Wort auch im Hoch- 
deutschen angenommen I w^nn man ihm eine 
glückliche Stelle zu geben weifs, und, zum Bey- 
spiel , mit dem Theokritus sagt : 

.^ .^ ... .^ ... Dir bat Ton goldenen Fischen getrSumet: 
Willst du nicht verhungern, so mufst du Aeischene suchen. 

Auch in sittlichem Verstände^ wenn man mit 
Luthern das Weiche dem Harten entgegen set- 
zen will^ kann man sagen: Ich will das steiner- 
ne Herz wegnehmen , und euch ein fleiischemes 
geben. 

Ein g&nz neues Wort dieser Art, nehitilich 

das BejTv^ort wässern ^ hat Bodmer glücklich 

. gewagt, etwas zu bezeichnen, welches ganz von 

Wasser ist. Er sagt von Schiffen , welche mit 

.einander einen Wettlauf hielten: Sie flogen auf 

wässerner Rennbahn. Eben dieses Wort ge- 

' braucht auch einer unsr^r angenehmsten Dichter, 

wenn er einem Frosche dankt , dafs er durch 

seine, Vermittelung Wasser gefunden habe: 

Irrend, vom Schatten der Nacht umgeben, vom Durste ge- 
peinigt, 
, Hört* ich deine Musik aus dem Geröhre des Pan, 



'79 

Folgte d^r Orgel, die du in deinem waaiernen Tempel 
Rüstig «piekest« und fand seelenerquickendes NaTs. 
F'trmiichie Gedichte von I, JV, Götz, I, Th. Pag. lAg, 

Alle diese Beywörter leiden in ihrem eigen-r 
thümlichen physischen Verstände gar keine Ver- 
gröfsening. Golden, steigern, hölzern heifst 
schon ein Ding, das ganz von Gold, von Stein^ 
von Holz ist; durch den /Komparativ und Super- 
lativ kann nichts mehr hinzugesetzt werden, aus*^ 
genommen, wenn man das Wort in einem an- 
dern Verstände gebraucht , als, hölzern sxatt 
dumm: 

• •*-> — Sie liefs die Augen sprechen : 
Doch 'vrer war hölaerner» als Er ? 

Steinern Statt hartherzig: 

Die ihren Schafer liefs vor ihrer Schwelle sttrbeD^ 
Alcimadure , war nicht steinerner, als du. 

Eben so auch golden, statt theuer. 

Kostbare Zeit» mir goldener, als Gold. 

Oder auch golden, statt goldfarbig oder gelb. So 
sagt Fleming in einem seiner Sonnette vom Bern- 
stein, dafs sein Schein, goldener sey, als des 
Goldes von Peru: das heifst, dafs er eine besse-' 
re Goldfarbe habe. 

, Am allerwenigsten lassen sich aus diesen 
Beywörtern in en Nennwörter bilden. Man 
kana nicht sagen die Goldenheit, die Sil- 

M a 



i8o 

befnheit Der Begriff golden , silbern, das 
ist, von Gold, von ßüber, kann nicht schick- 
lich zu einer Person erhoben werden, wie durch 
die Eudsylbe heit geschieht. 

Es giebt noch andere Beywörter in en, die 
sich nicht allein vergröfsern, sondern auch zu 
abzezogenen Begriffen in Substantire yerwandeln 
lassen. Dergleichen Beywörter aber werden 
nicht, wie die angeführten, aus Nennwörtern 
gebildet, sondern aus 21eitwörtern, deren Parti- 
cipien sie eigentlich ausmachen. Von verwir- 
ren wird verworren, verwornener, am verwor- 
rensten, die y^worrenheit; von entschliefsen 
wird entschlossen, entschlossener, die Entschlos- 
senheit abgeleitet. Eben dieses gilt von trun- 
ken, vergessen, verlegen, verwegen, belesen, 
und andern verbalischen Adjektiven. 

//^. y^onden Beywlxnem mit der Endsylbe ich^. 

Die End$ylbe icht hiefs ehemahls acht ig: 
man sagte steinachtig, was für Stein zu ach- 
ten i$t; hierauf steinacht, alsdiann stein- 
echt, und endlich steinicht. Diesen Ur- 
3prung sieht man noch im Dänischen, wo die 
Endsylbe eines solchen Wortes agtig, und itß 
Schwedischen, wo sie ackteg lautet. 

Der Unterschied zwischen der Endsylbe icht 
und der Endsylbe ig ist auch von guten Sehnig- 
stellern venucUafsigt worden: weil sie sich auf 



i8i 

den feUerbaften Gebrauch ihrer Vorgänger ver- 
liefsen, und zu grammatischen Untersuchungen 
nicht Zeit oder nicht Neigung hatten. Der Un- 
terschied ist gleichwohl sehr einleuchtend. Ig 
zeigt ein ^igenthum an, ein Haben, ein Besit- 
zen; icht aber zeigt etwas an, das gleich zu 
achten ist, eine Gleichartigkeit, Wir sagen: 
langwollige Felle, das ist: Felle, die lange 
Wolle haben; und sagen: ein wo Hiebt er Him^ 
•mel, ein Himmel dessen Gewölk *der Wolle 
gleicht, und wollene Kleider, die ganz von 
Wolle sind. £ii^ haariges Gesicht, ist ein 
Gesicht, das Haare hat; haarichtes Silber ist 
Silber, was Haaren ähnlich) was haarförmig ist; 
ein härenes Sieb, ein härenes Hemde ist 
ganz von Haaren. Der kupfrige Kolbergische 
Seesand hat wirkliches Kupfer bey sich; eine 
kupferichte Haut ist blofs dem Kupfer ähn- 
lich; ein kupferner Kessel ist ganz von Kup- 
fer, Der steinige Weg hat wirkliche Steine; 
die Steinich te Birne hat steinartige, steinähn- 
liche Körner; der steinerne Krug ist ganz 
von Stein. Der Buxbaum ist hartholzig, hat 
hartes Holz; der Apfel ist holz icht, dem Hol« 
ze ähnlich, holzartig; der Zober hölzern, ganz 
von Holz. Eine bergige Gegend h^t Berge; 
(las bergichte Meer wirft Wel)en, die den 
Bergen ähnlich sind. Eine holperige Strafse 
hat harte Unebenheiten oder Holpern; eine hol» 



l82 

perichte Schreibart ist solchen Holpern ähnlich. 
Das Euter (eine Lieblingsfpeise der Römischen 
Leckermäuler) ist milchig , hat noch Milch; 
der Saft der unreifen Feige ist milchicht oder 
milchartig ; auch eine gewisse Gemiithsart (nach 
Wielands Ausdrucle im Könige Lear) ist mil-^ 
ch i ch t , der weichlichen Milch ähnlich. Das Chi* 
nesische Porzellan ist gl a sieht , glasartige der 
Kronleuchter ist gl äs er p, ganz vönGlaTs. Die 
Haut einiger Thiere ist hör nicht, dem Hom * 
ähnlich 9 hornartig; die Dose ist hörnern, 
ganz von Hom. Bluhmichte Fensterscheiben 
nennt Zachariä die gefrornen Fensterscheiben, 
weil sie den Bluhmen ähnlich sind; die Wiesen, 
die wirkliche BlUhmen haben, nennt Kleist 
bluhmige Wiesen. 

Mit Recht sagt man also: der Apfel hat ei- 
nen weinichten, weinartigen Geschmack. Das 
Wasser dieses Brunnens schmeckt tinticht, 
grasicht: der Tinte, dem Grase ähnlich. Ge- 
wisse Anten schmecken fi schiebt, einige Nüs- 
se öhlicht: Fischen ähnlich, dem Öhle ähnlich. 
Dieses weifse Wachslicht riecht talgicht, wie 
Talg. Diese seidenen Zeuge sind flammicht, 
ilammenartig gewebt. Das Brot ist schwam- 
micht, schwammartig; der "" Apfel pelzicht, 
zähe wie Leder oder Pelz. Der Salpeter schiefst 
strahlichtan^ der Spiefsglaskönig ist strah- 
licht, strahlenähnlich. -^ Diese Beyspiele mö- 



. i83 

gen liinlänglicli seyn, den rechten Gebrauch un- 
serer Endsjlbe zu bestimmen. 

Von den ßey Wörtern in ioht bilden wir den 
Komparativ häufige wir sagen: weit glasichter; 
aber den Superlativ vermeiden wir gern. Am 
gl$i sieht sten. ist Deutschen Zungen und Oh- 
ren zu hart. Wir können zwar ein e dazwi« 
sehen schieben y und sagen am glasichtesten; 
welches aber drey kurze Sylben giebt> die we« 
gen der schnellen Aussprache , die sie erfodern, 
unv^rnehmlich klingen. Besser also , wir neh- 
men alsdann unser Wort artige das ist^ Art 
habend zu Hülfe ^ und sagen: am glasartigsten. 

Eben dieses Wort artig gebrauchen wir, 
wenn es nöthig seyn sollte dergleichen Beywör- 
ter in Nennwörter zu verwandeln , einen abge- 
zogenen Begriff damit auszudrücken. Wir sind 
alsdann nicjbt ^o hart j dafs wir die Milchicht- 
heit oder Milchichtkeit sagen sollten , sondern 
brauchen dafür das Wort 'Milchartigkeit, oder 
sagen: das Mjlchichte, das Milchartig^. 

Zuweilen kann es ziemlich gleichgültig 
seyn, ob man einem Worte die Endsylbe ig 
oder ich t giebt: und fjsdann zieht man das 
ig billig vor^ weil es wohlklingender ist. Ich 
kann, zum Exempel, sowohl ranziges als ran- 
zichtes Speck sagen. Im ersten Falle wurde es 
heifsen:' Speck; welches, etwas vom Gerüche 
des Ranzens der Thiere hat: und im andern 



i84 

Falle: Speck, welches dem Gemche des ranzen- 
dea Thieres gleicht, ähnlich ist Eben so kann 
ich sagen ein windiger und ein windichter 
Mensch« Das erste bezeichnet einen Menschen, 
der Wind hat, nehmlich in verblühmtem Sin- 
ne, der das leere Geräusch des Windes hat; 
und das andre beaeichnet einen Menschen, der 
dam Winde an leerem Geräusche gleicht. Ade- 
lung sagt im Wörterbuch: ein windiger Mensch, 
und Wieland in seiner Übersetzung Lucians: 
ein windichter Aufschneider« 

Einige, schreiben unsre adjektivische End- 
sylbe Icht mit Unrecht igt« Dieses igt ist in 
der Deutschen Sprache eine Biegungssylbe der 
Zeitvrörter in igen: Er steinigt, ihr steinigt; 
und ihrer Participieu : gesteinigt, der Gesteinigte. 

V^ Von den Beyrwortem mit der Endsylh^ 

Die Endsylbe lieh (welche Einige mit der 
Endsylbe ig rerwechselt und lig gesdurieben 
haben) scheint ihrem Ursprünge nach so yiel 
SU bedeuten, als gleich, Plattdeutsch lik od^r 
glik« Im Angelsächsischen lautet sie lic, im 
Dänischen wird sie lig- geschrieben, im Engli- 
schen heifst sie ly, und ehemahls bey uns 
leich und- lieh o« Sie wird auf »weyerley Wei- 
se gebraucht« 



i85 

1« Hängt man sieiso wohl an die Nenn'WÖrter^ 
als an die Beywörter und Nebenworter. Zum 
Exempel: königlich 'speisen, gleich einem Köni- 
ge; väterlich sorgen^ gleich einem Vater; brü- 
derlich lieben^ gleich einem Bruder; bürgerlich 
wohnen^ gleich eineni Bürger; fugendlich 
schwärmen, gleich der Jugend. Und eben so 
festlich, weltlich, männlich, Jungfräülichy mansch- 
lieh, göttlich, u. a. m. 

Eben so wird sie auch unsern adjektivischen 
und adverbialischen Stammwörtern angehängt. 
Wir sagen: füfslich^ »äuerlich, bitterlich, grün* 
lieh, bläulich, schwärzlich: was nicht ganz 
süfs, sauer, hitter, grün, blau, schwarz ist, 
aber diesen Eigenschaften doch am meisten 
gleicht. Eben so bilden wir auch ältlich, dick- 
lich, hirtlich, gröblich, kränklich, schwächlich, 
weichlich, und viele andre: wpbey wir den Be« 
griff der Ähnlichkeit sogleich empfinden, sobald 
wir das Wort nur hören. 

Bey dem meisten dieser ^Wörter werden 
die voller . klingenden Vokale ihrer Stammwör« 
ter in dünnere Vokale verwandelt; aus a, o, au 
wird ä, ö, äu, gemacht; aus blafs, bläfslich, 
aus roth röithlich, aus braun bräunlich, u. s. w. 
2. Wird die Endsylbe lieh an die Zeitwör- 
ter gehängt, und da könnte es scheinen, als 
wenn sie hier so viel als leicht, Plattdeutsch 
licht bedeutete. . Was leicht zu thun ist, das 



i86 

ist thuDlioh; was wir leicht mögen, ist um 
möglich. — Diese Wörter , bildet man aus den 
Infinitiven der Zeitwörter^ die ihre Biegungssyl- 
be en zuvor abwerfen^ als: beweglich, zerbrech- 
lich, erweislich, begreiflich: was leicht zu bewe- 
gen ist, oder was sich leicht bewegen, zerbre- 
chen, erweisen, begreifen liUst; endlich, schick- 
lich, veränderlich: was sich^ endet, sich schickt, 
sich, verändert; verächtlich, üblich, gebräuchlich, 
merklich: was zu verachten ist, .oder was ver- 
achtet, geübt, gebraucht, gemerkt wird Und 
eben so auch verdaulich, erträglich, glaublich, 
bedenklich, unerbittlich, unbezwinglich , unbe- 
stechlich , und himdert andre. Wobey zu- be- 
merken ist, dafs ein solches Bejrwort ohne die 
verneinende Vorsylbe un oft gar nicht gebräuch- 
lich ist. Aufhörlich, auslöschlich sind 
nicht im Gebrauch, und noch weniger hör lieh 
und lösch lieh; aber unaufhörlich, unauslösch- 
lich gebraucht und versteht jedermann. Eben 
dieses gilt auch von den Wörtern unwidersteh- 
lich ^ unentgeldlich , unvergleichlich^ unüber- 
steiglich, uiyl andern mehr.r Neue Wörter die- 
ser Art lassen sich noch viele erfinden, und 
viele sind auch schon erfanden worden. 

Komparative ^ und Superlative werden aus 
den Bi^y Wörtern in lieh häufig gebildet: 
menschlicher, am menschlichsten, verträglicher, 
am verträglichsten. Aueh lassen sich manche 



187 

SubstantiTe daraus bilden ^ die einen abgezogen 
aen Begriff ausdrücken^ als: die Menschlich- 
keit^ die Verträglichkeit > u. a. m. 

Merkwürdig ist die Verlängerung, die ver- 
mittelst dieser Endsjlbe lieh gemacht wird, um 
Nebenwörter zu bilden« Man verlängert nehm-«' 
lieh damit die Beywörter in ig.^ Nach der Ana- 
logie des Nebenworts lediglich, welches schon 
längst eingeführt war, finden wir, besonders bey 
unsern Alten: ewiglich, grimmiglich, zorniglich, 
fleifsiglich, heftiglioh, ängstiglich , von dem 
Oberdeutschen B^ywort ängstig; imgleichen 
wilUglich, listiglich, trotziglich, elendiglich: lau- 
ter Adverbien, die auch von neuern guten 
Schriftstellern gebraucht sind* In Wielands < 
Schriften finden wir: mächtiglich, züchtiglich, 
brünstiglich , demüthiglich , groCsmüthiglich, ein- 
fältiglich, andächtiglich. Aristoteles rechnet die 
Verlängerung der Griechischen Wörter zu dea 
vielen Mitteln, die poetische St^rache von der 
prosaischen ein wenig zu entfernen; und nach - 
diesem Grundsatze wären diese Oberdeutschen 
verlängerten Neben wörter nicht zu tadeln; und 
noch weniger zu tadeln , wetm sie mit ihren . 
Stammwörtern bibht völlig einerley wären, son- 
dern zuweilen eine kleine Veminderung des^ 
Begriffes andeuten sollten. Sie ging züchtig-^ 
lieh : einer Züchtigen gleich ; sie vergab dem 
Bubler grofsmüthiglich : gleich einer Grpfsmü- 



i88 

thigen; sie setzte sieh in den Kirchenstuhl an* 
dächtigUch: gleich einer Andächtigeii. 



yi. Von den Beiwörtern mit der Endsilbe sam. 

Die Eadsylbe sam war ursprÜDglich eine 
Vergleichungspartikel I uxmI bedeutete als oder 
gleich. In dem alten Minneliede des Marg- 
grafen Otto von Brandenburg heifst es: In sol^ 
eher Röte, sam ein furig Flamme i als einefeu- 
rige Flamme. Sie Iahtet j sam^ die Sonne: sie 
leuchtet, als die Sonne , gleich der Sonne. 

Der Bejwörter, die auf sam ausgehen, 
sind wenige aq der 2jahL Man sieht leicht die 
Ursache: die Endsylbe sam kömmt mit der End- 
silbe lieh (gleich) iiberein. Sie wird, wie die- 
se, an Nennwörter und Hey Wörter, und auch, 
so wie diese, an Zeitwörter gehängt. Beispiele 
von der ersten Art sind folgende. Grausam, 
von dem Nennwerte Graus gebildet^ würde 
im Lateinischen heifsen: horrori simile; un- 
wegsam, von dem nicht mehr gebräuchlichen 
Nennworte U n w e g : viae non viae simile; selt- 
sam, von dem alten seid, (selten) raro simile; 
einsam, sali simile^ von ein, welches im Frän* 
kischen soviel als solum bedeutet. Der alte 
Übersetzer der Harmonia Evangelistar um, des 
Tatianus sagt: In themo einen Brote ni übet 
der Mann; non. pane solo vivit homo. Von 
diesem Ein kömmt auch Einsiedel , Einsiedeley 



her , welches so viel als AUeinsitz , AUeinwob^ 
nung bedeutet; denn Siedel heifst Sitz: ein 
Wort^ ^ovon das Zeitwort sich ansiedeln, 
anstatt sich ansäfsig machen, noch im Geschäft«- 
styl im Gebrauch ist. Eben so werden von den 
bekannten Nennwörtern Gewalt, Wunder, Be- 
dacht, Heil, Friede^ Tugend, Sitte die Bey wor- 
ter und Neben Wörter gewaltsam, wundersam, 
bedachtsam, heilsam, friedsam, tugendsam, ^it^- 
sam gebildet wobey gleichfalls der Begriff einer 
Gleichheit hervorsticht: gewaltsam, guod viq- 
lentiae simile est; wundersa^i, quod miraculo 
simile est; bedachtsam , quod circumspectioni si^ 
mile est vel convenit; heilsam, quod saluti 
cont^enit; friedsam , quod päd convenit; tugen^ 
sam, quod wrtuti^ sittsam, quod bonis morif^ 
hus convenit vel simile estn 

Noch öfter hängt man diese Endsylbe sam 
an die Zeitwörter, eben so wie mit der End* 
sylbe lieh geschieht. Zum Exempel: wer folg- 
sam ist, der folgt leicht; wer wachsam, wirksam, 
sparsam , sorgsam , arbeit^m ist , der wacht, 
wirkt, spart, sorgt, arbeitet gern. Wer sich 
leicht enthält, ist enthaltsam; wer sich sorgfal- 
tig behütet,' ist behutsam; wer sich gern len- 
ken läfst ist lenksam; wer Vieles er£ndet, ist 
eriindsam. 

Neue Wörter, wie das Wort erfindsam ist, 
lassen sich von Zeitwörtern durch Hülfe dieser 
Endsylbe noch mehrere bilden. Anstatt des 



IQO ^ ' 

fremden Wortes tolerant ^ ist unlängst duld* 
s a m eingeführt worden. Erwerbsam ^ etwas zu 
erwerben geschickt^ hat der Übersetzer von Yo* 
riks Reisen eingeführt. Aufwartsam^ fertig auf- 
zuwarten, gebraucht Bodmer in der Kolombona. 
Ausrichtsam y fertig etwas auszurichten , g^ 
braucht Wieland in Shakespears Sturm. . Über« 
legsam, Fertigkeit besitzend allds wohl zu liber- 
legen, hat Adelung als ein «neu gemachtes Wort 
in sein Wörterbuch aufgenommen. 

Durch Hülfe dieser Endsylbe unterscheiden 
wir auch einige Wörter von einander. Bild- 
lich heifst einem Bilde ähnlich. Ton dem Nenn- 
Worte Bild; bildsam heifst , was sich leicht bü* 
den läfsty von dem Zeitworte bilden. Heil- 
sam, von dem Nennworte Heil, was zum Heil 
dient; heilbar, von dem Zeitworte heilen, 
was geheilt werden kann. Eine Handlung nen- 
nen wir sittlich, eine Person sittsam. Wir sa- 
gen: die gewaltige, Gewalt habende Person,. und 
die gewaltsame Handlung. Eine Person, die 
furchtsam ist, fürchtet sich; eine Person, die 
furchtbar, oder eine Sache, die fürchterlich ist, 
wird gefürehtet. Wer unduldsam ist, der dul- 
det nicht ; wer iinduldbar ist , der kann nicht 
geduldet werden: 

— - — - Ein um unsre Schuld mitwissend Hausgesind 
Ift «in Tyrann» un duldbar in di« Lange. 

^ Nicola/. 



Zum Unterschiede vo» empfindlich, welches 
in sittlichem Verstände eine fehlerliafte Eigen- 
schaft bezeichnet, 'hat man das Wort empfind- 
sam eingeführt, eine gute Eigenschaft dadurch 
anzudeuten. Es ist aber^ wegen vieler Perso- 
den , die sich mit Empfindsamkeit zieren wollen, 
sehr zu besorgen, dafs dieses Wort s^ine gute 
Bedeutung; wieder verlieren und nur dienen wird 
eine vorgegebene zar teEmpfindung anzudeuten. 
Dafs alle unsre Beywörterin sam von den 
Beywörtern, die andre Endsylben annehmen, 
unterschieden wären, kann man nicht behaup- 
ten. Bedachtsam und ' bedächtlich , tugendsam 
und tugendhaft, friedsam und friedlich , wun« 
dersam und wunderbar, diensam und dienlich 
sind gleichbedeutende Wörter. Von dergleichen 
Wörtern pflegen daher einige wieder abgeschafft 
zu werden. 

Manche Schriftsteller haben aus den Bey- 
wörtern in sam durch . die angehängte ^ Sylbe 
lieh Nebenwörter gemacht. Wir finden bey Ei- 
nigen heilsamlich; bey Opitzen grausam«- 
lieh. Wernike gebraucht das Adverbium sitt- 
sam lieh; Steinbrüchel in der Iphigenia des Eu- 
ripides gemeinsamlich. Doch hat dieser Ge- 
brauch wenig Nachahmer gefunden, weil die 
Endsylbe lieh und sam gleichbedeutend sind. 

Komparative und Superlative lassen sich 
von den Wörtern in sam sehr gut bilden^, als: 



gransamer , am grausamsten. Und eben so aucli 
I^ennwürter, abgezogene fiegrifFe auszudrucken^ 
die Grausamkeit, Arbeitsamkeit , Sparsamkeit,! 
Folgsamkeit , Furchtsamkeit , u. a. m. 

Wird die Sylbe sam verlängert , so ist sie 
in der Deutschen Prosodie bald lang, bald kurz. 
Was wir aus dem Gebrauch einiger unsrer Ds^di* 
ter hierüber abziehen können, ist folgendes. 
Wenn vor den Sylben samer, same, sames 
eine kurze Sylbe vorhergeht , so mufs sa lang 
ausgesprochen werden, obgleich die Eadsylbe 
e;ne blofse Ableitungssylbe ist. Dieses ist der 
allgemeine Gebrauch. Würde dieses sa kurz 
ausgesprochen, so bekämen wir bey manchem 
verlängerten Worte, drey kurze Sylben hinter- 
einander, als: tug^ndsamer, welches nicht wohl 
auszusprechen ist* Auch beobachten dieses die 
Poeten allemahL Zachariä in Miltons verlöre- 
nem Paradiese schreibt: 

••-—-» — —. Ihre barmoniacben Lieder 

Hielten die sammtlicbe Höü' in aufmerkiamer Bewundruof. 

Imgleichen; 

— — ,— Den lElückweg ?ielleicbt durch diesen nimmer be- 

tretnen 
Unwegsamen Abgrund verbindre. 

Wenn aber vor den Syjben samer^ same, 
sames eine lange Sylbe vorhergeht, so wird sa 
von einigen Poeten kurz, von andern lang aus- 

gespro* 



gesprochen. Der Übersetzer des verlorenen 
Paradieses fäiigt sein Glicht mit diesem Hexa-- 
meter an: 

Von dem ersten Vergehn des uagehortamen Mensehfn; 

und an einem andern Orte heifst es: 

Durch die u^ergrundllclie Tiefe inxc eiasaiAen Schritten. 

Eben so auch Klopstock in diesen Ausgängen 
seiner Hexameter: Einsame Höhlen — - mit 
langsamem Schritte -^aus treuer sorgsamer Ahn- 
düng — vom Blut der Grausumen trunken« — 
Imgleichen Uz : Da lauschen furchtsame Nym-. 
phen; — Pandions einsame Tochter. Auch Wie- 
land: Almansor giebt den grausamen Befehl; — 
der Tode grausamsten zu sterben soll er leben. 
Ferner I. N. Götz: Damahls war er ein sittsamer 
Hirt} — kleine Grausame; — seltsames Ding. 
Nicolay, der Dichter^ sagt gleichfalls: 

— — — Es geht 

Des luftigen Altanes. Thüre 

Kach einem einsamen Reviere. 

Andere dehnen diese Sylbe sa ein* wenig, 
Nlcolay, der kein Bedenken getragen hat> auch 
diesem Gebrauche zu folgen^ sagt: 

So Kfie ein Pantherthier« das auf einsamer ReiM. 

Eben soWeilse in seinem Trauerspiele Krispus: 

N 



»94 

In eine belsre Welt, in du frieduime ' Thal; •— > 

Die Schande furcht* 'ich nicht meht , als den gräusämsteo 

Tod. 

Noch Öfter bringt er diese Sylbe als lang in den 
Anfang des Verses : 

Grausamer Krispus« kcb! wie heralich hals* ich dich! — 
Grausamer Richard» nein! so schrecklich du auch biit.^ 
Grausame Roniginn! bedrängter Eduard! 

Eben so accentuirt auch Elias Schlegel: 

Grausame, ja! vielleicht hat man dich losgeaahleL 

Oder n;ian bringt diese Sylbe in den An&ng 
der zweyten Hälfte des Verses , wie Haller: 

Ein trauriges Geschwarm einsamer Vogel schwirrsti 

Hier sind noch ein Paar Exempel: 

Friedsame gesellige Lanbe, 
Mit Rosen und Geifsblatt gesiert. — 
Wachsamer, als alles Gefieder, 
Erlullt sie den dämmernden Hain* 

In diesen Versen machen die beiden ersten Syl- 
ben des Wortes einen ^Spondeus aus, den wir 
im DeUamiren so aussprechen, dafs die erste 
Sylbe, ob sie gleich in diesen Versen kurz sejo 
sollte , dennoch . einen hohem Ton bekömmt, 
weil sie die Wurzel des Wortes enthält, die 
wir gern stärker accentüiren, als die blofse Ab- 



leitungssylbe ; dieser Ableitungssylbe aber giebt 
man einen halblangen Ton, man schleift sie 
ein wenig, so wie wir es mit unsern zusam- 
mengesetzten Wörtern gichtbrüchig, heifs- 
hungrig, scheelsüchtig und hundert andern 
zu machen pflegen, welche die Dichter gleich- 
falls am liebsten in den Anfang des jambischen 
Verses bringen» 

Da bey der Aussprache der verlängerten 
Sylbe sam auf beiden Seiten gute Autoritäten 
vorhanden sind, so scheint es, dafs sich die Poe- 
ten ihr Recht nicht werden nehmen lassen , ei- 
nen. Gebrauch von derjenigen Aussprache zu 
machen^ die sich zu ihrem Sylbenniafse am 
besten schickt. 

yiL Von den Beiwörtern mic der Endsylbe 

bar. 

Die Endsylbe bar scheint vo.n dem alten 
und noch jetzt im Niedersächsischen gebiäuch- 
liehen Zeitworte baren, tragen, (Englisch : 
to bear) entstanden zu seyn, eben so, wie die 
Lateinische Endsylbe fer in aurifer, fructifer, 
ignifer, lucifer, opifer von ferro herkömmt. 
Fruchtbar, lastbar, dienstbar, zinsbar, nutzbar: 
was Frucht,' Last, Dienst, Zins, Nutzen trägt 
oder bringt. Scheinbar, was den Schein an 
sich trägt; steuerbar, was Steuer trägt; kostbar, 

N3 



106 

was Kosten I furchtbar, was Furcht, undankbai^ 
was Undank tragt oder bringt. 

Die meisten Beywörter in b a r werden abei 
aus ZiCitwörtem gebildet, und bey solchen 
scheint diese Endsylbe von dem alten Zeitwor 
te baren, thun, verrichten, abzustammen, wo- 
von noch im gerichtlichen Styl schalten und 
gebaren übrigist« Alsdann bezeichnen diese 
Wörter, eben so^ wie die mit der Endsylbe lieh 
im zweyten Verstände, etwas das thunlich, dsu 
möglich ist, wie im Lateinischen yacz7/j , possi- 
bilis. — * Zu Folge dieses Begriffes heilst reiz 
bar, was leicht zu reizen ist; als: reizbare Ner- 
ven; untheilbar, was nicht zu theilen ist; un 
heilbar, unbrauchbar , unzählbar, unschätzbar: 
was nicht zu heilen , zu brauchen , zu zählen.. 
zu schätzen ist; u. a. m. . 

Diese Endsylbe thut uns die besten Dienste 
bey Erschaffung neuer Wörter, die wir aber au& 
Zeitwörtern und nicht aus Nennwörtern ma- 
chen, als: mahlbar, trinkbar, anwendbar, be- 
handelbar, unhörbar, unbezähmbar, unfühlbar, 
unveirwundbar , unbewohnbar, unaufführbar; 
(von Schauspielen gebraucht) untrennbar, -uner- 
i-eichbar, unstillbar, unfüUbar, unverhüUbar, un- 
vereinbar , unaussöhnbar, unaustilgbar, unverlier- 
bar, unerklärbar: lauter Wärter, die aus sehr 
guten Schriftstellern hergenommen sind, und 
den Vortheil haben, dafs sio wohlklingender 



I 



157 
sind, aU die WöVter in lich^ die oft eben das- 
selbe bedeuten. Die Wörter nntröstbar^ uaab' 
sehbar, unauflösbar, unverzeihbar, unbezwing« 
bar sind wohlklingender und neuer , als die 
Wörter untröstlich , unabsehlich, unauflöslfch, 
unverzeihlich, unbezwinglich ; und werden da- 
her von den Poeten am liebsten gewählt« 

Oft ist uns diese Ei^dsylbe nöthig, zwey 
Begriffe von einander zu unterscheiden ^ als: 
wunderbar von wunderlich, manobar von männ- 
lich , ehrbar von ehrlich, unempfindbar , wenn 
von Sachen , die nicht empfunden werden kön- 
nen , unempfindlich , wenn von Personen, die 
nicht empfinden, die Rede ist. Unbeträchtlich 
heifst, was nicht zu betrachten werth ist; un- 
betrachtbar, was nicht betrachtet werden darf, 
wie die Bundeslade der Israeliten. Ergetzlich 
wird von Sachen, ergetzbar (ein Wort welches 
Wieland eingeführt hat) wird allein von Perso« 
nen gebraucht. Was verführerisch ist, kann 
verführen; was verführbar ist, kann verführet 
werden. 

Einige Schriftsteller, besonders in Ober« 
deutschland, verlängern diese Beywörter in bar 
durch die Endsilbe lieh, um NebeQwörter dar- 
aus zu bilden. Wieland hat einige davon in 
die Dichtersprache gebracht. Er gebraucht 
sichtbarlich, dankbar lieh, unfehlba rl ich; 
und in dem Roman Sebaldus Nothanker 



ig« 

halfst es von einer frömmelnden Jungfer : Ihre 
Augen waren fast immer niedergeschlagen; doclx 
wenn sie sie aufhob, war ihr Blick zwar sehr 
durchdringend y aber ihre Augen £elen sogleich 
wieder ehrbarlich nieder. Hier scheint 
ehrbarlich so viel zu bedeuten ^ als: gleich 
einer Ehrbaren, 

Komparative und Superlative lassen sich 
fast aus allen diesen Beywörtern bilden« Silber 
ist ziehbarer I als die geringern Metalle; Gold 
ist .das ziehbarste unter allen. Eben so auch 
einige Nennwörter ^u abgezogenen BegrifFen, 
als: Brauchbarkeit y Dankbarkeit , Fruchtbar« 
keic. Strafbarkeit, u. a. m. 

Mit dem Zeitmafs der verlängerten Sylbe 
bar verhält es sich eben so, wie mit der ver- 
längerten Sylbe sam: die Dichter gebraueben 
einige davon bald lang^ bald kurz. Haller sagt 
an einem Orte: 

Furchtbares Meer der ernsten Ewigkeit» 
Uralter Quell von Welten und von Zeltes* 

An einem andern Orte sagt er: 

Nicht fern von diesem streckt voll futterreicher Weide 
Ein fruchtbares Gebirg den breiten Kücken her. 

Auch Wieland sagt iin Oberen: 







— . .*-. sich einen Weg eraswingt. 

Der ihn in fruchtbare Gefilde . . . bringt; 



\ 



r 



^99 
uixd in e^en demselben Gedichte: 

— Wo ist der Stempel der Natur, 

Der einen König macht» sichtbarer je gewesen? 

Eben so heifst es in seinem Idris: 

Bemerkt an seinem schönen Gast 
Den uny^hehlbaren Kontrast; 

und an einem^ andern Orte dieses Gedichtes: 

Kein Gegenstand der unstillbaref) Triebe. 

Die Regel, welche die Poeten iiie übertrcT 
ten haben 9 ist bey dieser Ableitungssylbe eben 
dieselb^i die sie bey der Ableitungssylbe samer 
beobaofaten. Wenn vor den Sy Ibeki barer, 
b a ^ e , bat r e s > eine^ kurze 3ylb0 vorhergeht , s6 
wird.ba allem^hlläng iiU6gesprocheti.- Man ac- 

eentuirf allemahlfu« Wandelbare Geschöpfe, fon- 

derBare Gestalten, oEFehbarfe Gewalt, steuerba- 
re Gütef; ' Wönii*aber t'or dfer Sylbe barer 
eine lange Sylbe vorhergeht, sp wird ba von 
Einigen kurz , ' yon Aridöli^n lang ausgesprochen. 
Beyspiele' dör ersten Art^ sind folgende Ausgän- 
ge von Hexametern ih Klopstocks Messiade: 
Inr sichtbarer Schönheit — den furchtbaren Nah- . 
men --^-'delh' dienstbare^ Aiige -^ den Straf ba- 
ren meiden — seit undenkbaren Zeiten'— Ver- 
sammlucfg'unzählb^rer Menschen. 



20O 

Bevspielc der andern Art sind folgende: 

Durch Fromme He ucbeley, durch ehrfurchsvolle Mienen, 

Schcinbdie Grofsmuth liefs ich mich su bald versühneo. 

Weifse, in dem Trauerspiel Krispus* 

Streitbarer Held, du fielst durch keines Feindes Hand, 
Du fielst durch Meuchelmord* 

Die oI)en angeführten Verse Hallers und Wie- 
latids gehören gleichfalls hierher: Furchtbares 
M< er ; — sichtbarer je gewesen. In diesen 
Exempeln i^t das Wort von zweifelhaftem Tone 
mit Fleifs in den Anfang des Verses oder Halb- 
verses gebracht worden, wo es, jaus guten Ur^ 
Sachen, dem Ohre weniger auffällt. 

Bey dieser Ungewifsheit der Quantität ha- 
ben sich Einige durch eine Verküreting des 
Wortes zu helfen gesucht* Uz schreibt : Hoch 
über furchtbam Wäldern ;bin: e^n Vers>. der 
hier wegen der dicht ^untereinander folgenden Kon^ 
sonanten t^ ein weiyig zu hart geworden ist. We« 
niger hart ist bey eben diesem Dichter der Vers: 
Von meinem dankbaru Saitenspiel ; und dieser 
yonWeifse: Den strafbarn Gegenstand der Wollust 
und der Wuth; . und diese von Nicblay; Das 
nahe Ziel des nicht erhajtbarn Lebens; -^ der 
unbezwingbarn. Pein mich au ei^tschlfigen. Am 
wenigsten hart würde es seyn , weiin' auf der- 
gleichen Wort. in arn ein Vokal folgte. 



^01 

I 

I 
/ , ■ - 

Da die Poeten oft in 4em Falle slod> efnen 
kleinen Mifslaut einer höhern Schönheit auizu- 
opfern, so macht sich Wieland kein Bedenken, 
diese Abkürzung öfter zu gebrauchen. Wir le- 
sen in seinen Gedichten: Den unverlierbarn 
Schatz; — uns drückt mit seiner ganzen Turcht- 
barn Schwer^; — den unvergefs^barn Kufs; — 
er nähert sich der unzugangbarn Grotte; -^ 
die unabsehbarn Flächen; — der Drang der un- 
auflialtbarn Triebe., Eben dieser Freyheit be« 
dient. er sich noch an mehrern Orten seiner 
Gedichte. Man kann, den Poeten diesen Ge- 
brauch desto eher verstatten, da das Ohr schon 
ähnliqheir Tönß in unsrer Sprache gewohnt ist; 
denn wir haben* einige Wörter in arn, deren 
wir uQSr'bedienen ]^üssen• Wir sagen; die 
Tartarnj-«- wer.mit Pindarn eifert Und 
Lichtwehr : 

Die, Ao über Barjrbarn siegen, 
Sollen nicht »u lange kriegen. 

Imgleichen Haller: 

Die WelCf die Cäsar n dient, ist meiiier nicht mebr^erth. 

VIII. Von den Beywönern mit der Endsylbe 

h af t, \- 

Die Endsylbe baft schlie&t den Begriff 
von haben in sich ^ und kömmt also mit der 
Sylbe ig überein. Schamhaft , ernsthaft^ tu- 
gendhaft , feblerh^t j mangelhaft , gewissenhaft 



202 

Keifst: Scham, Ernst, Tugend, Fehler, Man- 
gels Gewissen habend« 

Anstatt dieser Endsylbe wird zu derglei- 
' eben Substantiven oft das Wörtchen mülsig, 
das ist, des Dinges Mafs habend, dem Dinge 
gemäfs, hinzugesetzet, als: romanenmäfsig, nach 
Mafs , nach Mafsgebung der Romanen ; schiiler- 
mäfsig , nach Schülermafs. Eben so sagt man : 
hasenmäfsig, eselmäfsig, buhlermäfsig, huren- 
mäfsig, rlesenmafsig , soldatenmafsig, kinder- 
mäfsig , baurenmäfsig , virtuosenmäfsig, ammen* 
mäfsig. Diese angeführten Wörter haben alle 
bereits die Sylbe haft bekommen, worunter 
einige neu gemachte sind. Man findet in den 
Schriftstellern : romanhaft, schülerhaft, hasenhair, 
eselbaft, buhlerhaft, hurenhaft, rJeserihaft> sol- 
datenhaft, kinderhafk, ob wir gleich das Wort 
k i n d i ^ch schon haben, welches ein wenig här- 
ter zu seyn scheint. Ferner: baurenhaft, ein 
Wort, welches Frisch im Deutschen Wörter- 
buche anführt; Virtuosenhaft, nach der Analo- 
gie des Wortes meisterhaft geformt; am- 
menhaft, , von der Amm^ etwas an sich ha*» 
bend: ein Wort, welches Wieland sehr glück- 
lich im neuen Amadis angebracht hat. Eben 
dieser Dichter gebraucht in der -Klelia das 
Wort knabenhaft, imidris das Wort nym« 
phenhaft, im Oberon das Wort rosen- 
haft , ein Wort, welches auch -mehrere Poe- 



2o3 

ten gebraucht haben. Im Agathon finden wir 
das Wort launenhaft, nach der Analogie des 
Worts grillenhaft^ ob wir gleich schon lau- 
nisch in übelm und in' gutem Verstände lau- 
nig in der Sprache haben». Dar launigste Ton, 
sagt Lessing in der guten Bedeutung des Wor- 
tes, und in der Übeln Bedeutung Pfeffel: ein 
launischer Tyrann. 

Weil man bey der Sylbe haft sich die 
Worte etwas ansich habend sehr leicht 
hinzudenkt, so kann man mit dieser Sylbe am 
besten neue Wörter bilden, welche uns so- 
gleich verständlich sind , sobald wir siö hören. 

, Es ist. oben bey den Wörtern ii^. lieh ge- 
sagt worden, dafs wir nicht gewohnt wären, 
unsre adjektivischen :£ndsyibcn solchen Substan* 
tiven anzuhängen, die bereits eitr ähnliches An- 
gehängsei haben, um sie dadurch zu adjektivea 
umzubilden. . Indessen hat es Wieland doch 
gewagt, diese Endsylbe haft den substantivi- 
schen V^rklainerungssylbea oben und'liiig an- 
zuhängen., Er schreibt Veilchen haft, früh- 
ling haft* Dieses ist nicht zu kühn. Bey den 
Wörtern Veilchen und FrühHng gedenkt man 
nicht mehr an ihre Endsylben, sondern hält, sie 
schon für Stammwörter, denen die Endsylbe 
haft zukömmt. Der Übersetzer von Klinkers 
Reisen wagt mehr: er rhängt sie an die subr 
stantivische JSndsylbe nils, und schreibt be^ 



204 

gräbnifshaft« Doch bejr eiziem. solchen zu- 
ent gewagten Worte kömmt alles auf die Gat- 
tung der Rede an , in der man es gebraucht, 
auf die Stelle, wohin man es setzt, auf die 
Person y der man es in den Mund legt. la 
scherzhaften Werken erlaubt man sich oh^ was 
man in Ernsthaften sich nicht eriauben würde. 
Die Endsylbe haft wird zuweilen durch 
die Eadsylbe ig verlängert« So wie wir sagen 
wahrhaftig, leibhaftig, theilhaftigi so sagt der 
Übersetzer "von Klinkers Aeisen ernsthaftig. 
Bey Andern finden wir und hören auch im ge- 
meinen Leben: gewissenhaftig, schwatzhaftig, 
standhaftig, dauerhaftig, lebhaftig, und mehre- 
re Verlängerungen dieser Art. Hieraus bilden 
wir Nennwörter in keit für abgezogene Begrif- 
fe, welche sich aus der blofsen Endsylbe Jiaft 
nicht ohne die allergröfseste Härte würden bil- 
den lassen, als: Wahrhaftigkeit , Ernsthaftig- 
keit , Gewissen haftigkeitV ächwatzhaftigkeit, 
Standhaftigkeit, Dauerhaftigkeit, -Lebhaftigkeit, 
u. a. ra.'i Vielleidit hat man diesen gewils spä- 
ter eingefül^rten Substantiven zu Gefallen den 
Altern Adjektiven in haft diese ihnen sonst 
unnöthige Sylbeig angehängt^ damit zwischen 
dem neuen Substantiv und dem alten Adjektiv 
mehr Gleichförmigkeit -herrschen möchte. Un- 
sre Alten bedienten sich dazu des i>lofsen Vo- 
kals iy sie sagten: Wahrhaftikeit; wodurch das 
Wort an Wohlklang gewann. 



stoS 

Bey der SteigerAog der Wörter in haft ist 
nichts zu bemerkto, als dafs die Sylbe haft 
bey der Verlängerung des Wortes lang wjrd^ 
und dafs also dergleichen Wörter von de.n Poe- 
ten am besten in den Anfang, sowohl des Ver- 
ses^ als des mittelsten Abschnittes ^ gebrächt 
werden. 

Era^chÄfter war der Maan, scbalkhafur Yfv das Weib. 

Wenn man die Sylbenmafse der Griechen und 
Römer gebraucht ^ so bringt man sie, was den 
Hexameter betriiFt, in den Anfang desselben; 

Kein Zaghafter erhält den Kran«, der die Sieger erwartet. 

Wenn man die Skazonten oder so genannten 
hinkenden Verse der Alten nachahmen will, so 
kann man sie bequem an das Ende bringen: 

Bescheidner war Dorant, und Tbraso prahlhafter. 

t 

Auch bringt man sie zuweilen in die Mitte des 
Pentameters, wo zwey lange Sylben zusammen- 
stofsen: 

Billig ist Lydia tchamhafter bey Tag', als bey Nacht. 

I 

Oder in die Mitte des Asklepiadeischen Verses, 
wo der Abschnitt ist: 

Fürstentochter^ noch bosbaTter, ala Tullia. 



206 

Oder des grösserii Asklepiadeischen Verses^ der 
£wey Abschnitte bekömmt: 

Nach dem Muftte/ der sundbaFcen und streitbaren Semi- 

ramis. 

Man sieht leicht^ dafs man auch die Endsylbe 
samer und barer an gleiche Stellen hinbrin-' 
gen kann. Eben dieses gilt auch von unsem 
zusammengesetzten Wörtern aller Arten, als: 
glanzvoller^ Einsiedler, Mordscene, ausdaureiij 
Anbeter und unzähligen andern, die unsre 
Sprache zu einer spondeenreichen Sprache ma- 
chen. 



^^7 

jf n h a n g. 



Aufser diesen Beywörtern, die mit unsem acht 
End^ylben gebildet werden/ müssen wir noch 
UQsrer Stammbeywörter erwähnen. Der- 
gleichen sind die Wörter: alt, blind , dreist, 
faul, gut, hart, jung, und etliche Hundert an- 
dr«. Sie sind , . wie es .Stammwörtern gebührt, 
einsylbig. Der Stamm des Wortes^ wie des 
Baumes, steht zuerst einzeln da, und verbrei- 
tet sich hernach in Zweige, als: süfs, füfser, 
SUfsigkeit, Süfsigkeiten. Wäre das Stammwort 
schon mehrsylbig,' so entstände durch die hin« 
zukommenden Sylben eine Weitschweifigkeit, 
wie im Italiänischen , wo aus dolce zuerst dol- 
cemente, und endlich dolcissimamente 
gebildet wird. • 

Doch giebt es auch einige zweysylbige 
Stammbeywörter im Deutschen, welche durch 
die Vorsylbe ge dazu gemacht worden sind, 
da sie vorher im Niederdeutschen einsylbig wa* 
ren. Aus sund (bist du noch s und?) machen 
wir im Hochdeutschen gesund. Das Plattdeut- 
sche nau (mit nauer Noth) verwandeln wir in 
genau. Aus dem Plattdeutschen Nebenworie 
wi/s (wifs und wohr) machen wir gewifs. Das 
Hochdeutsche gering heifst im Plattdeutschen 



V*-, 



20Ö 

ring. So hieis es schon bejrm Kero, und so 
heifst es auch im Schwedischen. Geiind hiefs 
ehemahls lind, und wird von neuern Ppeteo 
wieder eingeführt 9 und dem Westwinde gleich- 
sam als ein beständiges Beywort gegebeja; über- 
all lieset man: der linde West. 

Andre zweysylbige Beywörter> welche die 
Endsylben el^ en, er bekommen haben, siad 
theils urrprünglich einsylbig gewesen, als sauer, 
welches säur hiefs > Englisch sowr. Holländisch 
zuur, im Plattdeutschen, Schwedischen, An- 
gelsächsischen sur; selten, welches, Angel* 
sächsisch seid hiefs, und im Plattdeutschea 
sein heilst: — « theils sind es keine wahren 
Stammwörter, sondern abgeleitete Wörter. So 
ist ätt, das Geschlecht^ wovon Atta (Vater) 
in sehr vielen Sprachen vorkömmt, das Stamm« 
wort von ed*el, generoskisi ätt bekömmt 
nehmlich die Ableitungssylbe el. — Öd, va- 
nuSf ist, nach Adelungs Meinung, das Stamm- 
wort von eit-el, und die Sylbe el die bekann- 
te angehängte Yerkleinerungssylbe ; wie in dem 
Worte Schwertel, gladioliiSy und vielen an- 
dern. — Dunkel heifst in dem verwandten 
Englischen dun. Auch heifst im Isländischen 
dunkr (mit Einer Sylbe) und im W^Uisischen 
du schwarz, so dafs die Endsylbe in dunkel 
die Stellender ähnlich machenden Endsylbe lieh 
vertritt, und also das Wort, so viel als schwärz- 
lich 



209 

lieh bedeutet. — Trocken (bey Einsgen 
treug, Plattdeutsch drög, Englisch dry) ist, 
nach Adelung3 Meinung , Ask& Participium einet 
veralteten Zeitwortes; dieses Zeitwort heiist jetzt 
im Plattdeutschen drögen^ trocknen. -— Bit- 
ter, welches im Holländi6chen ^ Englisch en^. 
Schwedischen, Dänischen eben so, und im Au- 
gelsächsischen, biter laute t, kömmt ohne Zwei- 
fel von dem Zeitworte biten» beifsen her:. 
Wat bit, isbitter, würde der Plattdeutsche 
Etymologist sagen. — Mager lautet im Hol- 
ländischen^ Schwedischen und Dänischen gleich- 
falls mager, im Angelsächsischen maeger, im 
Englischen meag er, Im Lateinischen macer, 
im Italiänischen und Französischen magre und 
maigre. Das Glriechische* /<<»(•;. ist damit ver« 
wandte und besitzt den dünnesten Vokal i, der 
sich auch (Zur Kleinheit und Magerkeit am bes- 
ten schickt. Wenn das Deutsche mager, nach 
Adelungs Muthmafsung, mit den yorgenannten 
zu Einer gemeinschaftlichen Quelle gehört, so 
wird das alte Wort vermuthlich einsylbig gewe* 
sen seyn, ehe es in unster und den verwand- 
ten Sprachen die Ableitungssylbe er, und In 
der Lateinischen die Sylbe us, und in der Grle- 
chischei; die Endsylbe o s angenommen hat. 

Die übrigen vielsylbigen Beywörter der 
Deutschen Sprache sind offenbar keine Stammr 
Wörter , sondern yon Zeitwörtern abgeleitet wor* 



den: es sind dla Partioipien derselben, als: ge- 
saken , gefangen , geladen , gespalten , gebogen, 
gebrochen ,« getreünety gebrannt, verwandt, ent- 
fernt» entzückt, befestigt, vollendet y und an- 
dre mehr. Man nennt ein solches Wort im 
Lateinischen ein Participium^ weil es so wohl 
an ^m Zeit werte als Beyworte An t heil hat, 
und im Deutschen Mittelwort, weil es zwi- 
schen beiden das Mittel hält. — Beywörtem 
dieser Art können wir am besten unsre Vernei- 
nungspartikel un vorsetzen, als: unerwiesen, 
unentschlossen , unberufen , ungesalzen , uuge- 
gründet I unvollendet, u. s. w. obgleich ihre 
Stammzeitwörter diese Verneinungspartikel nicht 
annehmen , sondern sie erst bekommen können, 
wenn dem un die Sylbe ver vorgesetzt wird, 
aU: veruntreuen , verunehren , verunglimpfen. 
Noch mehr vielsylbige Beywörter werden 
durch die Zusammensetzung erhalten. Diese 
sind in der That unzählbar: denn sie können 
täglich vermehret werden. Dergleichen sind 
diejenigen, die mit den Wörtern mäfsig, ar- 
tig, fertdg, förmig zusammengesetzt wer- 
den, als: titanenmäfsig , wellenartig, streitfer- 
tig, eyförmig, u» s. w. Noch viele andre wer* 
den auf ähnliche Weise mit Substantiven zusam- 
mengesetzt. Wir sagen, eben so verständlich, 
als poetisch: kräuterreiche Thal er, felsenfester 
Glaube, freudenleere Tage, kummervolle Nach- 
te, endloser Jammer. 



5211 

Wieder auf die einsylbigen Stammbeywör- 
ter zurück zu kommen, so ist noch zu bemer* 
keo^ dafs der Komparativ und Superlativ der- 
selben zuweilen die Vokale a, o^ u^ au, in die 
Zwiscfaenvokale ä, ö, ü, au verwandelt. Doch 
behalten zum Glück die meisten ihre wohlklin- 
gendem Stammvokale^ als: weit falscher, weit 
matter, starxer, kahler, lahmer, toller, froher, 
stolzer, morscher, stummer^ schlauer, rauher 
und alle übrigen in au. Ja, man fängt schon 
an bej Steigerung dieser Wörter die Anzahl ih* 
rer bisher angenommenen Zwischenvokale ^ zu 
vermindern, und spricht und schreibt: eine 
schmahlere Gasse, der klareste Beweis, banger^ 
als jemahls: anstatt schmähler, klärer, bänger. 

Nebenwörter, aber nur wenige, hat man 
aus diesen Stammbejwörtern durch die beiden 
aneinander gehängten Endsylben ig und lieh 
gebildet. In Wielands Gedichte Geron der 
biederherzige finden wir ' das Nebenwort 
härtiglich, und in seinen Abderiten dasNe* 
benwort fest ig lieh. Die blofse Endsylbe lieh 
konnte hier nicht gebraucht werden* Festlich 
(von dem Substantiv daS Fest) bedeutet ganz etwas 
anders als festiglich; und hart lieh gleich* 
falls etwas anders, als härtiglich. Durch 
hart lieh wird allemahl in physischem Verstau-* 
de ein wenig hart ausgedrückt, hier aber soll 
es in moralischem Verstände genommen wer** 

O 2 



den: »Ich erinnre michs sehr wohl, • . . . wie 
Ihr härtiglich mich abgewiesen.« 

Nennwörter zu abgezogenen Begriffen las- 
sen sich aus unsern einsylbigen Stammbey Wör- 
tern durch die substantivische Sylbe heit in 
grofser Anzahl bilden. Dergleichen sind: die 
Blindheit, Dummheit, Echtheit, Falschheit, 
Faulheit, Feinheit, Frechheit, Freyheit, Geil- 
heit, Gleichheit, Kargheit, Keckheit, Keusch- 
heit, u. a. m. Imgleichen durch die ähnliche 
Sylbe keit, wenn man vorher dem einsylbigen 
Adjektiv die Endsylbe ig angehängt hat. Der- 
gleichen sind: die Blödigkeit, Dreistigkeit, 
Festigkeit, Feuchtigkeit , Frömmigkeit, Lauig- 
keit, u. a. m. Unsre Alten b^halfen sich auch 
hier mit den Vokalen i oder e Begreif der 
Schalen Hänikeit heifst es in den alten Fabeln 
eines Ungenannten $ und in dem Minnel^ede 
des Grafen von Niuwenburg: Gewalt dur Milte^ 
heit, Gewalt dnrch Mildigkeit. -— So viel von 
den Deutschen Beywörtern. 

Der sprachkundige Philosoph Leibnitz 
schreibt, er kenne unter allen Sprachen keine, 
die philosophischer wäre, als die. Deutsche. 
Damit aber die Ausländer unsre Sprache nicht 
zu sehr beneiden, welche sie lieber barbarisch, 
als philosophisch nennen möchten, ^ so wollen 
wir hier noch bekennen, dals es unsrer Spra- 
che eben so gegangen ist, wie allen übrigen. 



2l3 

Nicht den Philosophen^ sondern dem. Volke, 
nicht den aufgeklärten, sondern den ersten ro- 
hen Zeiten haben die Sprachen ihren Ursprung 
zu danken: folglich haben sich auch in die un- 
srige Abweichungen von unsrer Regel geschli« 
chen. Man hat aber diese Abweichungen nicht 
zu oft anführeä, sondern nur die Erfinder neu- 
er Wörter auf den eigentlichen Genius der 
Sprache etwas aufmerksamer machen wollen. 



Karl ff^ilhelm Ramler. 



2l4 

lieber Artikel, Hiilfs - üncl Personenwör- 
ter der neuem Sprachen , 'von loJiann 
loachini Engel. 



JL/ie neueren Sprachen verlieren in Verglei- 
chung mit den alten unendlich durch das lange 
Geschlepp ihrer Artikel^ ihrer Hülls- und Per* 
sonenwörter. Schriftsteller, denen Nachdruck 
und Eleganz nicht gleichgültig sind ^ vorzüglich 
Dichter und Redner^ machen nur zu oft die 
Erfahrung: wie viel die Kürze ^ die Kraft, die 
Bündung des Styls bey dieser Einrichtung lei- 
den. Es ist den Neuern fast unmöglich, in 
Schilderungen so gedrängt, im Ausdruck der 
Leidenschaften so starke in Sentenzen so kraft- 
voll, in Gegensätzen so präcis, in witzigen Ein- 
fällen so gespitzt , wie die Alten zu schreiben. 
Inschriften, deren Seele die Kürze ist, wollen 
in neuem Sprachen vollends gar nicht gelingen. 
Bei allen diesen unläugbaren Nachtheilen 
sieht unser vortrefflicher Sprachforscher, Herr 
Adelung, in den Artikeln, den Hülfswörtern 
Und den übrigen . Eigenheiten der neuern Spra- 
chen nicht allein einen Beweis voti der fortge- 
schrittnen Kultur unsers Geistes, sondern er 
hält sie auch für eine Wirkung dieser Kultur, 
für eine Frucht der immer wachsenden Klar- 



21.5 

heit und Deutlichkeit der Begriffe *). Nicht 
etw^a nur Zufall/ sondern Überlegung^ Wahl, 
Gefühl der Unschicklichkeit , dasjenige länger 
dunkel zu lassen^ wovoii man sich endlich kla* 
re Begriffe erworben , soll die Italiäner und 
überhaupt die Völker , deren Sprachen Töch^ 
ter der lateinischen sind, dahin gebracht haben, 
von ihrem Urbilde abzuweichen , Artikel und 
Personenwörter einzuführen, und die verschie«« 
denen Verhältnisse der Begriffe nicht mehr 
durch Biegungssylben, sondern durch eigene 
Wörter auszudrücken. Dieses wenn auch nur 
dunkel gedachte Absichtliche, was Herr Ade- 
lung den genannten Völkern bei Veränderung 
ihrer Sprachen unterschiebt, ist ohne Zweifel 
der auffallendste Theil seiner Behauptung. 
Wenn man ihm alles Übrige gelten läfst , so 
kann man doch unmöglich in jenen so zwei- 
deutigen Vortheilen mehr, als höchstens einen 
glücklichen Fund erkennen, der in Zeiten der 
Barbarey gemacht, und erst dann wieder her- 
vorgesucht oder von auisen her angenommen 
worden, als die Römer von der Höhe ihrer 
Kultur längst herabgestürzt waren. 

Veränderungen einer Sprache, wodurch zu- 
gleich ihr ganzes Genie verändert, ihr ganzer 



*) S. Magazin für die Deutsche Sprache r ersten Jahrgan- 
ges cvreites Stuck. Nr. i. 



2l6 

innrer Bau zerrüttet wird , lassen sich überhaupt 
weit weniger während des Fortganges der Kul- 
tur,' als während eines gänzlichen Rückganges 
derselben denken. Je mehr ein Volk in sei- 
ner Sprache schon geleistet, je mehr Meister- 
werke es darin aufzuweisen hat, und je ver- 
breiteter unter demselben Geschmack und Lee- 
türe sind, desto schwieriger wird jede in der 
Sprache vorzunehmende Hauptverändrung. Man 
setze f was wohl wenige zugeben möchten , dafs 
die deutsche Art zu construiren vorzüglicher, 
als die französische sey; man nehme an, dals 
Franzosen, die dieses einsähen, die vortheilhaf- 
te Neuerung eben jetzt, während der vollen 
Blüthe der Litteratur, in die Sprache einzufüh- 
ren versuchten: ist wohl irgend einige Wahr- 
scheinlichkeit, dafs es gelingen sollte? Aber 
nun denke man sich, dafs die Nation von Jahr 
zu Jahr immer tiefer in Elend versinke, von 
Geschlecht zu Geschlecht immer mehr verwil- 
dre; man lasse die schönen Künste mir den 
Wissenschaften gänzlich verschwinden, die vor- 
trefflichen Schriftsteller im Staube der Klöster 
Jahrhunderte 'lang vergraben liegen; man' lasse 
deutsche Schwärme sich in alle Pro;(rinzen ein- 
nisten und mit den Eingebornen zu Einem 
Volke vermischen : wird es auch da noch unbe* 
greiflich seyn, wenn die Nation ihre ehemahlige 
Gonstructionsart unvern^erkt gegen die deut-^ 



sehe umtauscht? Und wenn diese , wie wir an- 
«genommen, die vorzüglichere ist: wird die Spra- 
che ihren gewonnenen Vortheil dem Fortscbrit- 
te oder dem Rückgange in der Kultur zu dan- 
ken haben? Auch wenn in der Folge die Na- 
tion sich aus der Barbarej wieder aufraffte und 
die so veränderte Sprache beybehielte; so wä- 
re das nichts weniger^ als Wirkung der Ein- 
sicht: es wäre nothwendige Unterwerfung unter 
die Einmahl herrschend gewordne allgemeine 
Gewohnheit. 

In welchem Zustande Italien, und über- 
haupt das ganze lateinisch sprechende südliche 
und westliche Europa , eben in dem Zeiträume 
war , da sich die jetzigen Sprachen zu bilden an- 
fingen , ist jedem, auch dem mittelmafsigsten 
Gefchichtkenner bekannt. Staate Wissenschaf- 
ten, Künste, Litteratur, alles lag zertrümmert. 
Theils bewirkte diesen traurigen Vorfall die ei- 
gene innere Verderbnifs^ theils der verheerende 
Einbruch barbarischer Völker, die freilich von 
den Römern se^r vieles annahmen, aber ihnen 
wahrscheinlich auch manches mittheilten. Wenn 
e$ sich darthun lielse, dafs diese Völker jene 
Redetheile: Artikel, Hülfswörter ,, Personenwör- 
ter ih ihrer Sprache schon gehabt , und dafs die 
Römer , durch heständ^en Umgang mit ihnen^ 
sich allmählig . an den Gebrauch ähnlicher Re? 
detheile gewohnt hätten; so wäre es auf einmahl 



2l8 

um die Behauptung des Herrn Adelung gesche- 
hen« Denn was j nach ihm , im Fortgange de^ 
Kultur, sich bey immer' wachsender Einsicht 
von selbst nrüfste gefunden ^haben , das wäre, 
beym Verschwinden aller Kultur, von völlig 
fremden Völlcern hinzugebracht worden^ und 
man dpnke, von was für Völkern! Wie glück- 
lich würde sich Italien geschätzt haben , hätten 
fene Barbaren eben so wenig Arm^ als Geist, 
eben so wenig Muth, als Feinheit besessen! 

Eine nicht kleine und meines Wissens noch 
unberührte Schwierigkeit scheint es bey dieser 
Hypothese zu machen: dais die Barbaren , die 
fast das ganze Wörterbuch der Uberwundnen 
annahmen', gerade jene Eigenheiten so hartnak- 
kig sollten beybehalten, und dafs die Uber- 
wundnen, die sonst ihre Sprache so ziemlich 
fortsprachen , eben diese Eigenheiten sp allge- 
mein sollten angenommen haben. Ein. dunkles 
Gefühl gröfserer öder geringerer Vollkommen- 
heit findet sich allerdings auch auf den unter- 
sten Stufen der Kultur ; sonst wäre die Mensch- 
heit nie aus der Barbarey hervorgegangen; nie 
von niedern zu höhern Stufen emporgekommen. 
Und wie ? könnte man sagen, wenn es eben die- 
ses Gefühl gewesen wäre, was den einen' Theil 
in der Beybehaltung jener Eigenheiten so hart- 
näckig, den andern zu ihrer* Annahme so will- 
fährig machte? 



ai9 

Es giebt y wenn man auch in der obigen 
Hypothese bleiben \7ill ^ eine andere weit leich- 
tere Erklärung der Sache. Einen grofsen Theil 
von den Wörtern der Uberwundnen mufs», 
ten die Überwinder zugleich mit den Begriffen 
annehmen 9 die ihnen, als einem .rohen VoliLey 
fremd waren, und wpfür also ihre höclist arme 
barbarische Sprache auch keine Zeichen hatte. 
Uieher rechne ich alle Wörter, die zu den Kün- 
sten des Luxus gehören^ zu den feinern gesell- 
schaftlichem Verhältnissen und Einrichtungen, 
zu den abstracten Begriffen der Seelenkunde, 
der Sittenlehre, der Politik, die aus der ehe- 
mahligen Philosophie in die Sprache Ubergegan-^ 
gen waren. Andre, die der Barbar in seiner 
Sprache so gut, als der Italiäner in der seini- 
gen fand, erwählte jener von diesem, weil er 
die Nothwendigkeit fühlte, sich mit. ihm zu 
verständigen , und weil es ihm weit leichter 
ward, die weicheren Töne des Südländers nach- 
zubilden, als diesem^ die rauhern Töne des 
Nordländers. Die Wörter blieben also, dem 
gröfsten Theile nach, in ihrem Grundstoffe rö« 
misch; nur einige barbarische wurden einge- 
mischt , und für mehrerer Begriffe entstanden, 
eben wie im Englischen, zweierley Wörter, das 
eine barbarischen, das andre römischeil Ur- 
sprungs. Der öftere Gebrauch hatte jedem der 
vermischten Völker die Benennungen des an- 



220 



dem geläufig gemacht , und für Reinheit der 
Sprache trug man in jenen Zeiten der Verwil- 
derung keine Sorge. 

Anders verhielt es sich mit dem, veas im- 
mer in den Sprachen das Schwerste, in ihrem 
noch rohen Zustande das Mangelhafteste^ und 

* bei ihrer Ausbildung das Letzte ist, mit der 
Bezeichnung der verschiednen Verhältnisse der 
Begriffe, mit der Verschmelzung der Neben- 
in die Hauptideen, mit der Zusammenreihung 

^ aller zu Einer Gedankenfolge. Wer hierin ein- 
raahl eine gewisse Art.gefafst, sich aaeine ge- 
wisse Methode gewöhnt hat, der braucht schon 
viel Aufmerksamkeit , Nachdenken , Biegsam- 
keit, um sich in eine ganz verschiedene Art 
und Methode zu finden. Den täglichen Beweis 
geben uns Kinder und Ausländer, wenn sie 
fremde Sprachen lernen. Immer möchten sie 
diese in die gewohnte Form der ihrigen beu- 
gen; sie übersetzen von Wort zu Wort und 
wo das verschiedne Genie der Sprachen diefs 
nicht mehr gestatten will , da werden sie verle- 
gen und irre. Was voa dieser allgemeinen 
Bemerkung hieher gehört , ist die unter ihr be- 
griffne besondre: dafs der rohe wörtliche Über- 
setzer jeden Begriff, der in seiner Sprache ein- 
zeln angegeben wird, eben so einzeln auch in 
der fremden zu bezeichnen sucht. Wenn un- 
sre Vornehmen, die von Jugend auf französisch 



( 
/ 



221 

I 

Stammeln^ sich einmahl zum Deutschsprechen 
herablassen j so setzen insgemein* unsre . Bie- 
gungsfälle sie in Verlegenheit; sie glauben « in* 
dem sie heimlich aus dem Französischen über- 
setzen , die Präposition nicht weglassen zu dür- 
fen ; und so geben sie ein Geschenk nic|it dem 
Freunde y sondern an den Freund, nicht dem 
Sohn eines gewissen Herrn, sondern an den 
Sohn von einem gewissen Herrn. :Der Barbar, 
der in seiner Sprache jiedem Substantiv einen- 
Artikel vorzusetzen, die Person b^ym Verbum 
besonders zu bezeichnen und den Begriff des 
Concrescirens^ wie es die Grammatiker nennen, 
in gewissen Zeitfällen einzeln anzugeben ge- 
wohnt war, behielt bey der Übersetzung seiner Ge* 
danken, ins Römische diefe Gewohnheit bey, , zu- 
frieden, nur verstanden zu werden, und um • 
Richtigkeit und Eleganz unbekümmert. Der 
Italiäner, der in seinem damahligen tiefen Ver- 
fall gleiche Denkungsar t hatte, stammelte diese 
immer gehörten Fehler nach, bis sie endlich 
allgemelnje Gewohnheit, das heilst, bis sie Re- 
gel wurden. 

Ich habe hier diejenige Hypothese über den 
Ursprung der nei^ern Sprachen, die,Maffei noch, 
zu seiner. Zeit mit Recht die gemeine nannte, 
aufs beste auszuführen gesucht. Die neuern 
Gelehrten Italiens läugnen den Einilufs der 
Barbaren auf ihre Sprache zwar nicht ganz, aber 



die nördlichen Völker die zum Verbinden der 
, Begriffe so unentbehrlichen Wörter seyn und 
hohen f eher nicht kennen lernen, aU da die 
Sprache der Römer schon so ausgeartet war, 
daüi man statt /ecr sagte:- ego hoheo factum ^}. 
Ich enthalte mich gern des tiefern Eindringens 
in eine Materie^ die von meinem jetzigen 
Zweck zu entfernt ist, und die ohnehin in ein 
Alterthum hinaufführt, wo man nur noch 
einzelne Spuren der Wahrheit bey sehr zwey* 
deutigem Schimmer findet. 

Man mag von den vorgetragenen Meinun- 
gen beypHichten ^ welcher man will; man imag 
mit dem Maffei glauben, dafs die. italiänische 
Sprache y wie er sich ausdrückt, von. Kopf bis 
zu den Füllen echt römisch ^&jp oder man 

mag 



*) De Hellenistica, Comment. p, 383. Duo illa i/erba^ 
auibus hodie elo^uutionem luam colligant et constru- 
unt omnes HU septenirionales popiili, esse et habere, 
Romäna plane sunt. Qui in aniiquUatiAujt Uaguae 
Teutonicae et Saxonicae ^enati ^unt, affirmtmt carere 
eos duobus Ulis, verbis, auibus tamquam vinculis hodie 
utunCur ad coagmentandum sermonis sui contextum. 
Et sane non "videtur antiquior haee- loquendi eorum m- 
iiOf i^quani latinitatis inßmae, Non enim eam prius 
usurpare coeperunt, quam, a Latinis ixßa^ßa^a^^tla-tt 
usurpari coepta est. Tunc dixere: Ego habeo factum^ 
pro: Ego fecu Qnod Gdrmani \Bt €axones et Belgae 
alii^ne septenttionales populi, quorum diaiecti hodie 
nfigentf imitati sunt ae retinuen. 



225 

mag sie unter dem Bilde jenes Barbaren den- 
ken , der über und über römisch gekleidet ging, 
aber seinen, lieben altgothischen Bart nicht 
missen wollte : die Behauptung des Herrn Ade- 
lung sinkt bey der einen dieser Hypothesen 
wie bey der andern. Denn was liegt daran, ob 
es der ausländische Wilde oder der inländische 
Pöbel war, der die Sprache der kultiyirtern 
Welt verderbte : genug , dafs die hier ift Rede 
stehenden Veränderungen offenbar keine Folge 
wachsender , sondern zurückgehender Kultur 
keine Frucht der Einsicht und des Geschmacks, 
sondern der Unwissenheit und der Rohheit ge- 
wesen. Ob übrigens diese Veränderungen für 
die Sprache nicht sehr vortheilhaft geworden, 
ist eine ganz andere Frage; clenn auch der 
Wilde und der Pöbel kann einen sehr glückli- 
chen Fund thun. Aber sollte diefs hier wirk- 
lich der Fall seyn? Sollte wirklich der Italiäner 
damit gewonnen haben, dafs er statt des kur- 
zem: hdbuisset, fuisset^ nunmehr sageq kann; 
€gl' averrebbe avuto ^ egli sarebbe stato? 

Herr Adelung geht von dem Grundsatze 
aus: dafs verstanden zu werden, die Absicht 
der Sprache, und also möglichgröfste Klarheit 
und Bestimmtheit ihr höchstes Gesetz sey. 
Dieser Grundsatz an sich selbst ist sehr alts 
aber völlig neu scheint mir die Anwendung^ di0 
Herr Adelung davon macht. Neben dem hoch* 



Steil Gesetze, denke ich, sollen nodi andre be- 
stehen ; das höchste soll nicht das^ einzige Mejn^ 
nicht so tyrannisch über die Sprache herr- 
schen, dats die Erreichung jedes andern durch 
sie bezielten Zweckes unmöglich werde. Nun 
aber ist der Zweck der Sprache nicht blofs Ge- 
danken , sondern auch Bilder und Empfindun- 
gen mitzutheilen ; zu erwärmen , zu rergniigen, 
SU rühren* Nicht diejenige Sprache also ist die 
vollkommenste, in welcher die Deutlichkeit, 
mit Aufopferung aller Lebhaftigkeit, auf den 
höchsten ersinnlichen Grad steigt, sondern die- 
jenige, welche in der glücklichsten Verbindung 
beiden Zwecken zugleich dient, und nicht blo& 
dem Philosophen, sondern auch dem Redner, 
flem Dichter gerecht ist. Wird aber nicht alle 
Kraft ^ alle Wärme, alles Leben einer Sprache 
verschwinden, wenn kein schneller Überblick 
der Gedanken mehr möglich ist, wenn keine 
Nebenideen mehr in die Hauptideen können 
verschlungen werden, wenn jeder einzele Theil 
eines logischen Satzes , jeder bedeutende oder 
unbedeutende Nebenumstand sich nicht mehr 
flüchtig andeuten läfst, sondern ausdrücklich 
, einzeln gesagt werden mufs? Wie viel mehr 
Leben und Feuer ist in den Worten des Rö- 
mers: F^enif vidif vici^ als wenn der schlep- 
pende Deutsche die handelnde Person und den 
Umstand der vergangenen Zeit, die der Römer 



a27 

in die Hauptidee der Handlang mit hineinreifst 
in einzelnen Wörtern hingiebt: ich bin gekom- 
men, ich habe gesehen, ich habe gesiegt. Und 
leidet denn etwa bey der Kürze des Römers die 
Klarheit? Fehlt es ihm etwa in seiner Sprache 
an Mitteln , wenn ja einmahl die Person oder 
der Umstand der Zeit von Wichtigkeit ist sie 
einzeln herauszuheben? Die unglückliche Kultur 
unserer Zeitwörter scheint dem einen Zwecke 
der Lebhaftigkeit unendlich geschadet und den 
andern der Klarheit um nichts befördert zu 
haben *). 

Man gehe dem Begriffe nach, den Herr 
Adelung von der Kultur der Sprachen angiebt, 
und man wird sehen, dafs diese Kultur nur 
noch einen ganz 'kleinen armseligen Anfang 
genommen. Wie vieles wird noch immer durch 
Biegungssylben , durch Umlaute, durch Zusam- 
menschmelzungen blofs verworren bezeichnet! 
Gesetzt nun, diese Kultur ginge immer weiter 
und weiter, alle jene Gedankenverschmelzungen 
würden in ihre Element^rtheile aufgelöst, und 



*; Von dem Artikel indessen, der manche Zweydeutigkei- 
ten 2u heben dient, gestehe ichs gern, dais er ein Vor- 
thcilder neuern Sprachen ist, so wie 6r schon ein Vor- 
»ug der . griechischen war. Nur mufs es nicht noth- 
wendig seyn, dafs er jedesmahl dem Substantiv voran- , 
gehe; er mufs anch fehlen können, und das kann er 
wirklich im Deutschen oft , weniT gleich zu wünschen 
wäre , dafs ers noch öfter könnte. 



p 



a 



128 , 

dadurch die vorgebliche DeutUchkeit auf den 
höchsten möglichen Grad gebracht: welch ein 
todtes , markloses , schauderhaftkaltes Ding 
würde die Sprache werden ! Weg, wUrd' es hei- 
ßen müssen 9 mit dem Geniti?! denn eine be- 
sondre Präposition giebt Ja klärer das darin ver- 
steckte Verhältniis an. Weg mit dem Plural! 
denn ein eigenes Wort wird die Mehrheit schär- 
fer, als eine Biegungssylbe oder ein Umlaut 
bezeichnen. Weg mit dem Imperfectf denn 
warum soll das Einverleiben von Prädicat in 
Subjecti das Concresciren, weniger klar bezeich- 
net werden , wo die Zeit nächst vergangen , - als 
wo sie völlig vergangen ist! Weg mit dem Im- 
perativ! denn wer wird die drejr Begriffe: des- 
sen, der will 9 dessen, der soll, und der Sache, 
die man will und die man soll, in die einzige 
armselige Sjlbe : gieb ! komm ! sprich ! schweig! 
so eng und erdrückend zusammenpressen ? Weg 
überhaupt mit dem Verbum ! denn was ist die- 
ser Redetheil anders, als Verbindung eines Prä- 
dicats mit einem Subject, die man sich nicht 
mehr, wie im Infinitiv, als blofs möglich , son- 
dern als wirklich geschehen vorstellt? Lieber 
also ganz klar und bestimmt gesagt: ich bin 
jezt wirklich liebend, > als so dunkel und kurz: 
ich liebe! — — Darf ich erst fragen, ob der 
Zweck^ der Deutlichkeit, für so wichtig man ihn 
erkennen mag, einer so völligen Aufopferung 
des Zwecks der Lebhaftigkeit werth sej? Zwai: 



glaubt Herr Adelung, die Dichtung sey in der 
Sprache eine blofse Nebenzierde, die höhern 
Vorzügen nachstehen müsse *) ; aber wenn man 
auch kalt geaug gegen die göttlichen Reize der 
Dichtkunst wärCj» um auszurufen: Schade für 
alle Dichtung! würde man auch ausrufen wol- 
len: Schade für alle Darstellung, alle Kraft, al- 
len Nachdruck? 

Doch es ist ganz falsch , dafs Deutlichkeit 
und Lebhaftigkeit ein so entgegengesetztes In- 
teresse haben sollten. Sie führen unter einan- 
der ihre kleinen Streitigkeiten über gewisse 
Grenzen^ aber im Grunde stehn sie im engsten 
Bündnifs, besonders gegen ihre gemeinschaftli- 
che unversöhnliche Feindinn, die Weitläuftig- 
keit. Wer, um mehr Licht zu gewinnen, die 
glückliche 9 in der That bewundernswürdige 
Erfindung, durch Biegungen und Umlaute und 
Vorsylben so. manche Neben - und Verhältnifs- 
idee auszudrucken, vertilgen wollte, der wür- 
de, aus lauter Eifer für die Deutlichkeit, di^ 
Deutlichkeit selbst verbannen. Denn wie un- 
schlüssig würde nicht in dem unsäglichen 
Schwall von Wörtern die Aufmerksamkeit um- 
herirren 1 wie sehr würde das schnelle , leichte, 
präcise Fassen eines Gedankens nicht erschwert ^ 
werden, wenn all^ kleine Nebenbestimmungen 
und Verhältnisse sich eben so weit^ als die 



*) S. 25' 26 der angeführten Scbrifr, 



20O 

HauptbegrifFo selbst, in den Vorgmnd dräng- 
ten, und eine grofse unförmliche Masse , ohne 
Licht und Schatten , ohne Haltung und Grup- 
pirung bildeten! Bücher, selbst iiber die trok- 
kensten Wissenschaften, deren ganzer einziger 
Endzweck Deutlichkeit ist, verfehlen diesen 
Endzweck mehr, ,als dafs sie ihn erreichten, 
wenn sie alle einzelen Glieder eines Satzes, alle 
Zwischensätze einer Schlufsreihe xu gewissen- 
haft angeben, und uns dadurch die Hauptideen, 
die wir lassen und verbinden sollen, zu weit 
auseinander werfen. Das rechte^ Mittel hierin 
zu treffen, der eigenen Thätigkeit des Lesers 
nicht zu viel und nicht zu wenig zuzumuthen, 
weder zu abgebrochen noch zu ausfuhrlich zu 
seyn, ist daher eine der vornehmsten Tugenden 
eines wissenschaftlichen Schriftstellers, 

Was völlig gegen Herrn Adelung entschei- 
den mufs, ist das vereinte Bestreben aller gu- 
ten Schriftsteller, sich von dem barbarischen 

« • 

Uberilufs ihrer Sprachen, so viel als möglich, 
loszumachen, oder auch, wo es seyn kann, 
ihm auszuweichen. Der Zeitfall, worin die Ge- 
schichte erzählt, ist überall derjenige, worin 
eine Biegung, nicht ein eignes Hülfswort, die 
Vergangenheit ausdrückt ; bey den Deutschen, 
wie bekannt, ist es das Imperfect« Der Ärti- 
ker wird, wo er keine Dienste zur n£|hern Be* 
Stimmung des Subjectes thut, immer ileifsiger 



weggeworfen; die Hüllwörter werden in abhän- 
gigfen Constructionen gern verschluckt, und 
Fürwörter, besonders die unbestimmten; Es, 
das„ werden in dialogischen Werken , oft auch 
in andern, immer häufiger ausgestofsen. »Thut 
nichts, kann seyn, ist schon wahr, habs ge- 
hört : » dergleichen liest man jetzt in unsern 
Schauspielen auf allen Seiten. Wie weit man, 
nach den Vorschriften eines guten Geschmacks, 
hierin gehen oder nicht gehen dürfe , ist eine 
Untersuchung y die vielleicht künftig den Stoff 
zu einer eignen mehr practischen Abhandlung 
-geben könnte. 



a3a 

V. . 

Eine Prohe, wie die Sprache eines Volkes 
dessen Denhungsart und Sittlichkeit 
schildere^ von J. H, ^. Meierotto. 



JcL«n Volk macht sich selbst von Seiten des phi- 
losophischen Geistes bekannt, je nachdem der 
Bau seiner Sprache mehr oder weniger regel- 
mäfsig ist; je nachdem Armuth oder Reichthum, 
Bestimmtheit oder Unbestimmtheit seiner 
Sprache eigen ist. Ein Volk schildert sich aber 
auch von Seiten der Moralitä* durch die Be- 
nennungen und Ausdrücke, die es für Tugend 
und Laster wählt; durch die in zahlreichen ^j^ 
nonymeä fein bestimmten Unterschiede; durch 
Nebenbegriffe, oder Euphemismen, selbst durch 
Ton und Klang, die es dergleichen Benennun- 
gen giebt. Wenn wir also auch gar nicht -auf 
die Zahl und den Werth der Schriftsteller se- 
aen, welche tut oder gegen Laster und Natio- 
nalfehler geschrieben haben; wenn wir nicht 
^uf die Ausdrücke Bücksicht nehmen, welche 
dem Einaelen jenör 5chriftsteller eigenthümlich 
wären; so verräth sich doch schon iu den an- 
geführten Grundaügen der Sprache, ob ein 
Volk mehr oder weniger ernsthaft, lüchtig, un- 
schuldig, gesittet, oder üppig, und mit allen 



ß33 

Verfeinerungen der Laster bekannt , ' roh und 
verwildert sey. 

* Hat ein Volk für ein Laster, für einen 
Fehler keinen eigenthiimlichien' Nahmen, so ist 
daraus zwar noch nicht ^u schllefsen^ dals. ihm 
der Fehler unbekannt sey. Es kann Unauf- 
merksamkeit auf das Fehlerhafte - solcher Hand- 
lung, es kann Gewöhnung an dieselbe Schuld 
seyn, dais ihr kein besondrer Nähme gegeben 

wird I). ^ • 

Kennt ^.aber ein Volk blofs wenige, nicht 

sehr bedeutctndoy vielmehr schonende Benennun- 
gen eines Lasters;, .hat es blofs unfigent liehe 
Benennungen dafür^ ohne widrige Nebenbedeu- 
tungen , oder gar mit angenehmen Nebenbegrif-. 
fen, so verrätb diefs Gleichgültigkeit, oder ei- 
nen Sinn, der Natio9 9 der den Fehler in Schutz 
zu nehmen geneigt ist« 

Hat aber eine Sprache viel alte,, eigen« 
thümliche, bedeutende Bezeichnungen für ein 
Laster, so ist dieis ein Beweis, dafs solch eine 
Handlungsweise der Nation schon frjih^ oder ^ 
von je her als Laster erschien; dajß sie die Be- 
streitung des Lasters sich angelegen ■ seyn liefs. 
Giebt es viel Synonymen, so beweiset es theils^ 
dafs alle Stämme der verbreiteten Nation dar« 
über gleich gedacht, Jede in ihrem Dialekt das-> 

i) So batte der Grieche keia Wort, das den ineptus be« 
jieicbnece, 



y' 



a34 

selbe Urtheil über das Laster auszudrucken ge- 
sucht habe^ beweiset zugleich auch^ dals man 
dieses Laster von seinem Entstehen ^n in allen 
•einen verschiednen Auiserungen^ Abstufungen 
ausgezeichnet ; gleichsam hinter allen Verlarvun- 
gen, wohinter es sich zu verstecken suchte, 
verfolgt habe. Giebt es viel Ausdrücke, die 
nur darum gebildet sind» weil sie durch den 
Klang selbst das Widrige mahlen, was der Un- 
befiingene dabey empfindet; kann das Volk der 
uneigentlichen Ausdrücke gleichsam nicht ge- 
nug in seiner Sprache bekommen; verschlim- 
mem sich die Bedeutungen der Worte von Zeit 
zu Zeit durch Nebenbegrtffe , die allmählig un- 
zertrennlich werden; Überträgt das Volk aus 
fremden Sprachen oiur die Ausdrücke gern, 
welche strenge , harte Beurtheilungen verrathen : 
so ist der Widerwille^ d^ Abscheu gegen den 
Fehler im Zunehmen^ oder herrschend. Nun 
werden in den ältesten Beschreibungen die 
Oeutsohen schon als Leute geschildert, die da^ 
wo Handeln erfordert wird, viel Worte zu ma- 
chen hasseten; dieSohmeicheley eben als Falsch- 
heit verabscheueten; denen der Ruf und die 
persönliche Ehre unschätzbar; und jeder laute 
oder geheime Angriff derselben ein Verbrechen , 
war; denen ein Wort statt der Schwäre galt; 
die selbst im Affekt des Unwillens nicht viel 
zankten und sohimpfben; deren Mienen und dro- 



a35 

hende Stellungen^ eher als Scheltworte, blutigen 
Zwist und Mord verkündigten ^); Sollte diefier 
Charakter sich auch in den Ausdrücken > im ' 
Sprachgebrauch zeichnen? 

Ich. versuche es, die ganze Verbindung, di« 
Familie gleichsam ^ der Wörter zu sammehi^ 
und nebeneinander zu stellen, welche 'den 
Mifsbrauch bezeichnen; den der 'Mensch von sei^ 
ner Zunge machen kann ; und ich glaube , durch 
dieses NahmeHverzeichnifs, durch diesen Stamm- 
baum der Sippschaft dieser Begriffe zeigen zu 
können, dafs die Deutschen gern Frey von deni 
Laster war<^, welches man durch Reden begehet; 
und dafs sie diefs Laster wohl so rügten, als 
andre ^ die in fohädliche Handlungen, und za 
unseligem Folgen ausbrechen. * * 



a) Crehrae, ut' intcr vitfolentoSf rixaty raro conviciis« sae» 

pius taede et uulneribut trtuuigimtur^ Tacit« Germ. e. aa* 

Lamenta e( lacrynuu ciiog dolorem et trUtitiam tard^ 

ponunt. Feminia lugere honeUun% est ; viris meminU* 

se» c. 27. 

Wenn die G:!ftnnattett nach der Niederlage de^ Vanis 
an den meiaten Gefangenen grausame Hacbe übten: ao 
rächten sie doch nichts st) fürchterlich, als den Mifs- 
brauch rabuiistischer Beredsamkeit; einer Beredsamkeit» 
die ihnen bey ihrer kunstlosen Handlungsav^t eben so 
unmännlich* als in ibren Folgen empfindlich und ver- 
abscbeuung^würdig « geworden war. Flor. /. 4> c, 1%. 
j4liis ocules, aliis mqnus amputakant, Uniiis os sutum% 
recisa prius lingua» quam in manu tenens ^ar^arus^ 
Tandem M inquit^ viperag ^ibilare desiste^ 



L Den Ton bezeichnende Ausdrücke j^ ono- 
ma$o poiemena. 

i).5cbon dos blofse Viekprechen wird ver- 
ächtlich bezeichnet. 

J>ie Alten scheinen zwey Stammworte ge- 
habt zu haben , durch welche sie Sprechen, oder 
Yielsprechen bezeichneten: Quaten, wovon sich 
im Sohlesischen Quatvögel erhalten hat^ {OpUz) 
und Schwaden. 

Von Quaden leiten einige Kaudern, und 
Kauderwelsch her •')• Besonders ist von dem 
letztern Stammworte das Zeitwort schwätzen ge- 
bildet worden, um das unangenel^e Eineriey 
des Schalls, der Vom anhaltenden Sprechen un- 
zertrennlich ist^ zu bezeichnen *). Daher 
Schwätzer, welches ohne ein milderndes Bey- 
wort nicht mehr in guter Bedeutung vorkömmt. 

Qeschwät^ bekömmt nicht erst durch die 
sehr gewöhnlichen Beywörter leeres, unnützes 
Geschwätz seine nachtheilige Bedeutung; son- 
dern hat sie auch schon ah und für. sich: Je- 
manden ins Geschwätz, ins Geschrey bringen. 
Er kömnit ins Geschrey, wird ein Geschwätz 
der Leute. Gleich als wenn veranlassen y daß 

3) O scböa! o ichönl Kauderwelscher konnte Criftpin in 
der Komödie, rtena er sich für einen Mahler misgiebt, 
die Kunstwörter ntebt untereinander werfen. Lessing 
j^ntitj. Br* 9. Br^^ 

4) Nachdrückliche apricbwörtUche Redensart: er fckwatzl 
das Blaue vom. HlmmeL ' 



a37 

viel von einem gesprochen wird, so viel hie[se, 
als einen dem Tadel aussetzen, einen herunter- 
setzen ')• 

Waschen in nehmlicher Bedeutung, mag 
immer mit dem> Arabischen Waschvfa ^)^ eint 
verworrene Rede , übereinstimmen (^sckwascha 
murmeln) ; von den Deutschen scheint dieis 
Zeitwort nur. gewählt, zu seyn, um gleichfalls 
den Ton des Yielsprechens zu bezeichnen; und 
hat wohl nur zufällig eine Anspielung auf das 
Geschwätz der Wäscherinnen abgeben können: 
wer immer waschen wilL Opitz. 

Die Wasche, geschwätzige Person, nicht 
blois weiblichen Geschlechts« Diefs verstärkt 
noch den Nebenbegriff der Verachtung, man 
wird durch Schwatzen eine Wasche, einem 
Weibe gleich. 

Das Wort die Wäscherinn wird dagegen 
nicht leicht uneigentlich gebraucht; wohl aber 
der Wäscher: Haltet das Maul, Ihr seyd ein 
Wäscher. Gryphius. 

Die JVäscherey , das Gewäsch, scheint har* 
ter, als das Geschwätz. Adelung. 



5) Wie viel «indert daa celeftrare der Lateiner, oder daa 
' Worc rumor l Im funfzelmten Jahrhundert galten im 

'Üeutschen die Ausdrücke: Jetzt werd ich •e3m ein 
Exempel, eine Fabel, und Rujjfe alkn Menachea. Kicol. 
von Weil. 

6) Adelung. 



238 

Waschhof t^ waschhafdg^ der Wasciunarkt, 
Klatschen hat, wo nicht denselben Ur- 
sprungs doch dieselbe Bestimmung. In der 
niedrigen Sprechart Klauchsrine — Klassche- 

»«r )• 

Gatzen, der Götz (das Geschwätz). 

Kakeln. 

Im Niedersächstschen hat sich das Wort 
Käkelren für Kakekiemen, Zungenband erhal- 
ten. Adelung. 

Käklerin •). 

Fitstem f Zuscheln, Wispern^ (wispela) 
wenn es von Menschen gebraucht wird^ zeigt 
immer ein dem dritten widrigesj yerdrieisliches, 
geheimes, oder gedämpftes Sprechen an. 

Dräuschen, drüschen y traschen ^ pratschen 
gehört auch hieher. Wir hören noch: es 
regnet j da/s es dräuscht; wir haben auch noch 
den Ausdruck: ein abgedroschenes Mährchen '); 
das Eusammengesetzte Wort Zungendrescher für 
zanksüchtiger s ränkevoller Advokat. Adelung. 



y) Hiemit kömmt der Griecheo ^«^^iA«»«r uherein ^/rustm 
crepUans, Sonst bezeichnet der Grieche den durch so 
viel deutsche Wörter gerügten Fehler sehr mildernd 
durch Xotkuif, A«A«(, XuXut, 

8) jigagulut 'vetuia mala» . Bödikers Sprachlehre nach 
Undenbrogs Glossar, 

q) Das Participium abgedroschen kann in der Regel nicht 
▼on dräuschen herkommen: obgedräMcht wäre auch ge- 
-gen die Analogie. 



Eigentlich heifset es wohl^ einer, der mit der 
Zunge dräuscht. 

Die Alten hatten das Wort der Drasch, das 
Gedr€ischy für Gezchwätz. Adelung. 

Oder auch Metschen: - um deines üppigen 
geschautzes willen , der nur bedeutet da^ ret- 
sehen der Frösche, damit geschlagen worden 
ist Egypten. .Nie. von Weil. 

Plappern "), daher Plappermaul ^ Plapper-' 
iasche , ist nach ' Stosc^ 2 Th. der Syn. eine 
Wortbildung, die den Laut der Lippen bey 
luLufigem Sprechen nachmachen soll, so wie 
Plaudern den Laut, der durch den Gaumen 
und im Halse gebildet wird. 

So lyoUte der Deutsche durch diese den 
Schall nachbildende Wörter das Unbehagliche 
ausdrücken, was er bey dem lange fortgesetz-' 
ten Sprechen empfand; den Nachhall, den es 
zu seinem Leiden , im Ohr und Kopf hinterliels« 
a) Eben darum wählt er auch Töne, wcl* 
che auf ähnliche Tone von Thieren anspie- 
len, die durch ihre «Stimme^ durch den Laut, 
den sie hervorbringen , ' unangenehm werden. 
Gackern, Gacksen, Kakeln eigentlich von dem 
gedähnten, ruhmredigen Ton, womit die Henne 
das Hervorbringen des Eyes verkündiget« 



lo) Blacero, oUm blAcirt« inconditum soHum ejferr». 



24o 

* 

Schnauern^ yoa vielei^ die* zusammen spre- 
chen^ sowohl als von Gäo$en. 

Schnacken ^ der Schnack, Schnickschnack, 
wenn es auch belustigende Beden bezeichnet, 
soll uns doch an das nicht angenehme Sumsen 
der Schnaken f Wassermücken ^ erinnern "}; 

Klaffen^ Belfern, JViderheüen, an den^er- 
driefsllchen, unleidlichen Schall des lästig wach- 
samen Hundes '^). 

Klaff nicht zu viel ,^ gedenk i^ielmehr ist 
in echt deutschem Sinn gesagt. 

Wider den klüftigen, viel redenden men- 
schen wollest nit kriegei;i mit werten. üicoL 
von Weil. 

3) Anspielung auf Gewerbe und Geschäf- 
te ^ die in Nichtachtung gerathen waren. 

Sal- 

tt) Man bat bezweifelt, ob sur Bezeicbnüng der 
Abnlicbkeit mit einer Verrichtung das Substanz 
Uv , dem die Verrichtung sukömmt, blofs gerade 
2U ip ein Zeitwort verwandelt werde. V?ir haben aber 
dergleichen Zeitwörter, a) Von Gliedern des Körpers 
hergenommen: als handthieren ^ maulen ^ äugeln, lieb' 
äugeln, züngeln* b) Auch von Thieren: schlängeln ist 
wohl eben so leicht von Schlange, als von schlingen, 
umschlingen abzuleiten;. ferner: iiaseliren von Hase, äf 
Jen von Affe, mausen , Mäuse fangen, stehlen, von 
Maus. 

la) Den Widerspruch, die Widersetzlichkeit drückten die 
Kömer hart genug aus: Quid latras? Oblatrare ^ ogga^ 
nire. A yctivg-^ut gaudert, gestire gaudio, ut eanibue 
solenne est. 



24l 

4 

Salbadern^ der Salbader, die Salbader^ be- 
zeichnet sicher viel unbedeutendes, verdriefsli« 
ches Zeug reden. Es mag nun vom geschwät- 
zigen Bader an der Säle herfcomnien, wie Frisch 
und 5chuppius wollönn oder yo>n Salbenbader 
(auch Quacksalber) wie Adelung will; oder vom 
schlechten ^ ob^/Iächlichen Baden , wobey die 
Hant sal, gelb^ ^au; 'schmutzig bleibt, wie 
Stosch glaubt. "" '^^* - . . i. 

4) Was in andern Sprachen ein Lob ^evn 
würde , als hdmo copiosus im Lateinischen^ Flux 
de boiiche im Französischen; was, wenn es von 

der Sprache, 'nur nicht * von deni Sprechenden 

$ 

gebraucht wird/ bey den Deutschen s^lb^t ein 
Lob dieser Sprache ist, ' {wortreiche Mundart) 
wird, sobald es vom Menschen gebraucKt'wird, . 
zweydcfütig, odei* offenbar yerächtliöh/ Thäten- 
reibh^; ^ülft'eich^ kaüii jeiüand zu seineih Lobe 
seyn« aber wortreich nicht mehr. Ein . ivor/re/- 
ches Gepränge iiber. die weiblichen Tugenden 
enthält einen Tadel. Adelung. 

fV'ohlgezüngt seja y sähe Nicol. von Wiel 
(im i5. ^ Jahrhundert) , als eine Eijgenschafc 
an^ ;:die der Lehre von. der gröfsten-^nfmuth 
und 'Friödfertijgkeit entgegen- war: Jesus sprach 
nit wollest kriegen mit den wolgezüngten men^ 

scheiß ... : \ 

So auch redselig., der »ich mit innerer Zu- 
friedenheit seKst hört* 



Redsprachig im Oberdeutschen Dialekt. 

WortJirümer der mit Worten gegen Hand- 
lungen tauscht. 

Briefwechsel ist ohne zweydeutigen Neben- 
begrifF; aber PITonwechsel entehrt beide spre- 
chende« 

Im fünfzehnten Jahrhundert sagte man da- 
für noch wortfiabdn^ Dein Arbeit ist umsont, 
mit dir wort haben mag ich nicht NicoL ron 
Weil 

Das Won fähren (auiser ^bey feierlichen 
Veranlassungen) das grofse fVort haben; er hat 
immer das grofse Wort: so,. lobte der Deutsche 
nicht mehr den. der sein Mann war. 

Sich das Maul über etwas zerreifsen , heis- 
set Tiel.vpn etwas sprecheif« ., . , 

Mr .hat das Maul zu yfeit OMfgethajK^ Er 
hat zu seinem Schaden, öder zu frey gespro- 

cheA "J|. , ,. ^. \ : • . ,. ,% 

It. Wie verächtlich wird aber nicht erst' die 

schmeichelhafte Rede bezeichnet **)l 

* ... 



x3) Wjenn der Deutsche in der jbekaxuittn , Metapher ge- 
«agt hätte i der Vorschlag iit so vetbasset, dals er sIcH 

' ^g^®i> ^ »Maulgespenm^ «inaa f ents^hlosselieti Vkkrad-* 
»era, der seinea Nahmen mh der Tb^t ttSgc, . :fiieh( , 
hätte halten können : so ist hej dem Römer di^fs Bild 
hey weiten so' mahle^d nicnt :*^^oc tantarn Tiabet tnvi' 
diam^ tu veri ac firüs ttibuni plebis atridorem unum 
perforre .nqn pos^it. , Cic !, ^ - , .! .;. , , 

j4) Da« Zeitwort liebkosen ad^eintf wcaa man die £ty- 



243 

Manig Zungd süß Wort spricht, 

Da doch der Angel sticht, Minnesinger. 

Wie viel anders ist hier das Wort süfs ge** 
braucht^ als bey den Römern dulcis sonuj-,' dttt-- 
ce loquens ^alagß!^ . '' ^ 

Glatte Worte , glatte Zunge, glatte Reden* 
findet hlofs im verwerflicheDi Sinne statt. ' ^ 

Übertriebne Gefälligkeit > selbst gegen die* 
höchsten Personen, wird bey den Deutschen' 
durch ,sehr erniedrigende Ausdrücke bezeichnet. 

Der Hvfling schon mit einiger Verachtung, - 

Hofierem die dir jetzt hofieren , werden 
dich verachten. Luther "). ^ . ^ 

Der Hofierer ^ der einem Hohem schmei* 
dielt. 

Hie Hofkunsti Leiden und dafär danken^ 
ist die beste. i 

ßofiecher. Der .niedrige Schmeichler des 
Grofsen. Itzt findet man nur noch Teiterlecker^ 



mologie in Betrachtung Kiefa^t, ursprungltch dasn be- 
tdmint gewesen eu sejrn , Reden su be!Beicfanen'> lv«ich« 
ein Avsdmfk der Liebe «eyn sollten. Bald ging man Von 
dieser Bedeutung ab ; so dafs Herr Ad^ung «s }et<t er* 
klärt: durch Geberden und Handlung^en seilt« Lieb« 
beweisen, gleichsam, als wenn Reden fitcht nein Be* 
weis der Liebe seyn könnten« £inen menschen ander augen^ 
und gegenwertigen lobeu, ist ein werk der lieiki^engj', 

i5) Wie entfernt ist nicht die Ähnlichkeit mit dem ekel* 
haften Gegenstan^le, ssu dessen Bezeichnung dieU Worc 
späterhin gebraucht wurde! 



344 

ftir Gnatfaonen der Reichen« Einem nach dem 
Maule reden, einem tum Munde reden; eben 
so wie iemo^nden um das Maul gehen; andern 
Leuten in das Maul sehen zeigt gleichsam die 
niedrige -Geflissenheit an y nach der man nur so 
redet, wie es des Andern Geschmacke recht 
ist, nnd wie es Yortheile versohafFt, die der 
Andre I wie Bissen, aus seinem Munde abfallen, 
lasset. 

Was kann stärker den Unwillen der Deut- 
schen gegen diels absichtliche Freundlichthun 
ausdrücken 9 als die Redensarten, Jemandes 
Speichel lecken^ der Speichellecker '*)? 

Fuchsschwänzen, (der Fnchsschwänzer) den 
Fuchsschwanz sireichen, heifset schon hinter 
freundliche, gefallige Reden die Absicht Ter- 
stecken, dem dritten zu schaden '^). 

Wenn schmeicheln und heucheln gleichbe- 

tS) Wie schonend war dagegen das Bild, welches der 
Grieche durch das mahlerische Woit x(«»iAfv/««$ be- 
seichnete 1 

Der Römer, wenn er sich recht stark ausdrucken 
wolltet sagte gefällig seyn wie der Sklave, wie die 
Hagd: adulor, ancülon 

f^oluüre, wenn er recht nachdrucklich das Unwürdige 
des Benehmens ausdrucken will, sagt: St, Leon cour* 
tise un Julia, 
17) Dfr Grieche giebt dem Sc hmeichler auch den JU^ssf 
A«y«# in die Hand, um Staub und Flocken von seines 
Gönners Gewand wehen zu können; aber er nennt ihn 
/deswegen weder Scaublecker, noch Hasenschwänaer. 



deutend gebraucht, und verwechselt wird, so 
zeugt diefs doch wohl von dem grofsen Hasses 
des Deutschen gegen alle Schmeicheley? 

Der Hund hüpfte, sprang, heuchelte mir^ 
als wenn er mich wollte willkommen ^leifsen. 
Gryphius. 

III. Die Deutsche Sprache hat Reichthum 
und Nachdruck in Bezeichnung der Reden, die 
einem andern zum Verdrufs gereichen sollen. 
Wer unangenehme Empfindung ersparen , min>- 
dern will, der sage. das mdrige verblümt. Die 
altern Schriftsteller hatten auch das Zeltwort 
verblümlen» Schelmstück verblümblen, Abr« a.^ 
S* Clara. Diefs Wort wurde auch fiir gleich« 
lautend mit Unwahrheu sagen gehalten: Der 
Wahrheit hässig seyn, verblümei liebekosen. 
Opitz. 

Wo das unangenehme, das man dem an- 
dern sagen will, laut werden soll, da entstehet 
Mifshülligkeit von m^ifs übel, und hellen^ tönen. 

Zwietracht, Betragen was entzwejrety trennt. 
Im fünfzehnten Jahrhundert war zwytracht noch 
gleichbedc^utend mit Disputatio; Entzwq^ung 
oder Zweyung mit Seditio: In Auflauffen Und 
Zweyungen der Menschen. Nicol. von WeiL 

Zwiespalt, Zwist ^ Zwistigkeit; Hader y Ha* 
dern , Haderer. Zanken , welches oft mit Beis^ 
sen gleichbedeutend gebraucht wird. Der Zank, 
Zänkerey, Zanksucht, zanksüchtig i Ihr seid 
zwey alte Grez'ii- und zanksüchtige Haderkatzeax 



»Aß 

P 

I 

ein Ausdruck, den beym Gryphius der Richter 
von prozessirenden Bauern braucht. Zänker, 
Zankmaul j Keifen. Alle drey Zeitwörter 
hadern^ zanken f und keifen bedeuteten ur- 
sprünglich so viel 4ls beißen oder zerreif sen^*). 

So wählte der Deutsche die bedeutendsten 
Metaphern, um den Schaden des Wortwechsels 
auszudrücken ! 

Den Alten galt zanken und kriegen gleich: 

Und krieget deshalb erzürnt vil mit mir selbs 
wider dasselbe glück. Ein eheweib deinen sitten 
Widerwertig, die dir ausgehenden nachkriegt. 

• In euern allerweysesten gemüth sitzet und 
hanget diese urtheyl, bedenket die summe die* 
ses kriegenSj (Rechtshändeis im Senat) Wir krie- 
gend von dem Adel — Zuletzt ist ein einiger 
Ausgang dieser zwyträchtigkayt, ^das heut krie* 
gend wider einander Erbarkeit mit uppigkdyt« 
i Es ist dem Menschen eine Ehre, der sich 
sundert von kriegischen Worten, Nicol. von 
Weil. 

Durch öfters Zanken kommt man in den 
Ruf y man habe ein unnützes, böses Maulj man 
sey ein böses Maul. 

« 

Einander ausmachen heifset im minderen 
•Grade schimpfen. Aüsschänden sagt mehr. 

Schmählen , auf jemand schmähten j den 
ganzen Tag schmähten ist das Verkleinerungs- 

18} Zu diesen Ausdrücken kömmt noch im NiederdeuN 
schon; Mwist0n. ki^hel^ und kabbeln. 



a47 

wort von schmähen: Sehmähen aber drückt 
den höchsten Grad des Schimpfens, oder des- 
sen Folgen aus '^}. 

IV. Gleic&er Reichthum und Nachdruck 
der Sprache wird bey den Ausdrücken bemerkt^ 
welche lustige, schadenfrohe, hämische Bemer- 
kung der Unvollkommenheit und Fehler andrer 
bezeichnen sollen. 

Schon der leiseste Versuch der Art ist ver- 
werflich. 

Den Edelleuten, Soldaten^ Jägern ist es 
ein gemacht Spiel, wenn^ der Fürst mit dem« ei- 
nen Wort Pedant, Schulfachs, der Gelehrten 
im Unheuen gedenkt. Schuppius. 

Auch wird gefunden: erdichtetes Einstreuen, 
spöttliches Verdrehen. 

Gecken APr Spotten im Scherz,' schäkern, 
niedersächisisch gekschern, Adelung. * 

Schnippisch^ schnäppisch heilset der, dessen 

• _ 

Gewohnheit oder Charakter es dst, zu spötteln 
oder verächtlich zu thun. Im Österreichischen 
geschnäppig ^ plauderhaft. Adelung. 

Wer das Spötteln sich schön zur Gewohn- 
heit gemacht, der braucht lose Worte, hat ein 
loses Maul. ' ' 



19) Der Römer criminari, conviciari ist dagegen sehr 
schonend. Non' consuevi homines ^ appeUare asperlüs, 
nisi laßcssiius, Clc. in Rull. * 



248 

Will man bezeichnen, dals dieser Tadel 
in Worten bestanden habe , so heilset es Ge- 
span: 

Über denselben Bottschafter wird ein groß 
gespöu geschlagen. Nicol. von Weil 

Wir sagen nur noch ein Gelächter aufschlagen. 
Hohn^ Höhnereyj Verhöhnen^ gilt mehr von 
Handlungen« So auch Spotti Einem einen 
Spou anthun. SpoU mit etwas einlegen; zu 
Spott werden ; Sich , Undre in Spott und Schande 
bringen, sind die empfindlichsten Erfahrungen 
und Kränkungen. 

Ein Spottmaul, ein harter Vorwuri; Ein 
Spottvogel, Spottschrift f Spottgedicht *°). 

Das Härteste von allem ist ein Spötter *'); 
Ismael war ein Spotter -— wo die Spötter sitzen. 
Wie empfindlich die Äufseisungen und Re- 
den eines solchen Menschen sind, ^ucht der 

w 

Deutsche durch den uneigentlichen Ausdruck 
zu bezeichnen, der auf Schmerz, Verwundung 
hifideutet. 

jinzapfen,. anstechen. Lessing über Ge- 
schieht, und Litterat. . Th. i. womit er den her- 
umreisenden D. J. Andrea ansticht, 

Sticheln auf jemanden, Sticheleyen^ Sti' 
chelrede. 



;ao) Römer } CavUlor . eaviUatio^ cavilkuor a cavendo^ 
ai) Sannio eher noch als scurru^' 



Stachelrede j Stachelichrifi , driickt noch 
stärker den Vorsatz zu schaden aus; und wie 
empfindlich der zugefügte Schaden sey. So 
auch , jemanden durchhecheln, durchziehen, ei- 
ne Metapher, die von der angreifenden Reinigung 
der Hechel , oder gar von der bis aufs Blut strei* 
fenden Verwundung desselben Werkzeuges her- 
genommen ist. 

Alle Arten von Gelehrsamkeit werdeh von 
unerfahrnem Gesellen durch die Hechel geza- 
gen. Übersetzung von Hubers Rede über Pe- 
danterey. 

Die Folge davon ist böser Leumund 
Schmach^ und Schande, 

Einem Schmach, Scliande, Schimpf anhan- 
gen. In Schande bringen; zu schänden ma- 
dien; schänden. 

Zum Loben ungesäumt, und langsam seyn, 
zum schünden. Opitz. 

Bey den Alten hiefs dieü schimpßreni Es 
ist aber sicherer zu schumpßren die todten 
dann die lebendigen. Nicol von Weil. 

Die meine Translationes schelten , und mich 
schumpßren werden. 

Und gestehe diesen Maystern, meinen 
Schumpßrern, ihre Schuldigung ein. Ebender- 
selbe "). 



32) Ursprünglich hiefs Schimpf «o viel als Spott, oder 
Scher«. 



2ÖO 

Um nur eiae Probe zu geben von dem 
Reichthum unsrer Sprache in gleichbedeuten- 
den Redensarten von Verleumdung, führe ich 
aus deni x5ten Jahrhundert eine Übersetzung 
des Nie. von Weil an. 

Übel redet von mir das Pofel^ von dem p6- 
fei und volle wird ich allenthalben auf den Stras- 
sen gescholten. 

Einem bösen Icumbden haB ich unter dem 
pöfel. 

Belestiget bin ich mit argem leumbden. 

Mit schweren leumbden bin ich getruht. 

Mit hartem leumbden bin ich beschwert. 

Ein schwerer harter leninbde entstehet in 
meinem guten namen. 

Ein böser leumbde ist mir zusamen geweyhet. 
Recht sagest du zusammen geWeyhet^ dann 
der leumbden ist ein wind und blast, oft eines 
unraynen mundes« 

Mit viel bösen leumbden wurd ich allent' 
halben versagt. 

« AU9 Arbeit ist dir (der Liebe) ein Schympf und 
kurtweil. 

Vom Himmel fallet Schnee : die ganxe Statt wird und 
Jiommt des zu Schjrmp/' und freuden. 

Mit keinem S^hjrmpfisit mocht sie 'wiedemmb xu 
frewden gebracht vrerden 

Darzu £uriolue redet : Du ichympfest keyaer (als Du 
gewon bist) mit mir; und YvXl mich führen in gtsläch- 
ter. NicoL von Weil, 



Ich hin eines schwartzen und finsteren 
leujnbdenSf und einer lautern Conscientz und 
gewissens. 

Die Pürde meines lösen leutnbdes ist grofs* 
Viel menschen thun mich schreklich ver- 
humiden. 

Wenig menschen sind alles bösen leumhdens 
ganz ^vertragen gewesen. - 

Mit schweren leumbden xvird ich geprennet. 
Ich wird gepeyn igt mit herten leumbden*' 
Mit scharpffem leumbden wyrd ich geknischtet* 
Demuthig namen thut nicht empfahen das 
ungenytter grofses unleumbdens und scheltens. 

Es ist noch gut, dafs du inn zungen^ und 
nicht in stechend stupffein list gefallen. Gähe 
und ungestüm, ist des pöfels red. 

' Sy werden schweygen, so sie lang und viel 
wie die hunde haben gelollen. 

Mit den - zungen des pöfels wyrd ich be* 
laydet. 

Obwol das pöfel yil rauschet, so kompt 
doch der tag, der diesen rauschenden und Tiläf- 
figeh hewschräcken aufsetzt ein schweigen. 

Was überhebend oder benemend jr euch 
der liebkosenden oder der scheltenden men- 
'sehen murmursj der doch kurz unA fynster ist. 
Einen lösen leumlden hal ich mir ge^ 
mehrt mit tugend und traffentlichen guten 
Werken. 



252 I 

Da hast deinen guten leumbden p ein aller- 
schönstes und küsdichests. Ding verloren. 

V. Unwahrheit jeder Art wird mit den 
härtesten Ausdrücken ausgez^chnet 

Die Alten nannten jede auch zur Lust er- 
dichtete Erzählung Märe. Du wähnst diese 
Dinge Mären seyn* Nie. von Weil« Oder auch 
wohl noch derber: Lugmähr. 

Späterhin blieb nur noch das Diminutivum 
Märlein, Mährchen. Die zu zeiten nötigend 
die fiirsten zu irren ^ schalkhaftig rcuner, und 
mörtrager. Nie. v. Weil. 

Unwahrheiten aus Gewohnheit , oder auch 
•nur zur Belustigung sagen > heilset windmachen. 
Daher das ff^indmachen ^ der fVindmachen 
* Unwahrheit, um von dem Gegenstande, 
oder von sich selbst höhere Begriffe zu erwek- 
ken, heifset au/schneiden. Das war aufge^ 
schnitten^ wird fet^t in keinem andern Sion 
mehr gebraucht. Der kann aufschneiden braucht 
niemand im eigentlichen Sinn von irgend einer 
Art der Geschicklichkeit im Trennen , Vorle- 
gen, seciren. So ^VLch das Aufschneiden^ Auf 
schneiderey^ der Aufschneider. 

äo sagten die Alten nie z. B. vom Küchen- 
geschäfte ^ sondern stets nur uneigentlich: Ei- 
nen Schnitt mit dem grofsen Messer ehun ^'). 



%Z) Wie schonend bezeichneten die Griechen diese Per- 



253 

' * 

Mit grandiosen Beschreibungen , Erzählun- 
gen hintergehen^ mit leeren Hof&ungen täu- 
schen, heifset einen aufziehen; einem etwas an^ 
schwatzen;- die ^nschwaüsun^; einem etwas auf- 
binden. Einem eine lange Nase drehen^t 

Der Einfalt Nasen drehen^ den Schwa- 

» 

chen hintergehen j, dieis läfst der Hof bey ihin 
Violen seyn und Rosen. Opitz. 

Das Wort der Lug mag von laugn (Bretan- 
jMch) /verbergen herkommen. Adelungs Wer 
diels Wort braucht, der will aber stets nur die 
Verwerflichkeit der Rede, die es trifft, und 
iseine gröfste Verachtung d9gegen bezeichnen. 
Ja es wird stets mit Trug für gleichlautend ge* 
halten: 

MU .Lug und Trug ümgeheii* 

r 

Die Lügey nach der jetzt gewöhnlichen Be*' 
nennung, bekömmt die verwerflichsten Beywör* 
ter, eine stinTtende Lüge. Daher statt ersonnen, 
erfunden^' das bedeutende Wort, welches durch 
die Partikel er noch verstärkt ist, ~ erstunkener 

Mak sollte glauben, die Leute hätten es 
mit Augen aogesehen ;^ wenn map aber endlich 



tigkeic Advo$r0i«f, Adydtr«i'«. Die Lateiner: Fabuhuor^ 
n/andö. Fnntigertiior, -• mmigerulus, Unserä Meistar 
in der A^i»^dir«' jenseitMes Rheins : hrodtr, $mMlir, 
füsmr dt ci^üt, 'fiygeur k/# MUiiflht. ' * ' 



< » 



254 • 

recht darnach fragt, jo ist et erstunken, und 
er/og'e^z. ,Schuppii|s ,^% 

Lügen wird ijicht wders aU mit Nach- 
drucjc gebraucht : Er lügp, wdnn er den IkUmd 
aufthut; Jemanden die \H€m^ vqU lügen; da 
lügst es in deinen Halsj Er lügt, als wenn es 
gedruckt wäre; er lügt, da/s sich die Balken 
biegen. 

Der Lojolit hat auf die ganze Kirche alhier 
balkendicke Lüge gelegt. Brief aus dem i6teii 
Jahrhundert. 

' '4 

Du hast es gelogefi, war der Inbegrif aller 
Vorwürfe , ' die man eihem edlen deutschen 
Manne machen konnte, und war wohl nur" die 
Übersetzung des- fränzäsischen demenU , der 
Herausforderung: tu en as menti. 

Lügengeld hie£s j^des Striigdld^ Vödurch 
der vor^ Gericht . yerurthc^lte Jede Beleidigung 
büfsete. 

DejT Lü^rur wir . das ÄrgstP. Schimpfwort. 
Ein Bau^ör in, Giyph^us Zwiscbenapiel. bringt es 



■•^-•^.•■^«^■»«■■»^B 



,< ■ ! ■ I > 



^ 



a4)^In ^ einen apdsra ^^n n^jrd das Wort Stänker ge- 
gebraucht, mr einen der alles» wovon er redet, durch 
•' «eine* ebretiruWigö. oder firiedeatoreade Äeden adn- 
• kend' machen willf 

... . • / • 

;,.. Nuf aen.€in«ig^^/fl^/^tf/gilt4i^a.JiieiiieBiit» nicht, 
^::^^ ^™«^1^ ,"»d, klein genung ist,; H«Ad^,4Uwuspinneii. 

die er selbst ^^usetaen wder HvJS.^o4tiU«&,h*t 

£^/<>i|^ ThMQtog, Nachk S. ^* 



a55 

OL eine Reihe mit, den gehässigsten Vorwürfen : 

)u Hundi du Lügner, du Korndieb. 

2!ium Lügner an jemanden werden ijßmanr 

len zum Lügner machen; 4em Lügner das. 

Maul stopfen, : ^ \ 

Zfas Lügenmaul, der Lügensack» 

Das £mpfindliohe des Widerxufs einer Un« 

v^ahrfaeit kann nicht nachdrücklicher bezeichnet 

m 

yerden , als durch die Redensart : man ^straff. 
An der Lügen} er mufs sieh auf das Maul 
schlagen* ... 

Sich selbst widersprechen heiiset schon: 
dch mit seinen eignen Worten schlagen. 

VI. Lügen, aus bpser Absicht, m jemandes' 
Schaden *f), lügenhaftem Urth^ilen über jeman* 
äeu. . Wer eine F^ertigkeit darin hat, der se^t, 
den Schwur und fFbrt auf.Sch^rauben. ,Opitz\;, 
^^r is^fqls/ch wie palgmholgi ,, und wird zwefr- 
^Ungig^ , eiß sw&yzüngler,. .,Thut er es hinter 
dem Rückendes, den er so, unglimpfliQj^ teur»>^ 
theilt , so treibt er Afterrede, Nachrede: lais 
Lob uni el^ire dijrdi ^ttijjTfi?^ ^nachrede^ werden 
gescholten. Nie. von Weil. Oder auch Zure*, 
de: ob.^inexxi unsphuldigeo. Menschen et)Tas ar* 
ges zuger^^tjyurd. Derselhf, , , 

Er afterrßdet,. wird ein Afterreiner ^ ^ tadelt 
hinter ^ücks. Tijut ^^r es bet^ut»an| , .heimlich. 



. ' ' . / ' ■ ■*■ iW t Htm » I' >{ 

25) Meneir pour nguin 



250 

so wird er ein 'Ohrenbläser , Ohrrurier^ Ohrrau- 
nery treibt Ohrenbluserey; trägt er seine Erdich- 
tungen von einem txim andern^ wird er ein 
Ohrentriiger. 

Alle diese gleichsam die Stellung mahlende 
Bezeichnungen zeugen von dem widrigen EÜn- 
druck 9 den der Anblick, oder das Bild eines 
solchen heiinlich nachtheiligen» Beurtheilers auf 
d^n Deutschen machte. 

Brach der Feindselige dabejr in Heftigkeit 
aus j so brauchte man im fünfzehnten Jahrhun* 
dert den Ausdruck : - anstürmen ^ antasten. 
Ob Dich denn die Eherechten^-menschentnit re- 
de anstürmende' Durch sbliich dhtastung wird 
dieehere klarer scheinen. Nid von^WeiL Sonst 
sagt6n die Altei^blofs Schelten, strafen^ schul- 
digetbydurchhächein.^ ' 

, Sorist ewer frawe und muter guter leütebd 
so gröfsi da& 'der-nicht^mit einem tob mag wer» 
Sek gemerei", hoch ifnit einem schelten gefnui' 
dert. ' ■- . •. V ' 

Ich fand darin ^tlkke^Scheltüng^ weibliches 
G^sdtlechts. ' ' '' ' '''"^ ^' ' 

' Di weil* jm sa lustig geweisen Jst, xAt sei- 
nen worten, mein i^äisigkeit zu Schelten; So 
gepöm' steh mit "und hat er mn* des Ursach 
geben > 'seiii ünscham zd itraffm^ und zu 

', ."^ M',"« «i" £s 



Es mag niemant die menschliche natur 
schuldigen oder straffen. 

Hieronymus sey ein scheltcr und übelreder 
des Römischen stuls^ und ein durchächter der 
Prelaten. 

Aber diese mein durchächter haben mir 
ewer gemüth von meinem hayl entpfrembdet. 
Nicol von TVeiL 

Die Folge davon ist: der jifcerredaer 
schwächt j kränke j€77ian des Ehre. Absicht^ Per- 
son: Die Verldeinerung **). Verunglimpf Cy 
(daher Verunglimpfung) bringt jemanden um 
Glimpf und Nahmen; Kränkt jemandes Leu- 
mund^ Schweht sein Leumati Hans Stichs; wird 
ein Verleumder durch Fertigkeit in diesem Ge- 
schtifte^ und durch seine Absicht^ die in hö- 
herm Grade boshaft, schädlich ist '^). 

Kr beschmitzet des andern guten Nahmen: 
ein Zeitwort, welches von Smit Rufs hergelei- 
tet wird^ beschmytt^n nach älter Schreibart. 

Stpsch Synonymen *'). 

- * _ 

36) Detru/iere, obtrectaior: ^ 

^7) »«(jt«Adyp$, jt»i»dA»vu», Mtx4n Afyiif (Im entgegAnga* 
aet2ten Fall schon beym Herod. tfct ^1 ebx^vTttira srf«^ 
rf V «0(x«0-.) A<«^«AAf ly , ^t»ßc?in , ^t«cß4X»f, Drückt die 
Absicht, oder Wirkung» aber ohne Zusau aus. Caiumm 
nior a calv£ndo (calvere^ decipere), Mesdir€, medU 
sance. 

• sB) Besnryten (hochdeutsch beschraelfsen) daher Smiierling 
(Schmetterling) und im Hochdautschen Schnuifißiegef 

' R ' 



a58 • 

Er schwärzet den andern an. Ein Zeitwort, 
welches in der eigentlichen Bedeutung nun nicht 
mehr Torkömmt. Brockt einem etwas ein; ver- 
salzet einem bey andern die Suppe, ^ wenn die 
Verleumdung darin bestand, dafs er einem 
feindselige y untreue^ schädliche Gesinnungen 
suschrieb. 

Schon der Versuch ist ehrenrührig; greift 
einen an der Ehre an; schneidet einem die Eh* 
re ab. - Und leichter kann einer das Ohrenbe^ 
schneiden vertragen, als das Ehrenbeschneiden, 
Abr, a. S. Cl. 

Der Ehrabschneider istderhäfslichste Mensch, 
wird ein Ehrendieb, Ehrenräuber y Ehrenschun^ 
der; macht einen zuletzt ganz stinkend. 

Wer es laut , mit Frechheit, oder ins An« 
gewicht thut , der lästert. Lästern kann her* 
kommen von Laster^ welches ursprünglich /^er- 



weil diese Insektea mit ihrea Eyern alles beschmeifsen, 
bewerfen« und eben dadurch bescfamiczen oder beschmut- 
zen, welches das Intensivum von besmyten ist. Das 
aledeutsche Smit^ Rufs kenne ich nicht. Beym Ulphi- 
Us heifst hismaiian bescbfQieren , besalben. AnmeriLmig 
von Herrn Ramler. 

Beym Nico!, von Weil^ in der Übersetzung des Pog- 
gius vom Lobe des Hieronymus, ist folgende Stelle. 
So des Hier, von Prag Hede of^ mit mancherley ru- 
tnors gehindert ward: das er do derselben kaynen lieCi 
ungeschmützt hingehen, fondern nöttet M «ich au 
•cbämen oder schweygen. 



^^9 

letzung\ Beschädigung bezeichnete. Einem et- 
was zu Laster thun; einem weder Laster noch 
Leid thun, Adel. Und nach dieser Ableitung 
würde es gleichsam den eigentlich so zu nen- 
nenden Schaden thun heifsen. Oder es kommt, 
von der Bedeutung des Wortes Laster, da es 
Kränkung der Ehre, Schimpf, Schande bedeu- 
tet , wie sich diese Bedeutung in dem Woxtei 
Lasterstein, Schandstein, erhaltien hat. Oder es 
spielet darauf an, wer sich solch freches Ver- 
dammen^ Verleumden zu schulden kommen las- 
set, der thut, begehet, was »«r 1$«;^«» Laster 
heilset. 

Er sagt, das alles so jm fürgehalten we- 
re, falsch und laster sein, von seinen Fein- 
den erdacht. NicoL von PVeil. 

« 

Zerlästern könnte wohl eine, freilich nicht 
ohne Mifsverständnifs gewagte, Übersetzung des 
Lateinischen Zeitworts criminari seyn. 

Lästerlich, Lästerrede, Lästerwort, Laster^ 
Schrift; der Lästerer, das LästermauL Die Zoj* 
terschule galt schon bey den Alten für Schule 
aller Bosheit. 

Mit Lästern ist fluchen verbunden, wena 
der Affekt, und die Begierde Schaden zu thun 
den andern unglücklich zu sehen, in Heftfc^keit 
ausbricht. 

Wer lose Worte giebt, der leide Schmach 



26o 

und Fluchen. Wenn einer Glimpf nicht braucht, 
so darf er Glimpf nicht suchen. 

Fluchen wie ein Landsknechtp wie ein 
Fuhrmann. 

Der Fluch ^ der Fluchen 

VlI. Unzüchtige Ausdrücke heifsen schand- 
bare Worte, Zo^e/i, ' Zoten vorbringen ^ Zoten 
reifsen. Der Zotenreif ser ist der verworfenste 
Witzling. Schweinereyen , Sauzoten. Milder 
Sauglocke läuten. 

Solch . ein MenscJt hat ein ungewaschenes 
MauL 

Unzüchtige Lieder im Schlesi&chen Dialekt 
Zschuntscherlieder. 

Da machen sie denn Buler Briefe^ und 
singen Zschäntscher Lieder vum schinen Schaf- 
fer, und der falschen Sjlviges. Der Bauer 
beym Gryphius. 

YIII. Selbst die Aufmerksamkeit und Ge- 
Aissenheit, welche man gegen solchen Mifs- 
brauch der Sprache blicken lasset^ . wird sehr 
verächtlich bezeichnet. 

Der zudringlich aufmerksame nimmt, stiehlt 
einem die TVorte aus denk Munde. Wer hö- 
ret, was er nicht hören, nicht behaltejo solte, 
der SGhnappet auf. TVo hast du das wieder 
aufgeschnappt? Die Begierde dergleichen Heden 
aufzufangen, oder das ungeordnete Verlangen 
nach I^euigkeiten heißet auch der Ohrenkitzeh 



a6i 

dem jucken die Ohren nach Neuigkeiten. Die 
Stellung des, der alles zu aufmerksam beach* 
tet, ' wird durch den Ausdruck er sperret das 
Maul auf bezeichnet. 

Sucht man unbemerkt etwas aufzufiingen, 
so horcht man; Vfird ein Horcher. ' 

Aus diesem Yerzeichaifs erhellet nun un- 
läugbar', dafs es den Deutschen darum zu thun 

war, diese Fehler oder Laster^ die ihnen so 

** 
verhafst waren^ in allen ihren Au/serungen, Ab- 
änderungen 9 Abstufungen bedeutend und zum 
Theil nachdrücklich zu bezeichnen; in nach* 
bildenden Tönen so wohl , als in sinnlich be« 
zeichnenden^ auch uneigentlichen Ausdrücken 
die unangenehme Empfindung, die der Zuhö- 
Ter und Zeuge dabey hat, möglichst zu mah- 
len ; und wenn irgend eine andre bekannte 
Sprache einen passendern oder stärkern Aus« 
druck zu haben schien, denselben in die Deut- 
sche Sprache zu übertragen , auch wohl durch 
Nebenbegriffe zu verstärken *'). 



■ m m *» 



39) Z. B. Rabulist t vom Latein, rabulat weichet wieder 
von ravus oder raucus, schwerlich von rabies herkommt» 
bezeichnete also ursprünglich im Latein, einen, der un- 
deutlich, unvernehmlich redet, oder einen, der sich 
heiser redet. Im Deutschen bezeichnet es aber einen 
zanksüchtigen, • rankevollen t mit Fleiü die Sache ver* 
-wirrenden Redner. 

Selbst das bey den Römern so ehrenvolle advoeaiuSf 
patronus caussae, caussidicus bekam ^ sobald ea im 



d6a 

Aus dem eigentlichen, einzigen Volksbuche 
des sechzehntjsn^ und der folgenden Jahrhun- 
derte, aus der Übersetzung der Bibel, nahm 
ein grofser Tbeil der Deutschen die fremden 
Ausdrücke, welche Luther nicht ersetzen zu 
können glaubte, willigst auf, sobald sie den 
Nachdruck zu haben schienen, den der Hafs 
gegen den Milsbrauch der Rede forderte. 

Als mit der Zunge tödten, mit der Zunge 
den Nächsten todtschlagen; mit giftigen Zun-- 
gen stechen; mit Otternzungen vergiften. 

Deutseben uneigentlich gebraucht wurde, eine «weydeu* 
tige Nebenbedeutung. 

Er ist ein guter j4dvohat^ ein rechter, ein vollkomm" 
ner Advokat. 

Mit grofser Bereitwilligkeit nehmen auch die Deut» 
sehen aus dem Lateinischen alles auf, Was zum Aus- 
druck* ihres Widerwillens in diesem Fache tauglich, 
oder wo ihre Sprache noch zu arm schien. Luther 
selbst in einem Briefe : Eck cavUUrt das Wort sola gra- 
tia — Erzcalumniant — dafs die welschen Practiken 
nichts gegen euch ausrichten. 

' Jnvehi in aliquem, einen anfahren; detrahere: So 
ich abzug meinem necksten. NicoL von JVeiL 

Also würden die Worte mit den Werken, und die 
Zunge, die des SimnUrens und Complimentiren/, Lü- 
gens und Trügens so gar gewohnt, mit dem Herzen 
übereinstimmen ? Sc^uppius. 

Es fahret der Mann in seinem Buch de -viris illustri* 
bus mit ^solcher Ungestiimigkeit wider mich herein^ um 
mich auszuscaliren. Diedr. de Bry, Der Ausdruck 
ist eben so fremd , als er einst gewöhnlich war» 

Und so unzählige andre. 



a63 

Was sogar in der Bibel nur etwan eine 
Anspielung, ein Zug irgend einer Parabel ge- 
wesen war, das ward bald im Deutschen Sprach- 
gebrauch ein Hauptwort. 

Aus der Parabel vom Splitter im Auge 
machte nur der Deutsche Splitterrichter. Nach 
dem Ausdruck Mücken seigen^ machte dar Deut* 
sehe Mäckenseiger. So ist der Lügengeist ^ der 
Vater der Lügen, für falscher j^ böser Geist, 
Teufel, im Deutschen geblieben. So war das 
Wort Spötter eine Zeitlang herrschend für In- 
begriff aller Bosheit^ Verunstalter alles Guten. 

So wie nun wohl offenbar der Deutsche 
diesen Fehler, der durch Mifsbrauch der Rede 
begangen wird , stärker als viele andre Natiö- 
nen rügt: so möchten gar leicht andre Fehler 
oder Laster duröh manchen , der Deutschen 
Sprache eignen, Euphemismus gemildert erschei- 
nen. Es wäre mit den Ausdrücken die Probe 
zu machen, die alle Art von VöUerey bezeich- 
nen: ob nicht in der Sprache selbst der alte 
Deutsche die Schonung verrathen habe, die er 
der Unmäfsigkeit zugestand. Z. B. Ein Ehren- 
trank, fV^illkommen , Bescheid thun; ein Trunk 
über Durst, 

Einschenken, der Schenk, TVeinschenker, 
Biersciienker. Wenn es der Deutsche noch 
so angemessen , auch im höchsten Pieise bezahlt, 
so hält er diesen Genufs doch noch für geschenkt. 



a64 

Mit der veränderten Denkungsart steigt und 
fallt auch der mehr willkühriiche Werth uad 
das Gewicht der Wörter und Redensarten* 

Da jetzt Unwahrheit, Erdichtung, Ge- 
schwätzigkeit häufiger wird; da es auch im Um- 
gänge oft geduldet werden mufs: so werden 
auch die Ausdrücke von diesen jetzt so genann- 
ten Gewohnheitep milder. 

Dagegen ist so mancher gelinde Ausdruck 
und Euphemismus aus dem Gebrauch gekom- 
men, womit ehemahls Gewalthätigkeit, Mifs- 
brauch der Stärke und Überlegenheit entschul- 
* diget oder beschöniget wurde '% 

Strandreche hiefs die unnatürlichste Härte 
gegen Unglückliche; 

Faustrechc die Bedrückung des Schwächern. 

Befehden hiefs mörderisch angreifen; 

Einreiten sich des andern Grundstückes be- 
mächtigen; 

Niederlegen einen zum Knecht machen« 

Ritterzphrung ward von dem unschuldigen 
Wehrlosen terprefst. 

" Reiterrechc hiefs die Gewaltthätigkeit, mit 
welcher der Reisige allenthalben Feldfrüchte 
• zum Futter für sein Pferd nahm. 

3o) Noch im siebzehnien Jahrhundert hies in Frankreich 
une ^uerelle d'uillemand , ein Blutbad. 



a65 



VI. 

f^on deutschen Kunstwörtern die zur Grö- 
fsenlehre (^Mathematik) gehören^ "von 
ylbel Butja. 



Einleitung, 

jjas lobenswürdige Vorhaben des hochberühm- 
ten Herrn Verpßegers ulid der deutschen Mit- 
glieder dieser gelehrten Gesellschaft^ der 
Landessprache eine gröfsere Vollkommenheit 
und einen* neuen Glanz zu geben, hat auch 
mich veranlasset über den Mangel an deutschen 
Kunstwörtern in der Gröfsenlehre , und übeir 
dessen Abhelfung nachzudenken. Ob ich gleich 
der Abstammung nach französisch bin^ so sch^t* 
ze ich es doch für eine Ehre von Geburt ein 
Deutscher zu seyn: und ich halte es für Püicht, 
diejenigen Schriften, die ich zum Unterrichte 
der Jugend, und zum gemeinen Gebrauche be- 
stimme, in deutscher Sprache zu verfassen. 
Bei den Arbeiten dieser Art ist mir nur zu oft 
der Mangel an bequemen Kunstwörtern höchst 
beschwerlich gefallen. Wir haben schon eini* 
ge deutsche Schriftsteller, die sich beflissen ha- 
ben, ausländische Kunstwörter in der Gröfsen-* 
lehre gegen einheimische zu vertauschen» «S^u/t/s, 



26« 

PVolf und unser zu früh verstorbener Mitge- 
sellschafter Schuhe sind die vornehmsten unter 
ihnen. Man mufs gestehen^ dafs sie Vieles ge- 
than haben, aber nicht Alles^ und dafs es in 
dieser reichen Ernte noch manches nachzu- 
stoppeln giebt. 

Ich nehme mir vor^ die verschiedenen 
Theile der Gröfsenlehre, so wohPder reinen 
als der a-ngewandten, nach und nach zu mus- 
tern, die dahin gehörigen Dinge in einem zu- 
sammenhangenden Vortrage aufzuzählen; sie, 
wo es nöthig seyn wird, zu erklären^ und jedem 
seine gehörigen Namen zu geben. Wenn ich 
irgendwo fehle, so werde ich jede freundschaft- 
liche Zurechtweisung als eine wahre Wohlthat 
annehmen. 



Erster Abschnitt. 

Von der Gröfsenlehre überhaupt. 

§. 1. 
Es wird einem Dingo, eine Gröfse (gran- 
deur) zugeschrieben', insofern e:B, wenigstens in 
Gedanken, theilbar ist; oder auch, insofern es, 
wenigstens in Gedanken, vermehret und ver- 
mindert werden kann. Beide Erklärungen lau- 
fen auf Eines hinaus : denn das Vermehren und 
Vermindern beruhet auf der Theilbarkeit, und 



2^7 

geschiehet dadurch, da/s einige Theile zugeset- 
zet oder abgenommen werden. 

Das Wort Gröfse -wird eigentlich nur bei 
solchen Dingen gebrauchet, die ihrer Natur 
nach zusammenhangend sind^ und blo/s in Ge- 
danken getheilet werden. Man saget, die Grö* 
fse einer Linie, einer Fläche, eines Körpers, 
einer Zeit, einer Kraft u. s. w. Hingegen hat 
man das Wort Menge {quäntitS) für solche Din- 
ge/ die sich von Natur in abgesonderten Theilen 
darstellen , und für solche , die sich nicht gut 
ohne wirkliche Theilung ,, und Trennung aus- 
messen lassen. So saget man: eine Menge Gel- 
des, eine Menge Wassers, u. s. w. Indessen 
ist diese sprachkünstlerische Genauigkeit bei 
unserem Zwecke entbehrlich ; und so wie die 
französischen Schriftsteller die Worte grjindeur 
und quantiti ohne Unterschied gebrauchen so 
können wir ebenfalls die Worte Gröfse und 
Menge verwechseln, wenn nicht besondere Um- 
stände einen Unterschied zwischen beiden nö- 
thig machen. 

f. 2. 

Die Gröfsenlehre (Mathematik) ist ein In- 
begriff alles dessen, was der Mensch erhebliches 
von den Gröfsen und Mengen der Dinge erken- 
nen kann; oder, es ist diejenige Wissenschaft, in 
welcher die Dinge, als theilbar betrachtet wer- 



1^68 

den, ah solche, *die einer Vermehrnng und 
Verminderung fähig sind. 

Weil diese Wissenschaft dieses Eigenthüm- 
liche hat 9 dafs sie mehr als andere mit Ord- 
nung, Deutlichkeit, Gründlichkeit, und Gewifs- 
heit vorgetragen werden kann: so ist ihr von 
den Griechen die Ehre erwiesen worden, dafs 
sie vorzugsweise die Mathesis oder Mathematik, 
das hei;st| die Lehre oder fVissenschaft genannt 
wurde. Aus dem nämlichen Grunde schlägt 
Leibnitz den von den Holländern erborgten 
Namen Wifskunst^ vor. Indessen scheinet es 
mir, dafs Wissen und Kunst sich einigerma- 
isen widersprechen. Ich halte auch den Namen 
iVifshunstr für gar zu hochtrabend, indem an- 
dere Gelehrten^ die sich nicht eigentlich mit 
den Gröfsen der Dinge beschäftigen, doch auch 
etwas wissen. Also däucht mir, es sey zweck- 
m'äfsiger, die Wissenschaft, wovon die Rede ist, 
durch ihren Gegenstand zu bezeichnen, und 
sie die Gröfsenlehre zu nennen, um desto mehr, 
da man schon saget Naturlehre, Sittenlehre, 
Seelenlehre u. s. w« 

J. 3. 

Der hohe Crad der Gewifsheit, den man 
in der Grölsenlehre erreichet hat, rühret zum 
Theil von der Lehrart her, die man in dieser 
Wissenschaft zu beobachten pfleget. Man macht 



269 

den Anfang, mit Erklärungen oder PVorthestim* 
mungen {definitiönes), welche die mit den Worten 
zu verbindenden Begriffe gehörig einschränken 
und bestimmen. Hierauf folgen Grundsätze 
oder Ursätze {axiomata) oder solche Wahrhei- 
ten, die man ohne Beweis annehmen mufs und 
kann. Mit diesen haben die Forderungen (po" 
stulata) einige Ähnlichkeit. Nämlich in einer 
Forderung wird verlanget, dafs der Zuhörer 
oder Leser die Möglichkeit oder die Thunlich- 
keit irgend, einer sehr einfachen Verrichtung 
ohne Beweis zugestehe, z. B. dafs man eine ge- 
rade Linie ziehen und verlängern könne. Aus 
den Grundsätzen werden Lehrsätze, {theorema-- 
ta) hergeleitet, nämlich solche Wahrheiten 
die nicht ohne Beweis angenommen werden kön^ 
nen. Jeder Lehrsatz bestehet eigentlich ans 
zwey Theilen. Der efrste ist die Voraussetzung 
{hjrpothesis i seu data theorematis,) worin ange- 
zeiget wird, wai als gegeben oder bekmnt an- 
genommen werden soll. Der zweite Theil ist 
der eigentliche Satz (thesis\ worin angekündiget 
wird, was bewiesen werden soll. Nach dem 
Lehrsatze folget sein Beweis (demonstratio), wor- 
in gezeiget wird, wie die Richtigkeit des Lehr« 
Satzes aus den Wortbestimmungen und Ursät- 
zen, oder auch aus den vorhergehenden Lehr- 
sätzen erhellet. Bei solchen Lehrsätzen/ die 
sich auf Linien , Fläohea oder Körper beziehen 



270 

hebet der Beweis manchmal ao mit einer Vor- 
Zeichnung {consiructio) , wo gelehret wird, wie 
die Figur gezeichnet werden soll, die zum Be- 
weise nötbig ist. Nach den Lehrsätzen folgen 
gemeiniglich die Aufgaben (prol/lemata) , in 
welchen verlanget wird, dafs etwas gethan oder 
verrichtet' werde , wovon die Richtigkeit eben- 
falls nicht ohne Beweis angenommen werden 
kann. Jede vollständige Aufgabe enthält, wie 
ein Lehrsatz, zwei Theile, nänilich die f^or- 
aussetzung {hypothesis seu data problematis), 
und die eigentliche Frage, {quaestio). Hierauf 
folget die Auflösung {soUuio)y worin vorgeschrie- 
ben wird, wie das Verlangte verrichtet werden 
s'olL Dann kommt der Beweis {demonstratio), 
welcher, wie bei den Lehrsätzen , manchmal 
mit eiller Vorzeichnung {constructio) anhebet. 
Oft kommen zu den Hauptsätzen noch Zusätze 
(corollaria) hinzu , worin aus den Sätzen selbst 
nützliche Folgerungen gezogen werden; dann 
und wann auch Anmerkungen (scholia^ adnota- 
iiones), das heifst allerlei zweckmäfsige Nach- 
richten und Erläuterungen. In solchen Theilen 
der Gröfsenlehre , wo gewisse Naturerscheinun- 
gen erkläret werden sollen, nimmt man, wenn 
es nöthig ist, seine Zuflucht zu Voraussetzung 
gen oder Annahmen (hjrpotheses) , . indem man 
eine ungewisse Sache für gewifs annimmt^ um 
die daraus entspringenden Folgerungen mit der 



Erfahrung zu vergleiclien. Endlich ist man in 
gewissen Fällen genöthiget einig« Sätze, die 
man zu seinem Vorhaben gebrauchet, erst nach- 
zuholen , oder wohl gar aus einem andern Thei-* 
le der Gröfsenlehre zu entlehnen. Solche Sät- 
ze die nicht eigentlich in die Reihe derjenigen 
gehören, die den Vortrag ausmachen, werden 
Lohnsätze (lemmatä) genannt, sie mögen iibri* 
gens in Wortbestimmungen oder Ursätzen oder 
Forderungen , oder Lehrsätzen > oder Aufgaben^ 
oder Annahmen bestehen. 

Es verstehet sich von selbst, dais es nicht 
allemal nöthig ist, bei jedem Satze anzuzeigen, 
ob er ein Ursatz , oder Lehrsatz u. s. w. ist. Es 
ist genug, dafs sowohl der Lehrer als der Ler- 
nende den eigentlichen Werth und Gehalt jedes 
vorgetragenen Satzes deutlich einsehe. 

JVolf ist der Urheber der Kunstwörter die 
zur Lehrart in der Gröfsenlehre gehören ^ und 
ich habe sie zum Theil so beibehalten, wie er 
sie fest gesetzet hat. Man pfleget sie auch io 
der Vernunftlehre (Logik) mit anzuführen. 

Die Gröfsenlehre wird eingetheilet in die 
reine und die angewandte {mathesis pura et 
mathesis applicata). Die reine beschäftiget sick 
blofs mit den Gröfsen überhaupt, ohne Rück- 
sieht auf die übrigen Beschaffenheiten der Din- 



27a 

ge; die angewandte aber zeiget, wie die allge 
meinen Wahrheiton der reinen Grofsenlehre 
bei verschiedenen Gegenständen der Natur und 
der Kunst genutzet werden können. 

Die reine Grofsenlehre zerfällt in zwei 
Haupttheile, nämlich die Recl^enkunst {calcu- 

« 

las), welche die getrennten Gröfsen {ijuantita- 
tes discretae) betrifft j und die Älefskunst (Geo- 
tnetria)^ die sich mit zusammenhangenden Grö- 
fsen {quantitates coniinuae) beschäftiget. 

Die angewandte Giöfsenlehre hat keine be* 
stimmte Grenzen und erweitert sich noch täg- 
lich. Sobald eine Wissenschaft, Kunst oder 
Lehre viel Berechnungen, oder Beweise aus der 
Mefskuhst erfordert, so pflegt man sie in das 
Verzeichnifs der verschiedenen Theile der ange- 
wandten Grofsenlehre mit aufzunehmen. Heut 
zu Tage sind die&e Theile ungefähr folgende, 
x) Die angewandte Rechenkunst oder kaufmän- 
nische Rechenkunst {arithmitica applicata seu 
mercatoria)^ das heifst, die Anwendung der rei- 
nen Rechenkunst auf solche Fälle, die im Han- 
del und im gemeinen Leben vorkommen. Je- 
doch pfleget man sie, wegen der Trockenheit 
der reinen Rechenkunst, in diese mit einzu- 
flechten, a) Die angewandte Mefskunst oder 
Landmcfskunst {geometria practica^ geodaesia)^ 
das heifsC der Gebrauch der Lehren der reinen 
Mefskunst bei der Ausmessuag^ Theilung und 

Auf- 



273 

Aufnehmung der Felder. Meistens wiVd sie 
ebenfalls mit der reinen Mefskunst verwebet 
oder als ein Anhang derselben vorgetragen. 3) 
r>ie Bewegungslehre (mechanica) ^ deren Gegen- 
stand schon durch den Namen angedeutet wird. 
4) Die Lichtlehre {optica) oder die Lehre vom 
Lichte und vom Sehen. 4) Die Gehötlehre 
(acustica), das heifst die Lehre vom Klange, und 
Tone. 6) Die Steralehre, welche von den Grö- 
fsen^ Entfernungen und Bewegungen der Him- 
melskörper handelt. 7) Die Zeitmessung [chro- 
nometria), welches Wort schon an sich selbst 
verständlich ist. ß) Die Feuerwerkerkunst {ry- 
rotechniä), in welcher die Wirkungen des 
Schiefspulvers bestimmt und' berechnet werden. 
9) Die verschiedenen Baukünste, als bürgerliche 
Baukunst (arckitectuva civilis), Kriegeshauhmst 
{architectura militaris) , JVasserhaukunst [archi- 
tectura hydraulica) , Schiffbaukunst > {architectu^ 
ra navalis). 

Diese verschiedenen Theile , sowohl der 
reinen, als angewandten Gröfsenlehre haben 
wiederum ihre Unterabtheilungen, welche ich 
hier ohi^e viele Erklärungen anführen will, in- 
dem die Sache meistens durch den Namen 
schon hinlänglich angedeutet wird. 

Die Rechenkunst begreift die gemeine Rech^ 
nung oder Zifferrechnung {arithmetica) und die 
Zeichenrechnung {algebra). Di^se letztere ent- 



Ä74 

hält wiedemm die niedere Zeichenrechnung (a 
gebra communis ^ calculus liiteralis^ ana/jrsis / 
nitorum) und die höhere Zeichenrechnung ode 
die sogenannte Rechnung des Unendlichen (anc 
lysis infiniiorum). 

Die Mefskunst wird eingetheilet in die ge 
meine Mefskunst {geometria communis sive eh 
meniaris) und die höhere Mefskunst {geometrü 
sublimior^ geometria curvarum). Die gemeiiK 
Mefskunst wird ferner yon Einigen eingetheilel 
in die Längenmessung {longimetria) , Ebenen' 
messung oder Flächenmessung (planimeiria) und 
Körpermessung {stereomeiria , solidomeiria). Ah 
ein Anhang zur Mefskunst mufs die Dreiecks- 
lehre (jtrigonometria) betrachtet werden, sowohl 
die ebene Dreieckslehre {trigonometria plana)^ als 
auch die kuglichte Dreieckslehre {trigonometria 
sphaerica). 

Von ^ev kaufmännischen Rechenkunst und 
der Landmefskunst ist schon bemerket wordeji,j 
dafs sie meistens zugleich mit der reinen Grö- 
fsenlehre Torgenommen werden^ Sie bedürfen 
also keiner besondern Unterabtheilungen.' Ich 

bemerke hier nur noch, dafs auch die ff^asser- 

'I 

Vfugartg oder Richtv/ägung {libellatia^ nivelle- 
ment) als ein Stück der angewandten Meiskunst 
betrachtet werden kann. Nichts verhindert/ 
sie mit der Landmefskunst zu verknüpfen. 
Die Bewegungslehre bestehet aus vier Thei 



275 

len, als da sind i) die Standlehre (staticä) für 
das- Gleichgewicht überhaupt , und besonders 
für das Oleichgewicht der festen Körper ; 2) die 
Walsers tandlehre (Jiydrostaüca) für das Gleich- 
gewicht der Flüssigkeiten ; 3) die Kraftlehre 
{dynamica , phoronomia) für die Bewegung 
überhaupt, und besonders für die Bewegung fes- 
ter Körper; 4) ^^® JVas^erkrafilchre {liydrody- 
namica , hydraulica) für die Bewegung der Flüs- 
sigkeiten. 

. In der Lichtlehre kommen vor: i) die 
Lichtmessung {photometria , phaometria, optica 
proprie sic.dicta); 2,) die Spiegellehre {catoptri^ 
cö);- 3) die Durchsichtslehre {dioptrica); 4) die 
Scheinlohre {perspectiva). 

Die ^ Gehörlehre kann eingetheilet werden 
in die Klanglehre {theoria sonorum) und di^ 
Tonlehre (musica theoretica, theoria tonorum)» 
Die Sternlehre läfst sich füglich in zwei 
Theile zerlegen : 1) die Sternkunde Castrono» 
mia sphaerica)^ welche hauptsächlich mit Beob- 
achtung der Erscheinungen zu thun hat ; 2) 
die Sternwissenschaft (astronomia physica)^ wel- 
che die Kräfte, wodurch die Himmelskörper 
sich bewegen, untersuchet und berechnet. Als 
ein Theil der Sternlehre kann auch die Erd' 
messung (geographia mathematica) betrachtet 
werden. , 

Die. Zeitmessung enthält die Zeitkunde 

S a 



(chronologiä) und die Uhrenkunst (Jiorometriä), 
Diese letztere zerfallt wiederum in die Sonnen' 
uhrenkunst (gnomonica), die Wasseruhrenkunst 
{clepsydrica)^ die Räderuhrenkunst (Jiorometriä 
mechanicä), und was dergleichen Uhrenkünste 
mehr sojn mögen. 

Die Feuerwerkerkunst wird eingetheilet in 
dieGeschützkunst (artillerie) und die Lustfeuer- 
kunst {Cart des feux d'artifice). 

Die verschiedenen Baukünste sind durch 
ihre Benennungen schon genugsam abgetheilet. 

Man siehet aus den angeführten Benennun- 
gen ^ dals die Endungen Lehre ^ Kunst, und 
Kunde fast ohne Unterschied gebrauchet wer- 
den. Und in der That enthalten fast alle 
Theile der Gröfsenlehre so wohl eine Kunde 
oder Erkenntnifs aus der Erfährung , als eine 
Lehre oder Erkenntnifs aus der Vernunft, und 
' auch eine Kunst oder eine Anweisung zur Aus« 
Übung. Die Abwechselung dieser drei Endungs- 
wörter scheinet aufserdem in der Sprache nö- 
thig zu sejn, weil dadurch die gar zu häufige 
Wiederkehr der nämlichen Laute vermieden 
wird. 



^77 

Zweiter Abschnitt. 
T^on der Rechenkunst* 

Die Einheit (iinitas) ist jedes Ding, inso- 
fern man es als ein ungetheiltes Ganzes be- 
trachtet. Mehrere Einheiten von einerlei Art 
oder einerlei Gröfse machen eine Zahl (numc' 
rus). Eine unbenannte Zahl {numerus abstrac^ 
tus) ist diejenige, bei welcher nur blofs die Men- 
ge der Einheiten, ohne ihre übrige Beschaffen- 
heit gedacht und angezeigt wird. Eine benannt 
te Zahl {numerus concretus) ist diejenige, bei 
welcher nicht nur die Menge der Einheiten, 
sondern auch ihre Beschaffenheit und Art ge- 
dacht und angezeiget wird. Eine bestimmte 
Zahl {numerus determinatus) ist^diejenige, deren 
Werth genau angegeben wird. Eine unbestimmt 
te Zahly {jiumerus indeterminatus) ist diejenige, 
deren Werth unentschieden bleibt und vielfäl- 
tig seyn kann, als wenn man saget, eine gewis- 
se Anzahl y so und so viel. Bestimmte Zahlen 
werden durch Ziffern \notae numericae) be- 
zeichnet, unbestimmte aber durch Buchstaben* 

f. 3. 

Die Zählung (numeratio) ist die Art, wie 
man die Einheiten sammlet, die zu einer bei- 
stimmten Zahl gehören, und wie man diese be- , 



stimmte Zahl durch Ziffern, oder durch Worti 
ausdrücket. 

Die Art, wie sehr grofse Zahlen ausgesprol 
eben werden^ verdienet eine besondere Betracl 
tung. Wenn die Zahl in Ziffern ausgedrückcj 
ist, so theilet man sie bekannter MaCsen, T(n 
der rechten Hand zur linken in Abschnitte, de 
ren jeder drei Ziffern emhält. Nun pßegteA 
die alten deutschen Rechenmeister bei jeden 
Abschnitte das Wort lausend so viel mal auszu- 
sprechen , als noch Abschnitte rechter Hand 
vorhanden waren , z. B. diese Zahl: 

a4 536^800 o5743o^ 1 00^476 
würde also gelautet haben: 
a4 tausend- tausend - tausend - tausend- tausend 

mal tausend, 
536 tausend - tausend ^ tausend ^ tausepd mal 

tausend, 
800 tausend- tausend- tausend mal tausend, 

67 tausend «- tausend mal tau$<^nd, 
43o tausend mal tausend, 
100 tausend, 
476. 

Da man in d^r Folge einsah) wie schlep- 
pend^ verwirrend und unbequem diese Art zu 
zählen war, so erborgete man von den fianiCK 
sischen Gröfs6nlehrern die Worte Millionen^ 
^Billionen, TrilUonerCj Quatrillionen u. s. ^* 
Es mufs aber bei dieser Erborgung ein ffob& 



,^79 

rjersehen geschehen seyn« Denn nach der 
ranzösischen Zählung zeigen die gedachten 
JffoTte eine Fortschrejitung an , die nur * von 
rlrei zu drei Ziffern gehet^ da im Gegentheile 
iie Deutschen durch die nämlichen Worte eine 
.Fortschreitung von sech$ ?u sechs Ziffern an- 
deuten. Nur die neun letzten Ziffern rechter 
Hand werden so wohl in der französischen als 
in der deutschen Zählung aiif einerlei Art ge- 
lesen. Z. B. Die oben angeführte Zahl wird 
nach französischer Art also ausgesprochen: 24 
Quintlllionen , 536 Quatrillionen, 800 Trillio- 
nen, £7 Billionen oder Milliarden, 4^o. Millio- 
nen, 100 Tausend und 476. Hingegen nach der 
deutschen Zählung heifst es: 24 Trillionen, 
536800 Billionen, 67430 Millionen und 100476« 
Diese Verschiedenheit der Zählung bey 
zwei beuachbarten Völkern kann leicht zu man*^ 
cherlei Milsverständnissen Gelegenheit geben. 
Wenn es mir erlaubt wäre auffallende Neuerungen 
zu wagen, so würde ich rathen, die französi- 
schen Zahlwörter Millionen ^ Billionen^ TrilliO" 
nen u. s. w. theils wegen ihres fremden Anse- 
hens , theils auch wegen ihrer Zweideutigkeit, , 
gänzlich aus der deutschen Sprache zu verban- 
nen. Ich würde alsdann die Fortschreitung von 
drei zu drei Ziffern wieder einführen. Um 
nun keinen Mangel an Zahlwörtern zu leiden, 
würde ich die Endung send des Wortes tausend 



a8o 

mit den Zahlwörtern zwei, drei, vier, u« s. w. 
verbinden, und sagen 

zweisend f anstatt tausend mal tausend; 
dreisend, anstatt tausend- tausend mal 

tausend; 
viersend, anstatt tausend- tausend- tau- ' 

send mal tausend, 
u. s. w. 

Dann würde die oft erwähnte Zahl also 
'lauten: 2A sechsend , 53C fünf«end, 800 vier- 
send, 57, dreisend, 4^0 zweisend, 100 tausend 
und 476« 

Durch dieses Mittel würde unsere Zählung 
wirklich deutsch seyn, so wohl was den Wort- 
klang betrifft, als auch in Betrachtung des alten 
deutschen Gebrauches von drei zu drei Ziffern 
fortzuschreiten. Sie würde vor der französi- 
schen den Vorzug haben , dals die Ordnung der 
höheren Einheiten natürlicher wäre, als bei den 
französischen Rechenmeistern. Denn bei diesen 
zeiget die Anfangssilbe bi in den Billionen ei- 
gentlich die dritte Ordnung der > tausendfachen 
Einheiten an; die Silbe tri in den Trillionen ge- 
höret zur. vierten Ordnung, u. s. w. Hingegen 
in der von mir vorgeschlagenen Zählung geben 
diB Anfangssilben zwei, drei u. s. w. zugleich 
. die wahren Grade oder Ordnungen der tausend« 
fiichen Einheiten zu erkennen. 



a8i 

§. 3. • 

Die vier ersten Verrichtungen (pperationesj 
der Rechenkunst heifsen; Sammlung (additio), 
Trennung {subtractio) ^ Mehrung (multiplicauo') 
und Theilung (divisio). Wenn es die Deutlich- 
keit erfordert; so kann man noch bestimmter 
sagen: Zahlensammlung , Zahlentrennung, Zah» 
lenmehrung^ und Zahlentheilung. Übrigens 
sind diese vier Verrichtungen so allgemein be- 
kannt, dafs ich deren Erklärungen füglich weg-* 
lassen kann. 

Bei der Sammlung der Zahlen heifsen die 
gegebenen Zahlen auf gut und alt deutsch die 
Posten {aggregandi numeri)^ und was heraus- 
kommt ist die Summe {Summa y aggregatum). 
Beide Wörter sind zWar lateinischen Ursprungs, 
haben al^er schon seit sehr langer Zeit das deut* 
sehe Bürgerrecht erhalten, auch haben sie ei- 
nen wahren deutschen Klang. Der Posten ist 
nichts anders^ als das verkürzete Wort positus, 
anstatt numerus"" positus sive datus. 

Bei der Trennung der Zahler^ können wir 
diejenige Zahl, welche vermindert werden soll 
{numerus minuendus)^ die P^ollzahl nennen, weil 
sie noch voll oder ganz ist. Was abgenommen 
werden soll (numerus tollendus sive subtrahen" 
diis) könnte füglich der Abzug heifsen. Was 
übrig bleibet ist der liest oder der Unterschied. 
Das ausländische Wort Hest ist sehen längst 
eingebürgert; und dessen Klang ist gut deutsch. 



a82 > 

Bei der Mehrung der Zahlen wollen wir 
beide gegebene Zahlen die Mehrer (faciores) 
nennen. Die eine ist der Hauptmehrer {multi" 
plicandus numerus)^ die andre aber der TVehen-- 
mehrer {mulüplicatof). Eine von diesen beiden 
2jahlen ist allemal ' der Miimehrer {coejficiens) 
der andern. Was herauskommt ist die Mehr* 
zahl {productum sive factum). 

Bei der Theilung haben wir zu betrachten 
den Enthalter (dividendus numerus) j den Thei' 
ler {divisor) und die Theilzahl {quotiens). 

Man kann überhaupt dasjenige, was zu 
Ende einer Rechnung herauskommt^ die AuS" 
hunft [resultaturn) nennen. 

§• 4- 

Nach' den vier Hauptverrichtungen der Re- 
chenkunst (/juatuor species calculi) pfleget man 
die ß rücke oder die gebrochenen Zahlen {ßrac- 
tionesy sive nuineri fracti) abzuhandeln. Sie 
sind den ganzen zahlen {jnumeri integri) entge- 
gen gesetzet. Die Brüche sind entweder gemei- 
ne Brüche (fractiones communes seu {vulgares) 
oder zehntheilige Brüche {fractiones d^cimales). 
Die gemeinen Brüche können ferner eingethei- 
let werden in wahre Brüche {frax>tiones verae) 
und Scheinbrüche (fractiones apparentes) , wel- 
che letzteren sich allemal auch durch ganze 
Zahlen ausdrücken lassen , als " , V ^ u. s. w. 



283 

Die wahren Brüche sind entweder rechtmufsige 

Brüche (fracdones minores unitate) oder über^ 

milfsige Brüche [fractiones majores unitate). Bei 

der Lehre von den Brüchen kommen unter an- 

dern diese beiden Aufgaben vor: einen Bruch 

zu verkürzen {reducere fractionem ad minores 

terminos) und mehrere Brüche unter einen ge* . 

tn^insamen Nenner zu bringen (reducere frac* 

tiohe^ ad eundem sive communem denominato* 

rem), 

§. '5. 
Die Rechenmeister bedienen sich des Wor- 
tes Begely um jede in vielen Fällen brauchbare 
Anwendung der einfachen Verrichtungen anzu- 
deuten. Gegen dieses Wort^ welches , seines 
lateii^schen Ursprunges unerachtet, gut deutsch 
.klinget, habe ich nichts einzuwenden. 

Die bekannteste unter allen, solchen Re- 
geln ist die dreisätzige Regel oder die Regel 
des Dreisatzes , oder blofs der Dreisatz {regula. 
de tribus datisj regula proportionurn)^ worin ge- 
lehret wird, wie und in welchen Fällen^ au3 
drei gegebenen Zahlen, vermittelst der Meh- 
rung und Theilung, eine vierte unbekannte ge^ 
funden werden kann. Es ist eben nicht nöthig, 
dafs man diese so gen^einnützige Regel* bis 
nach der*Lebre von den Verhältnissen aufschie- 
be. Sie läfst sich sehr gutj durch sich selbst 
beweisen. 



284 

Der Dreisatz wird eingetheilet in den ein- 
fachen Dreisatz (regula proporiionum Simplex) 
und den zusammengesetzten Dreisatz {regula 
proportionum com^posita). 

Der einfache Dreisatz ist entweder gerade 
(regula proportionum directa) oder verkehrt (re- 
gula proportionum, inversa). 

Der Zusammengesetze Dreisatz ist im Grun- 
de nichts anders, als ein wiederhohlter einfacher 
Dreisatz. Hierher gehören diejenigen Regeln, 
welche von den Rechenmeistern genannt wer- 
' den der Fünfsatz (regula quinque)^ der Sie- 
bensatz {regula Septem)^ u. s. w. 

Die übrigen Regeln, die man in Rechenbü- 
chern antrifft, bestehen' meistens in einigen 
merkwürdigen Anwendungen des Dreisatzes, als 
da sind: die Zinsrechnung {regula interusurii), 
so wohl die einfache Zinsrechnung (regula in- 
ißrusurii simplicis)^ als die, Zinseszinsrechnung 
(regula interusurii compositi); ferner die Frist- 
rechnung (regula terminorum) , die Gesell- 
Schaftsrechnung (regula societatis), die Ketten^ 
rechnung (regula conjuncta)^ die Mischrechnung 
(regula alligationis) , die Blindrechnung (regula 
coeci) , die Falschrechnung (regula falsi, regula 
falsae positionis). Es giebt noch andere so ge- 
nannte Regeln, die ganz besonders für Kaufleu- 
te bestimmt sind, als: die Abgangsrechnung 
(gemeiniglich Tara-Rechnung), die Schßdenrech- 



. 285 

nung (gemeiniglich Fttsti-RechnuDg)^ die Kas^ 
senrechnung (Kassir-Rechnung), die Tauschrech- 
nung (Baratt-Rechnung), die P^erwaherrechnung 
(Faktorei - Rechnung), die PFechselrechnung, 
u. s. w« 



§. 6. 

Das F'erhälmifs (relano , ratio, rappon) 
zweier Zahlen ist die Art , wie die eine aus 
der andern entstehet. Wenn zwischen zwei 
Zahlen und zwei anderen das nämliche Ver* 

r 

hältnifs obwaltet, so sind die vier Zahlen in 
Ebenmafs (proportio). Wenn die Zahlen durch 
Sammlung oder Trennung aus einander entste- 
hen, so dafs beiderseits ein gleicher Unter« 
schied Statt findet, so hat man ein gleichresn- 
ges Ebenma/s {proportio arühmeuca)^ Wenn 
die Zahlen durch Mehrung oder Theilung aus- 
einander entstehen, so hat man ein gleich theiti-* 
ges Ebenmafs (proportio geometrica). Die vier 
Zahlen die zum Ebenmaf&e gehören, heifsen die 
Sätze des Ebenniafses (jermini proportionis) ; die 
beiden ersten machen das erste Glied [primum 
memhrum proportionis'), die beiden letzteren ma- 
chen das zweite Glied (ßecundum memhrum pro 
portionis). In jedem Gliede wird der erste 
Sat2 auch Vordersatz (antecedens) und der an* 
dere der Hintersatz (ponseqüehs) genannt. 



288 

heifst diese Verrichtung die Wurzel- Faszie- 
hung oder blof» die j4usziehung (extractio radi- 
cum vel simpliciter extractio). Die gegebene 
2jahl ist wiederum die Stammzahl^ die gesuchte 
aber ist die fVurzel {radix). Je nachdem die 
gegebene Zahl die zweite, dritte, vierte Würde 
u. s. w. der gesuchten sejn soIi| so ist die ge- 
suchte der gegebenen zweite Wurzel (jradix s^ 
cunda seu quadratä) , dritte Wurzel [tadix ter<- 
tia sive cubica)^ vierte Wurzel (radix quarta, 
sive biquadratä) u. s. w. Die Stammzahl 
selbst wird zugleich als die erste Wurzel ange- 
sehen. 

Die Ausziehung der Wurzeln ^ird durch 
ein eigenes Zeichen vor der Stammzahl ange- 
deutet* und über dieses Zeichen wird mit ei- 
ner klein geschriebenen Ziffer der Grad oder 
die Ordnung der Wurzel bemerket. Diese Ziffer 
heifset der Wurzelanzeiger (exponens radicit). 



f 8. 



/ 



Man weifs, dafs die Wurzeln sich auch durch 

» 

gebrochene Würden- Anzeiger bezeichnen las- 
sen und dafs von zwei gegebenen Zahlen die 
einjB allemal als eine Würde der anderen be- 
trachtet werden kann^ deren Grad entweder 
durch einen ganzen Anzeiger, oder durch einen 
sebi'ochenan oder auch durch einen vermischten, 

theils 



289 

theils ganzen iind theils gebrochenen^ bestim- 
met ^erd^n kann. ' 

Hieraus entstehet die Aufgabe: zu finden^ 
zur wie^vieUen FTürde eine gegebene Zahl er- 
hoben werden mufs^ damit sie ^iner anderen 
gegebenen Zahl gleich werde ; oder den fffür^ 
den^Anzeiger zu finden , welchen man einer ge* 
gebenen Zahl beifügen mufs, damit die ent* 
stehende JVürd\ einer anderen gegebenen Zahl 
gleich werde. Die allgemeine Auflösung dieser 
Aufgabe habe ich in einer dazu bestimmten 
Abhandlung gelehret: Methode ^lementaire et 
directe pour le calcul numärique des logarith^ 
mes , dans les M4moires de VAcad^mie de Ber» 
lin^ pour l'annde 1787. Die hierzu erforder* 
liehe Verrichtung nenne 'ich die Anweiserung 
{exponentiation). Die eine Zahl, welche als 
Stammzahl betrachtet wird^ heif&t hier die 
Grund2ahl (base) , die andere , welche als eine 
Würde der Grundzahl anzusehen ist^ heifst hier 
die Hochzahl {dignitd, nombre absolu, nombre 
proportionnel). Den gesuchten Anzeiger nenne 
ich hier den Anweiser {logarithme, exposant 
cherchö). 

Wenn nian alle mögliche Zahlen als Hoch- 
zahlen betrachtet, die sich auf eine und diesel* 
hige Grundzahl beziehen, und deren jede einen 
Anweiser hat^ welcher sich ebenfalls auf diesel- 

T 



290 

bige Grundzahl beziehet, so Reifst der Inbegriff 
aller dieser Hochzahlen und ihrer Anweiser ei- 
ne Anweiser 'Verfassung {systema logarithmo^ 
rurri). Die beiden gebräuchlichen Verfassungen 
sind die Verfassung der Briggischen oder g^e-» 
meinen Anweiser (sjrstema logarithntorum Brig- 
gianorum seu vulgarium) , wo die Grundzahl 
10 ist| und die Verfassung der natürlichen An^ 
weiser [systema logarithntorum naturalium seu 
hyperbolicorum)^ wo die Grundzahl 2^ 7182818.. 
ist. 

Anweiser' Tafeln j (tahulae logarithmorum) 
sind Bücher;, worin die Zahlen , in ihrer natür- 
lichen Ordnung von 1 bis etwa 100600, als 
Hochzahlen betrachtet , nebst ihren Anweisern, 
nach der Briggischen oder einer anderen Ver- 
fassung, aufgezeiclmet sind. Jeder Anweiser 
bestehet gewöhnlich aus einer ganzen Zahl 
nebst einem zehntheiligen Bruche. Die ganze 
Zahl wird hier der Vorweiser (index, characte* 
ristica) genannt. 

Wenn etweder zu einer Hochzahl der An- 
weiser oder zu einem Anweiser die Hochzahl 
gesuchet wird , und wenn das Gegebene nicht 
genau in den Tafeln anzutreffen ist, so nimmt 
man seine Zuflucht zu den ebeumäfsigen Thei- 
len (jjortes prppcrtionales)y die in yollständigen 
T<Ueln aU^mal beigefüget sind. 



Manchmal wird anstatt des Anweisers seine 
Ergänzung {complementum h^garithmi) gebrau* 
chet« Diese bestehet in dem Untek*schiede zwi- 
schen dem gegebenen Anweiser und der bestän- 
digen Zahl lo *), 
-^ ■■''■' " ' . ■■' I ■ ■ ■ ■ " 1 1 II ■■ -. 

*^ Wenn Zeit und Umstände es erlauben, und "wenn die- 
ser Versuch einiger Aufmei^csamkeit vrerth zu seyn 
«cbeinet, so werde ich vielleicht auf die gegenwärtige 
Abhandlung noch einige, andere folgen lassen, und mich 
darin mit ^en Kunstwörrern der übrige^ Theile der 
Oröfsenlehre beschäftigen. 



T a 



»9* 

VII. 

Über deutsche Dialekte. Ente Vorlesung 
7)on Friedrich Gedike. 



Tode nur einigermarsen verbreitete^ nnr eini« 
germafsen gebildete Sprache hat Dialekte i und 
miifs Dialekte haben. Zwar wird dadurch die 
gründliche Kenntnis der Sprachen schwieriger: 
allein die Mehrheit der Dialekte in den gebil- 
deten Sprachen ist nun einmal ein eben so 
nothwendiges Übel, als Mehrheit der Sprachen 
selbst. "War doch ursprünglich im Grunde je- 
de Sprache nichts anders als Dialekt, d. i. eine 
durch physische und moralische Verschiedenhei- 
ten bewirkte Modification der Ursprache. Wie 
wäre auch sonst die wunderbare Ubereinstim- 
mung zwischen so manchen Sprachen in ver- 
schiedenen Welttheilen und bei den entlegensten 
Nationen zu erklären? Alle Sprachen üossen 
aus Einer Quelle; aber der Strom ward im- 
mer breiter , und theilte sich in immer mehre- 
re Arme, die allmälig immer weiter aus einan- 
der liefen- und neue Ströme bildeten. Verbrei- 
tung der Menschen, Unterschied des Klima und 
Bodens, schnellerer oder langsamerer Fort- 
schritt in der Kultur, mufsten nothwendig sehr 
frühzeitig in der Einen Ursprache oder (wenn 
man mehrere verschiedne Menscheostämme an- 



293 

nehmen will) in den drei oder vier Stapimspra- 
ochen dieser Urstämme des Menschengeschlechts 
Dialekte bilden^ und mit der Zeit ward, zumal 
wenn grofse politische Umwälzungen und Völ- 
kermischungen hinzukamen , der UnterscEi^ 
zwischen diesen Dialekten so grofs , und Ab- 
stammung und Verschwisterung vor dei! Av^: 
gen eines die Sprache mehr gebrauchenden js^U 
vorsätzlich bearbeitenden Volks so verste€«|^t> 
dafs endlich der Dialekt selbst wieder zur Spi|i« 
che aufwachsen mufste, ja mit der Zeit selbst 
wieder Mutter von neuen* Dialekten ward. 

In so viel verschiedene Dialekte^ sich auch 
eine Sprache zertheilen mag, so hat sie den« 
noch gemeiniglich einen Hauptdialekt , der die 
Sprache der feineren Welt, det Hauptstadt ist, 
und mithin auch Sprache der Schriftsteller 
wird. Wenn der Sprachforscher sich auch um 
die Dialekte der Provinz und des Pöbels be- 
kümmert, so thut der Sprachmeister und 
tSprachschüler doch wohl, sich blofs auf jenen 
feinern gebildetem Dialekt, oder die Bücher* 
spräche, einzuschränken. Diese allein dauert 
fort, auch wenn die Kation selbst schon längst 
verschwunden ist, oder doch durch Vermischung 
ihre Eigen thUmlichkeit und ehmalige Sprache 
verloren hat. 

Die griechische Sprache unterscheidet sich 
darin beinahe von allen ihren gestorbenen und 



afl4 

lebenden Schwestern ^ dafs sie mehr als Einen 
Dialekt zur Büchersprache werden lassen. Diefs 
könnte befremden ^ wenn man nicht gerade 
daran denkt , dals Griechenland lange schon in 
einem hohen Grade kultivirt war, und schon 
Wissenschaften und Künste in seinem Schoofs 
aufblühen und zu Früchten für die Nachwelt 
reifen sah, da es noch immer ein unzusan^men- 
hangendes Ganze von vielen kleinen für sich 
bestehenden Nationen und Staaten ausmachtCi 
die zusammen kein politisclies System, sondern 
nichts als ein gar nicht oder wenig verbundenes 
politisches Aggregat waren. Jeder Schriftsteller 
schrieb daher im Dialekt seines Staats , so lan- 
ge noch kein Staat einen solchen politischen 
oder litterariscben Vof^sprung und Vorzug er- 
halten hatre, dafs sein Dialekt alle andere aus 
der Büchersprache hätte verdräugen können. 
Ganz anders verhält es sich mit der lateinr- 
sehen Sprache und Litteratur. Damals als nach 
beinahe sieben unter dem Geräusche eines fast 
ununterbrochenen Krieges verlebten Jahrhun- 
derten zuerst die Wissenschaften nach Latium 
verpflanzt wurden , hatte sich Rom schon durch 
Gröfse, Volksmenge, Furchtbarkeit, ja selbst 
durch Kultur übet alle andere Städte Latiums 
hinweggeschwungen. Doch Rom war nicht et- 
wa blofs die älteste oder doch die wichtigste 
unter den Schwestern, sie war ihre Gebieterin« 
Natürlich ward also auch ihr Dialekt der herr- 



sehende und verdrängte die übrigen aus der sich 
bildenden^ und noch mehr aus der gebildeten 
Biichersprache. 

Die deutsche Sprache , die überhaupt so 
manche Ähnlichkeiten mit der Griechischen 
hat^ ist ihr auch in Ansehung der Dialekte zur 
Bewunderung ähnlich. Nicht nur ist die Zahl 
der Hauptdialekte bei beiden gleich > sondern 
diese Dialekte selbst haben eine be\yundernswür- 
dige Übereinstimmung unter einander. Der 
breite, hochtönende^ ernste^ feierliche, dorische 
Dialekt entspricht ganz dem Oberdeutschen» 
Dersanfte^ weiche, zarte, unperiodische yo/zücZte 
Dialekt entspricht ganz unserm Plattdeutschen^ 
und der am spätesten aber auch am meisten aus- 
gebildete und daher seine älteren Brüder aus der 
Büchersprache verdrängende attische Dialekt 
entspricht in Ansehung seines Ursprunges und 
in Ansehung seiner Beschaffenheit genau un- 
serm Hochdeutschen. Ich darf ohne Anmafsung 
behaupten y der erste gewesen zu seyn, der be- 
reits vor 14 Jahren in einer Abhandlung über 
Purismus und Sprachbereicherung , auf diese^ 
-wie mich dünkt, wichtige Ähnlichkeit der bei- 
derseitigen Dialekte aufmerksam gemacht hat, 
ob wol diese schon damals mit Beifall aufge- 
nommene Bemerkung nachmals in mehrere 
Schriften unsers grofsen Sprachforschers Ade- 
lung und anderer übergegangen« Ich habe auch 
schon damals die Ähnlichkeit der beiderseitigen 



Dialekte aus dem Daseyn und der Einwirkung 
gleicher Ursachen und Umstände erklärt. Dena 
die physischen und moralischen Eigenthümlich- 
keiten einer Nation wirken offenbar euch auf 
die Sprache. Jene hängen vom Klima und der 
Beschaffenheit des Bodens, der Nahrung u. s. w. 
diese von dem durch Erziehung, Religion^ Re- 
gierung gebildeten Nationalcharakter ab. Von 
allen diesen Seiten findet sich, so manche Ähn- 
lichkeit unter Griechen und Deutschen, dais 
man sich, nicht wundern darf, diese Ähnlich- 
keit auch bei ihren Sprachen wieder zu finden. 

Die Deutschen sind eben so wenig, als die 
Griechen, wie eine einzige Nation zu betrach 
ten. Griechenland bestand, wie Deutschland, 
aus einer Menge kleinerer und gröfserer Staa- 
tep, von der verschiedensten Kultur und Ver- 
fassung. Nur ein schlafTes Band hielt und hält 
diese Staaten zusammen. Weder Griechenland 
noch Deutschland kann man als ein politisches 
Ganze betrachten, obwol Deutschland noch im- 
mer eher als Griechenland; und der Reichstag 
zu Regensburg umfafst doch immer mehr noch 
das Ganze, als die Versammlung der Amphik- 
tyonen. . 

Wenn es ferner wahr ist, dafs je vielfacher 
und verschiedener der Ursprung der mannichfal- 
tigen Stämme und Staaten eines dieselbe Spra- 
che redenden Volks ist, desto grölser die Zahl 



»97 
und Verschiedenheit der Dialekte seya miisse: 
so gilt beides eben sowol von der deutschen 
als von der griechischen Nation. Kolonien aus 
allen Theilen der Welt und von den verschie- 
densjten Graden der Kultur bevölkerten Gri€h 
chenlai)d. Auch Deutschland ward von meh- 
rern sich über einander wälzenden Völkerstäm- 
men von Norden und Osten aus bevölkert , und 
von Westen, ynd Süden erhielt es seine Kultur. 
Auf die griechischen Dialekte wirkte jedoch 
nicht blofs die Verschiedenheit der Kolonien, 
durch die Griechenland selbst bevölkert ward^ 
sondern eben so sehr die grofse Menge und 
Verschiedenheit der nachmals von den Grie- 
chen selbst weit und breit an den Küsten aller 
von ihnen befahroen Meere angelegten Kolo- 
nien, die sich wieder aufs mannigfaltigste misch« 
ten,, und dadurch auch in Ansehung der Dia« 
lekte manche Spielart zur Welt brachten. Hier 
zeigt sich nun freilich ein mer|dicher Unter- 
schied zwischen Griechenland und Deutschland. 
Auch Deutchland sandte in der Periode der so 
genannten Völkerwanderung Kolonien nach Wes- 
ten, Osten und Süden. Aber die deutsche 
Sprach» gedieh nicht auf dem fremden Boden.- 
Die noch gar zu rohen und unwissenden Bar- 
baren vertauschten gröfstentbeils , wie die Mo- 
golen in China und Indien, ihre noch gar zu 
ungebildete Sprache mit der Sprache der von 
ihnen besiegten und unterjochten Nationen, ob- 



wol auch diese nnn bald durch den Einfluls der 
fremden Nationen ausartete. Dieser Unter- 
schied läfst sich indessen leicht daraus erklä- 
ren, dafs die Griechen ihre Kolonien mitten 
unter Barbaren, von denen sie nichts lernen 
und annehmen konnten, anlegten, dagegen die 

• 

deutschen Horden sich mitten unter kultiyirte 
Völker hineindrängten, die nun natürlich ihre 
Lehrer wurden. Nur allein in zwei Europäi- 
schen Sprachen ist die Spur der Einwanderung 
deutscher Stämme auch fiir das blödeste Auge 
sichtbar geblieben, ich meine die englische 
imd niederländische Sprache, wiewol die letzte- 
re nicht einmal als eine eigene Sprache, sondern 
mehr als Dialekt der deutschen angesehen wer- 
den kann. Aber hier, so wie in England, tra- 
fen auch die einwandernden Deutschen nicht 
auf schon kultiyirte Nationen , wie in Italien, 
Spanien und Gallien. Kein Wunder also, dais 
in diesen Ländern Gothen, Sueven , Vandalen, 
Burgunder und Franken einen geringem Ein- 
Hufs auf die Landessprache hatten, als die Sach^ 
sen in England und in den Niederlanden. Denn 
die Friesen und Chauci, welche ursprünglich 
von der Ems bis an die Elbe wohnten, waren 
Stammväter der itzigen Niederländer, und ge- 
hörten mit zu dem Bunde der Sachsen. 

Je gröfstr übrigens der Unterschied in An- 
sehung des Klima und Boden? unter den ver- 



^99 

schiedenen Provinzen eines Volks ist^ desto mehr 
und yerschiednere Dialekte mufs es geben* 
Auch hier findet sich wieder eine auffallende 
Ähnlichkeit zwischen Griechenland und Deutsch- 
land. Flache und gebirgige Gegenden, Sandeb« 
neu und fruchtbare KornMder^ wechselten dort 
und wechseln hier in auffallender Mannigfaltigkeit 
ab. Überall ward griechisch und wird deutsch 
gesprochen; aber die Natur müfste ihren mäch- 
tigen Einßufs auf die Spi:achwerkzeuge und 
selbst auf die Vorstellungs - und Darstellungs- 
art verläugnen, wenn die Sprache überall die- 
selbe' geblieben wäre. • Das flache nordliche und 
das mehr gebirgige südliche Deutschland nluls« 
ten natürlich die deutsche Sprache eben so ver- 
schieden modifiziren , als die griechische durch 
Verschiedenheit des Klima und Bodens in dem 
flachen heitern KUstenlande Joniens und in den 
Gebirgen Thessaliens, dem ersten Sitze der 
Dorier^ und dem ebenfalls gebirgigen Pelopon- 
nes, dem nachmaligen Wohnsitze eben dieses 
Stammes^ modifizirt ward. 

Doch es wäre wider meinen Zweck , hier 
diese Parallel weiter fortzusetzen^ um so mehr, 
da diels zum Theil schon in meiner Abhandlung 
über die griechischen Dialekte geschehen. Hier 
ist es mir zunächst allein um die deutschen 
Dialekte zu thun. 

Seit den ältesten Zeiten, soweit die deutsche 



3oo 

Geschichte zurück zu gehen im Stande ist, 
herrschten in Deutschland zvfei Hauptdialekte, 
der des südlichen, und der des nordlichea 
Deutschlands« Die^ altfränkische Sprache, von 
der sich noch so manche schätzbare Denkmäler 
erhalten haben, war die Hauptsprache des süd- 
lichen Deutschlands , obwel die Franken selbst 
aus dem nordlichen Deutschlande südwärts ge- 
wandert waren, und vielleicht erst in ihrem 
neuen Wohnsitze den breitern Dialekt dessel- 
ben angenommen hatten. Das Angelsächsische, 
wovon wir ebenfalls noch einige, wenn gleich 
weniger, schriftliche Denkmäler besitzen , war 
ein Zweig der alten Sprache von Norddeutsch- 
land , daher denn noch itzt die überaus grofse 
Ähnlichkeit des* Plattdeutschen mit dem Engli- 
schen in allen solchen Wörtern, welche Begrif- 
fe des ersten Bedürfnisses bezeichnen. Denn 
die Ausdrükke der höhern Bildung hat die eng- 
lische Sprache aus der lateinischen theils un- 
mittelbar, theils, seit Wilhelm dem Eroberer, 
mittelbar durch den Kanal der frltnzösischen ge- 
schöpft. 

Die Gränzen dieser beiden Hauptdialekte 
sind schwer zu ziehen, da ohnehin beide sich 
hie und da einander nähern, uäd endlich gar 
in einander verlieren. Genug, das Plattdeut- 
sche erstreckt sich durch das nordliche Deutsch« 
länd von 'den Niederländischen Gränzen an bis 



/ 
\ 



3oi 

an die Litauischen. Es herrscht daher mit 
mehr -oder minder Abweichungen in dem West- 
fälischen und Ni^dersächsischen Kreise^ ferner 
in einem grofsea Theile de^ Obersächsiscfaen 
Kreises, und hier selbst in solchen Provinzen, 
die ehedem ein Sitz Slavischer Stämme waren; 
ferner' in PreuTsen, wo es jedoch eine neue 
Sprachiß ist, die an die Stelle der selbst durch 
obrigkeitliche Verordnungen ausgerotttäten Ur- 
sprache PreuCse^s getreten. Selbst noch in ei* 
nigen Gegenden des Oberrheinischen * Kreises, 
findet sich das . Plattdeutsche , wiewol es sich 
hier unvecmerkt in das gemeine Oberdeutsche' 
verliert. Die Scheidewand der beiden Dialekte 
scheint im Hessischen zu seyn ; wenigstens fin- 
det man noch hie und da im Hessenkasseischen 
den plattdeutschen Dialekt, aber, so viel ich 
wei£s, nicht mehr im Hessendarmstädtischen. 

Man pflegt diesem Dialekt mehrere Namen 
zu geben. JMan nennt ihn den niedersächsi'- 
sahen f der aber leicht zu der Mifsdeutung An^ 
lafs geben kann , als sei blofs Niedersachsen der 
Sitz dieses Dialekts, obgleich nicht zu läiignen 
ist, dafs er hier reiner und wohlklingender ist, 
als in andetn Gegenden Deutschlands* Bestimm* 
ter also. nennt man ihn den niederdeutschen Dia« 
lekt, im Gegensatz gegen den Oberdeutschen* 
An die Benennung Plattdeutsch schliest sich ge« 
meiniglicb ein verächtlicher Nebenhegriff an, in- 



3o2 

sofern das Platte dem Erhabenen entgegenge- 
setzt isty und Plattdeutsch demnach so viel 
seyn würde , als gemeines^ niedriges , unedles 
Deutsch. Ich glaube indessen, dafs diese Be- 
nennung ursprünglich keine Verachtung bezeich- 
nen sollen , sondern ebenfalls im geographischen 
Sinn zu nehmen ist, insofern es die Sprache 
des niedern, flachen, nord liehen Deutschlands 
war , im Gegensatz des in dem höhern , gebir- 
gigem, südlichem Deutschlande herrschenden 
oberdeutschen Dialekts. 

Zwar ist wirklich dieser Dialekt zu einer 
solchen Niedrigkeit und Verachtung herabge- 
sunken , dais er einem grofsen Theile der fei- 
nern Welt, selbst in den Gegenden, wo er zu 
Hause ist, beinah ganz unverständlich gewor- 
den. Aber ob er diese Verachtung verdient, ist 
freilich eine andere Frage. Es war eine Zeit, wo 
er neben dem oberdeutschen Dialekt auch als 
Schriftsprache blühete, obwol er freilich aucli 
damals schon von einer verhältnifsmäfsig weit 
geringern Zahl von Schriftstellern gebraucht 
wurde. Diefs war sehr natürlich, weil die '^\S' 
seoschaften und vornehmlich die Dichtkunst 
im Mittelzeitalter, besonders zur Zeit der 
schwäbischen Kaiser, in Oberdeutschland einen 
günstigen Boden fanden, und mehrere und bes- 
sere Früchte trugen, als' es in dem nordlichen 
Deutschlande, , das. nicht, wie jenes, aus dem 



3o3 

benachbarten Italien und Gallien Licht und 
Feuer borgte , damaU noch möglich war. Die 
deutschen Völker waren durch das Ghristenthum 
zugleich mehr mit den Wissenschaften bekannt 
geworden. Aber 'Oberdeutschland hatte es schon 
über 3oo Jahre und zwar freiwillig angenom- 
men ^ als die Niederdeutschen erst durch das 
Schwort der Franken bekehrt wurden. Wis- 
senschaftliche Kultur gedieh daher später tind 
langsamer an den Ufern der Elbe und Oder^ 
als an der Donau ^ und so blieb natürlich auch 
die Sprache zurück. Zwar glänzen unter dei^ 
so genannten Schwäbischen Dichtem^ oder wie 
man sie sehr unbestimmt zu nennen pflegt^ den 
Minnesingern y auch manche in Niederdeutsch*- 
land geborne Sänger, Aber sie bequemten sich 
damals in ihren Gedichten nach der Hofsprache^ 
und sangen im Schwäbischen Dialekt,' wiewOl 
doch auch manche niederdeutsche Produkte 
erst von andern ins Oberdeutsche übertragen 
wurden y gerade so , wie ehemals mehrere Ge- 
dichte Jonischer Sänger Ton den Grammatikern 
ihrer Jonismen beraubt j und ins Attische über* 
tragen wurden. 

Indessen war doch immer auch im Mittel- 
zeitalter; besonders im i4ten und iSten Jahr- 
hundert dieser Dialekt Büchersprache , und 
mehrere noch aus jenem Zeitalter übrige pro- 
saische und poetische Produkte dürfen die Ver- 



3o4 

gleichung mit den theik frühem theils gleich- 
zeitigen oberdeutschen Produkten keinesweges 
scheuen. Ich will itzt nur das bekannte sinn- 
reiche und witzige Gedicht Meineke de Fofs 
nenneuf 

Noch mehr ward dieser Dialekt in allen 
öffentlichen Verhandlungen gebraucht ^^ nicht 
nur zum Unterricht des Volks von der Kanzel, 
sondern auch vor Gericht , und in den Kanzlei- 
en, in den Diplomen, Gesetzen und Verträgen 
dieser Zeit. Es gab sogar schon vor der Refor- 
mation mehrere plattdeutsche Bibelübersetzun- 
gen (freilich nicht aus dem Grundtext, sondern 
nur au^ der Vulgata). 

So standen die Sachen, als im sech- 
zehnten Jahrhundert aus der Mitte Deutschlan- 
des , aus einer ehedem von Wenden bewohnten 
I^ovinz, die aber nach und nach durch den 
Bergbau , durch Handlung und Künste^ zu ei- 
nem beträchtlichen Flor, und zugleich zu einem 
.nicht minder beträchtlichen Grade der Kultur 
gekommen war, kurz aus Kur- Sachsen ein 
wohlthaciges Gestirn über den Horizont empor- 
stieg» das zwar unmittelbar in dem Gebiete der 
Religion neues Licht verbreitete, aber zugleich 
in der Sprache Deutschlands eine unerwartete 
Veränderung veranlassete. I^ur-Sachsen ward in 
dieser Periode Lehierin für das gesammte, be- 
sonders das nördliche Deutschland. Des gro- 
ßen 



k 



3o5 

fsen Luthers Sohriften verbreiteten den nun 
durch den 'häufigen Gebrauch immer mehr sich 
bildenden und reinigenden .Oberdeutschen Dia- 
lekt durch, ganz Deutschland. Die Reformation 
fand gerade am meisten im nordlichen Deutsch«^ 
lande Eingang. Aber es erhielt seine Lehrer 
aus Sachsen, oder wenigstens, hatten sie sich 
auf den Säclisischeil hohen Schulen. 'g(ibildet» 
So ward allmählig die Obersächsiscbe Mundart 
allgemeine Schriftsprache. Doch erhiek sich 
das Plattdeutsche auch . noch nach der Refor- 
mation., ein^ geraume Zeit^ iind wenigstes«!, noch 
^in ganzes Jahrhundert in' den Kirchen: »u Man 
übertrug . sogar Luthers Bibelübersetzung ins 
Plattdeutsche, man schrieb Katechismen, Kir- 
chenordnungen». Gesangbücher u* s. w«' in die- 
sem Dialekt. Aber nach und nach sank er imi 
mer tiefer > zuerst in den Städten, wo allen- 
falls abwechselnd hoch- und plattdeutsch gepre- 
digt wurde, oder wo eine Zeitlang blofs.der 
oberste Geistliche, wie z. B. in Celle dez^ Ge^ 
neralsuperintendent, befugt war, hochdeutsch zii 
predigen, dagegen die andern noch im Dialekt 
des Landes predigten. Erst etwa seit des Mit- 
te des vorigen Jahrhunderts ist dieser Dialekt 
fast ganz aus den Kirchen verbannt wordep. 
Denn die einzelnen Ausnahmen', die auch noch 
itzt hie und da Statt finden, können wol nicht 
in Betrachtung kommen. Ob der Volksunter- 

U 



3o6 

rieht dabei gewonnen ^ kann wol keine Frage 
f eyn* Noch ^ itzt yerstefat der gemeine Mann, 
ungeachtet er itzt seiia Plattdeutsch blofs durch 
Tradition ierlit^ nnd yon Jugend auf hoch- 
deutsch durch hochdeutsche Lehrer und durch 
hochdeutsche Bücher unterrichtet wird, im nord- 
lichen Deutschlande sehr häu£g seinen Predi- 
ger blofs darum nicht, weil dieser in einer ihm 
fremden 'Mundart zu ihm redet. Man hat in 
neuern Zeiten bei dem Prediger so yiel auf 
Popularität des Vortrags gedrungen. Aber soll- 
te nicht eben diese Popularität es ihm wenig- 
stens auf dem Lande, wenigstens in den Ge- 
genden, wo das Plattdeutsche auch noch in den 
Gesellschaften des Mittelstandes herrscht, zur 
Pflicht machen, sich des Plattdeutschen Dia- 
lekts zu bedienen y um völlig verstanden, oder 
wenigstens nicht milsverstanden zu werden? *) 
Freilich wird der Plattdeutsche Dialekt immer 
mehr Verdrängt; die Lesesucht, die in unserm 
Zeitalter sich bis auf das Gesinde und auf die 
niedrigsten Klassen erstreckt^ macht das Hoch- 
deutsche auf Kosten des Plattdeutschen immer 
mehr bekannt, und dieses als Dorfsprache im- 
mer verächtlicher. Wer in Niederdeutschland 



*) Man vergleiche des berühmten Orientalisten 7. D. Mi- 
chaelis Oratio de ea Germaniae dialecto, qua in sacris 
faciundis att/ug in scribendis libris utimur, Goetiingae 
1750. 



5o7 

nur irgend auf einige Bildung Ansprüche hat 
öder zu hab^n glaubt, verschmäht im täglichen 
Gebrauchst wenigstens aufser dem engen häus- 
lichen Zirkel^ d^n einheimischen Dialekt seiner 
Provinz, und spricht, freilich oft mit vielen 
Provinzialismen, Hochdeutsch. Wenigstens ist 
der Aufzug im Gewebe der Umgangssprache 
Hochdeutsch, wenn gleich der Einschlag häufig 
Plattdeutsch ist. Nur noch ein Paar Menschen- 
alter, und das Plattdeutsche wird für uns eine 
todte Sprache, deren Studium jedoch immer 
für den Geschichtsforscher, für den Diplon^ati- 
ker und besonders für den Sprachforscher von 
grofser Wichtigkeit' bleiben wird. Um so mehr 
wäre zu wünschen, daß man, ehe dieser Dia- 
lekt ausstirbt, oder noch mehr durch Vermi- 
schung von seiper Eigenthümlichkeit verliert 
ttb^rall Hand anlegte, Idiotika der einzelnen 
Provinzen, wo er geredet wird, zu samml^n. 
Zwar ist in dieser Rücksicht bereits ungleich 
mehr für diesen Dialekt geleistet worden, aU 
für den Oberdeutschen. Wir haben ein ^ax»- 
burgisches Idiotikon von Michey, ein demselben 
beigefügtes Dumarsisches von Ziegler, ein Oj- 
nabrüggisches von Strodtmann, ein Preußisches 
von ßock, ein P^orpommersches von Dähnert. 
Alle diese aber Übertrift an Vollständigkeit und 
Gründlichkeit das von einer Bremischen Gesell- 

U a ^ 



5o8 

Schaft herausgegebene BremUch-Niedersüchsische 
'Wörterbuch. Allein da^ wie schon aus der Verglei- 
chung dieser gedjiickten Sammlungen erhellt^ sich 
dieser Idialekt in den verschiedenen Provinzen des 
nördlichen Deutschlands gar sehr verschieden 
modifizirt, Und jede Provinz viele ihr eigen- 
thümliche Wörter, Bedeutungen, Wendungen 
und Redensarten hat: so wäre sehr zu wün- 
schen, dafs wir» auch aus denen Provinzen^ de- 
ren Plattdeutsche Idiotismen noch nicht gesamm- 
let sind^ dergleichen Sammlungen erhielten. 
Der Plattdeutsche Dialekt findet unter andern 
sich in so vielen Provinzen des Preufsischen 
Staats y im Obersächsischen, Niedersächsisches 
und Westfälisdhen Kreise. Und doch ist ge- 
rade im Preufsischen Staate noch wenig oder 
gar nichts in dieser Hucksicht geschehen. Und 
doch würde ein Märkisches, ein Hinterpommer- 
sches, ein Westfälisches Idiotikon (wo sich je- 
doch ein grofser Unterschied zwischen den näher 
am Rhein liegenden und den weiter davon entfern- 
ten Westfälischen Provinzen zeigen würde), gewis 
äufserst' erwünscht und willkommen seyn ! Ich 
glaube daher, dafs die Beförderung solcher 
Sammlungen ein der Akademie sehr würdiges 
Unternehmen seyn würde, wofür ihr jeder 
Freund seiner Muttet*sprache Dank wissen müfs- 
te. Die beste Mufse und die beste Gelegenheit 
zu dergleichen Sammlungen haben unstrei- 



/ 

tig die Landprediger y und es würde der Aka«- 
demie ein leichtes seyn^ sie dux^ ausgesetzte 
Preise dazu zu ermuntern. Man sage nicht, 
dafs die Sammlung eines Idiotikons ein zu weit- 
schichtiges Unternehmen sei, und zu viel Zeit 
erfordere. Wenn m^n diese Preisaufgaben da- 
hin einschränkte, dafs die Preiswerber das Bre^- 
mische Wörterbuch zum Gri^nde ^u legen hät- 
ten, uni nur nachzutragen, was ihre Provinz ei^ 
genthümliches und von jenem abweichendes 
hätte — so würde die Ai*heit sich ^uf eine ge- 
ringe Sogenzahl bringen lassen , u^d würde 
eben dadurch desto nützlicher werden. Doch 
ich behalte inir vor, wepn dieser Plan den 
Beifall der Akademie finden soHte, zur Ausfüh« 
rung desselben nähere Vorschläge zu tbun* So 
viel ist gewis, dafs sich die Akademie durch 
einen solchen Plan ßin §elir ehrenvolles Ver- 
dienst um diß deutsche Sprache^ erwerben wür- 
de, und da ein einzelner deutscher Gelehrter, 
Herr Adelungs für das Hpchdeutsche eben so 
viel, oder noch mehr, als die französische Aka- 
demie für die französische Sprache, geleistet 
hat: so bleibt unserer Akademie noch das ei- 
nem .einzelnen Qelehrten gerade hin unmögli- 
che Verdienst vorbehalten, den Grund zu ei- 
nem allgemeinen Idiotikon des nördlichen 
Deutschlands zu legen, oder auch schon selbst 
dergleichen aus den einzelnen thei|s schon vor- 



handenen^ theiU durch sie su yeranlassenden 
Sammliingen zusammenzutragen^ und dadurch 
diesen schätzbaren aber immermehr verdorren- 
den Zweig der deutschen Sprache auch an 
ihrem Theile vor dem Untergange zu bewahren« 

Es ist in der That sehr zu bedauern, dafs 
dieser Dialekt so tief gesunken ist. Nie hat 
ein Provinzialdialekt dies weniger verdient, zu* 
mal eine Mundart, die selbst Mutter zweier 
Sprachen y der Englischen und Holländischen, 
und eine Schwester der nordischen Sprachen 
der £)änen, Schweden , Normänner und Islän- 
der ist. Hätte sie das Glück gehabt, zur 
Schriftsprache ausgebildet zu werden (denn das 
ist sie allerdings nicht) so würden eine Menge 
Vorwürfe, die itzt häufig dem Deutschen von 
dem Ausländer gemacht werden, von selbst 
wegfallen. In der That hätte sie es weit eher 
verdient, allgemeine Schriftsprache zu werden, 
als die obersächsische Mundart, die indessen 
doch einen grofsen Theil ihrer itzigen Vollkom- 
menheit dieser ihrer altern von ihr verachteten 
Schwester verdankt. 

Zuförderst ist das Plattdeutsche schon in 
Ansiehung der Aussprache ungleich sanfter, wei- 
«jher und melodischer als das Ober- und selbst 
das Hochdeutsche Man mufs freilich nicht die 
^nz rohe Aussprache des ungebildeten Natur- 



3ii 

sohns zum Maafsstabe xiehin«n. In dem» Munde 
des Bauern wird die wohlklingendste Sprache 
für ein feines* Ohr misstonend. Dis ist vor- 
nebmlich bei dem Plattdeutschen der Fall^ wie- 
iffol hier ein grofser UntOrschied zwischen den 
verschiedenen Provinzen des nordlichen Deutsch- 
lands ist> indem eine sich mehrere Härten in 
der- Aussprache erlaubt, als die andere. So 
Sinti z. B. die westfälischen Dialekte härter und 
rauher als dieNiedersächsischen. Die gröfsere 
Weichheit des Plattdeutschen läfst sich indes- 
sen leicht aus allgem'einen Grundsätzen darthun« 

Der 'plattdeutsche Dialekt ist ein Feind al- 
ler rauher Diphthongen , dier Aspirationen, der 
Gurgeltöne und Zischlaute, und diese sind es 
gerade, die unsere Sprache für Zunge und Ohr 
eines Aiisländers so schwierig machen. 

Den breiten Diphthong au vermeidet das 
feinere Plattdeutsch fast immer. Statt seiner 
braucht es entweder ein langes Uy z. B. statt 
Bauch Buuky statt Maul Muul, statt Bauer 
Buur; oder ein langes o, ^. B. statt auch ooA, 
Auge Oge, laufen lopen. Ich darf indessen 
nicht verschweigen, dafs in einigen Gegenden^ 
vornehmlich in Westfalen, der Plattdeutsche 
(doch getnekiiglich nnr die niedrigste Klasse) 
diesen Diphthong au so wenig vermeidet, dafs 
er vielmehr fast alle einfache ä, auch wol u in 
au verwandelt,* z,, ß. jau statt ja, HauL statt 



3l2 

Hut« Den noch breiteren Diphthong oder gar 
Triphthöng äü (den wir im Hochdeutschen we- 
der richtig schreiben 5 indem wir ihn gewöhn- 
lich äu schreiben, noch richtig aussprechen, in- 
dem ihn unsere Aussprache nicht von dem Diph- 
tong eu oder richtiger eü unterscheidet, und 
daher den Imperat. läute wie den Plur. Leu- 
te, und eben so Bräute und Beute einerlei 
ausspricht) diesen breiten Diphthong üü kennt 
die plattdeutsche Mundart gar nichts sondern 
hat statt seiner entweder ö> z. B. Börne, Lö- 
per, oder ü, z.B. Brüde, (Bräute), Muse 
(Mäuse), K rüder. Eben dis einfache weiche 
ü (das so wie ä » und o noch immer ge- 
wöhnlich als ein Diphthong angesehen wird, da 
doch alle diese 3 Töne offeabar einfache Voka- 
le sind) eben dis ü braucht der Plattdeutsche 
statt des Hochdeutschen eu^ z. 6. das Für^ ^vq 
Lüde ^ Uüdsch. Selbst der am mindesten 
unangenehme Diphthong «i\ (aumal wenn er 
richtig ausgesprochen, und nicht, wie in Ober- 
sacbsen, gewöhnlich als einerlei mit ai ausge- 
.sprechen wird) selbst dieser Diphthong ist dem 
Plattdeutschen nock zu .misklingend^ und er 
hat statt seiner entweder ein langes iy z. B. statt 
mein, dein, myn, dyn^ stsXX reiten ryden, statt 
treiben driven; «der ei^ langes e, z. B. 
ßeesch^ breee, Ideen, weenen. ' 

Die mildere, sanftere, vielleicht nur zu wei- 



3i3 

che Aussprache des Plattdeutschen iu Ansehung 
der Vokale ist hiernach unverkennbar. Eben 
so geht er auch in Ansehung der Kqfisonante];! 
so xnancb^m Misklang aus dem Wege , der im 
Hochdeutschen, und noch mehr im Qberdeut^ 
sehen durch so viele hauchende ^ rasselnde^ blas- 
sende , zischende Laute verursacht wird. • ' , 

Das cfr,\ das der Oberdeutsche, besonders 
der Scbweizser, tief aus der |Cehle heraushaucht, 
hat der pia.tt deutsche Dialekt nur selten,. , Wie 
im Griechischen der jonische JQialekt statt* der 
Muera aspiraia Xtä^e tej}uis K. gebraucht, z. B. 
'^tMf»o^t Statt S*«;^«^««, eben so braucjit der Platt- 
deutsche s(tatt c&.g^wöhnlicli k, z^, B. statjt m§- 
oyievL^mak^iiy Sachen Sahen y r^uchei^ roc^ 
ken, — Besopd^rs vermeidet ef die Verbin- 
düng diesem ch mit'den^ s^ die wir Hochdeut- 
ßdben, um^ nicht so hi^rt virie die Oberdeutschen 
auszusprechen, wieder falsch darstellen'^ un4 
statj: Fia.cbs,. Wachs, Fijchs ^-r flaks^ 
JViiks,^ Fuks aussprechen. Aber der Plattdeut- 
sche stöftt .hier den Hauchlaut völlig hinauf, 
und spricht; ,Flafs^ W^^ßsi f^oßt Osse ^ta^t 
Ochs. Selbst deu Tfamßn seiner Vorväter, der 
Sachsen, spricht er.nicht: nur sanfter^ soa- 
dem ai;ich .gewis ri^Jitiger, der Etymologie gp- 
xnäfser, ai^s: Sassm. X)enn ohne Zweifel be- 
deutet dieser. Name, wie der Nan^e sehr vieler 
Völker, urspr^rig^ich 90 viel aU Einwohi^er, 



3i4 

SO wie wir noch itzt Lands assen sagen* Aucli 
hat man mit Recht die Ingäwonen des Taci- 
tus in deft von diesen Sassen bewohnten Ge- 
genden an der Elbe gesucht, so dafs ein und 
eben dasselbe Volk Sassen und Ingäwonen 
hiefs, und ein Name' den andern erklärte. 
Aus gleichem Widerwillen gegen das Zischende 
scharfe S verwandelt der Plattdeutsche das dop- 
pelte scharfe S in der Mitte, oder das /s gemel« 
niglich in ein einfaches T, %* B. statt Wasser 
fVater^ lassen taten , Fufs Pooi. 

Dagegen* hat das Plattdeutsche ein sanftes 
doppel Sy das im Hochdeutschen gänzlich fremd 
ist, obwol sein einfaches S hierin dem Z der 
Franzosen, Spanier und Holländer gleich ist. 
' Beispiele sind die plattdeutschen Wörter Bufise^ 
hissen y bissen ^ ßsseln ^ mussein ^ niisseln. ' 

£ben so ist dem Plattdeutschen das ziscben- 
de seh zuwider. Er braucht statt dessen häufig 
sk urtd zwischen sl, sm, sn*, jw, wo der Hoch- i 
deutsche noch ein ch -zwischen schiebt^ läfst i 
der Plattdeutsche dieses ch in der Regel weg, ' 
und sagt daher: slagen^ smelken, sniden^ swyn. 
Det Hochdeutsche scheint indessen für diesen 
Schlangenlaut eine so besondere Vorliebe zu ha- 
ben , dafs er ihn selbst da ausspricht , wo er 
ihn nicht schreibt , nehmlich bei dem si und sp^ 
indem er schtehen und schsprechen aus- 
' spricht, statt dessen der Niedersachse , auch 



3i5 

wenn er' Hochdeutch spricht, stehen und 
sprechen (Plattdeutsch stahn und spreken) sagt: 
Auch das zischende Z kennt der Plattdeut- 
sche fast gar nicht. Er hat statt desselben vorn 
gemeiniglich ein einfaches T, z. B. statt Zelt 
Telty Zinn Tinn; oder auch ein D; in der 
Mitte ein doppeltes 7^, z. B. statt Katzen Kat" 
ten^ sitzen sitten^ und am Ende wieder ein 
einfaches Ty z. B. statt 'Rqxz Herty Holz HoU^ 
kurz kort. Doch selbst das T ist dem Platt- 
deutschen oft auch zu hart.' Er braucht daher, 
statt desselben häufig das weichere Z), vornehm- 
lich im Anfange I z. B. der Dag, der Disch. 
Indessen weifs der Plattdeutsche das D und T 
sehr gut zu unterscheiden , ohne mit dem 
Meifsnischen Obersachsen nöthig zu haben, ein 
hartes und weiches D zu unterscheiden. Wo 
der Plattdeutsche ein T schreibt , da spricht er 
es auch würklich aus, dagegen der Meifsner, 
ungeachtet er ein D schreibt, dennoch häufig 
T ausspricht, oder ein T schreibt, wo er ein 
D ausspricht. 

Selbst das an sich weiche B verwandelt' der 
Plattdeutsche häufig, vornehmlich in den Endun- 
gen in das noch sanftere W| z. B. awerglowisch^ 
bljwen. 

Das harte Pf kennt der Plattdeutsche gar 
nicht, sondern er hat statt dessen ein einfaches 
P, z.B.Perd, Pund, Kupper, Kop, Rump. 



5i6 

Und dennoch ist es merkwürdig , da(s gerade 
der Niedersachse, wena er hochdeutsch spricht^ 
dem Pf völlige Gerechtigkeit wiederfahren la/st; 
dagegen der Obersachse (den Märker nicht aus- 
geschlossen) es vorn nur wie ein F ausspricht. 
Wir sagen Ferd» nur der Niedersachse sagt 
Pferd. Man sollte daher beinahe glauben, dafs, 
so wie in Westindien manche exotische Pdanze 
besser gedeiht^ als in ihrem urspriinglichen Bo* 
den, so auch das ^ochdeutsche auf dem frem- 
den Niedersächsischen Boden besser gedeiht, als 
in seinem eigentlichen Vaterlande. 

• Auch das Qu und Gl zu Anfange vieler 
Wörter klipgt dem Plattdeutschen häufig zu 
hart, und er wirft daher das G häufig weg. So 
sagt er statt Glied Lied, statt genug noogy 
statt gleich Ijrk, statt glauben löwenu. s. w. 
Im ^ogUscben findet das nehmliche statt. Über- 
haupt hat die schwierige Aussprache des Eng- 

* 

lischen fiir den Niederj;i^:hsen weit weniger 
Schwierigkeiten, weil er dabei viel Uhereinstim- 
mung mit dem Plattdeutschen findet. Ihm ist 
es z. B« nicht befremdend^ dafs der Engländar 
häufig das o wie ein a, das u wie ein o aus« 
spricht, weil ^r seihst gevjrohnt ist, st^tt Ofen 
Aven^ statt Vogel Vogel y statt Pflug Ploog^ 
statt thun dobn zu sagen. Uberhaupl: hat man 
die Bemerkung gemacht, d^fs die Sprachorgane 
des Niedersachsaa biegsamer sii^d als die des | 



3i7 

Obersachsen, und dafs er leichter die richtige 
Aussprache fremder Sprachen auffafst. 

Ausländer machen der deutschen Sprache 
häufig den Vorwurf, dafs sie zu sehr mit Kon« 
sonanten iiberladen sei. Dieser Vorwarf ist ge- 
gründet, wenn man die Oberdeutsche Mundart 
im Sinile hat; weit weniger, aber noch immer 
jnit vielem Rechte trift et* das Hochdeutsche; 
aber am allerwenigsten den plattdeutschen 
Dialekt , der , wie schon aus dem vorhergelien-* 
den erhellt, den misklingenden Zusammenstois 
mehrerer Konsonanten gern yerüieidet. So 
5agterz.B« statt Halfter leichter Halter, weU 
ches ohnehin auch der Etymologie nach richti* 
ger ist. 

Aber es i^ nicht blofs der Wohlklang, der 
die plattdeutsche Mundan empfiehlt, Und es 
bedauern läfst, dafs niöht sie das Glück hatte^ 
durch die Schrißteller aüisgebildet zu werden. 
Auch ihre Reinheit und ihr Reichthum empfeh- 
len sie. Das Hochdeutsdh hat eine Menge 
fremder "Wörter aufgenopimen , die theils un- 
entbehrlich, theils durchaus unnöthig, oder 
leicht entbehrlich zu inachen sind. Zwar hat 
sie sich von Zeit ta Zeit des tinnöthigen Wu- 
stes zu entledigen gesucht; aber nur zu oft hat 
sie die Fremdlinge zu einer Thilr hinaus, zur 
andern wieder hineingelassen. Es ist wahr, die 
Reinigkeit der plattdeutschen Mundart ist zu« 



3id 

gleich eine Folge ihrer Vernachlärsigung. Wä- 
re sie Tür diß Wissenschaften bearbeitet worden, 
so würde sicherlich auch sie vi^Ie ausländische 
Münzen haben in Umlauf bringen müssen. 
Denn gerade in der wissenschaftlichen Sprache 
kann das Hochdeutsche des fremden Gepräges 
am wenigsten entbehren. Aber auch die Um* 
gangssprache des Hochdeutschen ist durch eine 
Menge ausländischer Worte verunreinigt wor- 
den. Und hier ist es eben, wo das Plattdeut- 
sche einen entschiedenen Vorzug behauptet^ da 
es für die meisten solcher Wörter eigne Aus- 
I drücke besitzt. Die hochdeutsche Mündart hat 
' übrigens nicht blofs bei dem lateinischen, fran- 
zösischen, italiänischen geborgt, sondern selbst 
die wendische Sprache, als die ursprünghch 
zwischen der Säle und Elbe, dem eigentlichen 
, Sitze d^s Hochdeutschen, eigenthümliche Spra« 
; che, hat viele Spuren in dem Hochdeutschen 
I zurückgelassen. Hingegen hat die plattdeutsche 
I Mundart sich von diesem Einßufs des Wendi- 

I scheu gröfstentheils rein erhalten. 

« 

Der Reichthum der plattdeutschen Sprache 
zeigt sich von mehr als einer Seite. Fehlt es 
ihr gleich an Ausdrücken fiir abstrakte Begrif- 
fe, welches^ nicht zu verwundern ist , da man 
noch nie versucht hat, Plattdeutsch zu philoso- 
phiren, und das Hochdeutsche yq^ dieser Seite 
auch vor Wolfen fast nicht minder arm war. 



3i9 

und noch itzt sehr viel £reni^e Wörter für den 
Vortrag d^ Philosophie borgen mufs: so hat 
tie doch einen desto grö&em (echnologischen 
Reich thum. Aber für keine Kunst und für kein 
Gewerbe ist sie reicher an Ausdrücken , als für 
die Schiffahrt« Dem Hochdeutschen , der frei- 
lich ge-wöhnlich in seinem ganzen Leben dai 
Meer nicht zu Gesicht bekömmt^ fehlt es ganz» 
lieh an Ausdrücken sowol für die Schiffsbau- 
kunst, als für die eigentliche Schiffahrtr Aber 
die nautische l^erminologie des plattdeutschen 
Küstenbewohners ist so vollständig, dafs selbst 
auswärtige seefahrende Nationen aus ihr bald 
mehr bald weniger geborgt haben. Auch die 
Naturgeschichte , yornehmlich die Botanik^ fin- 
det im Plattdeutschen einen grofsen Überilufs 
von Ausdrücken, die, wie mich düi^kt^ von un* 
sern Botanikern zu sehr übersehen worden, und 
wol einer genaueren Bestimmung und Vered- 
lung werth wären. Am meisten zeigt sich je- 
doch der Reichthum des Plattdeutschen in der 
Umgangssprache. Wenn das Hochdeutsche sich 
für die höhere Poesie, für die Beredsamkeit, 
für den Geschäfts - und Lebrstil noch sehr aus 
dem Oberdeutschen bereichern kann i so kann 
es auf der andern Seite für die Umgangsspra- 
che, für die Sprache des Witzes und der Lau- 
ne, für die niedern Gattimgen der Poesie, be- 
sonders für die Komödie, für die Satyre, iiir di0 



Sao 

Erzählung Sehr viel vton der plattdeutschen 
Mundart borgend Unsere hochdeutsche Um- 
gangssprache ist in der That tioch eu wenig ge- 
schmeidig. Sie hat etwas, Schwerfälliges^ Stei- 
fes, und^ so 2u sagen > Periodisches. Abor das 
Periodische fehlt gerade dem • Plattdeutschen^ 
das aber eben dadurch für die Umgangssprache 
desto geschmeidiger ist. Überhaupt hat es ei- 
nen unerschöpflichen Reichthum an zärtlichen, 
muntern, launigen, naiven , leidenschaftlichen 
Ausdrücken und Wendungen» Sie ist eben da- 
durch recht gemacht zur Sprache der Leiden- 
schaften, von ihren feinsten Schattirungefn bis 
2u den stärksten Pinselstrichen, zur Sprache 
der Mimik, zur Sprache der Charakteristik. 
Die mannigfaltigen Schuttirungen menschlicher 
Charaktere , menschlicher Tliorheiten und Lä- 
cherlichkeiten finden in , ihr tlie angemessenste 
Bezeichnung. Ich bin versichert , dafs ein 
Steckbrief, der im Hochdeutschen oft in Zeich- 
nung und Kolorit sehr matt und üach ausfalle, 
und aus Mangel an Ausdrücken ausfallen mufs, 
im Plattdeutschen sich weit charakteristischer 
und sprechender aufsetzen läfst. Überhaupt, wo 
der Hochdeutsche sich mit dem Umrifs ^ oder 
mit dem Ausdruck der gröbsten Züge eines Cha* 
rakters behelfen mufs, da kann der Plattdeut- 
sehe mit kecken Pinselstrichen und mit brennen- 
den Farben zeichnen» Auch die vielen tönen- 
den 



321 

den Wörter, die diefer Dialekt voraus hat, und 
durch die er jede sich durch Laut und Bewe- 
gung äufsernde Gesinnung und Leidenschaft um 
so ähnlicher und mimischer darstellen kann 
sind ein wahrer Vorzug dieses Dialekts, Es ist 
wahr, je tönender eine Sprache ist, desto un- 
philosophischer pflegt sie zu seyn; aber ich se^ 
tze hinzu, desto poetischer ist sie zugleich. 
Und freilich ist das Resultat von allem bisher 
gesagten, daf« das Plattdeutsche zwar nicht phi« 
losophischer , . aber gewis weit poetischer ist 
als das. Hochdeutsche. Eine besondere aber aus- 
drucksvolle Art von tönenden Wörtern hat das 
Plattdeutsche an denen Wörtern, wo ein und 
derselbe Laut , nur mir einer geringen Modifi- 
kation des Vokals hintereinander wiederholt 
wird. Ich meine Wörter, wie diese; Misch-masch 
fVirr^v^arry Schnick^ schnack , fVisck^ wasch 
nteltat^li (statt plaudern) nisenasen (naseweise 
Reden führen) hinkhanken, ein Hinkhank (ein 
Mensch, der in seinen Entschlüssen sehr unbe- 
ständigist, und bald hiehin, bald dorthin schwankt) 
ein Dungdang (ein müfeiger Mensch) tirtarren 
(statt zärgen, necken). Diese Klasse von inten- 
siven Wörtern, die freilich fiir den höhern Stil 
nicht edel genug ist, findet sich in allen mit 
dem Plattdeutschen verschwisterten Sprachen 
im Englischen , Holländischen , Schwedischen. 
Dänischen, und mehrere dieser ursprUoglich 

X 



3a2 

plattdeutschen Wörter sind bereits ia das Hoch- 
deutsche aufgenommen worden« 

Es. wäre auch in der That zu bedauren, 
^enn der grofse Reichtbum des Hochdeutschen 
für das Plattdeutsche ganz verloren ginge- Aber 
warum sollte nicht die jüngere Schwester, ist 
sie gleich die gebildetefe und gelehrtere, 
von dem Überflüsse ihrer altern reichern Schwe- 
ster sich den nöthigen Bedarf borgen. In der 
That hat sie dis nicht erst seit gestern gethan. 
Besonders hat sie seit jeher in der täglichen 
Umgangssprache sich eine Menge ursprünglich 
plattdeutscher Wörter erlaubt. Dergleichen sind 
z. B. düster j nipp^ schnippisch^ drelly prall, 
glaUf grell j nippen^ munkeln j glupeny glupisclt^ 
schulen, verblüffen j quinen^ rumpeln, Gescht, 
grineny hastige klatrig, tvähiigy patzig, putzig, dril- 
len, quengeln, kritteln^ duken, fakkeln^ Joppen ^ 
gnettern , fVicht. u. s. w. Alle diese , gröfsten- 
theils sehr ausdrucksvolle Wörter sind. in der 
Umgangssprache des Hochdeutschen schon 
längst gäog und gäbe, und mehrere derselben 
sind bereits mit Glück selbst in der edlern 
Schriftsprache, wo sie durch die von Horaz in 
solchen Fällen empfohlene callida junctura gea- 
delt werden, gebraucht worden. Selbst Herr 
Adelung hat sich daher nicht enthalten können, 
vielen dieser Wörter in seinem hochdeutschen 



323 

Wprterbucbe einen Platz zu geben. Das eigent* 
lieh plattdeutsche Wort Eiland für Insel ist so- 
gar in der höhern Poesie noch edler als das 
fremde Insel; und die abgeleiteten Wörter: ein 
Eilunder^ und Eilandisch verdienten um so mehr 
aufgenommen zu werden, da wir von Insel der- 
gleichen nicht haben. 

So gewöhnlich indessen die angeführten, 
und sehr viel andere Wörtei* im täglichen Le- 
ben sind, sfo hat man sie doch lange Zeit für 
zu gemein und zu platt angesehen^ um sich ih* 
rer in der Schriftsprache selbst dann zu (bedie- 
nen ^ wenn es recht eigentlich da]:auf ankam, 
Äie Sprache des gemeinen Lebens darzustellen. 
Lessing hat unter unsern deutschen Schriftstel- 
lejn das Eis gebrochen , und viele dergleichen 
Wärter nicht immer in die edlere aber doch in 
die gemeinere Büchersprache aufgenommen. 
Sein Dialog ist daher auch von dieser Seite der 
Natur um so näher gekommen. Aber es giebt 
noch eine Menge Wörter im Plattdeutschen, 
die theils, so wie sie sind, theils von ihrer 
Provinzialitat in Ansehung der Aussprache und 
Schreibart gereinigt, in das Hochdeutsche, und 
selbst zuweilen in die edlere Schriftsprache des- 
selben übergehen könnten. . Hier sind einige 
derselben zur Probe. 

Herkünftig y statt : observanzmäfsig. Schon* 
sam (fast wie sparsam, aber doch in einer etwas 

X % 



3a4 

andern Bedeutung. M*n kann c B. in Anse- 
hung seiner Kleider schonsam und doch nicht 
gerade sparsam seyn.) 

Bedonnen (ganz das lat. aUonitus) , der höch- 
ste Grad der Bestürzung. 

Hüne (statt Riese,) ist wirklich schon yon 
mehrern Dichtern gebraucht worden. 

Ichen, nach dem Plattdeutschen ikAen, im- 
^er sein werthes Ich im Munde haben. 

Die Gedauer^ Plattdeutsch Gedär^ — keen 
Gedär hebben d. L yon langem Warten unge- 
duldig werden.' 

Küren (von kören.) Wir sagen ja schon 
erkoren. Die Zweikühr (wie Willkühr) von Twi 
körej eine zwiespaltige Wahl, wodurch zwei ge- 
wählt werden. — Kürgiu^ auserlesen gut 
Das Zeitwort Willküren^ nach dem Plattdeut- 
schen willkören. Kürisch (nach dem Plattdeut- 
schen körischj ein Mensch, der immer wählt; 
dem nichts gut genug ist). 

Krückeln (nach dem Plattdeutschen kru^ 
ekeln) vor Alter nicht fortkommen können. 

Kalken (statt des zu allgemeinen unbe- 
stimmten fVeifsen). 

Saften, (nach dem Plattdeutschen sapen) 
Safl: von sich geben, öder Saft in sich ziehen. 
De Schoe sapetf der Schuh saftet. 



325 

Der Siiger (von Segger ^ der Urheber eines 
Gerüchts« Ick kann minen Segger nömen\ 

Sagsam (von segsäm, der sich sagen , sich 
einreden lälst). 

Jemanden besagen (von beseggen, einen an- 
dern ins Gerede bringen). 

Sorgsalf ein sorgenvoller Zustand; (wie Drang- 
sal, Trübsal.) 

jieügeln^ ein Aeuglety (mn ögeln und Oe* 
gier ein Schmeichler); sich anäugeln, sich ein- 
schmeicheln). 

Das Neinwort (von Xfeyword), Gegentheil 
von Jawort, 

Das Zeitwort mändchen (statt mündken,) et- 
was kaum kosten y einen kleinen Mund zu et* 
was machen, faire la petiie bouche* 

Munden ,gut schmecken. Dat mundet em 

Jjounen (von. lunen) in böser Laune seyn. 
Einem zulaunen (von tolunen). 

Ixiunewinkel (von dem Plattdeutschen Liin- 
scliewinkel y) ein Ort, wo sich jemand aus Ver- 
dru[s verbirgt^ ein Boudoir, wofür Campe neu- 
erlich Maulkammer oder SchmoUkämmerchen 
vorgeschllBgen, dem das schon in der Sprache 
befindliche Launwinkel ebea darum vorzuziehen 
seyn würde). 

Orlog (statt Krieg) würde selbst in der hö-. 
hern poetischen Sprache mit Anstand erschei-» 



3a6. 

neii> können. Eben so. orlogen, Krieg fuhren; 
das Orlogsschiff. 

Mire und Efnse statt Ameise müßten dem 
Dichter schon darum ^icht unwillkommen sejn, 
weil Ameise, als ein Anti-Baccheus, sich schwer 
in ein Sylbenmafs fugt, weder als ein Daktylus 
noch als ein Tribrachys, noch weniger einen 
Reim verträgt« 

Sich vergekkew in' ein Ding, würde feiner 
sejn, als das zu gemeine sich vernarren. 

Das Zeitwort heuten würde um so unbe- 
denklicher gebraucht werden können, da wir 
das Beiwort hastig schon immer gebrauchen« 

Heimen, jemanden Aufenthalt geben. 

Hasenpfad ^ scherzhaft statt Flucht. Die 
plattdeutsche Redensart/ den Hasenpad kesen, 
ist offenbar natürlicher, als die hochdeutsche: 
das Hasenpanier ergreifen. 

Nachgreifisch (von nagreepsk) , eigennützig. 

Handlich, der sich behandeln lälst^ trau- 
table. 

Gebig, (von geewskj der gern giebt. 

Ein Fliegauf (vom Plattdeutschea Fligup) 
ein muntres Mädchen. 

Quansweise (d. i. nur zum Schein, dicis 
causa). Man hat dies Wort verhochdeutschen 
wollen j und statt dessen gewandsweise gesagt, 
und dadurch die Etymologie von Quant der 
Schein, eine Handlung, womit es uns kein 



327 

Ernst ist, verdunkelt. Daher ferner Quänteler^ 
der ^eine Waaren oder sein Geld verschleuderti 
also gleichsam nur einen Scheinhandel treibt. 
Die Holländer sagen Quantzelaan 

Vergelden, mit Geld. bezahlen. 

Zugeid, plattdeutsch Togeld, ein Zuschuis 
am Gelde. 

Smuggeln, contrebandiren. Ein ContrebaJi- 
dier heifst ein Smuggler. 

Spyt, . Hohn^, Spott, wird auch wie das 
französische ddpic gebraucht. 

Kumpan, ein Compagnon. Das Wort ist 
auch schon von mehrern hochdeutschen Schrift- 
stellern in der witzigen Schreibart gebraucht 
worden. 

Für den Begrif eines aufwiegelnden Dema- 
gogen hat das Plattdeutsche zwei sehr tref- 
fende Ausdrücke: ßellhammel, eigentlich ein 
Hammel , dem eine Glocke (plattdeutsch Seite) 
umgehängt ist; ferner ein Bötefür ^ ganz das 
französische Boutefeu, von Böten, Feuer anlegen. 
Unter den angeführten Wörtern sind man- 
che, die wenigstens dem Stamm, oder zuwei- 
len .einem und dem andern Zweige nach im 
Hochdeutschen nicht unbekannt sind, und sie 
sind also um so eher der Aufnahme ins Hoch* 
deutsche werth, wo sie wenigstens schon durch 
diese ihre Verwandte nicht ganz fremde mehr 
sind. Ich will noch einige dergleichen anfüh- 



328 

ren. Wir sagen im HochdeutscI^eii zwar ein 
Haberechu Warum nicht auch haberechien 
nach dem Plattdeutlchen hebberechten? Wir ha- 
ben das Zeitwort prunken ; warum nicht auch, 
wie im pLittdeutschen, der Prunker? Wir sa- 
gen: die Hunde, Warum nicht auch, wie im 
pkttdeutschen, rundiren d. i. die Runde gehen? 
Wir haben das plattdeutsche Adjektiv gau 
(schnell) in Gaudieb ; warum sollten wir nicht 
auch , wie im Plattdeutschen handgau (d. i. mit 
den Händen geschickt und schnell) sagen können? 

Wir haben gierige auch schon das Sub- 
stantiyum Gier, warum nicht auch das Yerbum 
gieren? 

Wir sagen behagen; warum nicht nach dem 
Plattdeutschen i^uch Mishagen, MUhäglichkeit^ 

Überhaupt sind im Plattdeutschen mehrere 
mit mis zusammengesetzte Wörter , die im 
Hochdeutschen fremde sind, aber wohl das Bür- 
gerrecht verdienten, z. B. mismacken (etwas 
unrecht machen) Mismahl (eine schlechte Mahl- 
zeit). Misschmecken 9 ein Misschlagy misschla- 
gen, mispreisen (ein gelinderer Ausdruck, statt 
verachten). Das itzt schon gäng und gäbe Wort 
Mifsmuth und mif%miixhig ist auch eigentlich 
aus dem Plattdeutschen entlehnt. 

Im Hochdeutschen haben so manche Wör- 
ter eine unnÖthige Yorschlagssylbe ^e und he^ 
bei denen diese Sylbe nicht, wie sie gewöhn- 



. 3*9 

lieh thut und eigentlich immer thun sollte, die 
läedeutung modifizirt, sondern vielmehr die 
Etymologie verdunkelt. Im PlattdeutJcheA fehlt 
in solchen Fällen diese Yorschlagssylbe ganz, 
und viele unserer Dichter haben sich dieses, 
selbst in deu höhern Gattungen der Dichtkunst, zu 
jNutze gemacht* Wir lesen itzt schon häufig; 
mähen statt bemühen, wahren statt bewahren, 
/t/z Je statt gelinde , «Sa/z^ statt Gesang, Stank 
statt Gestank, schmeidlg statt geschmeidig, e/z- 
gen statt yei^ngen j festen statt befestigen. Die 
plattdeutsche Mundart hat noch viele derglei-- 
chen Verkürzungen, z. B. Smack statt Ge- 
schmack. Würklich schreibt selbst Luther noch 
in der Bibelüberset^^ung Schmach ^— Neten 
statt geniefsen. Wir haben zwar Nisfsbrauch, . 
aber niefscn hat noch Niemand gewagt* — < 
Schlimmem statt verschlimmern u. s. w* 

Endlich hat der «Plattdeutsche auch einen 
grofsen Beichthum von sehr treffenden Sprich- 
wörtern und sprichwörtlichen Bedensarten. Vie- 
le derselben sind nach und nach ins Hochdeut- 
sche übergegangen; aber viele brauchbare sind 
darin noch fremde z. B. Vagel von eener Fed- 
der flegen gern to hope , gegen welches unser : 
Gleich und gleich gesellt sich gern — gar zu ab- 
strakt klingt. — Lögen hebten horte Beene 
d* i. Lügen kommen bald an den Tag. Von ei- * 
ner aufgedrungenen Wohlthat sagt der Platt- 



33o 

deutsche: Wenn man de Xatte up't Speck bin- 
Jetf so fret se nig. — Wenn man sagen will, 
man sei mit einem Rathe oder Pro/ekt übel an- 
gekommen, so heifst es: Dar kam ik art^ as 
de Söge in V Judenhuus, — Von einem hart- 
nackigen Lügner und Leugner wird gesagt: 
dem Düwel een Been afschwaren. — Von ei- 
nem ganz aufser Passung gebrachten, oder, wie 
die Plattdeutschen auch zu sagen pflegen, ver- 
biesterten Menschen heifts es: He sut ut as een 
Osse y de dem Slagter endopen is. — - Wenn 
man niber Kleinigkeiten das wichtigere vergifst, 
so heifst das: Dat Ei waren, und det Hoort flo- 
gen taten. Von einem Frauenzimmer mit ro- 
then Wangen sagen sie: Se het JRöseken plantet 

' u. s. w. 

So seltsam es scheinen mag, so wahr ist es 
doch, dafs selbst die hochdeutsche Aussprache 
und Schreibung sich in mehrern Fällen aus dem 
Plattdeutschen berichtigen läfst. Ich will da- 
von nur ein Paar Beispiele anführen. Wir spre- 
chen und schreiben Maulwurf, als wenn der 
Gebrauch des Mauls bei diesem Thiere etwas 
charakteristisches wäre. Aber dies Maul ist of- 
fenbar aus dem misverstandenen plattdeutschen 
Worte: Mal, (lockere Erde) entstanden. Denn 
plattdeutsch hoifst dies Thier: Mulworp, hol- 
ländisch Molworp. -— Wir sollten also auch im 
Hochdeutschen Mulwurf sagen , und würden 






33i 

dann den Namen dieses Thieres wei harakte- 
ristischer finden. 

Meerrenig schreiben und sprechen wir, als 
wenn es von Meer herkäme. Aber aus dem 
Plattdeutschen MarreAg^ sieht man, dafs es von 
Mure (ein Pferd) herkömmt, und dafs eben 
darum diese den Pferden für besonders nütst- 
lich gehaltene Wurzel im Englischen jfforje-ita- 
dish heifst. Wir sprechen und schreiben art" 
beraumen ^ und sollten mit dem Plattdeutschen 
richtiger und der Etymologie gemäfser sagen: 
anberahmen. — Wir sagen falsch gelief ert {A, i. 
gerönnen) Blut; der Plattdeutsche sagt gelevert. 
Wir sollten also auch im Hochdeutschen sagen: 
gelabert (von Lab). Aus Unkunde des Plattdeut- 
schen verfiel Gottsched auf die lächerliche 
Schreibart: schmauchein (statt schmeicheln) 
als käme es von Schmauch ^ und . wä- 
re mit dem* französischen Encenser einerlei. 
Aber es ist vielmehr einerlei Wort mit dem 
Plattdeutschen smeeken, wovon auch da^ Hoch- 
deutsche schmiegen herkömmt. 

Ich hatte mir noch vorgenommen , zu zeigen, 
wie das Holländische, als ein unverkennbarer 
Zweig des Plattdeutschen, zur Bereicherung und 
Berichtigung des Hochdeutschen genutzt wer« 
den könne. Aber um nicht zu weitläuftig zu 
werden , breche ich heute hier ab , und behalte 
mir vor, den Faden künftig wiederanzuknüpfen, 



33a 

und diese Materie von den deutschen Diale- 
kten bei einer andern Gelegenheit weiter auszu- 
führen. $o viel glaube ich wenigstens gezeigt 
zu haben, dafs das Plattdeutsche die Verach* 
tungy zu der es hinabgesunken ist, keinesweges 
verdient, sondern vielmehr einer grölsem Auf« 
merksamkeit werth ist, als es bbher bei den 
deu^chen Sprachforschern gefunden. Thorheit 
wäre es, itzt noch wünschen jsu wollen, dafs 
das Plattdeutsche das Hochdeutsche verdrängen 
mögte, aber Thorheit auch, zu wünschen, dals 
das Plattdeutsche ganz ausgerottet werden inög- 
te. . Auf die Vorzüge dieses Dialekts auf- 
merksam zu machen, .und ihn als eine Fund« 
grübe zur Bereicherung, ja selbst zur Berichtigung 
des Hochdeutschen zu bearbeiten, ist Pflicht 
für jeden Freund der deutschen Sprache« Desto 
mehr werde ich mich daher freuen, wenn mein 
obiger Vorschlag,, von Seiten der Akademie 
die genauere Kenntnifs dieser Mundart durch 
ausgesetzte Preise für Sammlungen der Idiotis* 
men, vornehmlich aus denen Provinzen des 
PreuTsischen «Staats, wo sie noch Volkssprache 
^ ist, zu befördern, der Beherzigung nicht un- 
würdig gefunden werden sollte. 



333 

. vni. 

Über die Preifs^ Aufgabe der ChurfdmL 
deutschen Gesellschaß in Mannheim ei^ 
nige Synonymen betreffend, ^on PVilh. 
jibrah. Teller. 

QuinctuIiaä X, I. 

JVon jemper haec (verba, ^uae alufuanS permutantur) in^ 

ter se idem faciant. 



J^he ich die vorhabende Untersuchung anfan- 
ge, lafse ich folgende Regeln vorausgehen, wet 
che ich dabey zum Grunde legen werde. 

Die erste: Eigentliche Synonymen d. i, 
gleichdeutende Wörter giebt es in keiner Spra- 
che, in einer Proviiiz oder Gegend zu einer 
Zeit; und so auch in der Deutschen nicht. Ich 
nehme selbst die tropischen, von denen man zur 
Zeit des Gebrauchs noch weifs, dafs sie es sind 
nicht aus, wie entkräftet verglichen mit schwach. 
Alles was man so nennt, sind nur sinnverwand - 
te Wörter. Wären sie auch, nach der vorher- 
gehenden Bestimmung, von gleicher Bedeutung, 
so tritt auch da ^ die Bemerkung Quihctilians 
ein XVII ^ 3. curn idem frequentissime plura si- 
gniflcent^ quae e-wmv^i» 7>ocatur, iqm sunt alia 
aliis hohestiora, sublimiora y nitidiora (feiner: wie 



534 

unser speisen, für essen) iucundiora^ vocaliora 
(wohllautender). Selbst mit Wörtern aus ver- 
schiedenen Provinzen, durch welche itzt diesel- 
be Sache angedeutet wird, wie Schrank ^ Spün- 
de ^ von spunden , können anfangs die Ein weh« 
ner derselben einen Neben - Begriff verbunden 
haben, der späterhin durch den öftera Ge- 
brauch gleichsam unscheinbar geworden ist; es 
kann eine stärkere Empfindung des Wohlgefal- 
lens oder Misfallens damit verknüpft gewesen 
seyn , von der sie selbst nur ein dunkeles Be- 
wustseyn gehabt haben, und welche nun noch 
hintennach ausspüren wollen, vergebliche Ar- 
beit seyn würde. ^) 

Hieran schliefst sich nun die zweyte Re- 
gel. Blofs anscheinend - synonymische Wor- 



*.) So ist es an sich ein üppiger Aufwaad« den man mit 
dem vielen superUuiJen noch vorgeaeuten Aller 
macht und in frühern Zeiten fast beständig gemacht 
bat. Wenn ich einmal sage: der Heiligste^ HdchstCt 
Erste: was IjkCsi sieb über dies Heiligeres, Höheres, i*rü- 
beres hinausdenken« dai's es noch des Allerhöchst und 
d. gl. bedürfte. Lieber sagten die Lateiner » wenn sie 
gleichsam verzweifelten die höchste Güte im Ausdruck 
darstellen zu können, nur schlehtweg; Bone De:is\ In- 
defs weil das Allerhöchst, Allerdurchlauchtigst, allerun-^ 
terthänigst etwas länger in Ohren tönet, so meint auch 
der gemeine Sinn etwas mehr Schauer der EhrPurcht 
dabey zu empfinden. Und wie orthodox mag es der 
Pöbel nicht gefunden haben, da ein hiesiger Prediger 
gar einmal AlUrauferstandenster Heiland sagte? 



335 

ter müssea doch zuweilen auch von den be- 
sten Schriftstellern verwechselt werden kön- 
nen f ^ciJ^ sonst ' jener Anschein |iur täu- 
schend und blendend seyn würde. Z. E. ein 
heller Kopf, ein aufgeklärter Kopf; am helhn^ 
am lichten Tage.. Ich denke mir also dabey 
nicht nur den gemeinen Sprachgebrauch, son- 
dern auch die edlere zierlichere Schreibart.- Man 
darf aber auch nicht besorgt seyn, dafs dem 
Schriftsteller durch ^u genaue Unterscheidung 
sinnverwandter Wörter der Wort- Reicht hu m 
werde benommen werden und man ihm ^uf 
diese Weise oft einepi Zwang anlegen werde, 
durch zu öftere Wiederholung derselben Laute 
eintönig zu werden. Denn sobald man nur in 
der Angabe der Hauptsache und so oft bey 
derselben Wiederholung etwas darauf ankömmt, 
das ihr zukommende Wort brauöht, so kann 
man schon iq. der Folge es mit andern von an- 
grenzender Bedeutung, verwechseln. Zu ge- 
schweigen, dafs man durch Umschreibungen des- 
selben Worts jener Einförmigkeit vorbeugen 
k/inn z. E. Gefälligkeit , ein gefälliges fP^esen, 
Betragen, Benehmen u. s. a. m. 

Jene Bemerkung aber hat ihren Grund in 
der nächstfolgenden Regel, welche diese ist. Sy>- 
nonymeu/ die es doch nicht in dem genauesten 
Verstände sind , müssen gleichwohl in einem 
Hauptbegriff z\x%€jam^Ti treiCfen^ den man also 



336 

auch zuerst aufsuchen mufs. Dieser HauptbegrifF 
ist mir aher derjenige, der sich mir bey dem 
Gehör Hes Einen wie des Andern zuerst auf- 
dringt, dass ich sie für gleichbedeutend iialten 
könnte. Läfst sich dieser auch von dem Scharf- 
sinnigsten nicht äufBnden, so sind es keine, 
und der Witz, der leicht Ähnlichkeiten findet, 

verfuhrt mich. 

So kommen der Habsüchtige und Geiizige^ 
darinn überein, dafs sie nach vielen Besitzen 
streben ; aber nu» jener sie als Mittel zu Zwek- 
ken beträchtet, dieser sie sich zum Zweck selbst 
macht; wie nur jenen die Lateiner eigentlich 
avarum, von avere^ nannten, diesen miserum; 
und so noch die Italiäner ihn misero ' die Eng- 
länder miser nennen- Daher kömmt es nun 
aber auch, dafs man oft dergleichen Wörter 
mit einander verwechseln kann, wenn die Re- 
de nichts an Deutlichkeit verliert, oder der 
Zusammenhang die genauere Bestimmung an- 
zeigt. 

Nach einer vierten Regel ist es ein siche- 
res Merkmal, dafs zwey oder mehrere für noch 
so gleichgültig geachtete Wörter es doch nicht 
wirklich sind, wenn ich nicht eins wie das an- 
dre in allen Fällen gleich gut brauchen kann. 
Denn so mufs dem einen oder dem andern noch 
ein NebenbegriflP beyliegen, vermöge dessen es 
nur in einem gewissen Zusammenhang der Re- 
de 



33; 

de am eigentlichsten gebraucht werden kann. 
Diesen Nebengriif' auszumachen ist nun aber 
oft das Schwerste» Wer mit den Gesetzen der 
Sprache bekannt ist, wer durch Lesung classi- 
scher Schriftsteller in demselben wie durch eige- 
ne Übung, in einer richtigen Sprech- und 
Schreib -Art ein feines Gefühl des Wahren und 
Schönen sich erworben hat: der empfindet 
wohl leichtj dafs ein Unterschied da sej. Die- 
ser liegt doch aber auch nicht selteii in dem 
Wurzelworte öder alten Volkssitten und Mei- 
nungen, oder ^ einem besondern Umstände der ^ 
zur Eiiifiihrung' des Worts in die Sprache Gele« 
genheit gab, so tief vergraben, dafs es unge« 
mein schwer oder mislich ist ihn aus diesen 
Tiefen heraus zu holen. Daraus folgt nun aber 
auch, dafs Worter, welche gute Schriftsteller 
in keinem Falle vertauschen wex'den , k^ine Sy- 
nonymen sind. 

Es sey also Aiefünfte Regel*. Bey Beurthei» 
lung der Synonymen ist zwar die Ableitung der 
Wörter ein sehr brauchbares Hülßmittel; es ist 
das aber auch nur dann, wann das Wur^elwort 
bekannt ist'^ 6der' doch mit Sicherheit aus der 
Geschichte der Sprache beurkundet werden 
kann. Blofse Muthmafsungen verführen leicht 
zu Ungereimtheiten; wovon die Schriften der 
griechischen Scholastikei* und der alten lateini- 
schen Grammatiker voll sind, wenn man auch 



338 

nur des Cothofred Corpus AucUfrum L. L. be- 
sonders die Excerpta de propfjeuue et differen* 
tiis zur Hand, nimmt- Ist also die Ableitung 
dunkel und zweifelhaft. oder g^nz unbekannt; 
so bleibt dem Sprachforscher nichts weiter übrig 
als aus dem verschiedenen Gebrauch synony- 
misch - scheinender Wörter ihr Unterscheiden- 
des bis auf .die kleinsten Schattirungen abzuzie- 
hen und sie so lang^ in^Gedanken gleichsam 
umzuwenden f bis er ihre noch so scharf abge- 
schnittene Grenze ins Auge gefaßt hat. 

Ich erinnere nur noch bey dieser Gelegen- 
heit, daf& zu wünschen >väre^ man nähme auch 
nach imd nach die Unterscheidungen gleichgel- 
tend scheinender Partikeln in genauere Untersu- 
chung z. £• darum f deswegen, daher, demnachy 
um deswillen. Unterschieden sii|d«ie doch ge- 
tyifs wie es der Lateiner igitur^ ergo-quare, 
quapropter, qua de causa ^ita , sie, waren und 
sonst Plautus nicht liätte in einem Context sa- 

* « 

gen können: itßque ^rgo. 

Und nun ^d^nn zur 'Sache^ )ch werde aber 
die aufgegebenen Synonymen in der Ordnung 
auf einander folgen lassen , wie sie sind vorge- 
schrieben worden* 

Kundig f geübt, versucjit. 

Ich trage, sogleich Bedenken diese drey 
Wörter für synonydiisch. zu haUen» Dexin theils 



339 

gehört .zwar zu dem ein^n wie zu dem andern 
eine ' gewisse Kenntnifs, aber diese ist doch 
nicht bey dem einen wie bey dem, andern die 
Hauptsache; tHeils zweifle ich, dafs man sie jß» 
jnals in einer deutlichen Rede verwechselt hat 
oder verwechseln könne. 

Kundig von kennen ist die Sache des Wis- 
sens ; geübc die Sache d^r Übung; versucht die 
Sache mehrerer Versuche, woraus Erfahrungen 
entstehen* fiey dem erstem besitzt man die 
Kenntnils einer Sache; bey dem zweyten eine 
Fertigkeit in derselben; bey dem dritten Erfah* 
rungen von derselben. 

Man sagt daher: sachkundige er ist der 
Sache kundig, ein der Sache kundiger Mann; 
wie man sagt; Geschichtskunde und Geschichts* 
kundigery Naturkunde; Sternkunde, Sprachkunde 
u, d. gl. Man sagt, sich erkundigen, (erkun« 
den) nach etwas, wenn man Kenntnifs von ei- 
ner Sache nehmen will. Ich möchte daher 
nioht einmal mit Herrn Adelung annehmen, 
dafs es in einigen Fällen ein Synonym von er- 
fahren sey. Mir wenigstens scheinen die von 
ihm angeführten Exempel es nicht zu beweisen. 
Einer Sache kundig seyn,, kann doch nur anzei« 
gen sollen, dafs man sie verstehe, kenne. Und 
auch des Opia^ : 

Bist kundig den Himmel aufzuschlielsen 
hindert nichts in das —-verstehst — umzuse^ 

Ya 



34o 

zeii. Ich würde vielmehr sagen: kundig zeige 
ein solches Wissen und Verstehen an, welches 
sich yomehmlich auf Beobachtung oder Erfah- 
rung grOndet; wobey man mit dieser ausgeht und 
erst darnach das Nachdenken darüber folgt. 
Wie wahr dies sey, bezeugen alle angeführte 
Nennwörter. Denp bey allem» was sie andeu- 
ten , muis' ' Beobachtung vorausgeben und ist 
daher ein greiser Unterschied unter dem Ge- 
Mchichtskundiger ^ {Geschichtskenner) und dem 
Geschichtsforscher. Jener weifs 4ine Menge 
Begebenheiten, dieser prüft und beurtheilt sie, 
sondert das Wahre vom Falschen ab u. s. w. 

Geübt kann nur da gebraucht werden , yro, 
wie gesagt 9 eine Fertigkeit, die durch öftere 
Anwendung einer Kraft erlangt wird , angedeu- 
tet werden soll. Es ist also noch etwas anders 
zu sagen , einer Sprache kundig , und in dersel- 
ben geübt seyn. Jenes zeigt das blofse Wis'sen 
derselben an, dais man sie versteht, Schriften 
darinn lesen kann; dieses die Fertigkeit sich 
darinn andern verständlich zu machen. Daher 
die Redensart: er spricht das. Französische mit 
vieler Fertigkeit; oder gegenseitig, von dem der 
diese nicht besitzt: er hat keine Uebung im 
Sprechen gehabt» ■ 

Versucht, in dem hieher gehörigen Ver- 
atande kommt y so viel ich weifs, nur in der 
Hedart vor; sich etwas versucht haben; d. i. viele 



34i 

Er&hrungen gemacht haben. Davon ist nun 
das nur wieder eine Folge ^ dais derjenige^ yon 
dem dies gilt^ auch vieler Dinge kundig und 
in vielen geübt seyn wird; der Hauptbegriff ist 
es nicht. Nach meiner Einsicht ^ wären also 
nur versucht un4 erfahren Synonymen und kä- 
men beyde darinn überein , dafs sie eihen Be- 
sitz von gesammelten Kenntnissen und erworbe- 
nen Fertigkeiten andeuten^ doch mit diesem 
Unterschiede. *^ 

Einmal denkt man bey versucht (von versu" 
chen) mehr den Vorsatz diese I^enntnisse zu 

« 

sammeln und diese Fertigkeiten zu erwerben^ 
l>ey erfahren aber kann auch viel Zufall statt 
finden; bey jenem ist man mehr thätigi bey diesem 
kann man sich auch blois leidentlich verhalten. 
Zweytens werden bey versucht zugleich Schwie- 
rigkeiten gedacht, die jemand überwunden hat, 
nicht eben sowohl bey erfahren. Drittens kann 
ich nicht eben so deutlich sagen ein versuchter 
Mann, wie ich von einem erfahrnen rede. Wo 
dies ist , kommt es mir nicht darauf an , wie 
er seine Erfahrungen gemacht hat; wollte ich 
mich aber des ersten bediene^, und doch an* 
zeigen, er selbst habe viel dazu beygetragen, 
sichs viele Mühe kosten lassen , so wurde ich 
undeutlich reden ; so bald ich nicht sagen kann: 
er ist ein sich versuchter Mann. Ich verände- 
re also da die Construction und sage : er hat 



342 

sich viel versucht; und , aus gleicher Ursache, 
um die Selbstthätigkeit und die Bekämpfung 
aller Schwierigkeiten dabey anzuzeigen, hat man 
diese reciproque Redensart in der Sprache ein- 
geführt und dem Beyworti versucht, den Sinn 
des öeprüften beygelegt. Zwar meint Hr. Ade- 
lung ein versuchter Soldat sej hin und wieder 
im Gebrauch. Ich sehe aber nicht ein, war- 
um es nicht einen geprüften bedeuten könne; 
und würde, wenigstenis in dem Verstände^ in 
welchem er es nimmt, allezeit lieber ein er- 
fahmer sagen. 

V 

Verschrieen, beruchtigtet. 

Das alte rüchtig, um dies vorläufig zu be- 
merken, von Rucht, un4 der Lateiner famosus, 
ward sowohl in gutem Verstände gesagt für 
nahmhaft, als in üblen für bescholten, oder auch 
überhaupt für ruchtbarf das, Wäs durch das Ge- 
rücht bekannt worden. So übersetzt Emser 
Matth. 27, 16. Der (Barrabas) yfBx fast rüch- 
tig d. i. in sehr Übeln RufF und Luther selbst 
hraucht es für ruchtbar in der ersten Ausgabe 
des N. T. v^ i532. — Diefs Geschieht ward 
rüchtig durch das ganze Land. So nach würde 
berüchtigen^ so viel seyO, als etwas 'ins Gerächt 
bringen, ruchtbar machen und zwar in beyder* 
ley Verstände. Indefs ist es von jeher in einem 
nachtheiligen Sinne gebraucht worÖen , gleich 



343 

dem Beyivb'rt berüchüget {diffainatus)\ und hat 
man dagegen,, ein eutes Gerücht anzuzeigen! 
ruchtbar machen y wetden , gesagt , wie Luther 
Matth. 9, 5i. »sie giengen aus und machten 
ihn ruchtbar. ce 

Mit verschrieen ist es nun in so fern gleich- 
deutend ; in wie fern es eine weit verbreitete 
üble Nachrede anzeigt; nur dafs dies diese Verbrei- 
tung darstellt, wie sie auch lauter und stärker 
gehört wird, auch mehr "Wahrheit in sich ent- 
hält. Denn wovon ein feder laut spricht, des- 
sen mufs man auch schon mehr gewifs seyn; 
welches auch der Unterschied zwischen Gerüche 
und Geschreyy heruffen und- beschrieen ^ der 
Franzosen cri und bruit ist. Der Haushalter 
Luc. i6, a. ward vor seinem Herrn berüchti- 
get. — Elisabeth war im Geschrey, (verschrie- 
en) Luc. 2 9 4-^* verglichen mit i Gor. 5, i. 
ein gemein Geschrey. Daher also ein berüch- 
tigter Schriftsteller, ein berüchtigtes Haus; ' und 
eine verschriene Waare, Daher sagt man, was 
den beyden gemeinen Begriff der weitem 
Verbreitung anlangt sowohl •*- es geht das Ge* 
rüchtf als es geht das Geschrey. ^*- Man kann 

aber nicht eben sowohl was das lautbare dieser 

« 

Verbreitung betrifft, sagen: ein dumpfes Ge- 
schrey, wie man. von einem dumpfen Gerücht 
spricht; und man sagt gegenseitig nicht: es 
wird das Gerücht gehört^ wie maxi sagt: es wird 



344 . 

daa Geschrey gehört. Auch läfst sich in Anse« 
hung der mindern Wahrheit, die bey der Be* 
rüchtigung zum Grunde liegt, in den Redarten 
— - ich habe es nur aus einem Gerücht; es istj 
mir nur durch das Gerücht bekannt — dieses | 
Nennwort nicht mit Geschrey vertauschen. j 
Ursprünglich, um noch diese Bemerkung 
beyzufugen, ist wohl Geschrey und verschrieen 
von Dingen hergenommen, die man zum Ver- 
kauf auf allen Straßen ausruft und die als ver- 
legene Waare niemand haben wilL Dazu 
scheint das Sprüchwort hinzuleiten: viel Ge* 
schrey, wenig fVolle, im Englischen — a great 
CTy\ but Utile wooL Und dies erinnert mich 
noch an den * Unterschied zwischen beschrieen 
uhd verschrieen, der darinn zu. suchen ist (so 
wie in berufFen und verruffen) dals das beschrie, 
ene nur in üblen Credit steht, -das verschriene 
ihn ganz verlohren hat; nach der verstärken- 
den Bedeutung der Partikel ver. Eine schlech- 
te Münze ist beruffen so lange . sie doch noch 
im Umlauf ist, und verrufTen, so bald si^ aus- 
ser den Gebrauch gesetzt ist. Ein wegen Gei- 
ster-Erscheinungen beschrieenes Haus ist es so 
lange, als es noch Käufer und Bewohner fin- 
det; und es ist verschrieen , so bald es daran 
fehlt. Es ist aber auch leicht einzusehen, war- 
um man nicht eben sowohl von, einer beschriee* 
nen und versphrieenen Münze . spricht. Denn 



■ 345 

sie laut zu beschreyeu würde dem Untezthaa 
nicht geziebien oder ihm nicht gestattet wer- 
den , und zum Yerschreyen hat er die Macht 
nicht; die Regierung aber yerruft sie nur, um 
sich nicht selbst in ein übles Geschrey zu brin- 
gen. 

Prahlen, Prangen. 
Beydes deutet die Handlung an da man ab- 
sichtlich sich vor andern auszeichnet und gel- 
tend zu machen sucht. Geschieht es durch 
FKorte und so dafs man sich dadurch bey an- 
dern verächtlich und lächerlich macht, so ists 
ein Prahlen y wenn aber durch Staaty dais 
ipan die Aufmerksamkeit oder auch' den Neid 
anderer erregt, so prangt man. Dieser Unter- 
schied ergiebt sich — aus den Wörtern: Prah* 
lerey (welches daher oft mit Grofssprecherey; ver- 
tauscht wird) Prahlhans (von welchem Herr 
Adelung selbst zugiebt, dafs es nur von wört- 
lichen Grofsthun gebraucht werde); und dage- 
gen Prunky Gepränge] Pracht^ prächtig y pracht- 
voll — imgleichen. aus den Redarten , prahle^ 
risches Geschwätze, ein lügenhafter Prahler, ei* 
nem etwas vorprahlen; und, ein prächtiges Schh/Sy 
ein prächtiger Staat, prächtig schjnaufseni, 
prächtig daher fahren , viel Prunk machen. Da- 
her auch von prangen j Pranger, an welchen 
Menschen andern zur Schau ausgestellt werden 
und alle Vorübergehende ihr Augenmerk auf 
sie richten. I>a8 neuere, TVortgepränge^ kann wohl 



' S46 

keine Einwendung gegen diese Unterscheidung 
seyn. Denn auch dabey denkt man sich ein Staat 
machen. 

Wenn ferner Herr Adelung meint Klagel. Jer. 
1,9. werde auch prangen von 6iner Prahlerey 
* mit Worten gesagt und es umschreibt — er 
rühmt seine Übermacht; und so sage man auch 
noch hie und da—- mit seiner Gelehrsamkeiti 
mit seinen Verdiensten prangen^ d. i. sie zur 
Schau auslegen: so würde das erste doch nur 
ein Beweis seyn^ dafs man zu Luthers Zeiten 
den Unterschied zwischen beyden noch nicht so 
genau beobachtet habe; wie auch Wüzel in sei- 
nen Anmerkungen über die Luthersche Über* 
Setzung ihn einmal tadelt, dafs er mit seiher 
Zungenkunst rühme und prange. Und verwech- 
selt man es noch in den angeführten Redarten 
oft mit prahlen; so thut man es doch gewifs 
nur dann , wenn dieses — zur SchAu tragen — 
nicht durch Worte sondern durch Handlungen 
geschieht $ durch die Menge Gitationen in 
Schrifften ; durch die ansehnliche . Mitglied- 
schaft berühmter Societäten die man auf den Ti- 
tel hinter seinen Nahmen ankündigt u. s. w. Selbst 
das Auslegen zur Schau, erfordert diesen Sinn, 
wie etwa der Krämer seine Waaren auslegt und 
durch eine geschickte Anordnung, durch Aus- 
breitung manchen Flitterstaats, sie, auch still- 
schweigend, J zu empfehlen sticht. So spricht 
nicht weniger für den von mir bezeichneten 



347 

NebenbegrifF des Worts prahlen der frühste 
Gebrauch desselben, nach welchem es, laut und 
Jictstlg reden y bedeutete. Auch braucht Luther. 
sohst nie in andern Stellen der Übersetzung; 
prangen, von Grofssprechesey* Sprüchw. a5, 6. 
wird , prange nicht vor dem Könige , gesagt 
von dem, der, nach unsrer Art zu reden, im 
feyerlichen Staate bey Hofe erscheint, und da- 
mit auch nur bemerkt werden will. — Jerem. 
aa, i5. weil du mit Cedern prangest von dem, 
der in PallästeA von Cedernholz wohnet. — 
Buch d. Weish. 2, 9. Keiner lafs es ihm fehlen 
mit Prangen; wo die Vulgate luxuria hat und 
der ganze Vers aus derselben übersetzt ist — 
4,' 2. man pranget (der lateinischen Ubersez« 
zung triumphat) im ewigen Kranz . — Jes. Sir. 
20, 11. wer sehr /?rÄ«^eV, der verdirbt darüber 
— '• und ganz besonders St. .in Esther 3, 11. ich 
achte nicht den herrlichen Schmuck •»- wenn 
ich prangen mufs (an Hoftagen Staat machen 
mufs ) und trags nicht aul^er dem Gepränge^ 
•bey der Cour, wenn grofse Cour ist, wie wir 
sagen würden. Und so stand auch in den er- 
sten beyden Ausgaben der Luth. Übersetzung 
Jes. 11, 10. wie ein Priester pranget in seinem 
Schmuck für das gegenwärtige. - 

Zudringlich y Andringlich. 
Beydes ein gewaltsames oder wenigstens* 
unbescheidenes und ungebührliches Driingen an 



348 

oder zu einem — r in rerschiedenen Provinzen 
das Eine oder das Andre , ohne dafs man eben 
sich etwas unterscheidendes dabej denkt. Doch 
sind sie allerdings noch verschieden; so dafs 
das Erste mehr d^n conatum, das zwejrte mehr 
den effeuum andeutet; sich zu einem drängen 
nur den Versuch , an ihn drängen ^ schon ^ die 
Berührung desselben denken lalst^r Es ist wie 
mit dem zustofien und ansiofsen: Ich sage im 
Gedränge dem vor mir stehenden — stofs doch 
zu wenn ich mir und ihm Platz machen will; 
dagegen stoß doch den an , wenn ich will, dafs 
dieser auf Etwas soll aufmerksam gemacht wer* 
den. Auch gilt dasselbe yon zurSnnen und an- 
rennen, wenn ich sage — was rennst du denn 
an mich an ? oder was rennt der doch zu ! — ^ er 
rennte an mich an, dafs er mich bald umgestöisen 
hätte; und: er rennte auf)mich zu, dals ich 
besorgte, er würde mich über den Haufen ren- 
nen. Übrigens haben wir schon, im guten 
Verstände dringend. — eine dringende Ermah- 
nung; eine dringende Bitte. Und so auch ein- 
dringend, was zu Herzen geht; oder noch stär« 
ker gesagt, herzdringend., 

Entgelten, Büfien» 

Eins wie das Andre zeigt eine Genugthu- 

ung für Etwas an, eine Schaden -Ersetzung, 

ein Strafeleiden; nur mit dem Unterschiede, 

dafs jenes ursprünglich, wie das. einfache , geU 



349 

terif, gnt thun, vergüte», bezahlen, (in welcher 
Bedeuturtg es beständig im Sachsenspiegel vor- 
kömmt) /We Art des Ersatzes oder der Strafe, 
büßen dagegen mehr Geldstrafe bedeute- 
te. So heiJ&t es im Sax. Sp. Bufse soll man 
gelten (bezahlen) in Münze, so im Gericht gen- 
ge und gebe ist — in Wette und &ui[se wird 
der Schilling auf 12* alte oder neue Schillinge 
Ausgelegt — Gewette und Bufse heifst das, das 
ans Geld geht, Pein und Strafe göht an den 
Leib; womit Luther zu vergleichen a. Chrön. 
36 , 3. er büfste das Land um hundert Cencner 
Silbers. Dagegen wird entgelten auch von je- 
der andern Art der Bestrafiing gesagt — a. 
Ghron. 20, 11. sie lassen uns das entgelten und 
kommen uns' auszusto/ien: Esr. 7, 26.^ es sey 
zum T^ode, oder in die Acht, oder zur Bufse 
an Gut, Yfie wir zu sagen pflegen, an Geld uncl 
Gut. Das Gegentheil kann wohl nicht aus un- 
serm, unentgeldlich , geschlossen werden, da 
dieses später, nachdem man von «gelten das 
Nennwort Geld abgeleitet, in die Sprache eiil- 
gefähret wordien, und. früher, in der gleich an- 
zuführenden Stelle, Entgelte gleichfalls nicht 
Geld- sondern Lebens-Strafe bedeutet hat. Ver- 
niuthiich ist auch das Wort , gelten , in Gang 
gekommen , da nur noch Tauschhandel aus 
Mangel baarer Münze war, und also auch jeder 
dem andern zugefügte Yedüst oder Schaden 



35o 

durch etwas von gleichem Werth mulste vergü- 
tet Werden — ein entwandtes Schaaf mit ei- 
nem andern u. s. w. 

Hierzu kömmt ^ dals bey Büfsen immer ei- 
ne wirkliche Verschuldung gedacht wird^ nicht 
aber eben, sowohl .beym Entgehen ^ wie schon 
zum Theii die angeführten. Beyspiele beweisen, 
und wozu noch folgende dienen können. • Der^ 
sagt man, hau entgehen müssen, wenn von ei- 
ner fremden Schi^ld die Rede ist; man bittet, 
lassen sie michs nicht entgehen und hält es für 
eine Ungerechtigkeit^ wenn es geschieht — 
homicidium J^uriosi j wird im Sachsen-Spiegel L 
3. Art. 3 erinnert^ ist ohne Entgelt und ihm nicht 
zuzurechnen. Man versteht aber sogleich eine 
wirkliche Verschuldung, W6nn man hört: er 
büfst für seine Sünden \ er mufs dafür hüfsen\ 
Ps. 76, 29* er lief s sie ihre Lust büfsen. 

Diese Verschiedenheit hat nun auch wirk- 
lieh ihren Grund in dem frühsten Sprachge- 
brauch des Worts büfsen und seiner ersten Be- 
deutung bessern j ausbessern y verbessern ^ in wel- 
cher die Theolpgen es beybehalten haben. Denn 
der Selbstschuldige hat wirklich die Pflicht auf 
sich etwas wieder gut zu machen. Zwar könnte 
das im Sachsen- Spiegel dawider zu seyn schei- 
nen, dafs 1. 3. Art. 48- ^g« gesagt wird: Hir- 
ten, was die aus |hrer Hütte verllefsen, müssen 
sie . gehen. Indefs ist doch hier offenbar nur 



35i 

von einer geringen Schuld barkeit die Bede^ 
welche der Hirte auch wx)hl ganz yon sich ab- 
lehnen könnte; nur das Gesetz machte Jhn 
schuldig 9 um diese Art Leute destq aufmerksa- 
mer zu machen. ^ . .. <• . * 

Bedenklich ^ Mislich. . 

Durch be^^dös wird Etwas das fehlschlagen 
kann, der ungewisse und zweffelhafte Ausgang 
einer Sache ^ nebst dem dabej zu besorgendeii 
Schaden oder Nachtheil angezeigt, Denke ich 
mir also blofs diefs Fehlschlag^jide und Gefähr- 
liche^, sp ist sie T(iislich, ,nach der Bedeutung 
des Nennworts missen^ fehlen; und so s^st, Lu- 

• • % 

ther in der Übersetzung Buch d. Weish. g, i4« 
der Sterblichen Gedanken sind mislich und ih- 
re Anschläge sind, gefährlich. Will ich nun . 
aber zugleich den Nebenbegriff ausdrücken, dafs 
also die so beschaffne Sache wohl bedacht wer- 
den müsse, ehe m(in ^ich darauf einläfst, so 
beschreibe ich sie als bedenklich. Ich werde 
sagen , wenn mich ein andrer in derselben um 
Rath fragt: es ist eine misliche Sache; ich we- 
nigstens würde es für mich bedenklich finden r-^ 
oder , bedenken sie es erst. Weil nun jeder 
£rnsthaftdenkende das^ was mislich ist ^ ^uvpr 
bedenken wird, ehe er es unternimmt; und' 
was ihm Bedenken inacht, auch mislich seyn 
wird: so kann man in den meisten Fälleo bej- 



55a 

de Worter miteinander verwechseln — z. E. ein 
jnislicher Handel eben so gut sagen als ein be- 
denklicher. Nur dann findet dieser Tausch für 
bedenklich nicht statt, wenn ich nur einen dun- 
keln Biegriff von der Wichtigkeit einer SacÜe 
habe und das, was sie auf sich haben köiinte 
selbst erst bedacht werden mufs, oder ich da- 
bey nicht gleichgültig seyn kann, wie der Aus- 
gang seyn ' wird , dieses Bedenken also in so 
weit für mich der Hauptbe^riEf i^. Von der 
Art sind alle die Fälle, id welchen ich sage: 
«es war mir sogleich bedenklich^ was der oder 
jener sagte, oder was er thun wollte; er mach- 
te eine bedenkliche Miene; er liefs ein bedenk" 
liches yVoTt fallen.« * '^ 

Beträchtlich , Bedeutend, Erheblich. 

Allen dreyen liegt der Begriff der JVichtig- 
keit und des Pf^erths einer Sache zum Grunde. 

Beträchtlich j was werth ist, betrachtet zu 
werden, oder wirklich in Betrachtung kömmt — 
ein beträchtlicher Schaden oder Verlust; eine 
beträchtliche Summe oder Anzahl; ein beträcht- 
lieber Einfiufs , Beytrag; wofür man auch sagen 
kann ansehnlich j,\vsls Ansehen hat, angesehen 
wird , so daß das Beträchtliche sogleich ins Au- 
ge fällt. 'Auch ist ein ergiebiger Beytrag noch 
etwas anders als' ein beträchtlicher: S. Jenes. 

Bedeutend, ' was sogleich eine wichtige Sa- 
che 



353 

che deutet y anzeigt: — ein bedeutender Wink, 
ein bedeutendes Wort , ein bedeutender Mann- 
gegenseitig: eine unbedeutende Miene; ein un- 
bedeutendes Compliment, Gespräch, Geschwätz. 
Man nimmt nemlich an dem allen sogleich 
wahr, dais das damit Bezeichnete nichts auf 
sich hat. 

Erheblich y was unter Mehrern als das Wich- 
tigste herausgehoben wird; womit die Hedart, 
von einer Sache viel Aufhebens maclien, über- 
einkömmt. Man sagt also: ein erheblicher 
Zweifel^ Umstand, Verlust. 

Gewählt j Gesucht y Geziert. 

Das Erste würde ich nicht für ein Syno- 
nym der beyden übigen halten , wohl aber ge- 
zwungen. Denn es wird jenes nur .immer im 
gnten Verstände gebraucht, so wie die andern 
stets etwas verwerfliches, miszubilligendes , an- 
zeigen. Wobey nicht nur eine Wahl statt fin- 
det , sondern au9h angestellt werdeiisoll: das 
ist gewählt, — wie eia gewählter Ausdruck ^ ei- 
ne gewählte Gesellschaft, Daher sagt man auch 
ausgewählt und auserwählt und verwechselt we«^ 
nigstens das erste mit gewählt, aber nicht eben 
sowohl ausgesucht mit gesucht. 

Denn nun hierbey, wie bey geziert ^ den- 
ken wir uns eine unnöthige, eitle, aber doch 
absichtliche Mühe um etwas, und allezeit et- 

Z 



3Ö4 

was tadelhaftes ; nur dafs bey geziert die Mühe 
sichtbarer ist, bey gesucht^ sich mehr dem io- 
Bern Sinn/ darstellt — wie wenn man von einem 
gesuchten Ausdruck^ Beifall^ Streit spricht. Das 
hiemit, besonders mit dem geziert, noch zu 
vergleichende, gezwungen^ deutet noch stärker 
den Zwang an, den man sich dabey anthut; 
oder die noch lüstigere Mühe, die man sich da- 
bey giebt. Einem gezierten Gange, einer ge- 
zierten Geberde, sieht man das Unnatürliche 
gleich an ; ist beydes gar gezwungen , wie eine 
gezwungene Miene, Stellung, Freundlichkeit^ 
so fällt das Unnatürliche um so mehr auf. 

Standhaft , Beständig» 

Beydes, wenn man die Redarten, Stand 
halten j und Bestand haben , damit vergleicht^ 
zeigt die feste Dauer einer Sache an. Doch 
geht das erste, nach dem neuem Sprachge- 
brauch, (aus welchem auch das ehemalige stand- 
haftig sich nach und nach verliert) mehr auf 
die Festigkeit des Charakters und die Beharr- 
lichkeit in Gesinnungen und Handlungen und 
zwar mit Überwindung aller Schwierigkeiten; 
da.s zweyte auf die blofse ununterbrochene Dau- 
er des moralischen Verhaltens wie der Dinge: 
Z» E. ein standhafter Mann, standhaft im Un- 
glück, in Entschliefsüngen; und --ein beständi- 
ger Friede, eine beständige Freundschaft, in 



355 

beständigem Zank und Streit, in beständiger 
Betrachtung leben. Bey jenem werden bekämpf- 
te. Schwierigkeiten, nicht aber eben sowohl bej 
diesem gedacht. Daher auch standfest ^ noch 
verstärkter die Idee der Stanahaftigkeit aus- 
drückt; wie man auch im Oberdeutschen stand- 
haften Bau, Grund, tut festen zu sagen pflegt. 
Unstandhaft ist daher auch nicht so gemein, 
YiSLS den Charakter anlangt, und bedient man 
sich dafür lieber des unbeständig, weil eben 
bey diesem Unbestand gar kein Versuch ge- 
macht wird Schwierigkeiten und Hindernisse zu 
überwinden, das, unstandhaft, aber denken lie- 
fse, man habe ihn. wenigstens gemacht. Eben' 
so ist es gewöhnlicher ein beständiger^ als ein 
standhafter Freund zu sagen, weil Freundschaf« 
ten gedacht werden können, zu deren Unter- 
brechung nie eine wichtige Veranlassung gewe- 
sen, dafs eine besondere Festigkeit des Charac-* 

■ 

ters dazu gehört hätte. - 

Selbst unter bestundig ijconstans) dauerhaft 
(jperdurans^ bleibend {permanens^ unaufhörlich 
(indesinens) immerwährend {perpetuus) findet 
noch ein Unterschied statt. Ich denke dieser — 
Beständig ist. Was ununterbrochen fortdauert; 
dauerhaft, was die Ursache dieser Dauer in 
sich hat, wie ein dauerhafter Cörper, eine dau« 
eihafte Gesundheit, Farbe, ein dauerhaftes Ge 
bände; dals ich daher nicht sage: das Haus ist 

Z 2 



356 

beständig gebaut , sond^n ^ es ist dauer- 
haft gebaut und gegenseitig nicht, er hat da 
dauerhaft gewohnt, sondern er hat da beständig 
gewohnt. Femer ist bleibend was nicht nur 
nach Zeit, sondern auch nach Ort und Person 
fortdauert; ein bleibendes Andenken, ein blei- 
bender Ruhm, er hat keine bleibende State. 
Endlich ist immerwährend wie unaufhörlich^ 
was, wenn es gleich nicht im strengsten 
Sinn ununterbrochen fortdauert, doch nie ein 
Ende nimmt und seine Existenz ganz verliert — 
ein immerwährender Lärm, Streit, oder 
Schmerz ; ein immerwährendes Sausen im Oh* 
re , Geschrey, Gezänk. Daher kann ich bey- 
des in den angezeigten Ausdrücken wieder mir, 
beständig, vertauschen , in so weit doch eine 
Fortdauer dabey gedacht wird auf deren Unter- 
brechung man nie lange rechnen kann. 

Hartnäckig, Halsstarrig, Störrig, 
Der allgemeine Begriff ist Unbiegsamkeit 
sowohl im eigentlichen , als uneigentlichen Ver- 
stände; doch in diesem mit herrschender Wi- 
derspenstigkeit verbunden. Aeufsert sich diese 
blofs in Meinungen, Gesinnungen und dem 
ganzen Verhalten, es sey aus Eigensinn oder 
Stolz; so ist man hartnäckig oder hartnäckisch 
(wie man ehemals häufiger sagte). Dahf»r: hart- 
uäckig auf seiner Meinung bestehen Ge- 



357 

schiebt diese Aufserung gegen alles Ermahnen 
und Bitten, so ist man halsstarrige wie in der 
Redart — halsstarrig leugnen, ein halsstarriges 
Kind und der- Luther^chen Übersetzung 2. B. 

M. 33, 4' ^* ^^ *^^ — ^^^ ^^^ ^^^ hals- 
starrig Volk; Buch der Rieht. 2, 19. Sie Uefsen 
nicht von ihrem halsstarrigen Wese^; Jerem. 
17, a3. Sie htieben halsstarrig; Neh. 9, i6. ih- 
re Väter wurden stolz- und halsstarrig, dafs sie 
nicht gehorchten» 2. Ghron. 36, i3, er ward 
halsstarrig und 'Verstockte sein Herz. Diese 
Stellen beweisen zugleich, dafs Herr Stosch im 
2. Th. S. 37. 38/ wohl zu fein unterscheidet^ 
wenn er meint: hartnäckig bedeute mehr eine 
natürliche, halsstarrig ^ebr eine angenommene 
Unbiegsamkeit/ Preylich " ein harter Nacken 
kann natürlich seyn'und ein starrer, steifer 
Hals durch Zufall etitstehen. Aber im morali- 
schen Sinn liegt doch beydes in der Natur des 
Menschen. Und 'überdiefs gründet sich der 
Sprachgebrauch nicht sowohl auf scharfsinni- 
ge Beobachtungen der Dinge, als auf die ver- 
schiedenen Eindrücke , welche Eigenschaften, 
die ein Jeder sogleich wahrnehmen kann, auf 
den Innern Siim eines Jeden machen« Hiege- 
gen konnte nun wohl * Ör. St. noch auf die 
Ausdrücke, ein hartnäckiger Streit, eine hart- 
'tiät)kige K-rankheit, sieh berufen, bey welchen 
eine natürliche Eigenschaft der Sache gedacht 



^ 



35« 

werde. Es kann doch aber auch an zufalligen 
Unutänden liegen , warum der Streit schwer 
beizulegen ^ . oder die Krankheit schwer zu he- 
ben ist. *Eher könnte man es seltsam finden^ 
dafs man überhaupt das Wort auf die gedach- 
ten leblosen Dinge übergetragen ^hat. Ich den- 
ke also, ilafs bey einem hartnäckigen Streite 
mehr die P^sonen gedacht werden., die ihn 
unter sich führen und die starrköpfige Art, wie 
sie ihn führen; dafs, wenn ich sage -— es ist 
ein hartnäckiger Streit -— * iqh es nm der Kürze 
willen thua^ stait zu sagen — es'' ist ein Streit^ 
der hartnäckig geführt wird* .Und so personirt 
man auch Krankheiten, wenn man sie hartnäk- 
kig nennt, und umgiebt sio gleichsam mit ei- 
nem CörpeTj weil man Widerstand fühlt. — 

Von halsstarrig würde ich nun j/€>rr/^.(ehe« 
mals und noch itzt hin und wieder auch j^Jr- 
risclC) so unterscheiden, dals es di^elbe u^bieg- 
same Widersetzlichkeit mit der Nebenidee ei- 
nes trQtzigsn Sülsschweigens anzeigen solle. Es 
kommt nemlich her von dem alten Sturr, ein 
Stock. Daher Luther . ii^« der^ ersteu Ausgrabe 
d. Ubers. N. T. Marpi 5> 5^ das zuerst ge- 
brauchte«—, vfntarite Herzen -n- nachher in ver- 
stockte umgewandelt hat; m^n noch oft das stör, 
rig ttiit sivchisch verwechselt und zu einem störri« ^ 
gen Kinde zu. sag^n: pflegt: Bist^ du denn wi9 
^n Stock? 



359 

Nun hat maa auch in der Sprache für hart- 
näckig und halsstarrig, hartköpfige starrköpfige 
starrsinnig (steifsinnig) , ja esi ist so gar hah- 
aderig da gewesen. *) 

Vo» jenem ist eigenköpfig (ein Provinzial« 
wort, .so wie eigenhimig)^ und eigensinnig nur 
dem geringern Grad nach unterschieden; alle 
unter sich aber sq, dafs man hartköpfig auch 
von dem sagt, der etwas schwer begreift, und 
starkopfLg^ in moralischer Bedeutung , die glei* 
che Bedeutung des ersten verstärkt; dann starr- 
köpfig mehr den Sitz , starrsinnig nlehr die 
Natur dieser Unart andeutet und also beyde 
glelchmäfsig verwechselt werden könuen— wie; 
er besieht auf seinem Kopfj oder ,, er besteht 
auf seinem Sinn. Übrigens kömmt, hartnäckig, 
meines Wissens, so wenig als hartköpfig, in der 
Luth. Übers, vor; wohl aber das harte Köpfis^ 
harte Nacken Hos. a, 4» Baruch* a, 3o. 

' Besonders ist es aber, dafs nicht eben so- 
wohl starrhalsig, wie hartnäckig in den gemei- 
nen Sprachgebrauch aufgenommen worden oder 
darinn geblieben ist, da doch an mehrern Or- 
ten auch starrnackig' üblich ist. 

Endlich ist auch halsstarriglich, als Neben- 

*) Der schon angeEuhrte Ge. JVUzel sagt von Luthern 
einmal yu/. 3. der adnotationum in S. liueras: Desta 
bärEer und baUaderiger hälc er über allem seinem 
Dinge« 



36o 

wort, zur Unterscheidung von, halsstarrig, als 
Beywort, ehemals beständig gebraucht worden; 
vermöge der feststehenden Regel: aus den Bey« 
Wörtern in ig Nebenwörter in iglich zu bilden, 
welchen Unterschied Luther und andre Schrift- 
steller des 16. Jahrhunderts genau beobachtet 
haben, ^r• Ramler sey Richter, ob man ihn 
nicht hätte beybeh&lten sollen* 

Krumm, gebogen. 

Davon sagt Hr. Sioschy der in seinem mit 
so vieler Bescheidenheit angekündigten Versuch 
mit einmal so viel . geleistet hat; S. 16 des 2. 
Th. jenes werde von allem gesagt, was nicht 
gerade sondern in einer gewissen Biegung ist, 
es sey von Natur oder durch Umstände; dieses, 
was nur durch zufällige Veränderung krumm 
geworden ist : so dafs zwar alles Gebogene auch 
krumm sey, aber nicht gegenseitig.. Da ich 
nichts richtigeres darüber zu sagen weifs / so 
^ill ich nur noch von dem Unterschiede unter 
gebogen, gebückt, gebeugt^ kurz das bey fügen, 
dafs die beyden ersten nur von einer cörperli- 
chen Krümmung gebraucht werden, und ge- 
bückt besonders .von Menschen; gebeugt dagegen 
auch vom Gemüthe. 

U nbehülßich , Schwerfällige Plump, 
Im physischen Verstände deutet eins wie 
das andre die Unfähigkeit zu einer leichten 



36i 

cörperlichen Bewegung an; nach welcher der 
Unbehülfliche sich taicht recht helfen kann, wie 
das Kind y der Alte , der Kranke .*— • ein schwer* 
fülliger Görper in Gefahr ist wegen seiner 
Schwere zu fallen , — das Plumpe zu anständi- 
gen Veränderungen * untauglich ist. Wie man 
also sagt: das unbehülfliche Alter , ein schwer- 
fälliger Gang; so sagt man Auch ein plumpes 
Gesicht y eine plumpe Miene. 

' Nach jenem allgemeinen Begriff ist nun 
ferner im Sittlichen — ein schwerfälliger Witz, 
dem der Mangel an leichten Geisteswendungen 
gleich anzumerken ist -'^ ein plumper Mensch, 
ein plumper Scherz, eine plumpe Antwort, wo* 
bey eben dieser Mangel wahrgenommen wird 
und dem es überdiefs an feinen Wendungen 
und Manieren fehlt. Ich weifs aber kein £xem» 
pel, dafs auch unbehülflich in moraliicher Be- 
deutung genommen würde. 



.• » • 



Verlegen y Betreten^ Betroffen ^ Bestürzt*- 

In dem ' einen wie in dem andern Fall, 
wird man durch unerwartete Umstände in eine 
unangenehme Gemüthslage gesetzt, die bald 
mehr bald weniger . Init Ungewifsheit und Un«- 
entschlossenheit wie man sich nehmen soll> mit 
Unruhe, Besorgnils odi9r auch Beschämung ver- 
bunden ist. 

Bey der Verlegenheit ist die Unentschloa^ 



362 

senheit am peinlichsten; bej der Bestürzung die 
Erschütterung zur Unruhe i^nd Angst am gröfs- 
ten; mit dem Betreten $eyn. vermischt sich Tor* 
züglich geheime Scbaam; wozu nun noch in 
dem Betroffenen das iSelbstgefühl kommt > yer* 
möge dessen er sich getroffen findet. ' 

Z. £. Es erzählt jemand in einer Gesell- 
schaft , ohne mich zu kennen, etwas sehr nach- 
theiliges von meinem FreundOj so wird die Ge- 
sellschaft, die mich und diesen kennt, ^verlegen 
und ich betreten^ im Weiter - Erzählen nennt 
er gar mich, als denjenigen, der an der Sache 
Theil genommen , welches verursacht , dais ich 
betroffen und bestürzt zugleich werde. Nun 
9agt ihm ein Nachbar ins Ohr, dafs ich der sey, 
welcher in dem Handel mit verflochten gewe« 
sen : dieis setzt ihn in noch gröfsere Verlegen- 
und macht auch ihn bestürzt* 

Es ist übrigens bekannt, dafs man ehemals 
auch in Schriften häufiger verstürzt für bestürzt 
zu sagen pflegte. 

Schwermuthy Trübsinn» 

Hr. StQSch im i. Th. S. fliio sagt, dünkt 
mich, ganz richtig: das erste drücke eine Trau- 
rigkeit aus, welche aus einem, verdorbnen dik« 
ken Blute entstehe. . . Aber, nicht ^ben so rieh* 
tig scheint er mir — « Kummer ^ Harm , Graniy 
als sinnverwandte Wörter damit zu vergleichen. 



. 363 

UntfiT sich sind sie es, können auch :^um Theil 
die Ursache odet die Folge jenes Gemüths-Zu« 
Stands seya, sch\v erhöh aber im Ausdruck >da- 
mit verwechselt werden.. Genauer wird also 
hier Trübsinn der Schwermuth an die Seite ge- 
setzt. Und so bald diefs ist, so würde ich. an- 
nehmen, beydes zeige einen besondern Hang 
zur Niedergeschlagenheit und zu traurigen Ver- 
stellujpgen an : — 4ie Schwermuth^ wie es die 
Zusammensetzung mit schwer giebti einen stär« 
kern Grad.^ so dafs auch oft Beklemmung und 
Angst dazu k.Qmmt und dieser Zustand anhal- 
tender ist; dieses^ Trübsinn ^ (dem Frohsinn 
entgegen gesetzt) einen geringem ^ wobey zwar 
mehr , üble Laune statt findet , aber wenigem 
Angst. und auch mehr Vorübergehendes ist. Da^ 
her der Frohsjinnigste trübe Stunden haben 
kann, die ihn zum Trübsinn n.eigen, schwerlich 
aber in tieie Schwermut^ versinken wird, weil 
er auch schon ein leichteres Blut hat.. 

Fuhrläfsig^ Nachläfsig. 

Für das zweyte hat man ehemals auch in 
Schriften hinläfsigj nach der Form hinfällige ge- 
sagt, welches aufser den vom Hrn. Adelung 
angeführten Stellen auch Esra 6. g. in der Lu- 
therschen Übersetzung vorkömmt. Er rechnet 
es abet zur ! oberdeutschen Mundart Wie das 
fahrläfsig> und meinte d^fs dißses mit dem.« 



364 

nachlulsig, in der Bedeutung wohl so ziemlich 
übereinkomme. So denn könnte doch noch 
eiuiger Unterschied statt finden. Und der 
scheint mir dieser zu seyn , vorausgesetzt dals 
beydesy nach der Zusammensetzung, von dem 
Wort, lassen, abzuleiten ist. Der Fahrläfsigt 
läfst eine Sache ganz fahren, giebt sie ganz auf; 
wie man sagt: einen Gewinn, eine Gelegen/ieu 
fahren lassen, und dieses daher auch für, ^ver' 
lassen, gebraucht wird z. £• Psalm 78, 60. der 
Lutherschen Übersetzung. Dagegen läfst der 
Nachlüfsige nur in seinem Eifer bey derselben 
immer nach. In beyden wird also zwar ein 
Maogel der Aufmerksamkeit und Kraftäufse« 
ruhg gedacht, nur aber der Fahrlafsige, wie 
es ihfh ganz daran fehlt. Oder man könnte sa- 
gen: bey diesem ist der Mangel der Aufmerk« 
samkeit gröfser, weil er leichtsinnig ist, sonst 
würde er auch seine Kräfte mehr anwenden; 
bey jenem der Mangel der Anwendung seiner 
Kr»(t überwiegender; weil er träge ist, sonst 
würde er auch seine Aufmerksamkeit mehr dar- 
auf heften. ' 



: Auseinandersetzen, Erörtern» 

Das erste hat der Ebengenannte gar. nicht 
im eigentlichen Verstände; doch im figürlichen 
die Redärt: eine verworrene Sache ordentlich 

r 

vortragen und deutlich machen. Hi^von ist 



. \ 365 

nun erörtern (ehemals örtern/ so wie man auch 
für Erörterung Oenerujtg sagte) allerdings un- 
terschieden. Beydes geht auf die genauere Er- 
klärung und deutliche Darstellung einer Sache. 
Sie wird aber erörtert {definitur) wenn sie, wo 
nicht streitige doch schwierig oder zweifelhaft 
und daher dunkel ist ; und sie wird auseinari' 
dergesetzt {exponitur) f wenn die Tbeile dersel- 
ben unordentlich durcheinander liegen und da- 
her die Dunkelheit entsteht. Bey jeneni denke 
ich mehr Schwierigkeiten die gehoben; bej die- 
sem mehr 'Verworrenheiten die entwickelt wer- 
den sollen. Jenes, erfordert mehr Scharfsinn 
und tiefes Eindringen in eine Materie; dieses 
mehr Ordnung im Denken imd Leichtigkeit in 
Absonderung der Begriffe voneinander. Durch 
jenes wird die Sache entschieden^ durch dieses 
zur Entscheidung yorbereitet. Brauche ich 'nur 
den allgemeinen Begriff, so kann ich gleich 
richtig sagen : eine Sache genauer erörtern,, und, 
sie genauer auseinandersetzen — deutlich erör- 
tern und deutlich auseinandersetzen. Betrift es 
aber eine Materie , die ich nicht sogleich über* 
sehen kann; weil sie zu reichhaltig ist und aus 
mehreren Theilen besteht, die erst gehörig ge- 
ordnet werden müssen, um eine lichtvolle Vor- 
stellung davon zu bekommen , und der^ welcher 
sie mir vortragt, thut'dem Genüge; so werde 
ich sagen : . er habe sie sehr gut auseinanderge- 



566 

setzt. Ist sie gegenseitig mancberley Schwie- 
rigkeiten ausgesetEty dafs mancherley Fragen 
darüber entstehen und verschiedene Urtheile 
davon gefallt werden können: so brauche ich 
das — erörtern — einen Zweifel^ eine Streitfra- 
ge erörtern. In' so weit nun durch Streit eine 
Sache oft nicht nur verdunkelt sondern auch 
verwirrt wird und mir jemand die Gründe für 
und dawider deutlich vorträgt; so kann ich auch 
sehr richtig sagen: er habe diese Gründe gut 
auseinandergesetzt. Es ist also wohl bey jeder 
Erörterung auch immer eine Auseinandersez- 
sung; nur nicht umgekehrt. 

Ausgemacht ist es nun auch^ da/s örtenty er- 
örtern y von Orty Oerter abgeleitet ist. Aber in 
welcher Bedeutung von diesen könnte noch die 
Frage seyn — ob in der des Endes einer Sache 
oder der Grenze ? Will man jenes annehmen, 
so würde es so viel heifsen: eine Sache bis zu 
«ihrem äufsersten Ende genau verfolgen und so 
zu Ende bringen — Wollte man aber dieses 
vorziehen: so wird es so viel sagen, als die 
Grenzen einer Sache genau bestimmen, und sie 
so endigen ; welches ich wegen des ihm ant- 
wortenden lateinschen definire vorziehen würde. 

Biegsam y Geschmeidig, Gewandt, 

Biegsam ist, was sich leicht biegen läfst, 
wie eine biegsame Ruthe; geschmeidig, was 



. . 367 

sith leicht schmieden läfsti geschmeidiges Eisen; 
gewandt, was sich leicht wenden läfst; ein ge- 
Wandter Witz, Görper, eine gesandte Antwort. 
£s würde also der Grundbegriff von allen drey- 
en seyn, dafs sie Dinge andeuten, die sich 
leicht in mehrere Formen bringen lassen und 
verschiedene Gestalten anzunehmen geschickt, 
mithin auch nachgiebig und weich sind, oder 
doch durch Kunst^bald erweicht werden kön- 
nen. — • Nur ist einmal, Biegsamkeit, im ei- 
gentlichen wie in uneigentlichen Verstände, mehr 
eine natürliche Eigenschaft, Gewandheit aber, 
wie des Styls,^mehr die Sache derlJbuDg oder 
der Kunst. Daher wird zweytens figurlich, bieg* 
sam , mehr von der natürlichen Gemüthsart ge- 
braucht, geschmeidig und gewandt mehr von 
einer erworbenen Fertigkeit des Cörpers, wie 
des Geistes. Endlich drittens , weil bey ge^ 
schmeidig wie bey gewandt auch viel erkünstel- 
tes seyn kann, so wird auch beydes oft in ei* 
nem zweydeutigen Sinn genommen. Folgende 
Exempel, aufser den schon bemerkten, werden 
diese Unterscheidungen beweisen — ein biegsames 
Gemüth, so viel als lenksam; ein biegsamer 
Cörper, eine biegsame Sprache — -> einen' ge- 
schmeidigen Leib haben, geschmeidig seyn, ge- 
schmeidig werden, geschmeidig machen; in al- 
lem gewandt seyn, viel Gevi^andheit beweisen 
(wo bey nicht allein geschwinde cö'rperliche son- 



368 

dern auch Geistes - Wendongen verstanden 
vrerden.) 

Reichhaltig 9 Ergiebig^ Fruchtbar. 

Was eine durch natürliche Kräfte erzeugte 
Mehrheit oder Menge derselben Natur und Art 
in sich schliefst« Diese Menge, Jeönnte man 
sagen, ist in dem Reichhaltigen noch versteckt 
und nur dem Kennersauge gleich merklich: in, 
dem Fruchtbaren liegt sie mehr offen, und 
kann sie jeder an sich leicht bemerken; in dem 
Ergiebigen f wird sie erst aus den Folgen sicht- 
bar. So ist das Erz reichhaltig, wenn es gleich 
dem Nichtkenner nicht jo scheint; Regen und 
Witterung y das Erdreich ^ die Baume ^ die Jali- 
re sind fruchtbar, weil ein Jeder das mit seinen 
Sinnen wahrnimmt; und ich mag sagen entwe- 
der, wir werden ein fruchtbares Jahr haben, 
oder wir habens gehabt: so läist jenes die Beob- 
achtung der Witterung Jedem leicht vermuthen 
wie dieses einem Jeden die Erfahrung giebt. 
Endlich ist das Korn ergiebig, wenn es viel 
Mehl giebt, welches au{ dem Halm ihm nicht 
anzusehen ist; der Boden ist es, wenn mehrere 
Erfahrungen gelehrt haben , dafs er yieles und 
gutes Korn trägt; ein Beytrag ist es, wenn sich 
beym Nachzählen findet, dafs er ansehnlich ist* 
Allein /der figürliche Gebrauch, nach wel- 
chem ich sage, ein reiphhaltiger sowohl als 

frucht- 



369 

fruchtbarer Gedanke^ aber' nur eine ^fruchtbare 
Einbildungskraft f ein fruchtbarer JVitz sagen 
kann; und ergiebig weder von dem einen noch 
von dem andern, erfordert^ die genauere Be- 
stimmung so anzugeben. Bey reichhaltige den- 
ke ich die Vielheit an sich; bey fruchtbar, be- 
trachte ich sie nach der Frucht, welchö sie brin- 
gen kann und den Nutzen, welchen sie verspricht} 
bey ergiebig nach dem Werth der t'rucht und 
dem wirklichen Nutzen , den sie stiftet. Es ist» 
also derselbe Begriff oder dieselbe Materie, nur 
in verschiedener Betrachtung , reichhaltig und 
fruchtbar, dafs man daher oft beydes miteinan- 
der verwechseln kann. Weil ich nun bey den 
Spielen der Imagination und des Witzes mir, 
atifscr den Jemand zusti'ö'menden Vorstellun- 
gen, Einfällen und Bildern, auch den Nutzen, 
das Vergnügen denke, welches sie mir verursa- 
chen, so schreibe ich ihnen nicht sowohl Reich- 
haltigkeit als Fruchtbarkeit zu. ' Da denn aber 
doch , als bey Spielen , wenig reeller Nutzen 
dabey seyn kann, und ich, selbst bey den frucht- 
barsten Gedanken nicht ^eifs, Welchen Nutzen 

* '1 

sie bey andern haben werden: so enthalte ich 
mich des Worts ergiebig y weün es darauf an*- 
kömmt und begnüge mich die' Idee auszudrük- 
ken, dafs sie irgend eine Frucht bringen kön« 

« 

nen, fruchtbar süid. jDeon auch Aies'bar in 
der Zasamoiensetzung Init Beywörtem, von da» 

Aa 



370 

nen auch die Endung lieh gewöhnlich ist« deu- 
tet nur das ff er mögen zu Etwas an, das lich^ 
dagegen die Wirhlichheü der Sache -^ nutzbar, 
was Nutzen brhigen kann*, nützlich, was wirk- 
lich Nutzen bringt — wunderbar was Bewuode» 
rung verdient; wunderlich, worüber man sich 
wirklich verwundert. 

Sanftmüihigf fVeichmüthig. 

Beydes | das zweyte von weichherzig unter» 
schieden, ist etwas sittlich - gutes und empfehlen- 
des und versteht man iinter beyden eine Ge- 
rn üthsart, welche von widrigen, andern nach* 
theiligen Leidenschaften frej ist. Dieis macht 
sie gleichwohl nicht zu Synonymen und ich 
zweiße, dafs sie jemals in einer richtigen 
Schreibart verwechselt werden können. Denn 
wenn sie jenes wären und dieses ,der Fall seyn 
könnte ; so müfsten sie nicht nur nebeneinan- 
der, wie sauft und weiche in einem Subject ge- 
funden werden, sondern auch in der Hauptsa- 
che übereinstimmen, dals der Sanftmüthige wie 
der Weichmüthige von einerley Leidenschaft 
fre/ und nur in Nebenumständen verschieden 
wären; welches gleichwohl nicht i^. Der Sanft« 
müthige ist frey von allen heftigen Ausbrüchen 
des Unwillens, wie Zorn und Rache, der Weich- 
müthige von Härte und Grausamkeit, Trotz 
und UBbiegsamkeit; ]&ß^t duldend und nach- 



371 

sichtig, dieser lenksam , mitleidig imd theilneh- 
mend an den traurigen Schicksalen andrer; je« 
ner läfst sich nicht leicht aufbringen , dieser 
wird leicht erweicht. Der Eine fährt nicht so 
gleich heftig auf, weil er auch nichts so lebhaft 
empfindet ; der Andre läfst sich leicnt erbitten, 
weil die Gegenstände, die auf ihn am meisten 
wirken , einen tiefern Eindruck auf ihn machen. 
Mit der Sanfmuth ist Langmiuh und Demuth 
gepaart; mit Weich müthigkeit Wehmuth und 
Gutmüthigheit. Wenn nun gleich beyde sich 
untereinander auch unterstützen , dafs der 
Weichmüthige sich bald besänftigen läfst, der 
Sanftmüthige auch eher zum Mitempfinden der 
Umstände Andrer aufgelegt ist; so sind doch 
bejdes ganz verschiedene t^harakter, dafs also 
auch die Wörter, mit welchen ich sie bezeich- 
ne, in keiner Sprache gleichbedeutend sejm 
können. Sonst müfsten auch z. E. Uebermmh 
und Hochmuth Synonymen seyq können. — - 

Der Weichmüthige, in so fem er blos das 
ist, verhält sich also auch mehr leidentlich; der 
Sanftmüthige mehr thätig. Daher ich wohl sa- 
gen kann: Sanftmuth üben^ ein sanitmüthiges 
Betragen gegen Andre, Behandlen Andrer; aber 
nicht Weichmüthigkeit üben u. s. w. — ge- 
genseitig wohl: weichmüthiges Empfinden eig- 
ner Schmerlen oder der Noth Andrer; aber 

Aa a 



I 
\ 



37a . 

nicht eben sowohl sanfmtithiges Empfinden der 
Fehler andrer. 

Wahre Synonymen sind also> weichmüthig 
und weichherzig i und beyde würde ich so un- 
terscheiden^ dafs dieses nur die Empfindung 
(mit Andeutung des Sitzes derselben) ausdrückt^ 
Jene^ von Math (Gemüthsart) die Gesinnung an- 
zeigt. Daher \eiLes audi oft ein Fehler &eyn 
kann, oder doch, als blolse Natur- Anlage^ leicht 
ins Fehlerhafte ausarten; dieses nie, weil es ei- 
nen guten Willen mit zu denken giebt. - 
Seyn sie doch nicht so weichherzig! Jiann ich 
sehr gut sagen; schwerlich aber werde ich sa- 
gen: Seyn sie doch nicht so weichmüthig! 

j 

Wundem^ Bewundern^ Verviundem. 

Man mag sich wundern oder verwundern 
oder etwas bewundern; so hat man es mit Din- 
gen zu thun , die y als ungewonlich und auiser- 
ordentlich die Aufmerksamkeit besonders, erre- 
gen. Sonst ist wohl wundern und 'verwundern 
so wenig unterschieden, als mehren und Der^ 
mehren, mindern und vermindern und das zwey- 
te nur später in die Sprache eingeführt. Man 
sagt — sich wundern und sich rerwundern ; sich 

sehr wundern und sich sehr verwundern — 
• •■* _•• •• •• 

eins wie das andre — wie Luther in der Über- 
setzung: sie verwunderten sich über die maafsen. 
Es kann also ,auch das ver in diesem Worte die 



373 

Bedeutung nicht verstärken. ' Beyni Bewundern 
willmaa nicht sowohl seinen Zustand als das 
Object bemerkt wissen. Z. E. ich bewundre 
den Fleifs des Mannes, die Dreistigkeit des 
Menschen ^-^ Ich gehe da gleichsam aus mir 
selbst heraus, um nur diesen Fleiis oder die 
Unverschämtheit recht merklich zu machen. 
Sage ich aber -— mich wundert doch, wie der 
Mann das alles bestreiten kann, -— so ist es 
mir mehr darum zu thunji meine Empfindung 

auszudrücken. 

' * * 

Suchen, Forschen, Aufsuchen / Erforschen^ 
(Ausforschen , Nachforschend) 

Alle zeigen das Bestreben an, Wissenschaft' 
von einer Sache, an welcher viel gelegen ist, 
2ü erlangen. Das Unterseheidende in densel« 
ben ist Folgendes: Beym Suchen hat man sie 
schon vorher gekannt, will aber wissen, wo sie 
itzt'istj oder man kennt sie schon in allgemein 
iien, wift sie aber genauer kennen lernen: beyni 
Fbtschen will man sie überhaupt erst kenrierf 

« 

lernen. Maa sucht alsa das T^erlohrne oder 
Vermifstey ©der nicht genug bekannte, und 
man forscht nach dem Verhorgnen j so wie man 
yfjtdfer; was man gesucht hat, und entdeckt, wo- 
nach rrian geforscht hat oder doch worauf 'tnan,' 
heyia Nächfforscheii nach etwas Änderirf , ' he- 
benh^r stößt. Man isucht ein f^er/oAmei" Buch;* 



374 

man Forscht nach einem geheimen Spion , — - 
entdeckt diesep und findet jenes — Wenn da- 
her Neuere das Wort fVahrheitssucher in die 
Sprache haben einführen wollen^ so haben sie 
es ohne Noth gethan , da wir schon das Kräfti- 
gere und mehrbedeutende Wahrheiuforscher 
haben f und auch nicht ganz nach der Analo-. 
gie der Sprache, in welcher das •'^ Naturfor- 
scher, Geschichtsforscher, Sprachforscher — schon 
in verjährten Besitz sind. 

Auch Luther hat diesen Unterschied ge- 
kannt: Spr. SaL 2, 3. So du sie suchest ^ wie 
Silber und forschest sie» wie die (verborgnen) 
.Schätze-» . Denn wenn er gleich das erstemal 
suchen braucht , wo von einer gleichfalls ver- 
borgnen Sache die Rede ist ist, so folgte er 
theils darin der Vulgate ihrem ^i/aefiem] -*- 
investigaris; theils konnte er dasselbe Wort^ um 
des Wohlklangs und auch des sententiösen 
Styls willen y nicht zwejmal wiederholen. Und 
so sagt er anderswo» wo ihm flicht dieser 
Zwang drückte — und suche mit Fleifs (den 
verlohrnen Groschen) bis dafs sie ihn finde Luc 
\5, 8. ^ 

Suchen und aufsuchen ist Hrn. Adelung 
nur den Graden nach unterschieden , dais also 
dieses die Bedeutung verstärke. Aber wie nun? 
Doch nicht den Fleifs » den man darauf wen«« 
det ! Denn ich sage eben sowohl : ich will mir 



376 

gebed es zu suchen; als — es aufzusu- 
cheh — Ich denke es komme bey diesem nbcb 
die Nebenidee hinzü^ daß mah sich die ver- 
lohrne oder vörmifste Sache zu'd^r Zeit^ aiicfa 
als tief versteckt y dunkel denkt; wie wenn 
Dusch sagt: 

Wie sehr Versteckest du dich vor der wohl- 
'thätigen Giite^^ die dich aufsucht! 
Und ' so würde auffinden , audh mehr als das 
einfache y finden , andeuten^ dafs di6' gefundene 

Sache gleichsam tief Vergraben gewesen« Di6is 

■j « 

veränrlarst mich denn noch zu erinnern, dafs su' 
chen und forschen auch in allen den Pällen 
können verwedhselt werden^ in Welchen verlohr- 
ne öder verihifste Dirige^ 'ih dem Augenblicke 
des Siichens^ inehr als sich verbergend gedacht 
werdeh. Ein entwischter oder 'entÜohner Dieb 
wird aufgesucht; in' so wäit er vermifst wird; 
und man forscht nacht ihm , in^so weit er ver- 
borgen ist. 

Zwischen suchen und nachsuchen ist übri- 
geils kein Untärschi^d, so wenig als zwischen 
forschen und nachforschen. Beydes dient nur 
jcur Abwechslung des Redbalis dafs ich das Eine« 
mal'^sage: ich wiir es nachsuchen; ein Andres« 
mal: ich will (Jarnach suchen — darnach for- 
schen , oder, Seh will ihm öach forschen. — 

In Ansehung des 'Forschens' und Effor* 
Sehens Xx^t» ich dem ürtheile Hrn. Adelungs 



376 

bey, daß dieses bedeutet durch Forschen etwas 
zu erfahren suchen; wie das erfragen in Verr 
gleichuDg mit fragen -^ durch dieses eine Sa- 
che oder Person ausfündig, «machen. Daher die 
Redanen: Jemand, erforschen; wo das einfache 
nicht zureichen würde« — Suchen sie .es zu 
erforschen, wenn ich« sagen will -r- Forschen sie 
so lange 1 bis sie e« heraus, bringen — und da 
nicht eben so bestimmt sagen würde: suchen 
sie darnach zu forschen --*- ich werde es schon 
erforschen; wenn man seine Hofnung dazu er* 
klären will — ich hab^ ungeai^tet flies For- 
schen« es nicht erforschen, bönnen. 

.^usjor^hen meint Hr. Adelung yyoXex ^ er« 
forsch enj werde nur ini. gemeinen Leben für 
dieses gebraucht. Aber, w^i er jenes erklärt, 
übergeht er diese Bemerkung, mit Stillschwei- 
gen. Ich halte miqh d^ßn^ mehr an dieses und 
deqke, dafs allerdings heydes jvesentlich yer- 
schieden sey.. Ich erforsche jemand wenn ich 
seine piir .unbekannten Urtheil^ , Meinungen, 
Gesinnungen wissen will«-« ein Geheimnifs; 
weil e,s mir das ist . — ab^r ich. Forsche dieses 
und. jenen Äf/jj um dadurch dfis abge?iweckte 
Ende meines Forschejas. nacbdarücklicher anzu* 
deuten. Diese Bedeutung hat iie Partikel aus 
in mehreren damit z^sl^^lmengej^tzten^ ^^eitwür- 
terii ; wie in ausholen jemand (welches ^n das 
ausfosschen grenzt) , (Ufsmao/ken.^, ausifhrea^ vu 



377 

H.' m. Und .daber äagt num- mit ein^^ gewissen 
Jubel: ich habe di# Sache ausgeforscht; o! der 
ist leipht ^aus^ufoisschen. So ist- auch unaus- 
^rsfhliüh in. der Sprache da geweseii^ wte. nocl 
itztsiiner/orschlich,. 

Gesummt, Aufgelegt ^ Geneigt. 

I . In diesen ist,^ die^N^Igupg^ d,qr Wille fe^ 
\|i:as zu th.itP.» oder di.e Gemiithsfassung da map 
cjazu bereit, ist y 4er . ^gi^ineinsdlafdiphe BegriiK 
Wenn diese Gemüthsverfassung zur Fertigkeit 
geworden« ist^ oder, als- solche^ betrachtet. ^vi^id» 
^o istr man. ^e«e/^^,5 ^o; —r zum Vergeben , zum 
Wohlthun, zum Zorn, zur Rache u, s. w, »-7:- 
Wird sie in einzeln Fällen , durch Gemüthshei- 
terkeit; beFördert oder> gehin^dert^ %0' ist man 
^^fg^Ug^.o^^t das Gegentheil- — ;^Man sagt: 
ich Mn«. heute, zu oiichts aufgelegt; <Kler:' ifj^ 
^nd ihn- heilte bei onder^ aj»%ßlegt ^um^ Sobwa^ 
tzen, zum Spielen, zum Spatzierengehen -*-f4i| 
man kjftnn sagen: ob er gleieh^pieht recht! dazu 
avjgdeg^ \rar^ so ^efs er sich doch geneigt^^^r^ 
den mit mir zu gehen.- In diesen^ und SbAlJte 
chen Italien überwindet eine herrschende JM'eiv 
gung.-ei^.. ii]>erhingeheDde . Abneigung , andrer 
Art. Wird ^dticb diese JN^eigung durch Ein- 
rede, ^ipe*. Anderil, ij» x^maod^ hervorgebracM^ 
so ist^-r oder, .wird \ et dazu gestimmt. - .?r^ 
Penu' JwMind ^timmen^. hßi&t ihn bewegen^s dals 



378 

er seine Stimme, sej es durch bejahen oder 
yerneinen , »tu etwas giebt. Geschieht es durch 
Seihst^ VberreduDg, so bestimmt man sich selbst 
dazttf wo das unzertrennbare Vorwort be die in» 
re Stärlie der Handlung, wie in «-» sich beei* 
fem -— anzeigen soll. 

Ich kaiin also sagen: er war schon dazu ge- 
stimmt ; und 9 er hatte schon selbst sich dazu 
bestimmt. Aber ich kann beyde Redarten nicht 
als ganz gleichdeutig miteinander yerwechslen. 
Denn die erste soll anzeigen, dafs er schon 
durch einen Andern sey beredet worden; oder 
läfst es wenigstens in Zweifel, wer es gethan 
hat! 

Verzagt f Feigj Zaghaft ^ Feigherzig. 

Mangel am Math ist es, was bey dem eineft 
wie bey dem andern sogleich im ersten Gehör 
gedacht wird, und worüber kein Streit seya 
kann* 

Unter ihnen selbst ist kein * besondrer we^ 
tentlicher Unjterschied , - yr&sfoig und feigherzig 

' anlangt; sie. deuten beyde an, dafs jener Man« 
gel an Muth einem Subject eigen ist, es von 
Natur zur Ängstlichkeit und Furchtsamkeit ge- 
neigt ist ; und wird nur bey, feigherzig, der ^ixz 
der Feigheit mit ausgedrückt -^ wie in hart^ 

^ herzig verglichen mit Anr^ u. a. m. Das Na^ 
türlicha dieser Feigheit anzuzeigen , netint man 



379 

daher .Jepiaod. eine feige] Mammen weil das 
weibliclte Geschlecht zur Feigheit mehr geneigt 
ist und sio b^y alten Mütterchen um so einge- 
wurzelter ist. .' Qder man. sagt: mit dem ist 
nichts anzufangen ; .^s ist «ein feiger .Mensch: 
auch, Yi^Tixi einer ^inmal zagt .— sie sind ja 
sonft nicht so feig— und man; also anzeigen 
will, es sey ihm die Zaghaftigkeit nicht natür- 
Jich. In .«diesem. Nebenbegriff stimmt es mit 
dem Worte blöde überein. welches • wie be- 
kannty ehemals auqh zaghaft htdfi^tete , und 
zw^r als Natyrfehler — ^ ,I^ehab^am war jung 
und Moden Merzensiy o. Chron. i3, 7. Aus 
diesem Grunde verbindet man auch einen ver- 
achtend ei^;NebenbegrfIF damit; weil man pj(- 
ne überhingehe^de Schwäche , , nriek der. Zaghaf- 
tigkeit, verzeihlicher. findet 9 als eine eingewur- 
zelte^ und mehr yepsohuldung ' bey diese^r 
denkt y in so. weit der Mansch .i^r hätte entger 
gen arbeiten sollen; j 

Dagegen ist also d^r zaghaft oder verzagt^ 
der es nur tfnter gewissen Umständen ist; fener 
lälst abier nur den M^th sinken^ dieser ihn ganz 
fallen, welches das .verstärkte unzertrennbare 
Vorwort anzeigt. D^ese beyde sind a|so nicht 
auch deswegen feig; wohl abei; i$jc der Feige 
auch immer zaghaft i^nd y nach Besch|iFenhei( 
der Umsfäi^de^ verzagt. : - ^ 

. Luther hat diesen Unterschied gleichfalls 



38o . 

beobachtet: 3.8. M. a6^ 36. ieh'vrtU euch 'ein 
feig Herz machen -^ Jos« 7. 5. Da t^ard dem 
Volke das Herz vtrzagc; yergt irSain. ^ iZ, 
2. B. M. a3» 27. 1. Macc. /^ Z2. 

Nun könnte- man zn^ar in Ansefanng der 
ersten Stelle sagen, was schon in der Gemiiths- 
beschafFenheit des MenscKen lie^e^ das brauche 
man nicht erst ihm^ anzuschafFen «*-* wie viel- 
leicht, *auch aus diejser Ursache, die Zürcher 
'Übersetzung statt, iSsig, ftbersetzt t^rsa^/. 'AI- 
leih es «sollte Ihh'efi gleichsam itit andern -Na- 
tur werden, dafs die Feigheit von der Zeit an 
in ihnen anf imnrer Platz nahnie. Da wurde 
denn, -verzagt^ ^offenbar'zu schwach gesagt ge« 
wesen sejn. Auch die dl>äische UeUersetzung, 
hat also hier gleichfalls blöde hterten. 

Hr. 'Stosch'\i9Lt diesen Unterschied, i- Th. 
'S. di5. nicht ganz richtig angegeben, wenn er 
beyden'Wörte^ii nUl^ den Begriff des sinkenden 
Muths beylegt. 



i. 



HTohlunständigy Aitigy Gef adlig; •Verbindlich. 

Artig ist, Vas Art hat; d. i. den Eigen- 
schaften und Verhältnissen der Dinge ^ an de- 

» - « 

taen man es wahrnimmt, gemäfa ist - -^ das Ge- 

genseitige unartig -^ ein artiges Mädgen , ein 
artiges Haus',> ^m Umgang sefcr'alrtig hefn^ Ist 
diese Artigkeit durch Erziehung und Übung er- 
worben worden so ist man vfohtgeartet , welches 



, 38» 

daher. , aU, eine^Sache der firziejiuiig, nur von 
Personen kann gesagt werden; und ob gleich . 
dabey die innre Gutartigkeit mit gemeint wird, 
so jdenkt man diese doch auph sich nu^, in .so ^ 
weit sie ins Äuge fäl|t. - 

fp ohlanstundig i«t, was den Verhältnissen 
der Personen gemiÜs ist. Ich glaube nur^ dafs 
das, vorgesetzte fVohl ein Pleonasmus sey für 
daS; einfache > anständig, und also im Gebrauch 
nic}it allgemein^ sondern , nur provinziell — 
Gapz wie das gut, wenn ich sage: es ist wi- 
der den guten Anstand — - und eben so viel an- 
deute wenn ich sage : es ,ist wider den Anstand 
— non decet, es ist. wider das Decorum; aber 
schwerlich sagen werde , .es ist wider das gute 
Decorum '— so wie ich gegenseitig das, unan- 
ständig ^ aus gleicher Ursache dem^ übel anstän- 
dig, vorziehen würde. Es ist, wie mit dem, 
Worte ^ Wohlgefallen , welches, für d$is einfa- 
che Gefallen, aus dem beneplacitum der mitt- 
lern Latinität^ als einer wörtlichen Übersetzung 
des gr. fv^««««, eben so wörtlich ins Deutsche 
ist übergetragen worden; wie «das französische 
bon plaisir. Das ächtlateinsche aber ist gleich- 
falls das einfache placitum •-•^ placita principunu 

Ich sage also: eine anständige Kleidung, ei« 
ne anständige Verbeugung ,. eine anständige Be- 
kostigung, Wohnung, Gesellschaft (in welcher , 
sich /die Personen zusammen schicken) *^ ^n^ 



382 

ständig sprechen, antworten^ sidi anständig be- 
tragen u. dgL m* 

Gefällig ist; was andern zu Gefallen ge- 
scbiehti und wobey man sfcb, um dies zu sejm, 
auch mit eigner Beschwerde in gleie' gültigen 
Dingen nach ihnen bequemt. Daher sind es 
glaighgeltende Bitten — seyn sie doch so ge- 
fällig i und, thun sie mir doch den Gefallen : 
sie wären wohl nicht so gefallig, utid, sie thaten 
mir wohl nicht den Gefallen — Und daher die 
anderweitigen Ausdrucke: ein gefalliges Wesen, 
ein gefälliger Freund , eitle gefallige Antwort; 
Andern sich gefällig machen, es ihnen werden^ 
in so weit man dadurch ihr Wohlgefallen er* 
wirbt. Der Gefällige nun macht Andre sich 

verbindlich \ er verbindet, verpflichtet sie 
sich, legt ihnen eine Pflicht auf; durch ein 
verbindliches Compliment ,' durch eine verbind* 
liehe Antwort, Aufnahme. ' 

Aus dem allen ergiebt sich nun , dafs an- 
ständig oder wohlanständig f ftrtig, gefällig, ver- 
bindlich,' eins wie das Andre bejr Sachen oder 
Personen ein gewisses Aufserliches bezeichnen, 
welches durch die Sinne einen angenehmen 
Eindruck auf dasllerz macht, dafs man sie 
mit Vergnügen und Beyfall wahrnimmt. Denn 
auch zur Gefälligkeit und zu einem verbindli- 
chen Betragen' gebellt sich nicht nur äußerliche 
Freundlichkeit mit allen Ausdrücken der Güte 



383 

und des Wpblioeyneiis;^ sie ist auch eine notfa- 
wendige Zuthat. Ma& suche andre sich noch^ 
so verbindlich zu machen j geschieht es mit ei- 
nem kalten ja! oder gar mürrischen Wesen; 
so wird man seinen Endzweck schon weniger 

erreichen« 

« < 

Höflichkeüf Lebensart^ fVele^ Sitten •Anmutlu 

Lebensart f dieses äufserliche gesittete Be- 
nehmen im Umgang und Verkehr mit andern, 
ist das Genus , und begreift die ferner genapn- 
ten Eigenschaften mehr oder weniger in sich.- 
Das allgemeinste^ was dazu wieder gehört^ ist 
Höflichkeit f oder die Achtungs- Bezeugung ge- 
gen andre, nach jedes Orts Sitten und Gebräu- 
chen; das was^ nach verfeinerten Sitten ^ beson- 
ders an Höfen und unter den Grolsen dazu ge* 
rechnet wird, auch eine gewisse durch vielen 
weitläufigen Umgang erlangte Manier erfor« 
dert,' ist W-elt; was endlich der guten^ wie der 
verfeinerten Lebensart , noch einen besondern 
Reiz giebt^ und mehr natürliches Talent ist, 
als eine erworbene Fertigkeit^ heifst Sitten- An- 
muth, der Lateiner amoenitas* Es gehört dazu 
eine Geschmeidigkeit des Cörpers wie des Geif 
stes, ein leichter unbeleidigender Witz, sanftes 
und gefälliges, ^ ungezwungnes und doch nicht 
zu. freyes oder gar unbescheidenes W^sen. 

Zur Erläuterung, wie sehr difse Unter- 



384 

Scheidungen in der Spradie liegen i wird fol- 
gendes zureichen. .Kommt Ca/us in eine Ge- 
sellschaft ausgebildeter Menschen die seines 
gleichen oder auch noch über ihn sind, ab 
Gast^ und erscheint, in einer nachläfsigen Klei- 
dung; so wird man nun wohl nicht sagen — 
er habe gar keine Lebensart, aber doch er hand- 
le wider die gute Lebensart, so lang er doch 
übrigens sich gesittet in Geberden, Stellungen 
und Ausdrücken beträgt. Läfst er es denn aber 
auch daran ermangeln; nun so wird dann erst 
jeder, sagen: der Mensch hat nicht die gering- 
ste Lebensart y indem er ihm nun auch alle Ar- 
ten der Höflichkeit absprechen mufs, Der un- 
gebildetere Landmann, wird das erste zwar auch 
bemerken,, aber weil er überhaupt das Wort, 
Lebensart, als c^ineil, dlgemeinen Begriff, gar 
nicht in se^iner Sprache hat,, auch schon dayoa 
sagen: der Herr ist unhöflich. Nun komitie 
aber auch 4er Mensch von gemeiper guten Le- 
bensart in die so genannte grofse Welt, er sey 
da noch sq huflich; verräth .er dabey einen ge- 
wissen Zwitng, n.ähert er sich den Grofsen mit 
einer ihm selbst unbehaglichen Steifheit, Schüch- 
ternheit und Blödigkeit, yerstöfst er gegen den 
bqn ton im Sprechen, weif{S er nicht jedem Be- 
kfin^iten und Unbekannten ..etwas . verbindliches 
zu sagen: so hat er nicht Welt genug; es fehlt 
ihs3i zwar f^cbt A9 «einer gui^ , aber doch fei- 
nen 



385 

* » 

nen Lebensart. Es fehle ihm nun aber auch 
hieran , &o wird doch selbst auch der Höfling 
gestehen müssen: es ist eine angenehme Per- 
son y ' wenn Jeihand Sitten - Anmuth hat — - die- 
sen persönlichen Reitz in Manieren , wie in Un- 
terhaltungen ^ den, als Naturgabe ^ die kein 
Studium giebt, jeder , der Hof- und Welt- 
Mann, der Städter und Bauer, (ob schon die- 
ser ihn nicht zu benennen weil«) gleich empfin-* 
den und gleich schön Hnden mufs. Das Con- 
ventionelle in der Höüichkeit und detn, was 
man Welt nennte ist abwechselnd von Ort zu 
Ort und veränderlich von Zeit zu Zeit; nur das 
Natürlich- schöne^ auch in Sitten, ist bleibend. 

Schimmern fLeucheeit, 

■ »k 

Bef beyden denke ich mir Schein und Licht; 
nur bej jenem mehr den-iSchein, von dem al- 
ten deutschen Wort Scheme (Ps, 38, 7.) bey 
diesem mehr das Licht—- bey jenem den 
Schein eines schwachen oder getheiken (Hrn. 
Adelungs zitternden) Lichts, welches nur eini- 
ge Gegenstände erhellet; bey diesem den Schein 
eines hellen oder vollen Lichts , das alles um' 
sich her sichtbar macht. Die Sonne leuchtet; 
die Sterne, Gold und Silber (Ps. '68, i4) schim- 

r 

mern — das Li<;ht erleuchtet ein Gemach; und 
es schimmert aus einer gewissen Entfernungi 
wo alles umher dunkel ist« 

Bb 



386 

hieher gehört noch glänzen von einem leb- 
haften Lichtscheine; gleifsen^ von einem mal" 
Un gesagt. In Vergleichung mit dem Monde 
scheinet 9 leuchtet und glänzet die Sonne; er 
.scheinet und leuchtet nun Ich kann sagen 
Sonne/ischein y Sonnenlicht, Sonnenglanz; aber 
nur Mondschein^ Mondlicbt — und es ist nicht 
alles Gold, was gleifset. Folget^ sagten die la- 
teinischen Grammatiker, natura ^ ignis^ sol^ 
splendet artificio aurum. Auch ist funkeln ein 
stärkeres Schimmern und das noch stärkere 
blitzen. 

Mifsffinst^ Scheelsucht, , Neid. 

Alle dreye bezeichnen einen Widerwillen 
gegen das Glück und die Vorzüge Andrer — 
den stärksten der Neid; einen schwächern .A/^- 
gunst; sowie das Mi/s, in dieser Zusammen&e- 
tzungy gelinder, verneint als das Un (z. E« Mifs- 
muth, Unmuth); es, mit Neid und Scheelsucht 
verglichen, nur etwas negatives ist, dieses bey- 
« des aber mehr etwas positives anzeigt. So ist 
auch ferner mit Neid immer Hafs verbunden, 
MUsgunst^ nur mit Unwillen und Abneigung 
von dem andern. ßs ist endlich der Neid 
schon eine Fertigkeit andern das Ihrige nicht 
zu gönnen, die den Cbaraktej* eines Men« 
sehen ausmacht, wenn Mifsgunst auch nur et- 
was überhingehendes seyn kann^ wozu beson- 



^ 



387 

dre Umstände und Personen Anlafs geben. Da- 
her hat man von Neid , als Charakter , die be^ 
sonderen Nahmen, Neidhart, Neidhammel er« 
funden; man sagt nicht : das ist ein mifsgünstiger^ 
sondern, ein neidischer Mensch. 

Vom Neide ist die Scfieelsucht in so fern 
unterschieden, in wie fern sie zugleich die Ur- 
sache desselben andeutet; da man die Umstän- 
de des andern mit einem scheelen, schiefen 
und unfreundlichen Seitenblick und also in ei- 
nem falschen Lichte betrachtet^ dadurch aber 
der Neid zugleich gedacht wird, wie er eine 
unzufriedene * Vergleichung der Umstände des 
andern mit den seinigen anstellt. Daher ich 
auch sage: der scheeisüchtige Neid, und auch 
von Tlueren, wohl dafs sie neidisch^ nicht aber 
dafs sie scheelsüchtig sind; eben wöil sie 
ihre Blicke iticht nach Belieben seitwärts rich- 
ten können. Bey Mifsgunst ist also auch weni- 
ger Scheelsucht^ und unterscheidet sie sich über- 
diefs noch dadurch Von dieser > wie vom Neide, 
dafs man dem andern sein Glück mifsgönnen 
kann , 'blofs um seiner Person willen , der Nei- 
dische und Scheelsüchtige aber auch sich dabey 
zum Gegenstande haben. Noch ist gefragt 
worden; ob Mifsgunst und Abgunst^ von den ehe- 
mals üblichen abgönnen, wofür man auch, ver^ 
gönnen^ sagte, unterschieden sey. Hr. Adelung 
ist auf keine^ Weise für die Unterscheidung und 

* Bb fl 



388 

nur der Meinung, da& das letzte in Nieder- 
deutschland üblicher, oder, Wie er sich unter, 
MifsguDSt, erkürt, Abgunst, mehr im gemeinen 
Leben gebrtuchlich sey. Im gansen bin ich 
seiner Meinung, glaube aber doch, dais Al>- 
gunst theils früher oder wenigstens häufiger vor- 
mals im Gebrauch gewesen, theils für bedeu- 
tender als Milsgunst gehalten worden; indemL 
man, von Abgunst bersten, cu sagen pflegte, 
wie noch itst das — vor Neid bersten -^ ge- 
wöhnlich ist» nicht aber eben sowohl, vor 'MKs- 
gunst bersteq. Auch würde ich wegen des 
Wohlklangs Abgunst^ dem, Mif«guDst, und noch 
mehr abgünstig» dem, misgünstig, vorziehen; und 
sollte ja zwischen beyden ei^ Unterschied ge- 
macht werden, Abgunst und abgünstig j nach 
der Analogie in Abneigung und abgeneigt 
nur von dem brauchen, der mir seine Gunst in 
einer Sache verweigert, entzieht. Wenn ich z. 
E« sagen könnte — seyn Sie. mir in der Aage* 
legenheit nicht abgünstig, so wäre es allerdings 
milder, als wenn ich sage — seyn Sie mir dar- 
in nicht , zuwider. Doch freyiich haben wir 
auch schon diefs mildere in abgeneigt; obgleich 
auch dann der Unterschied sich deiJUien 
lieüse, ' dafs abgeneigt, mehr einen permanen- 
ten Und thätigen Zustand, abgünstig, mehr ei- 
nen überhingeh^den und leidenden andeute. 



389 

- Empjanglich y Pahig» 
Seydes wird von Dingen gebraucht , welche 
die Eigenschaft besitzen, Eindrücke anzuneh* 
men^ die Veränderungen in ihnen hervorlirin- 
gen. Denh auch fähig ist von fangen , nach 
der aken Form, fah^n^ abgeleitet. Das erste 
hat man neuerlich in die Sprache eingeführt; 
welches aber doch ein Beweis ist^ dafs man ein 
Cedürfnils gefühlt hat^ weil man mit dem /a* 
hig nicht allenthalben auskopiipen konnte« Ich 
wäre nun der Meinung , dafs jenes einen ne- 
gativen Begriff in sich schlieise, da man nur 
den Eindrücken nicht widersteht, und also das 
Subject sich dabiey mehr leidentlich verhält ; das 
fähig aber mehr etwas positives und thätigea 
andeute , wobey man zugleich mitwirkt. Was 
ich empfahCf dabey verhalte ich mich mehr lei* 
deutlich 9 inden^^ wenn ich auch es neh- 
'nie, ich doch zur l)arreichung nichts beitra- 
ge; was ich fahe,, dabey bin ich selbst- 
thätig. Daher wird fähig, wie Fähigkeiten, nur 
von Menschen, nach Geist und Herz, gebraucht; 
und so beweisen es auch die Ausdrücke und 
Redarten y in welchen ea vorkömmt. — r Die 
Erde ist des Samens empfanglich; der Mensch 
der Gnade Gottes — Offenbar kann die Erde 
nichts dabey wirken, und der Mensch wirkt 
nach dem gemeinen System eben so wenig da- 
bey. Zwar führt Hr. Adelungs der dieses Wort, 
wie mehr neuere , etwas spröde und nur im 



3^0 

Vorbejgehea behandelt ^ die Redart an — sich 
der Gnade Gottes empfanglich machen — AI* 
lein zuerst kann ich mich keines guten Schrift- 
stellers erinnern, der sich ihrer bedient hätte^ 
alle reden nur von einem — empfänglich seyn, 
empfänglich werden — - Es könnte also diesem 
Worte j wie allen neugestempelten gegangen 
seyn , bej deren Einführung man erst lange hin 
und her wankt , wo man sie eigentlich anbrin- 
gen soll, bis der damit zu verbindende Begriff 
sich mehr fixirt» - Zweytens aber verfahrt der 
iVfen^ch, der die Gnade Gottes empfängt, da- 
bey doch nur vorbereitend , dafs nichts in ihm 
ist f was sie hinderte; indem er sie empfängt 
fst er ganz leidend. Denke ich mir auch , dafs 
man , wie es scheint , bey dem , empfänglich^ 
zugleich auf den NebenbegrifF des Erwärmens 
und Belebens einer Sache in sich mit gesehen 
hat: so ändert das in der angegebenen Unter- 
scheidung nichts. Die Erde, indem sie in sich 
den Samen erwärmt, belebt , und zur Reife 
bringt, läfst auch dabey 'ganz leidentlich den. 
Regen in sich eindringen und' die erwärmende 
Kraft der Sonne auf sich wirken — sie hat die 
Eigenschaft dazu, wie zu dem Aufnehmen des 
Samens. 

Sage ich nun tiber — des Nachdenkens fä- 
hig seyn, der Freude, der Freundschaft; fähig 
seyn ein Amt zu bekleiden^ eine Wijssenschaft 
odier Kunst zu erlernen, t>der eiffer Sache gar 



i 

• 

nicht fähig. ^eyiii; ein ßhiget Kopf, ein fähiger 
Vei^stand -— so denke ich bey dem allen zugleich 
ein Handeln des Subjects, dem ich dus fähig 
2^uschreibe , da es ein geg^ebnes und empfangnes 
Object bearbeitet. So ist der fähig des Nach- 
denkens, der wirklich nachdenkt ; der Freude, 
der dxß G.eiegßuheit da^xjn xxüu^t, und erfreuli- 
Q^iß Gegenstände aufsucht oder leicjit bemerkt, 
wo der Träge viel ,zu unthätig dazu ist. Man 
ist fähig der Freundschaft, in. so. weit man sie 
erwirbf oder erwiedert; besonders das letzte, wel- 
c^eSk den aip^^^eigten Unjterschied noch deutli- 
eher .macht. Denn ' wann iph mit einer Art von 
Unzufriedenheit, oder.. Unwillai;! sage: djef* 
l^iisch ist gar keiner Freundschaft fähig; so 
yjrili ich damit anzeigen, dais er nicht . nur 
nicjits;., zuirorkommendes hat^,. sondern aycph 
demjenigen, ^er. ihm, mit, Wohlwollen entgegen 
Icömjtnt, aus dem Wege g^ht«, • In dem -r- ei'^ 
ner Sache, nipht fähig ^eynji, ^ — ; ; isjt. das thup^ 
wp nicht aufgelassen» 4och zu verstehen^ dal$ 
ich a}^o ^uch dafür sage : .€|r ist nicht fähig das 
zu thun» Nur der f^hig^-.K-Opf oder Verstand 
könnte scheinen blofs die Fassungskz^ft (die Ca- 
pacität) vieler/ Dinge aiizudeuten. Allein dafür 
haben wir, ^chon das, vielumfassend^ und un- 
ter jenen verstehe ich allerdings nicht nur den 
der laicht fafst ^ sondern auch der leicht begreif^ 
und das Gefafste in sich bearheltet«